Predigtreihe EVANGELIUM II
Bibeltexte: 1.Mose 1,27–31
„Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht!“ – So haben wir eben gesungen. In dieser etwas sperrigen Formulierung – eine Gebetsanrede an Gott – steckt das heutige Predigtthema: Wir sind, du bist, ich bin … so wie wir sind, wie du bist, wie ich bin … Gottes Bild. Gemeint ist damit: Wir bilden mit unserem Leben, mit unseren Reden und Handeln, Gott ab. Durch uns wird sichtbar, wer Gott ist und wie Gott ist.
Die grosse Frage ist aber: Ist das eine Zusage, eine gute Nachricht, Evangelium? Oder ist es ein Auftrag, ja ein Anspruch Gottes an uns, ein Gesetz also, an dem wir scheitern könnten? Daran entscheidet sich, ob es Stress für uns bedeutet oder Dankbarkeit wecken kann, ob es uns Energie kostet oder Energie gibt.
In der Bibel lesen wir von vielen Menschen, die eine anscheinend grenzenlose Energie Feuer und Flamme für Gott sein liess. Im Namen und Auftrag Gottes war ihnen nichts zu schwierig oder zu gross, um es anzupacken. Abraham bringt im Alter von 75 (!) Jahren die Energie auf, aufzubrechen in ein neues Land und ein neues Leben. Moses, immerhin ein zur Verhaftung ausgeschriebener Totschläger, wagt es, vor den Pharao zu treten, die Freiheit für sein Volk zu erstreiten und Israel voran in die Wüste zu ziehen, auf den Weg in das versprochene gelobte Land. Gideon riskiert es, mit nur 300 Getreuen ein 10‘000ende zählendes feindliches Heer in die Flucht zu treiben. Propheten wagten es, Königen Paroli zu bieten. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu riskierten den Sprung in ein ganz neues Leben, liessen alles Bisherige hinter sich und wurden zu mutigen Zeugen für Christus auf der ganzen Welt. Paulus baute fast im Alleingang ein ganzes Netzwerk von christlichen Gemeinden im Römischen Reich auf. – Wie fanden sie die Energie für das alles? Woher kam der Schub?
Die Geschichten sind natürlich sehr verschieden. Was die genannten biblischen Persönlichkeiten – und viele mehr – aber verbindet, das ist, dass jede und jeder einzelne von Gott persönlich angesprochen wurde. Dass sie begriffen: „Ich bin gemeint. Gott will mich. Gott braucht mich. So wie ich bin. Er liebt mich. Ausgerechnet mich hat er dazu auserkoren, seine Liebe abzubilden, seine Treue zu verkörpern. Mit allen Schwächen, Grenzen, Fehlern … die ich haben mag. Gott nimmt mich in seinen Dienst. Er macht mich zu seinem Bild, das zeigen kann, wie er ist.“ Daraus resultierte ein Energieschub, der sie Grosses vollbringen liess. Weil sie sich von Gott angenommen, geliebt, getra-gen wussten, weil Gottes gute Nachricht sie erreicht hatte, darum fanden sie Kraft, Mut, Zuversicht, Selbstsicherheit etc., nicht nur mit Gott, sondern für Gott zu leben und sich zu engagieren. Die Energie reichte, um ein Leben lang Feuer und Flamme zu sein für Gott. — Das ist die Kraft, die aus dem Evangelium kommt.
Darum würde ich sagen: Dass wir Gottes Bild sein dürfen, ist zuerst und vor allem eine gute Nachricht. Es ist Evan-gelium! – Das andere hat zwar schon etwas. Es ist nicht nur eine Ehre, Gottes Bild zu sein. Es kostet uns auch etwas. Es verlangt etwas. Aber erst in zweiter Linie. Zunächst dürfen wir uns einfach freuen, dass wir, so wie wir sind, Gottes Bilder sind.
Woher kommt die Aussage, dass wir Bilder Gottes sind, überhaupt? – Die Konkordanz listet zum Stichwort ‚Bild‘ vor allem Bibelstellen auf, in denen es um das Bilderverbot (→ Dekalog; je nach Zählung 2.Teil des Ersten oder Zweites Gebot) geht. Also darum: Dass man keine Götterbilder machen soll. Eine Ausnahme aber haben wir in der Schriftlesung gehört, aus dem 1. Schöpfungsbericht. Da steht in Gen 1,26–28: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen … Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie …“ Das Reden vom Menschen als Bild Gottes und alle Gedanken und Theologien über die Gottebenbildlichkeit beziehen sich auf diese Stelle.
Nun muss man wissen, dass der 1. Schöpfungsbericht wohl im babylonischen Exil entstanden ist, in einer Umgebung also, in der das jüdische Bilderverbot kaum eine Bedeutung hatte. Hingegen wimmelte es in der Stadt nur so von Götterbildern. Dabei war das Verständnis im ganzen Orient dieses: Das Bild ist nicht nur eine Abbildung oder ein liturgischer Gebrauchsgegenstand. Vielmehr zeigt das Bild die Gegenwart des betreffenden Gottes an. Es markiert sozusagen seine Präsenz. Es vergegenwärtigt seine Vollmacht. Das Bild ist nicht Gott, aber Gott ist darin anwesend.
Der 1.Schöpfungsbericht polemisiert in vielerlei Hinsicht gegen die babylonische Religion. So steckt denn auch in der gelesenen Passage eine Kritik der babylonischen Götterbilder: Tote Materialien, so teuer sie auch sein mögen, können niemals den lebendigen Gott repräsentieren. Die Götterbilder der Babylonier sind also nur Trug und Schein
(es gibt übrigens in den prophetischen Büchern Passagen, die sich lustig machen über die unfähige, machtlosen, ja leblosen Holzklötze etc., die angeblich Götter seien; echtes Kabarett in der Bibel; vgl. Jes 44,6–20). – ABER: Gott hat sich selbst ein Bild geschaffen. Den Menschen nämlich. In ihm und an ihm ist Gott zu sehen. Er ist gegenüber der übrigen Schöp-fung der Repräsentant des lebendigen Gottes. In ihm und seinem Handeln soll sich der Wille und soll sich die Treue Gottes zeigen.
