Bibeltexte: Lukas 24,32; Johannes 20,11–18 u.a.
Beim Lesen in den Ostergeschichten fällt mir auf: Niemand, der dem Auferstandenen begegnete ist, begriff sofort, was passiert war. Alle haben den Christus bestenfalls auf den zweiten Blick erkannt. Sie brauchten mehrere Anläufe, um die Osterbotschaft zu glauben:
- Die Frauen, die das leere Grab zuerst entdeckten, wurden zwar von Engeln aufgeklärt. Dennoch konnten sie (noch) nicht glauben. Der Schrecken fuhr ihnen in die Glieder und liess sie fliehen (Mk 16,5–8).
- Maria von Magdala begegnete Jesus im Garten. Doch sie erkannte ihn nicht. Sie hielt ihn für den Gärtner und argwöhnte, er könnte den Leichnam ihres Herrn gestohlen haben. Christus musste sie schon mit ihrem Namen ansprechen, damit der Groschen fallen konnte (Jh 20,16).
- Die beiden Emmausjünger wandern stundenlang mit Jesus durch die Nacht und erkennen ihn doch nicht (Lk 24,13ff). Erst nach seinem Verschwinden realisieren sie, dass es ihr Meister war.
- Die Jünger mögen den Berichten der Frauen nicht glauben. Als Jesus sie dann in ihrem Versteck besucht (vgl. Lk 24,36ff), fürchten sie zunächst, ein Gespenst zu sehen. Erst nach und nach fassen sie Vertrauen.
- Auch Thomas braucht einen zweiten Anlauf. Er machte eine zweite Chance sogar zur Vorbedingung für seinen Glauben. Auch er kann Ostern aus blossem Erzählen nicht fassen. Glauben will er nur, falls er selbst den Auferstandenen sehen und sogar berühren kann (Jh 20,24ff).
Alle Osterzeugen haben mehrere Anläufe gebraucht um das Wunder zu begreifen. Keiner war auf einen Schlag überzeugt. Es scheint also, dass der Osterglaube oft erst im zweiten (oder x‑ten) Anlauf Wurzeln schlagen kann.
Diesen Eindruck finde ich zunächst schlicht tröstlich: Wenn mein eigener Glaube gefährdet ist oder gar verloren geht, muss das keineswegs das Ende bedeuten. Vielmehr bleibt mir die Möglichkeit, einen neuen Anlauf zu nehmen. Selbst wenn ich wie an der Wand stehe und nicht mehr zum Glauben durchdringen kann, gibt es Hoffnung: Der Auferstandene kommt mir entgegen. Er ruft mich bei meinem Namen wie Maria Magdalena. Er lässt mich ihn berühren wie Thomas. Christus kommt mir entgegen und baut die Brücke zum Osterglauben.
Es gibt mehr als eine Chance. Das tröstet mich auch hinsichtlich der Menschen, mit denen ich zu tun habe: Wenn ich ihnen Ostern nicht begreiflich machen kann, wenn sie das mit der Auferstehung einfach nicht glauben können …, dann muss mich das nicht unter Druck setzen. Es gibt eine zweite, dritte, vierte … Chance. Nicht einmal Jesus Jünger haben es im ersten Anlauf geschafft. Dabei hätten sie doch nach drei Jahren Unterwegssein mit Jesus vergleichsweise gute Chancen haben müssen. Menschen heute, die mit Gott oder Kirche vielleicht kaum Berührungen hatten, haben es ungleich schwerer. Doch auch für sie gilt: Es gibt mehr als eine Chance. Das gibt mir Mut und Geduld, als – vielleicht manchmal wenig überzeugender — Osterzeuge am Ball zu bleiben.
