Matthäus 20,1–16
Predigt in der EMK Adliswil am Sonntag, 01.05.2022
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alle paar Jahre einmal fällt wie heute der 1. Mai auf einen Sonntag. Was SchülerInnen und ArbeitnehmerInnen womöglich frustriert (→‘Ausfall‘ eines Feiertags), ist ArbeitgeberInnen vielleicht willkommen. Und ob die Gewerkschaften so mehr oder weniger Mühe haben, Leute für ihre Kundgebungen zu rekrutieren, kann ich nicht beurteilen.
Was machen wir als Kirche, als Christen mit diesem Feiertag, dem ‚Tag der Arbeit‘? Es ist ja kein christlicher Feiertag. Von seiner Entstehung her trägt er vielleicht sogar kirchenkritische und religionskritische Züge. Doch die Anliegen von mehr sozialer Gerechtigkeit, von Annäherung zwischen reich und arm, von ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ etc. müssten auch Kirchen und Christen wichtig sein. Immerhin werden sie von der Bibel deutlich unterstützt.
Kirchen gelten zwar nicht gerade als Experten in Wirtschaftsfragen. Aber von der Bibel her gäbe es ja schon das eine oder andere spannende Konzept als Idee in die Diskussion einzubringen:
- In der atl. Schriftlesung habe wir den Propheten rufen gehört: „Kommt her und kauft ohne Geld …!“ Geht es dabei um bargeldlose Zahlungen? Oder liesse sich daraus gar die Idee einer Wirtschaft destillieren, die ohne Geld funktioniert?
- Das AT kennt ausserdem die Idee des Halljahres. Alle 50 Jahre sollen die Vermögensverhältnisse zurück auf den Anfang gestellt werden. Jede Sippe hätte dann wieder, womit sie einmal angefangen hat. – Es ist unwahrscheinlich, dass das Konzept je funktioniert hat. Aber die Idee hätte schon etwas für sich. Superreiche gäbe es so sicher weniger. Vielleicht wäre man überhaupt weniger auf Reichtum aus mit der Aussicht, das Vermögen in absehbarer Zeit wieder teilen/zurückgeben zu müssen.
- Von der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem wird berichtet, dass sie alles miteinander geteilt hätten. Manche reden in dem Zusammenhang von ‚urchristlichem Kommunismus‘. – Ob sich daraus etwas ableiten liesse, um unser Wirtschaftssystem zu verbessern?
Von der Thematik her am nächsten beim 1. Mai ist aber ein Gleichnis, das Jesus erzählt. Darin geht es um angemessenen Lohn. Im ersten Moment klingt es nach ‚Gleich viel Lohn für alle, egal was sie machen‘. Also etwas ganz anderes als ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ wie es Gewerkschaften und feministische Bewegung seit langem fordern.
Wir werden dann gleich sehen, dass es Jesus in seiner Geschichte nicht um die Wirtschaft geht. Sondern er verfremdet, was die Leute aus der Wirtschaft kennen, um etwas über das Wesen Gottes deutlich zu machen. Das Thema des Gleichnisses ist Gnade und nicht Lohn. Es geht um die Frage, wie ich mit Gnade umgehe und darum, dass Gottes Gnade uns alle auch herausfordert.
Aber lassen sie mich das Gleichnis erst einmal erzählen. Es steht in Matthäus 20,1–16. Ich lese aber ausnahmsweise nicht den Bibeltext vor, sondern erzähle die Geschichte, wie sie Jesus erzählt haben könnte:
Wenn Gottes Gnade ganz regiert, dann wird es sein wie mit dem Weinbergbesitzer, der früh am Morgen (6 Uhr) auf den Marktplatz geht. Er sucht Leute, die er für die Arbeit in seinem Weinberg anstellen kann. Mit denen, die er findet, macht er ab, dass er ihnen am Abend ein Silberstück für ihre Arbeit zahlen werde. Das war damals der übliche Lohn für einen Tag Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Von diesem Geld konnte eine Familie gut einen Tag lang leben. – Nachdem er sich mit den Arbeitern geeinigt hat, führt er sie in seinen Weinberg und zeigt ihnen, was zu tun ist.
