Predigt in der EMK Adliswil am 20.03.2022
Bibeltexte: Lukas 9,57–62
‘wer A sagt, muss auch B sagen!‘ So drücken wir redensartlich aus, dass unser Handeln und Erleben seine Konsequenzen hat. Das gilt auch für den Bereich des Glaubens: Viele, die Jesus begegneten, erfuhren zunächst Zuspruch oder erlebten Heilung. „Dein Glaube hat Dir geholfen!“, sagte er zu vielen. Doch danach ging es weiter. Sie hörten dann auch: „Sündige von nun an nicht mehr!“, oder: „Folge mir nach!“
Mit der Predigtreihe über das Evangelium zu Jahresbeginn habe ich den Zuspruch Christi unterstrichen: Du bist gewollt und geliebt! Du bist – so wie du bist – Gottes Bild! Du bist nie allein! … etc. Diesen Zuspruch brauchen wir — immer wieder – zur Ermutigung, als Motivation. Ausserdem ist es ‚Wellness für die Seele‘ im besten Sinn, sich daran zu erinnern. Die guten Nachrichten Jesu geben uns Boden unter die Füsse, verleihen uns Sicherheit, nähren unser Vertrauen.
Doch das ist nicht alles. Es wäre einseitig, nur auf das Evangelium für mich zu fokussieren. Mein Glaube geriete in Schieflage, wenn ich es mir einer spirituellen Wellness-Oase dauerhaft gemütlich machen wollte. — Natürlich will Jesus, dass es mir gut geht. Mit seiner frohen Botschaft will er mich aber auch befähigen, mein Leben und Glauben nach Gottes Willen zu gestalten. Wir haben einen Auftrag, eine Berufung.
Zum Zuspruch der guten Nachricht gehört als die andere Seite derselben Medaille die Berufung in Jesu Nachfolge. Da kann der Glaube zur ‚Challenge‘ zur Herausforderung werden. Weil es nicht mehr darum geht, mir von Gott dienen zu lassen. Sondern darum, selbst zum Diener zu werden, in seinem Namen und Auftrag weiter zu gehen. Ich soll mich für Gott und meine Mitmenschen engagieren. – Das verlangt den Willen und den Mut, dran zu bleiben an Jesu Vision vom Reich Gottes. Es sich nicht im Erreichten gemütlich einzurichten, sondern weiter zu gehen. Standhaft zu bleiben, auch wenn der Gegenwind stärker wird. – In der atl. Schriftlesung haben wir als – zugegebenermassen extremes Beispiel – gehört, wohin die Treue zu Gott den Propheten Jeremia geführt hat.
Jesus zu kennen und an Gott zu glauben, ist ein Geschenk des Himmels. Zugleich geraten wir auf dieser Welt immer wieder in Situationen und Zusammenhänge, in denen es uns etwas – vielleicht sogar: viel – kostet, ihm treu zu bleiben. Im Lk-Ev wird das an einer Stelle besonders deutlich: Es ist der Moment, in dem Jesu Passion beginnt. Die GNB übersetzt die Stelle Lk 9,51b so: „Da fasste Jesus fest in den Blick, was auf ihn zukam, und machte sich auf den Weg nach Jerusalem.“ Kreuz und Leiden kommen näher. Doch Jesus weicht nicht aus, im Gegenteil. Und das hat auch für seine Jünger und Jüngerinnen Folgen. Drei potenziellen Nachfolgern, denen er in diesem Moment begegnet, zeigt Jesus deutlich: Mit mir zu gehen, kostet etwas. Gefragt ist jetzt Treue im Gegenwind. Gefragt ist Engagement. Gefragt ist, die Prioritäten richtig zu setzen. Auf dem Weg der Nachfolge lässt Du Deine Komfortzone hinter dir. Und Wellness für die Seele wird eine Weile auf sich warten lassen.
Nachfolge kostet uns etwas. Situationen und Zusammenhänge, in denen das klar ist, kennen wir auch: Da sind die z.B. Kriegsnachrichten aus der Ukraine. Sie machen Sorgen, ja Angst. Den Kopf in den Sand zu stecken und zu resignieren, läge ziemlich nahe. Doch der Auftrag ist ein anderer. Wir sollen an der Hoffnung festhalten. Sollen dem vertrauen, der sagt (® Jer 29,11): „Ich habe Pläne des Friedens und nicht des Unheils. Ich will euch Zukunft und Hoffnung schenken.“ Es ist unser Auftrag, weiter zu hoffen, ja, sogar: andere mit Hoffnung anstecken. Und der von Christus gebotenen Liebe treu zu bleiben. Sie engagiert zu leben. – Das ist nicht einfach. Sondern es kostet: Geld z.B., das wir spenden zugunsten der Geschädigten. Und dass wir Platz frei machen für Flüchtende. Dass wir teilen mit denen, die alles verloren haben. Und wohl auch, dass wir nicht mit denen mitschreien, die jetzt sofort nach neuen Waffen für die Armee, nach Aufrüstung rufen .… und nur zu gerne bereit wären, alles wieder aufs Spiel zu setzen, was in den letzten Jahren erreicht wurde.
