von Pfr. Christoph Schluep, Regenbogenkirche EMK Zürich 2
Bibeltext: Markus-Evangelium, Kapitel 3
Jesus besucht eine Synagoge, in der auch ein Mann mit einer Lähmung sitzt. Alle wissen, dass er ihn heilen kann — wird er es auch tun, obwohl doch Sab-bat ist?
Markus 3,1 Jesus ging wieder in die Synagoge. Und dort war einer mit einer ver-kümmerten Hand. 2 Und sie beobachteten ihn genau, ob er ihn am Sabbat heilen würde, um ihn anklagen zu können. 3 Und er sagt zu dem Menschen mit der ver-kümmerten Hand: Steh auf, tritt in die Mitte! 4 Und er sagt zu ihnen: Ist es er-laubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu ver-nichten? Sie aber schwiegen. 5 Und voller Zorn schaut er sie einen nach dem andern an, betrübt über die Verstocktheit ihres Herzens, und sagt zu dem Men-schen: Streck deine Hand aus! Und der streckte sie aus — und seine Hand wurde wiederhergestellt. 6 Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Herodianern sogleich den Beschluss, ihn umzubringen.
Jesus heilt, obwohl er nicht hätte heilen müssen. Eine gelähmte Hand kann auch bis zum nächsten Tag warten, und das Gesetzt schreibt gerade auch in solchen Fällen ganz genau vor, was eilt und was warten muss. Zum Beispiel eben so ein Fall. Jesus bricht bewusst das Gesetz, und er tut es, weil er weiss, dass sie ihm eine Fall stellen. Er mag nicht den angepassten Rabbi spielen, wenn die Gelehrten da sind, und den Revoluzzer, wenn keine Gefahr droht. Er ist authentisch, auch wenn er sich damit wissentlich in Gefahr bringt.
Der Kernsatz dieser Geschichte ist Vers 4: Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, Leben zu retten oder zu vernichten? Natürlich darf man nur Gutes tun, mehr noch: Gutes muss man immer tun, nicht nur am Sab-bat. Jesus geht einen Schritt weiter: Gutes tun heisst: Leben retten. Hier wird es heikel: Rettet er dem Mann das Leben? Wegen seiner verdorrten Hand wird er nicht sogleich sterben. Jesus aber doppelt nach: Leben nicht zu retten heisst eben auch, Leben zu vernichten. Diese Steigerung vom Guten zum Leben retten zum Leben vernichten hat eine innere Logik. Ja, Jesus hat recht, wenn man konsequent weiterdenkt, dann hiesse die Unterlassung der Heilung nichts anderes, als das Leben des Mannes zu verderben. Das sehen auch die Schriftgelehrten ein, und darum schweigen sie. Aber muss man immer so radikal denken? Ist alles, was Jesus tut, immer Leben retten oder Leben vernichten? Geht es nicht etwas differenzierter, etwas neutraler, etwas weniger emotional? Etwas schweizerischer? Dann könnte man das Gesetz befolgen und den Kranken erst morgen heilen.
Und Jesus schmettert ihnen entgegen: Nein, eben nicht! Das Gute, das Le-ben, die Rettung ist so wichtig, dass sie keinen Aufschub erduldet. Der Mann wartet seit Jahren auf Heilung, und jetzt ist Jesus da, die erste und vielleicht einzige Gelegenheit für den Kranken. Morgen ist Jesus nicht mehr da. Das Gute aufzuschieben und lieber das Gesetz etwas genauer zu befol-gen, das ist jetzt eben nicht mehr nur pedantisch, jetzt ist es Zerstörung des Lebens. Denn jetzt gilt: Das Reich Gottes ist nah, es ist da, es wartet nicht mehr, bis wir alles erfüllt, uns um alles gekümmert, allen Eventualitäten gerecht geworden sind. Es ist dynamisch, es wartet nicht auf die Verschla-fenen. Es macht dynamisch, dass das, was bisher schön langsam und gemütlich und immergleich funktioniert hat, nicht mehr gilt. Ent-weder, sagt Jesus, ihr entscheidet euch für das Leben, oder ihr bleibt, wo ihr seid. Nämlich im Tod.
Wir haben schon ein paar Mal von der Dynamik des Reiches Gottes gehört, und hier wird sie anhand einer Wunderheilung auf den Punkt gebracht: Sie bringt das Leben, alles andere ist der Tod. Und man kann, besser noch: man muss sich dafür entscheiden, oder man bleibt gleichgültig und verpasst sie. Jesus ist in der Tat ein Radikaler, er macht keine halben Sachen, und er for-dert mit dieser Entscheidung uns alle immer wieder heraus. Gerne bleiben wir bei dem, was erlaubt oder verboten ist. Im Strassenverkehr (halten bei rot), bei der Arbeit (um 0800 am Schreibtisch oder in der Werkstatt sein, dann ist der Lohn auch garantiert), in der Beziehung (treu bleiben, nicht fremdgehen) und in der Kirche (laut singen und beten ja, ekstatisch in Zungen beten mit Schaum vor dem Mund eher nein). Das gibt uns Sicherheit, denn wir wissen, so funktioniert es. Und alles bleibt beim Alten. Nicht immer alles muss anders werden, in Krisenzeiten sowieso nicht.
Jesus aber will weg vom Erlaubten und Verbotenen, hin zum Gebotenen: Was ist das Gebot der Stunde? Was tun, jetzt, da das Reich Gottes da ist? Wie handeln, jetzt, wenn wir uns vorstellen, Jesus steht neben uns? Oder auf den Punkt gebracht: Was dient dem Leben? Was entspricht der Liebe? Im Fall des Kranken in der Synagoge ist es die Heilung und nicht die Vertröstung auf morgen. Das ist die Jesus-Krise: Du musst dich immer wieder neu ent-scheiden, was genau jetzt richtig ist. Jetzt, weil jetzt nicht die Zeit der Ab-wesenheit Gottes ist, sondern gerade umgekehrt die seiner Gegenwart.
Jetzt ist Corona-Zeit. Jetzt muss sich alles diesem einen Problem unterord-nen. Corona bringt den Tod, und Krisenmanagement will das verhindern. Das ist gut und recht. Aber jetzt ist nicht nur Corona-Zeit. Jetzt ist die Zeit des Reiches Gottes. Gerade weil die Situation jetzt so zugespitzt ist, fällt es uns vielleicht leichter, der Panik vor Corona etwas anderes entgegenzu-stellen. Entscheide ich mich für das Reich Gottes, das Jesus mit sich bringt, in dem vieles möglich ist und ganz neue Bewegung entsteht, oder entschei-de ich mich für die Angst? Für das Leben oder für den Tod?
Das ist, wie damals, etwas vereinfacht, etwas radikal, etwas undifferenziert. Ist es deswegen falsch? Kann ich mich von der Corona-Krise erfassen las-sen und auch noch ein bisschen Jesus im Herzen haben? Oder ist gerade jetzt eine Entscheidung gefragt, die radikal auf das Leben und die Liebe setzt? Wo du auf Jesus setzt, ist Corona noch nicht verschwunden. Aber die Frage, worauf dein Leben beruht, ist entschieden.