Versucht Euch vorzustellen, was das heisst: Den ganzen Tag (d.h. 12 Stunden) an der prallen Sonne im Weinberg arbeiten. Die Arbeit ist hart. Der Schweiss fliesst in Strömen. Doch die Aussicht auf den Lohn lässt einen durchhalten. Der Lohne wird reichen für das Essen der ganzen Familie. Es wird ein guter Abend werden, an dem niemand hungrig ins Bett gehen muss. Dafür nimmt man Schweiss und Anstrengung gerne in Kauf. Schlimm wäre es, nicht angestellt worden zu sein.
Der Weinbergbesitzer merkt schnell, dass er noch mehr Arbeiter braucht. Es ist viel mehr Arbeit da, als die Angestellten bis am Abend schaffen können. So geht er gegen 9 Uhr wieder auf den Marktplatz, findet weitere Taglöhner und stellt sie an. Lohnverhandlungen führt er aber nicht mehr. Sondern er verspricht nur, er werde ihnen geben, was recht und angemessen sei.
Dieser Ablauf wiederholt sich am Mittag und nachmittags um 3 Uhr. Es werden immer mehr Leute angestellt. Alle, die nicht von Anfang an arbeiten, erhalten das Versprechen, sie würden angemessen bezahlt werden.
Und sogar abends um 5 Uhr – eine Stunde vor Sonnenuntergang – geht der Mann noch einmal auf den Marktplatz. Er findet immer noch Leute ohne Arbeit. Auch sie schickt er in seinen Weinberg.
Wie sieht es wohl in den zuletzt Angestellten aus? Sie haben die grösste Hitze des Tages geschützt im Schatten der Bäume verbringen dürfen. Doch geniessen konnten sie das nicht, weil sie sich sorgen mussten, womit ihre Kinder am Abend den Hunger würden stillen können. Sie sind sicher froh, noch ein wenig Arbeit gefunden zu haben. Auch wenn es nur ein Tropfen auf einen heissen Stein ist. Viel Lohn dürfen sie ja für die knappe Stunde Einsatz nicht erwarten. Sie müssen davon ausgehen: Der Tisch zu Hause wird nur spärlich gedeckt sein.
Am Feierabend ist Zahltag. Der Hausherr weist seinen Kassier an, zuerst die zuletzt eingestellten Arbeiter auszuzahlen. Jeder von ihnen kriegt ein ganzes Silberstück, also ganzen Tageslohn.
Das sehen alle. Und sie beginnen wohl zu rechnen: Wenn eine Stunde ein ganzes Silberstück ergibt, dann gibt es für drei das Dreifache … usw. Diejenigen, die seit dem Morgen früh arbeiten, wissen schnell. Da müssten wir jeder 12 Silberstücke erhalten. 12 Tageslöhne. Da könnte man ja Ferien machen (wenn es das damals schon gegeben hätte).
Wie die Geschichte weitergeht: Der Reihe nach erhalten nun alle, die im Weinberg gearbeitet haben, ihren Zahltag. Alle erhalten exakt ein Silberstück – unabhängig davon, wie lange sie gearbeitet haben. Die den ganzen Tag an der prallen Sonne geschwitzt haben, erhalten genau gleichviel wie diejenigen, die erst abends noch kurz vorbeikamen.
Das Ergebnis ist kein Freudenfest. Sondern die Stimmung lädt sich schnell mit negativen Gefühlen auf. Diejenigen, die den ganzen Tag geschuftet haben, fühlen sich ‘bschisse’ und murren gegen den Arbeitgeber. Der aber macht einen von ihnen darauf aufmerksam, dass er ja erhalte, was abgemacht war. Also sei alles ok. Und überhaupt sei er als Eigentümer doch frei, mit seinem Besitz zu verfahren, wie im beliebe. Und zuletzt fragt er den Protestierenden: Oder bist Du neidisch, weil ich grosszügig bin?
Jesus beendet die Geschichte mit dem Satz: So werden die Letzten die Ersten sein, und die Ersten die Letzten.
