Predigt in der EMK Adliswil am Sonntag, 08.05.2022
Liebe Gemeinde,
wir haben den Predigttext aus Agp 17 eben gehört: Paulus ist in Athen. Zunächst geht er herum wie ein Tourist und sieht sich alles genau an. Er bleibt aber nicht distanzierter Beobachter, sondern geht auf die Sehenswürdigkeiten ein. Er ärgert sich über Götzenbilder und spricht Einheimische darauf an. Die finden es interessant, ihm zuzuhören und laden ihn ein, seine Gedanken auf dem Areopag, dem grossen Markplatz, vorzutragen. Dort hält der Apostel eine bemerkenswerte Rede. – Bemerkenswert, weil er nicht zuerst seinem Zorn über die Götzenbilder Luft macht. Sondern Paulus sucht und findet einen Anknüpfungspunkt: Den Altar für den unbekannten Gott. Von dort aus kann er die Gute Nachricht von Christus entfalten.
Apg 17 ist eine einzigartige Missionsgeschichte: Weil die Botschaft im Gespräch entwickelt wird. Weil das Evangelium auf die Fragen und Bedürfnisse der ZuhörerInnen zugeschnitten wird. Und speziell ist, zumindest für die Apg, auch, dass am Schluss weder über Massenbekehrungen noch viele Taufen berichtet wird.
Vielleicht typisch für Athen, die Hochburg der Denker und Philosophen damals, dass hier nicht gleich eine grosse Bewegung entsteht. Dennoch – trotz des fehlenden zählbaren Erfolgs – mag ich die Geschichte sehr. Weil Paulus hier nicht mit dem Holzhammer, sondern mit feineren Instrumenten arbeitet. Weil er denen zuhört, zu denen er dann redet. Und weil er sich bemüht, ihre Sprache zu sprechen, ihre Fragen und Vorstellungen aufzunehmen. – Ich würde gerne selbst so die Gute Nachricht ins Gespräch bringen können. D.h. Zuhören, auf das Gegenüber eingehen und dann überzeugend von meinem Glauben reden. Manchmal gelingt es vielleicht. Und ich hoffe, immer öfter.
Der Theologe Klaus Douglas hat einmal geschrieben: “Das Christentum hat immer dann eine Blütezeit erlebt, wenn es ihm gelang, sich auf die Menschen seiner Zeit einzulassen! Wo immer das Christentum die Menschen wirklich in Massen erreichte und bewegte, geschah dies in Verbindung mit einer positiven Rezeption (=Aufnahme, Übernahme) der jeweiligen Gegenwartskultur.” (Klaus Douglass, die neue Reformation, S.103). – Ein Satz, wie ihn Theologen manchmal gerne formulieren und der vielleicht etwas wuchtig klingt. Aber es hat schon etwas: Wer das Evangelium ist Gespräch bringen will, muss vorher zuhören, muss die Träume, Sehnsüchte, Lasten seines Gegenüber kennen oder wenigstens ahnen.
I. Schauen wir die Geschichte etwas genauer an: Es ist in den ersten Wochen der Mission in Europa. Paulus ist allein nach Athen gekommen. Er muss auf seine Begleiter Silas und Timotheus warten, die noch in Beröa sind. Mit einer grossen Vision hatten sie vor kurzem den Kontinent betreten. Im Traum rief ein Bote Gottes Paulus nach Europa. Hier solle er jetzt die Botschaft von Jesus Christus verbreiten.
Grosse Visionen werden von der erlebten Realität oft angefochten. So erweist sich auch die Mission Europas für Paulus und seine Begleiter schnell als steiniger Weg: In der ersten Stadt Philippi gerät Paulus ins Gefängnis. In Thessalonich löst seine Verkündigung einen Volksaufstand aus. Der Apostel muss fliehen. In Beröa geht es ihm nicht besser. So landet Paulus unerwartet schnell und allein nach Athen. Er hat viel Widerstand erlebt. Was nun? War der Traum eine falsche Botschaft? Hatte er etwas falsch verstanden?
Paulus muss über die Bücher. Doch das heisst für ihn nicht, das Unternehmen abzubrechen. Sondern er verändert die Methodik. Hatte Paulus in Philippi etc. sofort drauflosgepredigt, schaut er sich in Athen jetzt erst einmal um. Er bezähmt seinen Zorn über das, was in seinen Augen falsch läuft. Paulus sucht das Gespräch. So bleibt der Tumult jedenfalls aus. Menschen hören ihm zu und einige – zugegeben wenige – kommen zum Glauben.
Ich finde beeindruckend, wie konsequent Paulus an seinem Auftrag festhält. Misserfolg bringt ihn nicht dazu, aufzugeben. Sondern er lässt sich herausfordern, neue Wege und Methoden zu entwickeln, um dasselbe Ziel zu erreichen.
