von Pfr. Christoph Schluep, Regenbogenkirche EMK Zürich 2
Bibeltext: Markus 7,1–15
Jesus sagt: “Nichts, was von aussen in den Menschen hineingeht, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist es, was den Menschen unrein macht.”
Die Speisegebote, die Kleidergebote und die Reinheitsgebote des Alten Testaments (die meisten davon im Buch Leviticus/3.Mose) sind uns meist recht fremd, und es sind genau die Gebote, die die Mehrheit des Gesetzes im AT ausmachen, und auch gerade die, die wir nicht einhalten, und zwar meist vollständig nicht. Wenn man sie aber einmal versucht zu verstehen als das, was sie eigentlich sein wollen, dann merkt man, dass sie zwei Perspektiven haben: Zum einen wollen sie sicherstellen, dass der Mensch sich gerade im Alltag richtig vor Gott verhält. Er, der Heilige, der Reine, der Allmächtige, kann und will nicht jedes Verhalten dulden, er hat konkrete Ansprüche. Unreines Verhalten ist Verhalten, das ihn beleidigt, und darum gibt es viele Bereiche des Lebens, die tabu sind. Essen, trinken, sich kleiden, arbeiten, Hygiene … sind keine für oder vor Gott beliebigen Bereiche, sondern zeigen äusserlich die Distanz auf, in die sich der Mensch jeden Tag von neuem Gott gegenüber begibt. Die Gebote wollen sicherstellen, dass gottgefälliges Leben möglich ist und auch praktiziert wird. Das ist das eine.
Das andere ist die Identitätsstiftung solcher Gebote: Das machen nur wir, und wer es macht, gehört zu uns. Das macht uns aus, das definiert uns. Und im Gegenzug: Es schliesst die anderen aus. Und das dürfte einer der Gründe gewesen sein, weshalb Jesus diesen Reinheitsgeboten wenig Beachtung schenkt. Als Jude vom Land war er ohnehin nicht streng an sie gebunden, denn wer auf dem Land arbeitet, kann diese Reinheit gar nicht einhalten: Sobald er mit Tieren, ihrem Mist etc. in Kontakt kommt, ist er unrein. Und Jesus erkennt: Statt es zu verbinden, trennen diese Gesetze das Volk. Fleischproduktion ist unrein, aber die, die gerne rein sind, essen es trotzdem. Und wo immer Menschen ausgeschlossen werden, zieht Jesus die Linie: Bei Prostituierten, Zöllnern Bettlern, Kranken und eben auch den sogenannt Unreinen.
Diese Gebote sind aber so tief verwurzelt in der jüdischen Tradition — und sie sind es heute noch! -, dass sie geradezu zu einem gesellschaftlichen Kriterium werden: Was man macht, und was man auf keinen Fall macht. Diese Kriterien gibt es bei uns auch: Man dutzt fremde Menschen nicht, man bezahlt seine Steuern, man löst Konflikte gewaltlos, man isst nicht öffentlich mit den Händen, man zieht sich Kleider an, um die Blösse möglichst zu verdecken. Alles andere ist anstössig.
Und dann kommt einer wie Jesus und stellt solche Dinge in Frage, weil sie einen nicht geringen Teil der Gesellschaft ausschliessen. Und wir merken, wie anstössig ein solches Verhalten sein kann. Aber Jesus hat einen Grund dafür: Das, was man macht (eben z.B. die Reinheitsvorschriften oder die Verhaltensregeln an der Bahnhofstrasse oder am Arbeitsplatz), kann grosses Ansehen mit sich bringen, Anständigkeit, Ausdruck persönlicher Leistung. Das ist das Offensichtliche, das Äusserliche. Aber es sagt nicht viel darüber aus, wie ich fühle, wer ich bin, wie es in meiner Seele aussieht. Ich kann all mein Geld korrekt versteuern, und trotzdem sagt es nichts darüber aus, wie ich zu diesem Geld gekommen bin und welche Bedeutung es für mich hat.
Nichts von dem, was äusserlich ist, beschreibt mich letztlich genau. Es kann ein Hinweis sein, aber auch ein Versteck, eine Lüge, eine Täuschung. Darum macht das alles nicht rein und nicht unrein, nicht gottgefällig oder gottfern. Gott schaut nicht primär auf den Mist an oder in unseren Händen und nicht auf unseren gesellschaftlichen Erfolg. Er schaut in den Wesenskern unserer Existenz, in das Personenzentrum. Wer bist du wirklich? Vielleicht ist das geheim, vielleicht sogar dir selbst. Aber Gott sieht es. Und das interessiert ihn, weil es als einziges Auskunft über dich gibt. Wer also alle Gebote erfüllt oder ein unbescholtener Bürger ist oder ein guter Kirchgänger, der sei dafür gelobt, aber nicht vor Gott. Der will sehen, was aus deinem Herzen fliesst, er will deine Motivation kennen, deine Gedanken, auch die heimlichen und die üblen.
Und in dieser Hinsicht gibt es keine Vorschriften, die man erfüllen und abhaken kann, hier gibt es nur Authentizität. Fürchte dich nicht davor, gesellschaftliche oder kirchliche Regeln zu verletzen, aber sei dir bewusst, dass du vor Gott nie sagen kannst, du hättest es so nicht gewollt und anders gemeint, wenn es nicht stimmt. Es ist eine grosse Freiheit, zu essen, zu berühren, anzuziehen und zu gebrauchen, was wir wollen. Das ist das Geschenk Jesu an uns. Aber es bedeutet nicht, dass alles, was wir tun, gleichgültig ist. Letztlich lässt sich — einmal mehr — alles auf die eine Frage reduzieren: Entspricht das, was du tust, denkst, fühlst und willst, der Liebe Gottes zu dir? Scheint aus dir und deinem Handeln und Denken die Liebe Gottes heraus? Und nicht nur am Sonntag im Gottesdienst, sondern im Alltag, wenn du deinem Nächsten begegnest? Und was, wenn er dir gegenüber feindlich gesinnt ist, dich verleumdet, anklagt, bedroht, unter Druck setzt? Dann gilt noch immer dieselbe Regel. Jetzt ist es nicht mehr Nächstenliebe, und die fällt uns in der Regel nicht so schwer, jetzt ist es die Feindesliebe. Die ist schwierig — und meist unmöglich. Jetzt helfen dir gutes Benehmen und überzeugendes Auftreten nichts mehr.
Äusserliche Regeln zu befolgen, die von meiner inneren Einstellung recht unabhängig sind, ist etwas mühsam und letztlich eine Disziplinfrage. Bei jeder Handlung die Haltung des Herzens zu überprüfen und authentisch und konsequent zu sein, ist anstrengend und letztlich ein Ding der Unmöglichkeit. Jesus will keine äusserlichen Menschen. Er sucht das Herz des Menschen. Hier setzt er an, hier will er an dir arbeiten. Hier gibt es in der Regel viel zu tun, aber das schreckt ihn nicht ab.
Denn: Gott sei Dank ist für Jesus nichts unmöglich, nicht einmal in deinem Leben. Kannst du das glauben? Das kannst du glauben!