Wie alle Gleichnisgeschichten Jesu enthält auch diese verschiedene Aspekte: Da ist die Zusage, dass in Gottes Welt niemand, auch nicht die Verspäteten, Armen oder Schwachen, zu kurz kommt. Wir lernen ausserdem, dass in Gottes Reich andere Massstäbe gelten und dass Gerechtigkeit dort nicht bedeutet, dass alle dasselbe erhalten. Der Grundsatz heisst dort nicht: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sondern Gerechtigkeit wird nach dem Prinzip der Gnade berechnet, und das heisst: Jedem wird alles geschenkt, was er nötig hat.
Und schliesslich geht es in der Geschichte um das Thema Neid/Eifersucht. Die Frage ist auch uns gestellt: Oder bist Du neidisch, weil ich grosszügig bin? Man könnt vielleicht auch fragen: Gönnst Du die Gnade auch anderen? Das ist nämlich die Herausforderung: Die Gnade, die uns selber geschenkt ist, auch anderen zu gönnen.
Wir können den Unmut der ‚Tagesarbeiter‘ nachvollziehen. Sie haben viel mehr geleistet als die anderen. Sie haben doch viel mehr verdient als jene, die in der Kühle des Abends noch ein wenig beim Aufräumen halfen. In einer Leistungsgesellschaft ist das nicht nachvollziehbar. Doch im Reich Gottes ist die Leistung nicht das Mass aller Dinge.
Nach Gottes Massstäben kommen in der Geschichte alle zu ihrem Recht. Sie erhalten ja, was sie zum Leben an diesem Tag brauchen. Es ist eine Frage des Standpunktes. Es geht nicht darum, die ‘Ersten’ (® ‘Tagesarbeiter’) um ihren Lohn zu prellen, sondern die ‘Letzten’ (® ‘Stundenarbeiter’) dürfen nicht zu kurz kommen. Denn bei Gott geht es nie darum, was einer verdient hat oder nicht verdient hat. Es ist eh alles von Gott geschenkt. Und Gott will, dass alle erhalten, was sie brauchen. Wenn Gott ganz das Sagen hat, dann kommt niemand zu kurz, sondern allen wird geschenkt, was sie nötig haben.
“Bist Du neidisch, weil ich grosszügig bin?” – Der Unterton dieser Frage ist unmissverständlich. Jesus fordert uns mit der Geschichte auf, uns nicht zu Neid und Eifersucht hinreissen zu lassen. Vielmehr sollen wir lernen, uns mitzufreuen an dem, was Gott unseren Mitmenschen schenkt.
Als ob das so einfach wäre! Wir alle kennen die Gefühle von Neid und Eifersucht nur zu gut. Es gibt uns einen Stich ins Herz, wenn der Banknachbar das bessere Zeugnis erhält, obwohl er doch viel weniger gelernt hat als ich. — Beim ‘Eile mit Weile’ bevorzugt der Würfel meine Gegner. Nur ich komme mit meinen Männchen nicht vorwärts, werde andauernd wieder nach Hause geschickt und habe keine Chance. Und dann sollte ich noch ein guter Verlierer sein. Es ist einfach ungerecht. — Ich wurde viel strenger erzogen als meine jüngeren Geschwister (so kam es mir jedenfalls damals vor). Was die alles durften, worum ich früher vergeblich gekämpft hatte. — Bei Geburtstagsfesten erhalten die anderen natürlich ein viel grösseres Kuchenstück als ich und an Weihnachten war natürlich in meines Bruders Geschenk, was ich mir eigentlich gewünscht hätte…
Es stimmt ja nur höchst selten, wenn ich mir einbilde, zu kurz zu kommen. Der Neid ist wie eine falsche Brille, die meine Wahrnehmung verzerrt. Und selbst wenn ich mal wirklich zu kurz gekommen bin, ist mir Neid keine Hilfe. Im Gegenteil, er lässt mich im Selbstmitleid festklemmen. Darüber hinaus ist Neid /Eifersucht gefährlich, weil daraus Schlimmeres werden kann. Es ist der Neid, der aus der Mücke einen Elephanten macht und plötzlich wird entsteht ein veritabler Streit. Gewalt und Kriege entstehen aus Neidgefühlen und mir selbst tun die Gefühle auch nicht gut. Im biblischen Buch der Sprüche heisst es: “(Ein gelassenes Herz ist des Leibes Leben;) aber Eifersucht ist Eiter (GNB: eine ‘Krebsgeschwulst) in den Gebeinen!” (Spr. 14,30). Neid schadet nicht nur den Beziehungen zu meinen Mitmenschen, er macht auch mich selbst kaputt. Oder anders gesagt: Wo Neid und Eifersucht das Sagen haben, regiert Gott nicht.
