GASTBEITRAG: Gott ist jetzt nahe

von Pfr. Christoph Schluep, Regen­bo­genkirche EMK Zürich 2

Bibel­text: Markus-Evan­geli­um, Kapi­tel 1

Das Marku­se­van­geli­um ist in ein­er Zeit der Krise ent­standen: Zum einen ster­ben immer mehr der Jünger und Apos­tel der ersten Gen­er­a­tion, so dass ihre Tra­di­tion, ihre Gedanken und ihre Lehre ver­loren zu gehen dro­hen. An-der­er­seits bedro­ht ein Krieg in Israel den Ursprung des Chris­ten­tums, und schliesslich braucht die näch­ste Gen­er­a­tion ver­lässliche Auskun­ft über Je-sus: Wer er war, was er tat, was er sagte, und vor allem: Wer er für uns heute ist. So hat sich Markus zu Beginn der 60er Jahre an die Arbeit gemacht und Geschicht­en, Texte und Tra­di­tio­nen gesam­melt, um sie zusam­men­zustellen und the­ol­o­gisch zu deuten. Ende 60er oder Anfang 70er ist das Werk voll-endet — mit Aus­nahme des Schlusses: Die Aufer­ste­hungs­geschichte fehlt im Orig­i­nal. Weshalb das so ist, bleibt unklar, und es gibt viele The­o­rien dazu. Die beste scheint mir noch immer zu sein, dass Markus den Schluss nicht mehr schreiben kon­nte, weil er ver­starb. Alle anderen The­o­rien müssen er-klären kön­nen, weshalb der Autor aus­gerech­net das, worauf die ganze Ge-schichte hin­aus­läuft, näm­lich die Aufer­weck­en, weglassen sollte.

Der Auf­bau des Evan­geli­ums ist ein­fach: 1–8 in Galiläa, 9–10 Weg nach Jerusalem ‚11–16 Wirken, Ster­ben und Aufer­ste­hen in Jerusalem.

Wir begin­nen mit dem ersten Kapitel — wenn du Zeit hast, lies es in einem Stück, dann bekommst du ein Gefühl für die Erzäh­lung. Die Pas­sage, die ich für heute aus­gewählt habe, ist 1,14f: Nach­dem Johannes aus­geliefert wor­den war, ging Jesus nach Galiläa und verkündigte das Evan­geli­um Gottes: 15 Erfüllt ist die Zeit und ganz nah ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evan-gelium. 

Hier wird mit ganz weni­gen Worten die Predigt Jesu zusam­menge­fasst. Das Stich­wort ist das Reich Gottes, um das dreht sich das Lehren und Wirken Je-su vom Anfang bis zum Ende. Dabei ist Reich Gottes nicht zu ver­ste­hen als ein Reich wie andere Königtümer, son­dern es ist die Königsh­errschaft Got-tes. Das ist die wörtliche Über­set­zung: Das König­sein Gottes. Es geht also nicht um Gebi­ete, Steuern und Kriegsheere, son­dern um Gottes dynamis­che Gegen­wart bei seinem Volk und auf der Erde. Diese Dynamik wird sicht­bar in Jesus: Er geht zu den Men­schen, er ver­set­zt sie in Bewe­gung (z.B. die Jün-ger, die ihm nach­fol­gen), er bringt neues Leben (z.B. den Gelähmten und Kranken und Besesse­nen). Wo er auf­taucht, bleibt nichts beim Alten, son-dern wird alles anders, neu und bess­er. Aber auch im Gegen­teil: Rasch for-miert sich der Wider­stand der kon­ser­v­a­tiv­en Elite, die kein Inter­esse hat, einen neuen Weg zu gehen oder die eige­nen Pfründe in Frage gestellt zu be-kommen. 