Wichtig ist nun: Es geht dabei nicht um einen einzelnen, bestimmten Menschen. So haben es z.B. allerlei Herrscher, angeblich ‚von Gottes Gnaden‘ verstehen wollen und so die biblische Botschaft für die Sicherung der eigenen Macht missbraucht. Nein, es sind alle Menschen zusammen, die Gottes Bild darstellen. Wenn, dann ist jede und jeder einzelne im gleichen Ausmass Gottes Abbild. Und dass Frauen dies genauso wie Männer sind, wird – für die damalige Zeit revolutionär – ausdrücklich betont: „Gott schuf den Menschen als sein Bild… Als Mann und Frau schuf er sie!“ – Also: Wir sind Bild Gottes. Jede und jeder wie sie/er von Gott geschaffen wurde, d.h. mit der ganzen Biographie, allem, was uns dazu gemacht hat, was wir heute sind. Wir sind Gottes Partner und Partnerinnen. Er will mit uns seine Welt/Schöpfung gestalten.
Wir sind Bild Gottes. Um das äussere Aussehen geht es dabei aber nicht. Gott sieht nicht aus wie wir. Aber wir repräsentieren ihn. Können mit unserem Handeln, Reden, Denken begreifbar machen, wie er ist, wer er ist. Als Bilder Gottes können wir gemeinsam Gottes Liebe anschaulich machen. – Von hier aus liesse sich viel sagen über den Auftrag und über die Verantwortung, die damit verbunden sind. In der Predigtreihe über das Evangelium, verzichte ich aber darauf (das kommt ein anderes Mal wieder in den Vordergrund). Ich bleibe bei der guten Nachricht. Jedem und jeder ist zugesagt: Du bist geschaffen als Gottes Bild. Gott hält Dich für würdig und fähig, ihn zu repräsentieren. Du bist Gott recht als sein Bild (→ Rechtfertigung). So wie du bist. Du bist gewollt und geliebt (→ 1. Predigt).
Es ist der Bibel sehr wichtig zu unterstreichen, dass diese Botschaft allen Menschen gilt, ohne Unterschied. Es sind alle gleich. Niemand ist ‚gleicher‘ (→ Orwell, Animal Farm). Zahlreiche Beispiele veranschaulichen dies: Die Sklavin auf der Flucht, Hagar, steht genauso unter Gottes Schutz wie ihre Herrin Sarah, die sie vertrieben hat. Ruth, eine Ausländerin, wird in Israel nicht nur aufgenommen und integriert. Ausgerechnet sie wird zur Urgrossmutter des Königs David. — Das NT erzählt vom opportunistischen Karrieristen Zachäus, einem Zöllner, dem Jesus sagt: „Heute muss ich dich besuchen!“ Jesus heilt den besessenen Gerasener, einen Soziopathen. Zu seinen Jüngern sagt Jesus: Lasst die Kinder zu mir kommen. Philippus tauft den Kämmerer aus Äthiopien. Er ist zwar ein hoher Regierungsbeamter. Aber als Eunuch wäre er in Israel ausgeschlossen gewesen. Und Petrus ‚muss‘ Kornelius taufen, einen römischen Offizier, einen Militaristen also.
Eine Sklavin also, eine Ausländerin, ein Kollaborateur, ein Soziopath, Kinder (die damals sehr wenig galten), ein Eunuch und ein Heide: Sie alle werden ohne Unterschied angenommen, dürfen also Bild Gottes sein. Jesus Christus macht keine Unterschiede. Alle sind ihm recht, erhalten das Angebot zur Rechtfertigung. Gal 3,28 (GNB) sagt es so: „Es hat darum auch nichts mehr zu sagen, ob ein Mensch Jude ist oder Nichtjude, ob im Sklavenstand oder frei, ob Mann oder Frau. Durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zu einem Menschen geworden!“ Oder, wie man von unserem heutigen Thema her formulieren könnte: Zusammen seid ihr Gottes Bild, dank Christus.
Unser Selbstverständnis als EMK-Bezirk Adliswil-Zürich 2 ist: Wir wollen eine offene Kirche/Gemeinde sein. Das Nachdenken über ‚Gottes Bild‘, hat mich neu überzeugt, dass dies wichtig und richtig ist. Wir glauben, dass Gott alle Menschen als sein Bild geschaffen und geliebt hat. Wir sind überzeugt, dass er jeden und jede, unabhängig von Biographie, Sympathiewert und Eigenheiten freundlich ansieht. Dass er allen seine offenen Arme entgegenstreckt.
Darum: Bleiben wir ein offene Kirche! Bleiben wir Menschen, in denen andere das freundliche Gesicht Christi er-kennen, seine offenen Arme wahrnehmen! Leben wir als Gottes Bilder! Vertrauen wir darauf, dass wir aus dem Evangelium die Kraft dazu finden.
Dabei müssen uns nie Sorgen machen, was Gott wohl von uns hält. Er liebt uns, jeden und jede so, wie wir sind. Er traut uns zu, seine Liebe und Treue sichtbar zu machen, seine Bilder zu sein. Wir können die gute Nachricht ganz persönlich nehmen. Das ist das Fundament, auf dem wir stehen. Wir dürfen, du darfst wissen: Du bist Gottes Bild. So wie du bist. Mit allem, was du hast. Du bist von Gott geliebt und gewollt.
Amen