GASTBEITRAG: ‘Ihr irrt sehr!’

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von Pfr. Christoph Schluep, Regen­bo­genkirche EMK Zürich 2

Bibel­text: Markus 12,13–27

13 Und die Leute von Jerusalem schick­en einige von den Phar­isäern und den Hero­di­an­ern zu Jesus, um ihm eine Fangfrage zu stellen.  
14 Und sie kom­men und sagen zu ihm: Meis­ter, wir wis­sen, dass du der Wahrheit verpflichtet bist und auf nie­man­den Rück­sicht nimmst; denn du acht­est nicht auf das Anse­hen der Per­son, son­dern lehrst den Weg Gottes, wie es richtig ist. Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht? Sollen wir zahlen oder nicht zahlen?  
15 Er aber kan­nte ihre Heuchelei und sagte zu ihnen: Was stellt ihr mich auf die Probe? Bringt mir einen Denar, damit ich ihn anse­he!  
16 Und sie bracht­en ihm einen. Da sagt er zu ihnen: Wessen Bild und Inschrift ist das? Sie sagten zu ihm: Des Kaisers.  
17 Da sagte Jesus zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Und sie wun­derten sich sehr über ihn. 

Ganz klar: Eine Fangfrage. Ist er ein guter Jude, wenn er sich für die Steuern ausspricht? Und ist er nicht eine Gefahr für Rom, wenn er sich dage­gen ausspricht? Aber Jesus durch­schaut sie und antwortet clever. Er lässt sich eine Münze brin­gen und beant­wortet die dop­pelte Frage mit ein­er dop­pel­ten Antwort. Ich liebe diese Stelle: Welch Schlagfer­tigkeit, welch Impro­vi­sa­tion, welch Tief­gründigkeit. Und vor allem: Er schaut den Men­schen direkt ins Herz, er lässt sich wed­er schme­icheln noch täuschen. Zeigt nicht ger­ade das, dass er Gottes Sohn ist? Der Mes­sias der Wahrheit und des reinen Herzens. Während sie ver­suchen, ihn auf ihre Seite zu ziehen oder ihn als Ver­räter blosszustellen, bleibt er sich selb­st und geht keine Kom­pro­misse ein. Er ist ehrlich, aufrichtig, und er ist ein­fach, wenn es möglich ist und kom­plex, wenn es nötig ist. Unaufgeregt, nicht zu beein­druck­en. Er ist eben Gott, der ins Herz schaut und nicht auf Gelehrsamkeit oder Fröm­migkeit. 
Wer bist du, wenn du vor ihm stehst? Und bedenke: Er sieht direkt in dein Herz. Du kannst nichts ver­steck­en. Aber du musst auch nichts verstecken.

Nach den einen kom­men die anderen: In der Fort­set­zung der Geschichte tauchen nun nach den Phar­isäern die Sad­duzäer auf. Sie machen den grössten Teil des Adels aus, sie stellen den Hohe­p­riester, sie sind das Estab­lish­ment. Und sie glauben nicht an die Aufer­ste­hung. Darum kon­fron­tieren sie Jesus mit einem logis­chen Dilemma: 

18 Und es kom­men Sad­duzäer zu ihm, die behaupten, es gebe keine Aufer­ste­hung; und sie fragten ihn: 
19 Meis­ter, Mose hat uns vorgeschrieben: Wenn einem der Brud­er stirbt und eine Frau zurück­lässt und kein Kind hin­ter­lässt, dann soll sein Brud­er die Frau nehmen und seinem Brud­er Nachkom­men erweck­en.  
20 Nun waren da sieben Brüder. Der erste nahm eine Frau, und als er starb, hin­ter­liess er keine Nachkom­men.
21 Da nahm sie der zweite und starb, ohne Nachkom­men zu hin­ter­lassen, und eben­so der dritte.   
22 Und alle sieben hin­ter­liessen keine Nachkom­men. Zulet­zt, nach allen andern, starb auch die Frau.  
23 In der Aufer­ste­hung nun, wenn sie aufer­ste­hen — wessen Frau wird sie sein? Alle sieben haben sie ja zur Frau gehabt.
24 Jesus sagte zu ihnen: Irrt ihr nicht darum, weil ihr wed­er die Schriften noch die Macht Gottes ken­nt? 
25 Wenn sie näm­lich von den Toten aufer­ste­hen, heirat­en sie nicht, noch wer­den sie ver­heiratet, son­dern sie sind wie Engel im Him­mel. 
26 Was aber die Toten bet­rifft, wenn sie aufer­weckt wer­den — habt ihr nicht gele­sen im Buch des Mose, in der Geschichte vom Dorn­busch, wie Gott zu ihm gesagt hat: Ich bin der Gott Abra­hams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? 
27 Er ist nicht ein Gott von Toten, son­dern von Leben­den. Ihr irrt sehr. 

Es ist inter­es­sant, wie hier, in Jerusalem, dem religiös-kul­tischen Zen­trum Israels, sich alle darum bemühen, Jesus zu testen und, wenn möglich, für sich selb­st zu intstru­men­tal­isieren. Noch heute kann sich kaum jemand der religiösen Span­nung, mehr noch: Anges­pan­ntheit in Jerusalem entziehen, das The­ma ver­fol­gt einen auf Schritt und Tritt. Jesus ver­sucht es erst gar nicht, aber er lässt sich nicht hin­ters Licht führen. Wie die einen, so serviert er auch die anderen ab. Den From­men macht er deut­lich, dass wir, solange wir in dieser Welt leben, uns immer auch mit dieser Welt, den Men­schen in ihr und ihren Regeln und Forderun­gen auseinan­der­set­zen müssen: Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser zuste­ht. Es wäre zu ein­fach, sich zurück­zuziehen und in ein­er religiöse Blase zu ver­steck­en. Es ist immer noch Gottes Welt, und unser Auf­trag ist hier. Dem skep­tis­chen Mach­tap­pa­rat hinge­gen zeigt er, dass auch sie nicht alles wis­sen, ken­nen und beherrschen kön­nen. So viel von dem, was Gott aus­macht, ist uns in kein­er Weise zugänglich. Was wis­sen wir schon, was Aufer­ste­hung wirk­lich ist?

Es bleibt, ein paar Tage vor der Hin­rich­tung Jesu auf Gol­gatha, das bek­lem­mende Gefühl, dass alle etwas wollen von Jesus, dass alle wis­sen, wer er ist und wozu man ihn gebrauchen kann, dass alle ihre Ideen mit sein­er Zus­tim­mung schmück­en wollen, und wenn das nicht möglich ist, dann soll jed­er­mann sehen, dass er nicht das ist, was man von ihm erwartet hat. 

Und es bleibt: Auch nach 2000 Jahren sehe ich wenige Unter­schiede. Zer­strit­tene Kirchen, die Jesus für sich reklamieren, Sek­ten, die als einzige wis­sen wollen, wer Jesus wirk­lich ist, Gemein­den, die sich um völ­lig Unwesentlich­es stre­it­en und darüber ihren Auf­trag völ­lig aus den Augen ver­lieren. Alles in allem: Die Angst, der Wahrheit nicht gerecht zu wer­den und darum mit allen Mit­teln um Neben­säch­lich­es stre­it­en zu müssen. 

Jesus lei­det. — Lei­der lei­det er auch an mir. Und an dir. 
Muss das so sein? Nein. Wird es je anders wer­den? Nein. Darum ist er gestor­ben. Für mich. Und für dich. — Eine mass­los trau­rige Geschichte. Aber die einzig wahre.

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