Die Zeit ist erfüllt, heisst es. Es ist dies ein qual­i­ta­tiv­er Zeitaus­druck, der besagt, dass jet­zt, ger­ade jet­zt der richtige Zeit­punkt da ist — auch die Zeit wird dynamisch, nicht mor­gen oder bald, son­dern jet­zt zählt es. Denn das Reich Gottes ist ganz nah, es ist nicht mehr fern, und es muss nicht erar-beit­et wer­den oder erbeten, es ist von selb­st gekom­men und drängt sich fast auf, so nah ist es. Es ist nicht die erschreck­ende Nähe des Gerichts, son­dern die wohltuende Nähe der Liebe. Darum ist es auch möglich, jet­zt umzukeh-ren (auch das ist eine Dynamik), denn die Nähe des Reich­es Gottes ist so attrak­tiv, dass Umkehr fast schon von alleine geschieht. Es ist so nah wie die Worte des / der Geliebten, die das eigene Herz zu ihr / zu ihm hin­be­we-gen. Man muss diese Worte bloss hören und annehmen, der Rest geschieht von selb­st. Und wenn man schaut, wie begeis­tert Jesus in Galiläa aufgenom-men wor­den ist, dann merkt man etwas von dieser Attrak­tiv­ität, dieser Dy-namik Gottes, die Men­schen in Bewe­gung ver­set­zt, sie zum Nach­denken bringt und ihnen hil­ft, das Leben zum Guten hin zu ändern — oder bess­er: von Gott verän­dern zu lassen.

Das ist der Kern der Botschaft Jesu, und es ist der Leit­faden des Markus-evan­geli­ums: Gottes Nähe, die alles zum Guten wen­den kann. Sofern man sie wirken lässt, sofern man sich auf Jesus ein­lässt, sofern man glaubt und ver­ste­ht, wer Jesus wirk­lich ist. 

Es ist immer schön, von Dynamik zu sprechen, etwas mehr Schub und Mo-tiva­tion möcht­en wir alle gerne. Wenn man aber zu Hause sitzt und fast ta-ten­los warten muss, dann wird dieses Konzept etwas frag­würdig. Jesus be-tont aber, dass die Dynamik nicht nur äusser­lich ist (etwa, indem man in den Tem­pel geht und opfert), son­dern eine innere wird — das meint das Wort Umkehr. Es geht ihm wesentlich um die Herzen­se­in­stel­lung und die Bere­itschaft, sich von Gott verän­dern zu lassen. Hier begin­nt es, und das ist für das zeit­genös­sis­che Juden­tum kein neuer Gedanke, aber doch ein sehr radikaler, weil der Tor­age­hor­sam und die Tem­pel­treue sehr auf das äussere Tun zie­len und wenig über die innere Ein­stel­lung aus­sagen. Gle­ichzeit­ig ist Jesus aber nicht nur ein Predi­ger in ein­er schön grossen Syn­a­goge — er ist ständig unter­wegs und macht so diese innere Ein­stel­lung sicht- und erleb-bar. Hier ist John Wes­ley, der Grün­der unser­er Kirche, Jesus sehr nahe: Er hat ständig vom „selt­sam erwärmten Herzen“ in uns gesprochen, sich gle­ichzeit­ig aber auch inten­siv um den Auf­bau der Kirche und vor allem um die Armen­für­sorge geküm­mert. Es gehört bei­des dazu: Immer schon und noch immer. Die innere Ein­stel­lung ist nicht authen­tisch, wenn sie keinen Aus­druck in dem find­et, wie wir leben. Und wie wir leben wird, soll und muss mit dem zu tun haben, was wir glauben. Die Dynamik Gottes, die in der Seele begin­nt und ihren Weg über Mund, Hände und Füsse in die Welt nimmt. 

Für viele von uns sind Hände und Füsse im Moment zurück­ge­bun­den. Wahrschein­lich eine gute Gele­gen­heit, sich ein paar Gedanken zur eige­nen Seele zu machen. Die innere Dynamik aufnehmen, sich ent­fachen lassen, von Gott in Bewe­gung geset­zt wer­den. Das ist nicht ein­fach in ein­er Krise, die auch unseren Glauben bet­rifft. Aber nötiger denn je! Wenn du zur Ruhe kommst und dich von Gott tra­gen lässt, dann hast du auf geheimnisvolle Weise von ein­er weltweit­en Krise prof­i­tieren kön­nen. Wenn du im Gegen­teil voller Angst und Sorge auf deine Fam­i­lie und deine Arbeit schaust, dann hast du viele Gründe, diese Ruhe und diese Dynamik zu suchen. Die Krise zwingt dich dazu. Oder sie zwingt dich in die Knie. So oder so: Möge der gute Geist dir so attrak­tiv begeg­nen, dass dir Umkehr und Einkehr ein­fach wer-den. Und dann lass aus dir her­aus und über dich hin­aus auf die um dich in Ferne und Nähe strö­men, was Gott dir vorher geschenkt hat. Alles, was wir an Gutem voll­brin­gen kön­nen, ist immer unsere Tat, aber nie unser Werk. Es ist die Gabe Gottes an uns für andere. 

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