Niemand ist vollkommen. Alle machen Fehler, immer wieder. Viele davon passieren uns aus Ungeschicklichkeit oder Unwissenheit. Bei anderen wollen wir von Anfang an das Falsche und machen uns schuldig mit dem, was wir tun oder nicht tun. Wir sitzen alle im selben Boot. Für ein gelingendes Miteinander sind wir darauf angewiesen, gelassen und gnädig mit den Fehlern umzugehen, die halt passieren.
Doch genau damit haben wir Schwierigkeiten, in den Kirchen und Gemeinden genauso wie als ganze Gesellschaft. Wir wissen zwar: Nobody is perfect. Dennoch fordern wir fehlerlose Topleistungen voneinander und reagieren empfindlich, wenn ein Fehler für uns persönlich konkrete Folgen hat. Vielerorts wird zwar von einer notwendigen Fehlertoleranz geredet. Aber die bringen wir oft nicht auf. Sehr anschaulich wird das zum Beispiel auf dem Feld der Politik. Wie wenig braucht es, damit Rücktrittsforderungen laut werden. Manchmal reicht die unbewiesene Vermutung eines Fehlers, dass der politisch Verantwortliche abtreten muss. Er muss den Fehler auch nicht selber begangen haben. Wenn er Pech hat, konnte er nicht einmal davon wissen, und muss doch die Verantwortung übernehmen und abtreten.
Mit Fehlern gehen wir oft gnadenlos um. Wir suchen und finden Sündenböcke und statuieren ein Exempel an ihnen. Deshalb neigen viele Leute dazu, ihre eigenen Fehler zu verheimlichen, zu vertuschen oder davon abzulenken. Am liebsten wird dabei auf die grössere Schuld eines anderen verwiesen. Und dann heisst es: “Ich war es nicht, der andere hat auch geholfen!” Eine Fehlertoleranz fördert das nicht gerade. Ausserdem wird das menschliche Miteinander so ganz schön vergiftet!
Das Fazit lautet also: Wider besseres Wissen neigen wir dazu, die Fehleranfälligkeit aller Menschen zu verdrängen. Deshalb sind wir oft so hilflos im Umgang mit kleinen und grossen Fehlern. Und es gelingt oft nicht gerade gut, mit Fehlern, ihren Folgen und den daraus wachsenden Schuldgefühlen klar zu kommen. — ‘Nobody is perfect!’ Das ist nicht nur eine Binsenwahrheit. Es ist auch ein Problem, für das wir als Gesellschaft keine Lösung haben.
Wie könnte ein Ausweg aussehen? – Es gibt Schlaumeier, welche die Einsicht ‘Nobody ist perfect’ als ihre eigene Generalamnestie missbrauchen. Sie treten da mal jemandem auf den Fuss, stossen dort einen vor den Kopf und setzen immer wieder Projekte in den Sand. Doch das kratzt sie nicht. Darauf angesprochen sagen sie nur: “Was soll’s? Fehler passieren halt! Nobody ist perfect!” Aber eine Lösung kann das ja wohl kaum sein. Wer so denken will, nimmt die Verantwortung für sein Tun nicht wahr und verleugnet negative Auswirkungen auf andere. Und das führt vielleicht sogar dazu, dass man seine Mitmenschen für eigene Fehler bezahlen lässt.
Andererseits kann auch eine alte fromme Variante als Ausweg nicht überzeugen! Jahrhundertelang hat man in Kirchen dazu geneigt, alles und jedes zu verbieten, bei dem schon einmal einer einen Fehler gemacht hat. So hat man vielleicht die Fehlerquote tatsächlich leicht reduziert. Aber dabei ging jegliche Lebensfreude verloren. Ausserdem bröckelte der zwischenmenschliche Kitt, wenn Menschen sich gegenseitig kontrollierten statt sich zu unterstützen.
