Weltumspannendes Gebet

Pho­to by Zac Durant on Unsplash

Bibel­text: Matthäus 6,9–13

Ja, ich weiss: Über vor­for­mulierte Gebete kann man stre­it­en. Viele mögen es, sich die Worte ander­er lei­hen, ja sich in sie hinein­le­gen zu kön­nen. Das hil­ft, wenn eigene For­mulierun­gen nicht zu find­en sind, vielle­icht sog­ar, weil es einem im Moment schlicht die Sprache ver­schla­gen hat. Andere bemän­geln die fehlende Spon­taneität beim Beten fes­ter For­mulierun­gen. Sie empfind­en es als unecht, im Gebet anderen nachzu­plap­pern. Ausser­dem ken­nen alle die Schwierigkeit­en, beim Rez­i­tieren auswendig gel­ern­ter Gebete mit den Gedanken ganz bei der Sache zu bleiben. Ganz beson­ders treten diese beim Unser­vater auf, dem zweifel­los am häu­fig­sten gesproch­enen christlichen Gebet.

Ich mag spon­tanes nicht gegen ‘litur­gis­ches’ (wenn man es denn so nen­nen will) Beten ausspie­len. Bei­des hat seine Berech­ti­gung. Ja, bei­de For­men ergänzen sich sog­ar sehr gut. — Das Unser­vater ist mir im Lauf der Zeit immer wichtiger gewor­den. Ich möchte meine per­sön­lichen Zugänge dazu aufzeigen. Es sind deren drei.

1. Ich erin­nere mich, dass mein Gross­vater das Unser­vater regelmäs­sig nach dem Früh­stück gebetet hat. Er war eigentlich kein emo­tionaler Typ. Ger­ade im Gottes­di­enst liebte er es, wenn es geord­net und sach­lich zu und her ging. Aber wenn er zu Hause am Früh­stück­stisch das Unser­vater betete, klang seine Stimme in meinen Ohren ehrfürchtig, inten­siv, ja inbrün­stig. Mir hat sich dadurch früh eingeprägt, dass das Unser­vater etwas ganz Beson­deres und ein gross­es Geschenk sein müsse. 

2. Als The­olo­gi­es­tu­dent lernte ich, dass im Unser­vater eigentlich alles enthal­ten ist, was einem Men­schen im Gebet wichtig sein kann: Gott wird als lieben­der Vater ange­sprochen. Die Sehn­sucht nach umfassen­dem Frieden kommt zum Aus­druck. Aber auch die Sor­gen um das tägliche Leben und Über­leben kann ich bei Gott deponieren. Die Über­win­dung der Schuld und Heilung zwis­chen­men­schlich­er Beziehun­gen wird erbeten. Ich stelle mich der Ver­ant­wor­tung, selb­st meinen Teil dazu beizu­tra­gen. Und nach der Bitte um Erlö­sung mün­det das Gebet in das Lob, die Ver­her­rlichung Gottes. — Alles ist drin. Das Unser­vater ist tat­säch­lich ein Gefäss, in das ich alle meine Anliegen, Fra­gen und Sor­gen leg­en und sie vor Gott brin­gen kann.

3. Das Unser­vater verbindet alle Chris­ten. Die Unter­schiede in Sachen Gottes­di­en­st­gestal­tung, Fröm­migkeitsstil und Lehrmei­n­ung mögen noch so gross sein. Quer durch alle Kon­fes­sio­nen, Denom­i­na­tio­nen und Kul­turen beten Chris­ten immer wieder das Unser­vater und zeigen so ihre Ver­bun­den­heit miteinan­der. Das ist mir ganz wichtig. — Im auch als Welt­ge­bet­stagslied bekan­nten Abend­lied von John F.Ellerton (Der Tag, mein Gott, ist nun ver­gan­gen; Nr. 640 im EMK-Gesang­buch) heisst die dritte Stro­phe: “Denn uner­müdlich, wie der Schim­mer des Mor­gens um die Erde geht, ist immer ein Gebet und immer ein Loblied wach, das vor dir ste­ht.” Wenn ich das singe, kommt mir meis­tens das Unser­vater in den Sinn.