Wie geht es uns in dieser Beziehung? Es ist auch unser Auftrag, die Gute Nachricht von Christus zu verbreiten. Bleiben wir dran? auch wenn wir oft wenig bis nichts zu erreichen scheinen? Haben wir die Phantasie, neue Wege zu entwickeln? Bleiben wir dem Auftrag treu? – Ich denke, dass wir das wollen. Und ich hoffe, dass Paulus in Athen uns Vorbild und Motivation sein kann. Unter Druck setzen soll es uns aber nicht. Schliesslich gibt es keine vorgeschriebene Erfolgsquote. Oder wie Paulus in 1. Kor 4,2 schreibt: „Von den Haushaltern wird nicht mehr verlangt, als dass sie für treu befunden werden.“ – Wer immer den Eindruck hat, mehr tun zu müssen oder zu wollen, lasse sich bitte davon nicht stressen. Sondern bitte einfach Gott darum, dass er neuen Sauerstoff in das Feuer, das Flämmchen oder die Glut seine Glaubens bringen möge (® Bezirkswochenende)
II. Zur Treue gegenüber dem Auftrag gehören das Interesse und die Liebe für die Menschen. Darum schaut sich Paulus in Athen um: Er entdeckt, wie religiös die Athener sind. Sie nehmen ihre Götter ernst, bauen ihnen Tempel und Altäre (selbst einem ‘unbekannten Gott’). Das hat mit ihrem Respekt vor den Gottheiten zu tun. Deshalb erfüllen die Athener ihre religiösen Pflichten und sie fühlen sich in dieser festen Ordnung zu Hause. Gottesverehrung ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens in Athen. Doch Paulus merkt, dass die Athener auch neugierig sind: Haben sie schon alles begriffen oder gibt es noch andere Formen der Gottesverehrung? Was gibt es Neues, vielleicht sogar Besseres? Auf dem Marktplatz in Athen trifft Paulus auf die Gebildeten der griechischen Philosophenschulen. Sie bewegen Fragen nach dem Woher und Wohin des Lebens und auch nach dem Stellenwert der Götter im Leben des Einzelnen.
Was würde Paulus wohl auffallen, wenn er sich heute bei uns umschauen würde: Götzen zum sich Ärgern würde er sicherfinden: Geld, Macht, Erfolg, Ansehen zum Beispiel. Oder es würde ihm die hektische Geschäftigkeit unserer Zeit auffallen. Er nähme wahr, wie viele Menschen überreizt und nervös sind. Sie kennen viele Leute und bleiben doch irgendwie allein. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach tiefen, tragfähigen Beziehungen ist gross. Zugleich vermissen viele den Sinn in dem was sie tun und was sie hetzt. Was ist der Sinn des Lebens?
Vielleicht würde der Apostel bei der Sinnsuche ansetzen oder bei der Sehnsucht nach Gemeinschaft. ‚Gott gibt Deinem Leben Sinn!‘, würde er vielleicht sagen. Oder: ‚Gott sucht dich. Er will dich kennen. Er bietet Dir eine stabile Beziehung an.‘
Paulus wandert mit offenen Augen und Ohren (und wohl vor allem mit einem offenen Herzen) durch Athen. Ich möchte mich von ihm anspornen lassen, auch so mit offenen Augen und Ohren den Menschen zu begegnen. Auf ihre Worte und Sehnsüchte zu achten und sie ernst nehmen. Gelegenheit nützen um zu erzählen, dass und wie Gott meinem Leben Sinn gibt. Wie die Beziehung mit ihm mich trägt. – Wobei ich dabei ja ehrlich sein will und muss. Und das heisst auch dazu zu stehen, dass ich über diesen Sinn und diese Beziehung nicht einfach verfüge. Sondern ich bin eingeladen und herausgefordert, sie immer wieder zu suchen und mir schenken zu lassen.
III. Auf der Suche nach Anknüpfungspunkten beginnt Paulus auch in Athen in der Synagoge, bei seinen jüdischen Glaubensgenossen. Daneben spaziert er täglich über den Marktplatz, wo er Leute anspricht, sich ihnen vorstellt und offenbar leicht in Gespräche findet. Bald werden Gelehrte auf ihn aufmerksam. Die einen belächeln ihn als (wörtlich) “Körnerpicker” (® ‘Schwätzer’). Sie werfen ihm also vor, aus allen möglichen Lehren etwas herauszupicken und daraus eine eigene Lehre zu basteln. Heute würde man dem wohl Patchwork-Religion (® Synkretismus, Eklektizismus) sagen. Anderen vermuten hinter seinen Ausführungen ein neues Götterpaar — Jesus und Anastasis (®’’ = Auferstehung als Eigenname missverstanden). Doch weil die Athener neugierige Leute sind, laden sie Paulus ein auf den Marktplatz. Dort bekommt er die Gelegenheit, den Glauben an Jesus Christus ausführlich darzustellen. Seine Rede ist nur in Stichworten überliefert, doch es ist erkennbar, wie Paulus argumentiert: Er holt die Athener bei ihrer eigenen Gottesverehrung ab. Er erinnert sie an einen kleinen Altar für den unbekannten Gott. Die Athener hatten ihn wahrscheinlich aufgestellt aus Angst, einen Gott vergessen zu haben, der sich dafür rächen könnte. Diesen unbekannten Gott füllt er nun mit Leben. Er erinnert die Athener an ihre Suche nach dem Göttlichen und sagt ihnen zu, dass Gott sich finden lässt. Und er spricht von Gottes Nähe und von Gottes durch menschliche Ablehnung enttäuschte Liebe. Doch in Jesus Christus hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Wer sich an ihn, den auferstandenen Jesus hält, findet Gott und kommt ihm nahe. Noch ist Zeit, sich ihm anzuvertrauen. Nehmt diese Gelegenheit an, wirbt Paulus. Vergeudet keine Zeit fern von Gott. Packt die Chance!
