Obwohl der Begriff darin gar nicht vorkommt, lässt mich der Bericht des Johannesevangeliums von der sogenannten Tempelreinigung über das Wort “heilig” nachdenken: Was ist mir heilig? Wie verhalte ich mich im Blick auf mir heilige Dinge? Bedroht Unheiliges Heiliges? Oder ist es vielleicht eher umgekehrt?
Die Tempelreinigung
Die sogenannte Tempelreinigung, bei der Jesus Händler aus dem Tempel vertrieb, gehört zu den wenigen Ereignissen, über die von allen vier Evangelien berichtet wird. Nur das Johannesevangelium ordnet sie am Anfang von Jesu öffentlicher Wirksamkeit ein. Ebenfalls nur dort wird ein Psalmzitat (Psalm 69,10: «Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.») damit verknüpft, das man so deuten könnte, dass es in diesem Moment ein wenig mit Jesus durchgegangen ist. Offensichtlich ist Jesus der Tempel als Ort des Gebets heilig. Der Handel mit Opfertieren und Geldwechsel stört das in seinen Augen empfindlich. Darum lässt er sich zu dieser Protestaktion hinreissen. — Aber es bleibt fraglich, ob er damit viel erreicht hat. Dass die anderen Evangelien die Episode zu Beginn von Jesus Leidensweg einordnen, lässt eher vermuten, dass die Aktion kontraproduktiv war.
Was ist mir heilig?
Wenn mir etwas heilig ist, wenn mir jemand sehr wichtig ist, dann bringen mich Kritik oder drohende Gefahr auf die Barrikaden. So ging es Jesus offensichtlich im Tempel. Er sah Gott angegriffen, seine Heiligkeit in Frage gestellt oder verletzt durch das Treiben im Tempel.
Was ist mir heilig? Wofür ginge ich notfalls auf die Barrikaden? Als Christ und Theologe wünschte ich mir, dass es ebenfalls mit Gott zu tun hätte. Wenn ich aber versuche, ehrlich zu sein, merke ich, dass ich für Eigenes (meine Idee, mein Prinzip, meine Tradition, vielleicht aber auch meinen Besitz) mehr oder leichter Leidenschaft entwickle. Wo Gott, seine Liebe oder sein Reich angegriffen werden, bleibe ich dagegen oft zu lange gelassen. Die Mahnung aus der Bergpredigt (Mt 6,33: «Strebt vor allem anderen nach seinem Reich und nach seinem Willen») ist mir in meinem Handeln wohl zu wenig selbstverständlich.
Schützen, was mir heilig ist?
Dann frage ich mich aber auch, ob es überhaupt das Beste sei, auf die Barrikaden zu gehen für das, was einem heilig ist. Der Bericht des Johannesevangeliums über Jesu Tempelreinigung mit dem Zitat aus Ps 69 sät gewisse Zweifel. Die verstärken sich noch, wenn ich mir bewusst mache, dass Jesus in der Regel anders vorgegangen ist. Er hat die Pharisäer, für die es eine Grundregel war, das Heilige abzusondern, vom Schmutz des Alltags fernzuhalten, oft hart kritisiert. Er ist offen auf angeblich unreine und sündige Menschen zugegangen, hat sie berührt und umarmt. Im Vertrauen darauf, dass das Heilige auf seine Umgebung abfärbt, ist er auf Tuchfühlung mit “Zöllnern und Sündern” gegangen. Und die Strategie hat funktioniert, z.B. bei Zachäus. Der Besuch Jesu löste beim unbeliebten Oberzöllner eine unerwartete und radikale Kehrtwende aus (vgl. Lk 19,1–10).
Ihr seid geheiligt
Paulus hat davon gesprochen, dass Menschen durch ihre Verbindung mit Jesus Christus selbst heilig seien bzw. Heiliges in sich tragen (vgl. z.B. 1.Kor 6,11 und 1.Kor 6,19). Wenn ich das ernst nehme, könnten sich Verschiebungen ergeben im Blick darauf, was mir heilig ist. Und ich könnte lernen darauf zu vertrauen, dass das (Heilige), was Gott in mich legt, auf die Umgebung abfärbt. Statt bis aufs Blut zu verteidigen, was mir heilig ist, könnte ich mich darauf verlassen, dass die Kraft des Heiligen Geistes auch durch mich heilsam zu wirken vermag. Ich fange an, davon zu träumen, dass so viel Entkrampfung, viel Gelassenheit und Wachstum im Zwischenmenschlichen möglich würde.
Es war eine Ausnahme, dass Jesus so auf die Barrikaden ging, wie er es bei der Tempelreinigung tat. Hoffentlich bleibt es auch bei mir eine Ausnahme, dass ich so kämpfe für das, was mir heilig ist. Und wenn, dann hoffentlich in einem Moment, in dem das auch angemessen ist. Vor allem aber möchte ich mich an den vielen Beispielen orientieren, in denen Jesus durch sein vorurteilsfreies und liebevolles Verhalten heilsame Begegnungen mit Menschen gestaltete, die als verloren galten.
(Dieser Beitrag basiert auf einem ‘Wort zum Tag’, das am 19. August 2019 bei ERF Plus über den Sender ging.)