Jesus nachzufolgen ist eine Herausforderung. Sie hat Konsequenzen. Er kommuniziert das ganz klar. Die Stolpersteine verstecken sich nicht im Kleingedruckten. Er schenkt klaren Wein ein. – Schauen wir, worum es geht. Zunächst Lk 9,57f:
Unterwegs sagte jemand zu Jesus: »Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!« Jesus antwortete: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest. Aber der Menschensohn hat keinen Ort, an dem er sich ausruhen kann.«
Eigenartig! Da bietet sich einer freiwillig als Jünger an. Den müsste Jesus doch sofort mit Handschlag nehmen. – Aber nein! Er hat offenbar Vorbehalte und greift zu einer Art Abschreckungstaktik: „Überleg Dir das gut!“, sagt Jesus. „Der, dem du folgen willst, ist ein Obdachloser!“
Was steckt dahinter? – Ich vermute, dass dieser Mann in Jesu Augen falsche Erwartungen hatte. Vielleicht ging es ihm um seine eigene Karriereplanung. Ein Studienjahr beim Rabbi Jesus, so könnte er sich überlegt haben, würde sich gut machen in seinem Lebenslauf und ihm später alle Türen öffnen. Dann würde er Jesus eher für eigene Zwecke nutzen, um nicht zu sagen: missbrauchen wollen. Oder er hatte schlicht zu romantische Vorstellungen: Jesus für sich allein haben in der Wüste. Lagerfeuerromantik. Nächtelang über Gott und die Welt diskutieren. Das einfache Leben suchen. Freiheit geniessen. Eine Art antikes Hippie-Dasein. Aussteigen. Eine heile Welt schaffen und erleben, abseits von Trubel und Problemen der Welt. Klingt doch attraktiv. Könnte cool sein! — Aber Coolness ist kein Ziel Jesu.
So oder so. Jesus nachfolgen ist etwas ganz anderes als ein Selbstverwirklichungs-Trip. Nicht sich selbst optimieren, sondern sich dafür engagieren, dass die Welt mehr und mehr zum Reich Gottes wird. Darum geht es! Auf dem Weg dahin gibt es Widerstände zu überwinden und Unannehmlichkeiten auszuhalten. Z.B. dass man in dieser Welt heimatlos bleibt, immer wieder weitergehen muss (und will) … bis sich Gottes Vision verwirklicht.
Es geht hier also um realistische Erwartungen im Blick auf die Nachfolge. Wenn wir Jesus hinterher gehen (® nachfolgen), dann ist das keine Vergnügungsreise. Sich erholen und die Seele baumeln lassen ginge anders. Es kann ziemlich anstrengend werden, braucht Engagement. Dieser Weg kostet uns etwas. Es braucht uns. Wir bleiben wohl nur dabei, wenn wir sicher sind, dass wir das auch wirklich wollen. Wir müssten Gottes Reich zum eigenen Herzensanliegen gemacht haben.
Übrigens: Wenn es uns als sehr sesshafte und überhaupt nicht obdachlose SchweizerInnen, als Eigenheimbesitzer womöglich, einen gewissen Schrecken einjagt, dass Jesus, dem wir folgen, eigentlich ein Heimatloser, ja Obdachloser ist .… dann könnte das durchaus heilsam sein. Dann nämlich, wenn es uns daran erinnert: Das höchste Ziel lautet nicht: ‚My home ist my castle!‘ Sondern eher ( Mt 6,33): „Strebt vor allem anderen nach Gottes Reich und nach seiner Gerechtigkeit – dann wird Gott euch auch alles (andere, was ihr braucht) schenken!“
Aber es geht weiter. Jesus trifft noch mehr potenzielle Nachfolger. Ich lese Lk 9,59f:
Einen anderen forderte Jesus auf: »Folge mir! «Aber der sagte: »Herr, erlaube mir, zuerst noch einmal nach Hause zu gehen und meinen Vater zu begraben.« Aber Jesus antwortete: »Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben. Du aber geh los und verkünde das Reich Gottes!«
Jesus gibt noch einen drauf: Den eigenen Vater zu begraben, soll unwichtig sein im Vergleich zum Reich Gottes? Und was ist dann mit der Nächstenliebe. Können nicht auch Familienmitglieder die Nächsten sein, die es zu lieben gilt?
