GASTBEITRAG: Was ist eigentlich Gottesdienst?

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von Pfr. Ste­fan Zürcher, Dis­trik­tsvorste­her EMK Nordwest

Bibel­texte: Römer 12,1; Deuteronomi­um 12,12f; Psalm 146,7ff

Gottes­di­enst umfasst das ganze Leben

Paulus meint mit Gottes­di­enst nicht unsere Son­ntags­gottes­di­en­ste. Was aber dann? Gehen wir Schritt für Schritt dem Vers aus Röm 12,1 ent­lang!
„Brüder und Schwest­ern“: Die Schwest­ern sind hier selb­stver­ständlich mitange­sprochen. Das griechis­che Wort für Brud­er kann in der Mehrzahl wie hier auch Geschwis­ter heis­sen.
„bei der Barmherzigkeit Gottes“: Paulus ist sich bewusst: Der Anspruch, den er an die Gemein­deglieder in Rom for­muliert, ist hoch. Und er ist sich auch bewusst: Ein­fach Ermah­nen oder Befehlen nützt wenig oder nichts. Erst recht, zumal sie ihn ja noch gar nicht ken­nen, und ihm ja nur das Mit­tel des Briefes zur Ver­fü­gung ste­ht. Also, daraus würde nichts. Aber wenn es gelingt, den HörerIn­nen – der Brief wurde vorge­le­sen – vor Augen zu führen, wie barmherzig Gott ist, wie über­re­ich Gott uns beschenkt… Wer sich daran erin­nert, wie barmherzig Gott ihm/ihr begeg­net ist, wird er/sie nicht von Herzen gern tun, was gut ist und Gott gefällt? Ein­fach aus Dankbarkeit?
Darum „bei der Barmherzigkeit Gottes“.
Das hat bei seinen HörerIn­nen sofort viele Assozi­a­tio­nen geweckt. Den einen kamen vielle­icht Psalmen in den Sinn, z.B. Psalm 146: Den Unter­drück­ten
ver­schafft er Recht, den Hungern­den gibt er Brot. Der Herr befre­it die Gefan­genen, der Herr öffnet die Augen der Blind­en, der Herr richtet Gebeugte auf… Der Herr behütet die Frem­den, Waisen und Witwen stärkt und erhält er.
(Ps 146,7ff)
Andere dacht­en an Jesus und wie er die Geschichte vom barmherzi­gen Samarit­er (Lk 10,25ff) erzählt, aber nicht nur mit Worten, son­dern mit seinem ganzen Leben. In all seinen Begeg­nun­gen hat er den Men­schen Gottes Barmherzigkeit gezeigt.
Drit­ten gin­gen Aus­sagen aus den Kapiteln 1–11 des Römer­briefes durch den Kopf: Gottes Gnade besiegt die Macht der Sünde und des Todes; seine Liebe ist in unsere Herzen aus­gegossen; Gott hört unser Kla­gen und Sehnen nach Frei­heit – ger­ade in diesen Wochen –, aber auch jenes der ganzen Schöp­fung und ver­spricht Befreiung; Gottes ste­ht unver­brüch­lich zu seinem Volk Israel.
Weit­ere haben vielle­icht die staunen­den Worte des Paulus unmit­tel­bar vor unserem Vers im Ohr und stim­men dankbar mit ein: „Wie uner­schöpflich ist doch der Reich­tum Gottes, wie tief seine Weisheit und Erken­nt­nis! Wie uner­gründlich sind seine Entschei­dun­gen und wie uner­forschlich seine Wege!“(Röm 11,33)
Weckt das nicht Erin­nerun­gen auch an deine Geschichte mit Gott? Wie barmherzig Gott dir begeg­net ist in deinem bish­eri­gen Leben? Und weckt dies nicht den Wun­sch, mit diesem Gott zu leben und so zu leben, wie es ihm gefällt?