Es gibt mir aber auch zu denken, dass der Osterglaube oft mehr als einen Anlauf braucht. Unsere Zeit ist extrem schnelllebig: Zahllose Einladungen, Informationen, Eindrücke und Begegnungen kommend dauernd auf uns zu. Wir haben oft gar nicht die Zeit, alles gründlich und in mehreren Anläufen zu prüfen. Und wenn wir die Zeit hätten, dann nehmen wir sie uns doch nicht. Ich bin sogar manchmal stolz darauf, dass ich Situationen und Sachverhalte ziemlich schnell erfassen kann. Doch wie leicht gewichte ich dann meinen ersten Eindruck als die ganze Wahrheit. So entstehen Vor-Urteile. Wenn Gottes Wahrheit oft erst im zweiten oder dritten Anlauf zu erfassen ist, dann verbaue ich mir vielleicht manche Erkenntnis, wenn ich zu sehr auf den ersten Eindruck baue.
Der Gedanke erschreckt mich! Ich meine, wenn die Frauen am Grab damals auf ihrem ersten Eindruck beharrt hätten, wüsste heute vielleicht niemand mehr etwas vom Ostergeschehen. Bestenfalls ein Kriminalstück um Grabräuber und einen verschwundenen Leichnam hätte dann daraus werden können. Wenn Thomas auf seinen Zweifeln beharrt und die Emmausjünger ihr selbstbemitleidendes Jammern forgeführt hätten, wenn Maria von Magdala sich vom vermeintlichen Gärtner abgewendet hätte …. dann hätte die Osterbotschaft ihren Siegeslauf rund um die Welt gar nicht antreten können.
Nun gut! Man mag einwenden, dass Gott wohl noch andere Möglichkeiten gehabt hätte um dafür zu sorgen, dass sein Sohn nicht umsonst gestorben wäre. Und überhaupt kommt man mit ’wenn’ und ’wäre’ und ’würde’ ja nie an ein Ende.
Dennoch: Wenn ich mir die Sache überlege, dann werden mir die Ostergeschichten zum Ansporn, mich nicht mit dem ersten Eindruck zufrieden zu geben: Ich werde von Gott mehr und Tieferes erfahren, wenn ich meine Vor-urteile hinterfrage, wenn ich einen zweiten Blick riskiere oder noch einmal Anlauf nehme, wo ich mit meinem Begreifen an Grenzen stosse.
Ich muss nicht mich selbst bemitleiden, wenn mir ein Missgeschick passiert ist und brauche Gott nicht anzuklagen, weil er es nicht verhindert hat. Statt dessen kann ich auch zu verstehen suchen, was er mir damit zeigen will. In einem Gottesdienst erzählte einmal eine Frau davon, dass sie im Nachhinein Gott sogar zu danken lerne für ihren Armbruch. Weil sie zu mehr Ruhe gezwungen war, habe sie Gott besser gespürt und mehr mit ihm erlebt als sonst. - Vielleicht könnte ich auch lernen, den Hausierer, der mich am Nachmittag aus meinen Gedanken aufschreckt, nicht einfach als Störefried und Eindringling zu sehen. Wer weiss, ob nicht gerade er der Mensch ist, durch den mir Jesus an diesem Tag begegnen will (vgl. Mt 25,31–40)?
Ostern bedeutet die Einladung, einen zweiten Blick zu riskieren. Es bedeutet die Aufforderung, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen wahrzunehmen. Kein Mensch wird zum Mitmenschen oder gar zum Nächsten, solange ich mein Herz verschlossen lasse. Sogar im auferstandenen Christus sehen die Augen – wenn das Herz nicht mithilft – nur den Gärtner. Von Antoine de Saint-Exupéry wird der Satz überliefert:“Man sieht nur mit dem Herzen gut!“ Und die Geschichte der Emmausjünger bestätigt es: Nachdem Jesus verschwunden ist, bringt die Reaktion ihres Herzens sie auf die richtige Spur. Sie merken und sagen zueinander: “Brannte nicht unser Herz, als er mit uns auf dem Wege war?“
Ostern ist die Einladung, mit dem Herzen einen zweiten Blick zu wagen … und dann doch Glauben zu risikieren.
Wunderbare Gedanken, über die es sich lohnt genauer nachzudenken und zu sprechen. Ich werde es für unser Hauskreis-Video-Meeting morgen vorschlagen. Vielen Dank!