Predigt im Salbunggottesdienst in der EMK Adliswil am 06.03.2022
Bibeltexte: Genesis 32,23–32

ein Segnungsgottesdienst steht heute auf dem Programm, ja sogar – dank der Aufhebung der Pandemieregeln – ein Salbungsgottesdienst. Endlich wieder einmal. Das ist etwas für uns, für jeden und jede ganz persönlich. Das Angebot eines himmlischen Geschenks. Geistliche Wellness.
Ja, aber … geht das in diesen Zeiten? Angesichts der Weltlage? Dürfen wir etwas nur für uns machen? Das wirkt doch sehr selbstbezogen, grenzt womöglich an religiöse Selbstbefriedigung. – Ich höre schon die Kritik: „Da sieht man es wieder: Die ‚Frommen‘ denken eben doch vor allem an sich selbst. Kümmern sich nicht um die Welt! Schotten sich ab!“
Richtig ist: Unser Glaube hat mit der Welt zu tun, in der wir leben. Er muss mit ihr zu tun haben. Wir können also den Krieg in der Ukraine nicht ausklammern. Genauso wenig wie den Krieg in Syrien, der weitergeht. Die Schreckensherrschaft der Taliban in Afghanistan. Die drohende Hungersnot am Horn von Afrika in Eritrea, Äthiopien, Somalia und Kenia. Die Klimakrise .… etc. Im Moment sind bei uns ja viele Krisen aus dem Blick geraten, weil diejenige, die uns räumlich am meisten auf die Pelle rückt, jene in der Ukraine, alles andere verdrängt. Schon etwas verräterisch! Doch: Unser Glaube muss sich betreffen lassen von dem, was in der Welt schief läuft, von allem.
Richtig ist aber auch: Nur schon um all das auszuhalten, auch um die Kraft zu finden, dennoch Gott zu vertrauen und die Hoffnung nicht zu verlieren, und erst recht, um etwas gegen die Nöte zu tun, brauchen wir Kraft, brauchen wir den Segen Gottes, brauchen wir Rückenwind aus dem Himmel.
Natürlich könnte ein Segnungs- und Salbungsgottesdienst in diesen Tagen zu selbstbezogen geraten und zur religiösen Selbstbefriedigung verkommen. Aber das muss nicht sein. Er könnte uns auch – und darauf hoffe ich – zur Kraftquelle, zur Inspiration, zur Wegweisung werden.
Schauen wir einen Moment auf die Geschichte, aus der wir in der Schriftlesung gehört haben. Jakob hat ein schon langes Leben hinter sich. Er ist viele Wege gegangen, auch Umwege und Abwege. Er ist gezeichnet von vielen schwierigen Erfahrungen. Er hat aber auch erlebt, dass Gott wahr machte, was er ihm damals im Traum von der Himmelsleiter versprach: „Siehe, ich bin bei dir und behüte dich überall, wohin du auch gehst. Ich bringe dich zurück in dieses Land. Ich werde dich nicht verlassen …“ (Gen 28,15). – Jetzt ist Jakob auf dem Weg zurück. Zurück nach Hause. In die alte Heimat. Und auf diesem Weg stellt er sich seiner Vergangenheit. Er muss sich ihr stellen. Muss sich auseinandersetzen damit, was er damals seinem Bruder Esau angetan hat. Und seinem Vater Jakob. Und damit, dass er weit weg war, als seine Eltern zu Grabe getragen wurden. Und mit der Feindschaft zu Esau, an der er schuld ist.
Es gibt keinen Weg zurück, keine Versöhnung mit der Vergangenheit ohne eine Begegnung mit Esau. Das weiss Jakob. Diese Begegnung sucht er jetzt. Und hat doch riesige Angst davor. Er ringt. Mit sich. Und mit Gott. Ein Kampf in der Nacht, hart an der Grenze dessen, was noch auszuhalten ist. Und doch bleibt er dran. Hält Gott fest. Lässt ihn nicht gehen. Und stöhnt, oder schreit zuletzt: „Ich lasse Dich nicht gehen. Ausser Du segnest mich!“
Das wirkt wie eine Zwängerei. Dabei geht das doch gar nicht. Den Segen Gottes erzwingen kann doch niemand. – Und doch ‚funktioniert‘ es! Vielleicht, weil Jakob gar nicht zwängt. Sondern aus tiefstem Herzen zum Ausdruck bringt: Allein kann ich es nicht. Diesen Weg gehen, das Leben auf dieser Strecke bewältigen, das schaffe ich nicht aus eigener Kraft. Ich brauche Unterstützung. Ich brauche Kraft. Ich brauche Gott. Ich bin auf seinen Segen angewiesen.
Man darf Gott dringend bitten, ihn ‚bestürmen‘. Das betonte auch Jesus mit dem Beispiel vom ungerechten Richter und der Witwe (vgl. Lk 18,1–8). So erhält Jakob, was er sich wünscht. Den Segen Gottes. Und obendrein dazu einen neuen Namen. Nicht mehr ‚Betrüger‘ (= Jakob; vgl. Gen 27,36), sondern ‚Gottesstreiter‘ (= ‚Israel‘) soll er von nun an genannt werden.
Jakob wird von Gott gesegnet! Das bedeutet freilich nicht, dass von jetzt alles ‚à la carte‘ bzw. nach Wunschzettel läuft in seinem Leben. Es heisst noch nicht einmal, dass Anstrengungen, Angst, Zittern, Krampf von nun an der Vergangenheit angehören. Nein! Vor der Begegnung mit Esau hat Jakob immer noch Angst. Er muss allen Mut zusammennehmen, um weiter zu gehen und sich dem Treffen zu stellen. Dank Gottes Segen ist er dazu in der Lage. Er findet den nötigen Mut. Er weiss: Ich bin nicht allein. Ich bleibe begleitet, ja getragen … egal, was kommen mag. Und so wird er fähig, seinen Weg weiter zu gehen und ganz nach Hause zu kommen.
Der Segen, den Gott anbietet und den wir mit der Salbung zusprechen ist sehr wohl ein persönliches Geschenk. Er bedeutet Wellness im besten Sinne für Leib und Seele. Und er ist noch viel mehr. Gottes Segen bedeutet die Befähigung, unser Leben zu leben, mit Herausforderungen umzugehen, Nöten zu begegnen, Empathie (Mitgefühl) zu wagen. Gottes Segen macht fähig, zu glauben und zu hoffen und zu lieben! Und darum ist es überhaupt nicht egoistisch, angesichts dieser Weltlage für sich selbst Segen zu erbitten bzw. sich Segen zusprechen zu lassen. Es ist vielmehr notwendig, um fähig zu werden oder zu bleiben, in dieser Welt glaubwürdig zu leben und zu glauben.
Ein Letztes: In biblischen Zeiten bedeutete eine Salbung, dass man mit einer ganzen Flasche Öl übergossen wurde. Wohlriechendes, parfümiertes Öl, das vom Kopf her am ganzen Körper herablief. Man kann sich vorstellen: So schnell wurde man das nicht mehr los. Von Kopf bis Fuss eingesalbt. Und riechen konnte man das noch stundenlang, vielleicht tagelang.
Das zeigt: Gottes Segen hält. Haftet an Dir. Auch wenn wir es ritualisiert und minimalisiert haben. Ich zeichne nur mit Öl ein Kreuz auf die Stirn. Verbinde damit die Salbung mit dem Wirken, dem Leben, Sterben und Auferstehen Christi. Und so soll die Salbung ein starkes Zeichen dafür sein: Gottes Segen, der Geist Christi ist und bleibt mit dir verbunden. Amen