„ich bitte euch“: Jet­zt, nach­dem Paulus uns gezeigt hat, wie gross Gottes Erbar­men mit dieser Welt ist, mah­nt er zu entsprechen­dem Han­deln. Man spürt es richtig: Er bit­tet inständig, von ganzem Herzen, ein­dringlich. Es ist sein inner­ste Wun­sch:
„Stellt euer ganzes Leben” – wörtlich ‚Kör­p­er‘ – “Gott zur Ver­fü­gung“: Mit unserem Kör­p­er han­deln wir, kom­mu­nizieren wir mit anderen, er macht einen wesentlichen Teil unser­er Iden­tität aus. Gott dienen ist nicht nur eine Sache des Geistes oder der Seele, son­dern eben auch des Kör­pers. Gemeint ist also: ‚Gebt euch selb­st hin, seid für ihn da mit Leib und Leben‘. Gott will uns selb­st, nicht unsere Gaben.
„Es soll wie ein lebendi­ges, heiliges Opfer sein, das ihm gefällt“: Das ist uns fremd: Opfer, opfern. Und sowieso, seit Jesu Opfer­tod am Kreuz fragt Gott doch nicht mehr nach Opfern! Den dama­li­gen Men­schen jedoch, auch den Chris­ten, war diese Begrif­flichkeit geläu­fig, – und an sie ist dieser Brief ja gerichtet. Opfer bedeutet für sie: selb­stver­ständliche Lebens­ge­mein­schaft mit Gott. Die Erfahrung von Gottes gross­er Barmherzigkeit macht mich so dankbar, da will ich doch mit Leib und Leben, mit allem, was ich bin und habe, für ihn da sein – als lebendi­ges Opfer.
Es geht also eben ger­ade nicht um Opfer tot­er Tiere, son­dern um lebendi­ge Opfer. Schon im Alten Tes­ta­ment find­en wir auch dieses Opfer­ver­ständ­nis: Nicht blutige Opfer, son­dern Dankopfer (Ps 50,14f); nicht Schlacht- und
Bran­dopfer, son­dern Treue und Gotte­serken­nt­nis (Hos 6,6).
Auch nicht gemeint ist ein krampfhaftes Sich-Aufopfern, son­dern ein Leben mit Gott, das sich ihm ganz zur Ver­fü­gung stellt. Schön beschrieben ist das in Dtn 10,12f (EÜ): „Und nun, Israel, was fordert der HERR, dein Gott, von dir außer dem einen: dass du den HERRN, deinen Gott, fürcht­est, indem du auf allen seinen Wegen gehst, ihn lieb­st und dem HERRN, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganz­er Seele dienst; dass du ihn fürcht­est, indem du die Gebote des HERRN und seine Satzun­gen bewahrst, auf die ich dich heute verpflichte. Dann wird es dir gut gehen.“
So zu leben, sagt Paulus, ist eigentlich nur logisch und vernün­ftig: „Das wäre für euch die vernün­ftige Art, Gott zu dienen“, schreibt er. ‚Das ist der wahre, eigentliche Gottes­di­enst‘, die richtige Art, Gott zu suchen, mit ihm in Verbindung zu treten und zu bleiben. Das ist keine Kri­tik an den Zusam­menkün­ften der Gemeinde, die wir heute als Gottes­di­enst beze­ich­nen.
Aber für Paulus ist das ganze Leben, das wir mit Gott und in seinem Auf­trag
leben, Gottes­di­enst. Er bit­tet uns, den All­t­ag in der Welt, das son­ntägliche und werk­tägliche Leben als Gottes­di­enst zu gestal­ten.
Und jet­zt, denke ich, ver­ste­hen wir, warum Paulus in unser­er aktuellen Sit­u­a­tion sagen würde: Der Gottes­di­enst ist nicht abge­sagt! Er war nie abge­sagt und kann auch von kein­er Behörde abge­sagt wer­den. Eben, weil Gottes­di­enst das ganze Leben umfasst, das Leben am Son­ntag und am Werk­tag, das pri­vate und das öffentliche Leben, das Leben als Einzelne und das gemein­same Leben.