Ich finde den Gedanken — ger­ade jet­zt während dieser Coro­na-Pan­demie — sehr tröstlich, dass es ein wel­tumspan­nen­des Gebet gibt, mit dem buch­stäblich jede Sekunde irgend­wo auf der Welt jemand Gott in den Ohren liegt.

Der us-amerikanis­che Kom­pon­ist Christo­pher Tin kom­ponierte 2005 das Lied ‘Baba Yetu’ (ursprünglich als Titel­song für ein Com­put­er­spiel; das Lied gewann 2011 einen Gram­my Award). Es ist eine Ver­to­nung des Unser­vater­textes in der afrikanis­chen Sprache Swahili. Für mich ist das Lied ein schön­er Aus­druck des wel­tumspan­nen­den und kul­turüber­greifend­en Charak­ter des Unser­vaters. Darum an dieser Stelle noch zwei Links zu, wie ich finde, tollen Ver­sio­nen dieses Liedes auf YouTube:

2 Gedanken zu „Weltumspannendes Gebet“

  1. Lieber Daniel,
    Dein Beitrag hat in mir eine Erin­nerung her­vorgerufen, die ich gerne mit euch allen teilen möchte! Lucian unser jüng­ster Sohn ging in eine heilpäd­a­gogis­che Schule. Eines Tages sollte er für ein The­ater­stück 2 Sätze auswendig ler­nen. Eine Herkule­sauf­gabe für ihn, er schaffte es nicht und war verzweifelt! Der Lehrer besorgte ihm dann eine Sta­tis­ten­rolle. Am fol­gen­den Son­ntag gin­gen wir zusam­men als Fam­i­lie in den GD nach Woll­ishofen. Der dama­lige Pfar­rer predigte und am Schluss set­zte er zum Unser­vater an. Er kam nicht weit und ver­s­tummte plöt­zlich! Lucian sprach ganz, ganz laut und inbrün­stig das Unser­vater und zwar in einem Tem­po, das jedem Schnel­lzug Konkur­renz macht .Die “alten” Men­schen ent­fer­n­ten ihre Hörg­eräte!! (die laute Stimme hat er lei­der von mir geerbt)
    Uwe, Stephan und ich sassen wie auf glühen­den Kohlen und dacht­en, was kommt jet­zt? Eine Rüge? Ein Ver­weis?? Nein der Pfar­rer hat gelacht und die Leute haben geklatscht und zu Lucian gesagt, du wirst sich­er ein­mal Pfar­rer. Lucian hat sich so gefreut und war so stolz. Tags darauf hat mir sein Lehrer tele­foniert und erzählt, Lucian habe ihm ganz stolz das gesamte Unser­vater aufge­sagt und gesagt, sehen Sie ich kann doch etwas auswendig auf­sagen. Was Kirche alles bewe­gen kann, wenn wir es zulassen!
    Sehr dankbar bin ich auch meinem ver­stor­be­nen Mann Uwe, der täglich auch mit Inbrun­st mit uns das Unser­vater gebetet hat. Es hat bei mir und unseren Söh­nen Spuren hinterlassen!
    Sil­via Meyer

  2. Vie­len Dank für diese Gedanken zum UNSER VATER Gebet. Sie bere­ich­ern mich, denn wir denken im Hauskreis auch ger­ade über dieses Gebet nach, ent­deck­en Neues und besprechen, was uns Mühe bereitet.
    Die Musik ver­mag es, in mir noch weit­ere Emo­tio­nen zum Schwin­gen zu brin­gen. Vie­len Dank für die Links zu den wun­der­baren Auf­nah­men des BABA YETU.
    Für alle, die sich auch durch Musik ange­sprochen fühlen, hier ein Link zum “Unser Vater” mit Andrea Bocel­li: https://gloria.tv/post/e43KLmR1DsMm1DCTibL3zfaeF

Schreibe einen Kommentar zu Petra Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert