zu Psalm 30,3 und 2. Korinther 12,9
Auf den ersten Blick scheinen in der Bibel alle Kranken gesund und alle Gebete erhört zu werden. Wie geht man damit um, wenn man selbst krank ist und bleibt oder wenn trotz starkem Ringen im Gebet persönliche Herzensanliegen unerfüllt bleiben?
Berichte über Gebetserhörungen und Heilungen können begeistern und motivieren. Das tun sie aber nicht immer. Je nach persönlicher Befindlichkeit und Situation kann es auch frustrierend sein, wenn anderen geholfen wird, während man selber schon lange auf die Gebetserhörung wartet. Manchmal ärgert es mich sogar, wenn ich in der Bibel Sätze lese wie den aus Psalm 30,3. Da betet einer: «HERR, mein Gott, als ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund.» — Schön für dich, denke ich, aber was ist mit meinen offenen Gebetsanliegen? Warum berichtet die Bibel so oft von erhörten Gebeten und erfolgten Heilungen, aber so wenig von Menschen, die trotz aller Gebete krank geblieben sind? Es würde mir und vielen anderen helfen, mehr zu erfahren von Menschen, die lange mit unerfüllten Gebeten leben mussten und dennoch ihr Vertrauen auf Gott nicht aufgegeben haben. Hier aber steht:
«HERR, mein Gott, als ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund.» — Ich selbst erfreue mich zwar einer robusten Gesundheit und war bisher nie auf eine Heilung im engeren Sinn angewiesen. Aber ich habe wegen anderer Anliegen zu Gott gebetet, ja geschrien – und eine Antwort schien auszubleiben. Zum Beispiel hat meine Frau seit vielen Jahren mit gesundheitlichen Störungen zu kämpfen. Es ist zwar nichts Gefährliches oder Lebensverkürzendes, aber lästig und zeitweise ziemlich einschränkend. Natürlich haben wir immer wieder um Heilung gebetet. Aber abgesehen von einer gewissen Stabilisierung und der zunehmenden Fähigkeit, mit den Einschränkungen zu leben, passierte wenig bis nichts.
Ich bin überzeugt, dass dies nicht an Formfehlern beim Beten liegt. Und auch nicht an fehlenden Fähigkeiten Gottes, uns zu helfen. Es muss andere Gründe geben, die mir aber zum Teil rätselhaft bleiben. Wenn ich in der Bibel nach Hilfe suche, um damit umzugehen, finde ich zwei Hinweise: Einerseits lese ich von Paulus, dass seine Bitte um Heilung unerfüllt blieb. Gott habe ihm auf seine Gebete hin gesagt: «Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig» (2. Kor 12,9) Das ist mehr als nur ein schwacher Trost. Schliesslich wird gerade dort, wo wir schwach und bedürftig sind, Gottes tragende Nähe und Kraft besonders gut spürbar. Andererseits werde ich an Jesus auf seinem Leidensweg erinnert. Er betete im Garten Gethsemane darum, vor dem Leiden bewahrt zu bleiben (vgl. Mk 11,36 par), allerdings mit dem Vorbehalt: «Nicht was ich will, sondern was du willst» — Gott wollte etwas anderes und Jesu Bitte blieb unerfüllt. Jesus weiss also, wie das ist, wenn ein im Gebet aus tiefstem Herzen herausgeschriener Wunsch nicht erfüllt wird. Das tröstet mich. Schliesslich ist mir – und ist uns allen zugesagt –, dass er Jesus an unserer Seite ist und mitleidet. Was immer uns zu schaffen macht, er trägt mit. Wenn ich daran denke, lerne ich, mit eigenen unerfüllten Bitten klar zu kommen. Ich lerne, von mir weg auf ihn zu schauen. Und darauf zu vertrauen, dass er weiss, was gut und richtig ist. Und ich lerne sogar, mich mitzufreuen, wenn ein anderer jubeln kann: «HERR, mein Gott, als ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund.»
(Dieser Beitrag geht in leicht veränderter Form am 17.März2018 bei ERF Plus als Wort zum Tag über den Sender)