Gottes­di­enst als Lebensstil

So Gott dienen, unabläs­sig, vom Son­ntag bis Sam­stag das Leben als Gottes­di­enst gestal­ten – das ist ein Hal­tung, ein Lebensstil. Wie geht
das? Mich dünkt, was John Wes­ley – vielle­icht die wichtig­ste Grün­der­fig­ur der methodis­tis­chen Bewe­gung – ein­mal zum Gebet schrieb, kön­nen wir auch auf den wahren, alltäglichen Gottes­di­enst über­tra­gen. Wes­ley schrieb: „Alles ist Gebet [– oder eben Gottes­di­enst–], wenn wir kein anderes Ziel haben als [Gottes] Liebe und das Ver­lan­gen, ihn zu erfreuen. Alles, was ein Christ tut, auch Essen und Schlafen, ist Gebet, wenn es in Schlichtheit nach der Weisung Gottes getan wird […]. Das Gebet dauert als Sehn­sucht im Herzen fort, auch wenn der Ver­stand auf äußere Dinge gerichtet ist. In See­len, die mit Liebe gefüllt sind, ist das Ver­lan­gen, Gott zu erfreuen, ein unabläs­siges Gebet.“
Gott in sein­er Barmherzigkeit hat seine Liebe in unsere Herzen aus­gegossen. Diese ver­wan­del­nde Liebe, schreibt Wes­ley, weckt das Ver­lan­gen, Gott von ganzem Herzen, mit ganz­er Hingabe, mit ganzem Ver­stand und mit aller Kraft zu dienen und seinem Willen gemäss zu leben. Alles, was wir aus dieser Hal­tung her­aus tun, ist Gottes­di­enst!
Und jet­zt sehen wir: Da geht es um unser alltäglich­es Leben mit all seinen Her­aus­forderun­gen in Fam­i­lie, Beziehun­gen, Beruf, Gemeinde, Freizeit. Es geht um unser Denken, Reden und Tun: Was denken wir über andere? Wie reden wir miteinan­der? Was tun wir, was nicht, und wie tun wir es? Es geht um nichts
anderes als um gelebte Gottes- und Näch­sten­liebe. Wer aus der Liebe Gottes her­aus denkt, redet und han­delt, der/die dient Gott. Gibt es dann noch einen Moment, in dem unser Leben nicht Gottes­di­enst sein kann?
Der wahre Gottes­di­enst meint also die Art, als Christ zu sein und zu leben, eine Hal­tung, die uns als ganze Per­son aus­macht und unsern All­t­ag durch­dringt und prägt, ja noch tiefer: das Wesen ein­er Per­son, das beständig unser Denken, Reden, Ver­hal­ten und Tun bes­timmt.
Wie wer­den wir zu so ein­er Gott dienen­den Per­son? Durch einen lebenslan­gen Formungs(Heiligungs-)prozess: dabei sind andere Men­schen wichtig, das Umfeld, in dem wir leben, und natür­lich vor allem auch die Begeg­nun­gen mit Gott, in denen wir seine barmherzige, ver­wan­del­nde Liebe erfahren. Und das erhof­fen wir uns doch, wenn wir die Gnaden­mit­tel gebrauchen, also wenn wir beten – miteinan­der oder für uns allein –, wenn wir die Bibel lesen und auf sein Wort hören, wenn wir als Gemeinde in unseren Kapellen zusam­menkom­men und Abendmahl feiern, wenn wir füreinan­der da sind und einan­der Gutes tun. Wir erhof­fen, dass Gott uns begeg­net und mit sein­er Liebe erfüllt, uns in seine Gemein­schaft zieht, uns heilt, erneuert, ver­wan­delt und so uns und unsere ganze Per­son, unser Wesen formt.
Und dieses so geprägte Wesen formt jet­zt unser Lebensweise: die Art und Weise, wie wir denken, reden, uns ver­hal­ten; wie wir miteinan­der umge­hen; wie wir unsere Ver­ant­wor­tung und Auf­gaben in der Arbeitswelt und der Gesellschaft wahrnehmen; wie wir mit den Ressourcen der Schöp­fung umge­hen; aber auch, wie wir unsere Beziehung zu Gott pfle­gen. Kurz, wie wir im alltäglichen Leben Gott dienen.
Zusam­menge­fasst: Gottes­di­enst ist ein von Gottes Liebe gestal­teter Lebensstil, der unser Denken, Reden, Ver­hal­ten und Tun prägt.

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