Es gibt zahlreiche biblische Beispiele, die dies belegen. Kain erschlug seine Bruder Abel aus Neid und wurde deshalb heimatlos. Jakob konnte sich das Erstgeburtsrecht, um dass er Esau benieden hatte, zwar erschleichen. Doch auch er musste deshalb flüchten und verlor vielmehr, als er gewann. Und beim älteren der verlorenen Söhne, von denen Jesus erzählte, war es auch der Neid, der ihn vom grossen Festmahl fernhielt.
Damit bleibt die Frage, was man denn gegen Neid / Eifersucht tun kann. – Die Antwort ist ganz einfach und doch auch schwierig: Gottvertrauen ist das einzige, das gegen Neid / Eifersucht hilft. Jesus sagte in der Bergpredigt: ” Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht … und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Und schaut die Lilien auf dem Feld an. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, … sollte er das nicht viel mehr für euch tun?” (aus Mt 6,26–30).
Das heisst doch: Gott sorgt für euch. Es gibt genug für alle. Er stellt zur Verfügung, was wir brauchen. Es gibt von Gott her keinen Grund für Neid und Eifersucht. – Nur in Klammern: Natürlich leiden dennoch viele Menschen Mangel. Aber daran ist nicht Gott schuld. Sondern die Menschen, die sich dazu verleiten lassen, nicht füreinander, sondern nur für sich zu schauen, … Menschen, die den Hals nicht voll kriegen …
Der Weg zu einem besseren Miteinander, frei von Neid und Eifersucht, führt über das Gottvertrauen. Wenn wir ihm vertrauen, lernen wir die Welt und die Menschen mit seinen Augen anzusehen: Und ich brauche mich nicht mehr mit den anderen zu vergleichen, weil Gott nicht vergleicht. Er gibt uns nicht, was wir verdienen (dann wären wir alle Habenichtse), sondern er will allen schenken, was sie brauchen. Mit Gottes Augen sehen heisst: Ich entdecke, dass im Leben letztlich alles Geschenk ist. Ich muss den anderen nicht mehr beneiden, weil ihm etwas geschenkt ist, was ich nicht habe. Sondern ich kann mich über die Güte Gottes freuen, die allen gibt, was sie brauchen und lerne, meinen Mitmenschen zu gönnen, was ihnen geschenkt ist.
Menschen können das nicht einfach so. Wir müssen es mühsam lernen, Schritt für Schritt. Immer wieder, wenn Gefühle des Neids, der Eifersucht in uns hochkommen, müssen wir ihnen entgegentreten und uns neu vorsagen: Gott ist nicht nur den anderen gegenüber gnädig. Er ist es auch zu uns. Er will uns geben, was immer wir brauchen, wenn wir ihm vertrauen.
Wenn uns der Neid ins Herz sticht, kann es auch helfen, wenn wir für uns aufzählen, was wir alles haben (statt uns auf das zu fixieren, was wir gerade nicht haben – und vielleicht auch gar nicht brauchen). Eine Art kleines Erntedankfest feiern. Auch das kann helfen, Neid und Eifersucht zu überwinden und uns mit andern zu freuen. Wo und wann immer das gelingt, da kommt der Himmel auf die Erde. Denn wo die Freude über des Schöpfers Güte stärker ist als Neid/Eifersucht, da regiert Gott ganz. Amen
Der 1. Mai 2021 war für mich ein Hoffnungstag. Ich mag mich noch gut an das Gebet von Papst Franziskus vor einem Jahr am 1. Mai erinnern, als er um ein Ende der Pandemie bat.