von Pfr. Christoph Schluep, Regenbogenkirche EMK Zürich 2
Bibeltext: Markus 5,1–43
Ausnahmsweise erzählt Markus nicht wie sonst kurze Geschichten, sondern zwei lange — die Heilung des Geraseners und die der Tochter des Jairus. In die zweite ist die Heilung der blutflüssigen Frau kunstvoll eingewoben, und wer je der Meinung war, dass Markus ein simpler Erzähler ist, wird hier eines besseren belehrt. Es sind drei Auferstehungsgeschichten: Der Gerasener, der eine ganze Legion an Stimmen und Personen in sich trägt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist, weil er schreit und droht und verletzt, wird von Jesus direkt angesprochen. Jesus kennt keine Scheu und keine Angst, er weiss, in wessen Namen und mit wessen Kraft er gesandt ist. Die Flucht der Dämonen in die Schweine, die sich ins Meer stürzen, hat schon fast etwas Komisches. Zentral aber bleibt, dass Jesus Schranken und Ausgrenzung überwindet und Menschen zurück in die Gesellschaft führt. Der Gerasener hat neues Leben erhalten. Ein für die vielen Augenzeugen erschreckend machtvolles Wunder.
Die Geschichte der Frau mit jahrelangem Blutfluss ist gerade gegenteilig aufgebaut: Jesus ist mitten in einer riesigen Menschenmenge, und auch sie ist unter ihnen. Wegen ihrer Blutungen gilt sie als unrein und darf nicht berührt werden und auch nicht in den Tempel oder die Synagoge. Sie lebt mitten unter vielen Menschen und ist doch ganz allein. Während der Gerasener Jesus anschreit und ihn konfrontiert, hofft die Frau auf ein geheimes Wunder, indem sie nur sein Kleid berührt. Trotz des Gedränges entgeht dies Jesus nicht, vielleicht ist es die einzige Berührung in der Menge, die aus wahrem Glauben und echter Not geschieht. Die Frau wird gesund und kann ihren Platz in der Gesellschaft wieder einnehmen. Auch sie erlebt eine Form der Auferstehung.
Und dann die Tochter des Jairus, eines Synagogenvorstehers mit einem römischen Namen. Sie ist nicht nur krank und ausgegrenzt, sie ist tot. Als Jairus den Meister rief, lebte sie noch, jetzt, mitten in der Erzählung (und gerade nach der Heilung der Frau) erreicht ihn die Botschaft, dass seine Tochter tot ist. Damit aber will sich Jesus zum Erstaunen und zum Gelächter der Umstehenden nicht abfinden. Er heilt die Tochter nicht, er erweckt sie zu neuem Leben. Dieses grösste der drei Wunder geschieht ganz im Geheimen, und Jesus will nicht, dass man davon erzählt. Ein Motiv, das bei Markus immer wieder vorkommt, das sog. Messiasgeheimnis.
Wenn wir diese drei Erzählungen miteinander lesen, dann wird der Sinn dieses Schweigegebotes schnell klar: Jesus will nicht nur als der grosse Wundertäter verehrt werden, der kommt, heilt und dann weiterzieht. Die Wunder sind für ihn bloss ein Zeichen dafür, dass das Reich Gottes nah und eben: da ist und dass die Macht des Bösen gebrochen ist. Ebenso wichtig sind ihm die Predigt, die Gleichnisse, die Lehre, denn er weiss: Die Wunder sorgen vor allem für Erstaunen, er aber sucht den Glauben, das Vertrauen der Menschen.
Die Grundfrage, auf die Markus immer und immer wieder hinweist in seinem Evangelium und die den roten Faden seiner Erzählung bildet, ist darum: Wer ist dieser Jesus wirklich? Zur Beantwortung braucht es alles: Das Reich Gottes als den Hintergrund seines Wirkens, die Wunder als Ausdruck seiner Dynamik und Jesu Kraft, seine Lehre und seine Erzählungen, die die Menschen zum Glauben bewegen sollen. Und auch: das Kreuz. Denn der Wundertäter wird sterben, er wird sein Leben geben, und das Wunder der Rettung bleibt aus. Jesus kommt nicht nur, um Kranke zu Heilen und Dämonen zu vertreiben, er hat eine geradezu kosmische Aufgabe: Die Überwindung der Sünde und des Todes.
Wer nur die machtvollen Wunder Jesu sieht, und davon gibt es in der Tat sehr viele, der sieht Jesus nicht richtig. Wer nur an Jesus glaubt, weil er sich Heilung seines Gebrechens erhofft, glaubt vergebens. Wer meint, im Namen Jesu werde alles immer sofort gut, meint falsch. Jesus hat eine ganz andere Aufgabe, und wer ihm nachfolgt, wird nicht zum Wundertäter auf Abruf, sondern wird selbst eingebunden, hineingezogen in diese Aufgabe. Wunder und Schweigegebot, Macht und Leiden, Auferstehung für Kranke und Tod für Jesus — all das gehört unlösbar zusammen. Nur wer das sieht, sieht Jesus richtig und kann den Weg Gottes nachfolgen. Sagt Markus. Und ich bin überzeugt: Er hat recht.