Seine Rede hat nur wenig zählbare Ergebnisse. Dennoch ist sie in ihrer feinfühligen Art unbedingt nachahmenswert. Wir hatten ja gelesen, dass die vielen Götzenbilder in Athen Paulus in Rage versetzt hatten. Dennoch hält er keine Gerichtsrede, kommt nicht von ‘oben herab‘, sondern sucht Begegnung auf Augenhöhe. Er anerkennt die ernsthafte Suche der Athener nach Gott. Und er lädt sie ein. Paulus sagt: “Ich verstehe, dass ihr Gott sucht. Das freut mich. Und ich glaube, ich kann euch einen Weg zeigen, wie er sich finden lässt. Kommt mit, ich lade Euch ein!”
Paulus’ Grimm über den Götzendienst können wir wohl nachvollziehen. Auch heute gibt es in der Beziehung ‚nichts, was es nicht gibt‘. Unglaublich, wem allem die Leute aus der Hand fressen, welchen Theorien Menschen aufsitzen. Man lässt Horoskope erstellen, setzt auf Talismane etc. … aber von der Kirche wollen sie nichts wissen. Das kann einen schon ‘ergrimmen’ lassen. Doch wie schnell geraten wir dabei ins Moralisieren und (Ver)urteilen. Wir wettern über die Gottlosigkeit unserer Zeit, reden über die Leute statt mit ihnen. Paulus sucht lieber das Gespräch mit den Menschen. So kann er das Evangelium ins Gespräch bringen und fragen: “Du scheinst etwas zu suchen. Suchst Du Gott? Wenn Du willst, zeige ich dir, wie er zu finden ist!”
Wir können von Paulus viel lernen. Z.B. dass wir niemandem Unglauben vorwerfen müssen. Mit Vorwürfen oder Verurteilungen gewinnen wir nämlich niemanden für Christus. Aber wir können den Menschen zuhören, an ihrer Sehnsucht nach dem Leben anknüpfen und mit Paulus sagen: “Schau mal, wie nahe du schon dran bist. Gott ist nicht fern von Dir!” — Wenn wir dabei selbst auch Kritik am Glauben oder an der Kirche aushalten müssen, wenn wir uns dabei auf unsicheren Boden begeben und auch mal offene Fragen stehen lassen müssen — was macht das schon? — Wir sind Gesandte Christi. Er stützt und schützt uns, solange wir dem Auftrag treu bleiben.
IV. Was nützt es, wenn wir die Frohe Botschaft so ins Gespräch bringen? Macht es Sinn? Und wenn ja, warum?
Paulus’ Einsatz hat sich statistisch nicht gelohnt. Der Weg in Europa bleibt steinig. Einige Zuhörer lachen. Totenauferstehung passt nicht in ihr Weltbild. Der Mensch soll sich mit seinen göttlichen Erbanlagen gefälligst selbst erlösen. Einige Zuhörer halten sich bedeckt. Ein andermal vielleicht mehr, aber so genau wollen sie es eigentlich gar nicht wissen. Niemand sollte sie aus der Ruhe bringen oder gar in Frage stellen. Nur wenige schliessen sich Paulus an. Unter ihnen Dionysius, der später als erster Bischof von Athen erwähnt wird und Damaris.
Es steht nirgend geschrieben, dass wir mehr Erfolg haben werden oder können als Paulus. Aber Erfolg in unserem weltlichen Sinn ist im Reich Gottes gar nicht so wichtig. Wenn wir nur lernen unsere Mitmenschen besser zu verstehen und ernst zu nehmen! Wenn wir nur immer besser verstehen lernen, dass die gute Nachricht direkt und konkret mit den heutigen Menschen, mit ihren Sorgen und Wünschen, mit ihrer Kultur und Lebensart, zu tun hat! Dann wäre der Erfüllung unseres Auftrags schon sehr viel gedient. “Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist!” hat D.Bonhoeffer einmal geschrieben. Wenn wir wissen, was diese anderen brauchen, können wir besser für sie da sein.
So lernen wir weiter, unserem Auftrag treu zu sein. — Was wollen wir mehr? Schliesslich verlangt niemand mehr von uns als Treue zum Auftrag als Gesandte Christi in der Welt: “Man fordert nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.” (1.Kor 4,5). Amen