Dazu ist zu sagen: Viele Ausleger gehen heute davon aus, dass besagter Vater noch gar nicht gestorben, sondern am Leben und bei guter Gesundheit war. Dann ginge es um einen Aufschub von nicht einigen Tagen, sondern von etlichen Jahren. Dieser potenzielle Nachfolger würde Jesu Ruf also auf die sprichwörtliche lange Bank schieben. Durchaus mit guten Argumenten. Immerhin kommt das 4.Gebot (Eltern ehren) in der damaligen Welt der AHV gleich.
Dennoch: Jesus nachfolgen heisst, seinem Reich die erste Priorität einräumen. Es bedeutet, zu gehen, wenn Jesus ruft. Jetzt. Nicht irgendwann später vielleicht. Das heisst: Wenn z.B. ein Flüchtling an unsere Tür klopft. Oder wenn uns jemand um Hilfe bittet. Oder wenn wir jemanden treffen, dem die Hoffnung oder der die Kraft ausgegangen ist. Wenn wir in Gottes Namen gebraucht werden .… (Wir spüren ganz genau, wann dies der Fall ist) … dann gilt es, ohne Rücksicht auf eigene Befindlichkeiten, Termine etc. zu handeln. Jetzt. – Hier geht es um die Prioritäten in der Nachfolge. Gottes Vision von seiner Welt soll für uns an erster Stelle sein.
Und eine dritte Begegnung macht Jesus bei seinem Aufbruch zur Passion, Lk 9,61f:
Wieder ein anderer sagte zu Jesus: »Ich will dir folgen, Herr! Doch erlaube mir, zuerst von meiner Familie Abschied zu nehmen.« Aber Jesus antwortete:» Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, der eignet sich nicht für das Reich Gottes
Jetzt geht es um die Haltung, in der wir als JüngerInnen Christi unterwegs sind. Machen wir vorwärts oder bremsen wir? Geben wir Vor- oder Rücklage? Sprinter im Leichtathletik-Stadion geben mindestens die ersten 20 oder 30 Meter stark Vorlage, um schnell zu sein bzw. werden. Erst dann beginnen sie sich aufzurichten. Aber auch bis ins Ziel lehnen sie nicht zurück, sondern werfen sich am Schluss über die Linie.
Nun ist die Nachfolge zwar kein Wettrennen. Aber es geht schon ums Vorwärtskommen. Und darum ist Vorlage geben die richtige Haltung. Sich zurücklehnen wäre weder angemessen noch hilfreich. Auf dem Weg mit Jesus zählt nie, was wir schon erreicht haben. Sondern es ist immer die Frage, was jetzt unser Auftrag ist, wohin wir uns als Nächstes wenden sollen. Darum nicht zurückschauen und nostalgisch verklären, was war. Sondern vorwärts schauen, Jesus nach, dem entgegen, was kommen soll und wird.
Jesus nachfolgen, Ja sagen zum Weg, den er uns vorausgeht, heisst also u.a.: Realistisch einschätzen, was das bedeutet und bereit zu sein, die damit verbundenen Kosten zu tragen. Dem Reich Gottes die höchste Priorität einräumen. Und weitergehen wollen, sich nach vorne (oder: zum Fenster hinaus) lehnen.
Nun könnte das alles in einer Leistungsgesellschaft wie der unseren auch falsch verstanden werden. Darum unterstreiche ich ausdrücklich: Lk 9,57–62 ist kein Leistungsauftrag im Sinne unserer Zeit. Es geht nicht darum, unser Palmares zu erweitern, damit wir später mehr vorzuweisen haben.
Sondern es geht um die Herausforderung, in Christi Namen dort wo wir sind und mit dem, was wir können, zu tun, was nötig ist, damit das Reich Gottes wachsen kann, … Bzw. damit „Armen die frohe Botschaft verkündigt wird, Gefangene befreit werden, Blinde sehen können und Lahme gehen können“ (vgl. Lk 4,17, wo Jesus Jes 61,1f zitiert).
Es soll uns klar sein: Jesus nachzufolgen kostet etwas (vgl. D. Bonhoeffer: teure Gnade « billige Gnade). Es soll uns aber auch klar sein: Die Menschen, denen wir dienen, sind es wert. Und Jesus Christus, dem wir folgen, ist es wert (vgl. Schriftlesung NT aus Phil 3). Über allem ABER steht das Versprechen Jesu: „„Strebt vor allem anderen nach Gottes Reich und nach seiner Gerechtigkeit – dann wird Gott euch auch alles (andere, was ihr braucht) schenken!“ Amen