Wie kann man auf eine gute Art mit Schuld und Fehlern umgehen? Ist das überhaupt möglich? Ich glaube: Ja! — Jesus hat es doch vorgelebt, zum Beispiel in seiner Begegnung mit der Ehebrecherin (Jh 8,1–11). Sie zeigt, wie es Jesus einerseits gelingt, Schuld nicht zu verharmlosen. Er nimmt wahr und benennt auch, was nicht gut ist. Jesus bejaht sogar, dass Schuld Konsequenzen hat. Und doch braucht er andererseits die angeklagte Frau nicht an den Pranger zu stellen und fertig zu machen. Sondern er bringt es fertig, ihr eine neue Chance zu eröffnen. Sie kann nochmals von vorne anfangen und erhält damit die Hoffnung, dass es diesmal besser gehen kann.
Im Umgang mit Menschen, die Fehler gemacht haben, lässt sich Jesus von Liebe und Hoffnung leiten: Aus Liebe verurteilt er nicht, sondern er vergibt. Aus Liebe mahnt er zu einem barmherzigen und ehrlichen Umgang miteinander. Und aus der Liebe wächst die Hoffnung, die es Jesus erlaubt, Sündern eine neue Chance zu gewähren.
Diese Geschichte zeigt, dass ein guter Umgang mit Fehlern mit einer realistischen Einschätzung beginnt. Zuerst müssen Fehler wahrgenommen und zugegeben werden! Jesus akzeptiert und respektiert, dass die Frau gegen das Gesetz verstossen hat. Doch das gilt für die Ankläger genauso. Deshalb verlangt Jesus, dass nur einer den ersten Stein werfen dürfe, der selbst ganz unschuldig sei. So wird den Anklägern klar: Es hat keiner das Recht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Menschen sitzen alle im gleichen Boot. Es hat jeder Dreck am Stecken. Darum macht es keinen Sinn, sich gegenseitig zu verurteilen und zu bestrafen. Das zerstört nur die Gemeinschaft. Wer für andere unnachgiebige Härte fordert, wird selbst nicht auf Gnade hoffen dürfen. Dabei sind wir doch genau darauf angewiesen, um mit unseren Fehlern umgehen zu können. Wir brauchen Gnade und Vergebung. Wir sind darauf angewiesen, all unseren Mängeln zum Trotz geliebt und angenommen zu werden. Und wir sind herausgefordert, genau dies unseren Mitmenschen anzubieten.
So kann Hoffnung auf Besserung keimen: Wenn Fehler nicht gnadenlos bestraft, sondern grosszügig vergeben werden, dann ist mit dem, was geschehen ist, noch nicht alles verloren. Dann gibt es eine neue Chance. Jesus sagt der Frau, dass er sie nicht verurteile. Und so motiviert er sie, es von nun an besser zu machen. Seine Mahnung: ‘Von nun an sündige nicht mehr!’ ist fast überflüssig. Denn wer eine neue Chance erhält, wird alles daran setzen, diese auch zu nutzen.
‘Nobody is perfect!’ – Das weiss Jesus ganz genau. Und doch liebt er seine unvollkommenen Menschen. Er vermittelt der Ehebrecherin, dass sie wertvoll und geliebt bleibt. Das ist das Beste an der Geschichte: Ob Gott jemanden liebt, hängt nicht an seiner Leistung! Kein Fehler, und sei er noch so schlimm, hindert Jesus daran, einen Menschen zu lieben. Und weil er alle liebt, bietet er auch jedem die Chance, wo immer nötig einen neuen Anlauf zu nehmen.
Ich darf mich also darauf verlassen, dass Jesus grenzenlos grosszügig mit meinen Fehlern umgeht. Zugleich bin ich dadurch herausgefordert, meinen Mitmenschen gegenüber dieselbe Grosszügigkeit an den Tag zu legen.
Fragen und Gedankenanstösse:
- Zur persönlichen Umsetzung: Gelebte Gnade im Sinne eines fehlerfreundlichen Umgangs miteinander muss bei mir anfangen. Wo muss ich meine Ansprüche und Erwartungen zurückschrauben, um anderen Raum für eine neue Chance geben zu können?
- These zur Diskussion: Lieber viele Fehler machen als aus Angst vor Fehlern nichts tun. Ein Heiliger ist nicht fehlerfrei, sondern jemand, der sich dank Jesus Christus mit seiner Unvollkommenheit versöhnt hat.