getröstet bzw. bei Trost sein

Johannes 14,15–27

Predigt am Pfin­gst­son­ntag, 05.06.2022 in der EMK Adliswil

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Liebe Gemeinde,

„bist Du eigentlich nicht mehr ganz bei Trost?“ – Es war kein gutes Zeichen, wenn meine Mut­ter mich das zu fra­gen müssen glaubte. Dann hat­te ich etwas  Uner­laubtes, Gefährlich­es oder Ver­rück­tes vor … oder wom­öglich schon getan. Laut Duden bedeutet ‚nicht bei Trost sein: Ver­wirrt sein oder ver­rückt sein. Ich brauche die Redewen­dung kaum, würde direk­ter fra­gen: ‚Spinnsch eigentlich?‘ oder: ‚Het’s dir is Hirni gschneit?‘Als Reden­sarten geläu­figer sind mir z.B.: Einen Sprung in der Schüs­sel haben; nicht ganz dicht sein; nicht alle Tassen im Schrank haben …. — Umgekehrt bedeutete ‚bei Trost sein‘: Klar sehen; bei klarem Ver­stand sein; ratio­nal denken kön­nen. Seit Jesus am Kreuz gestor­ben war, waren seine Jün­gerin­nen und Jünger nicht mehr bei Trost. Die Oster­erschei­n­un­gen hat­ten zwar die Trauer über­wun­den, hat­ten sie trösten kön­nen. Aber sie blieben vor­läu­fig ver­wirrt. Wie soll­ten sie sich in der neuen Sit­u­a­tion ori­en­tieren? Sie blieben unsich­er, wussten nicht recht, was und vor allem wie sie es tun sollten.

So blieb es wohl bis Pfin­g­sten. Da erst kam es zu ein­er nach­halti­gen Verän­derung. Der Heilige Geist kam über sie. Gottes Kraft erfüllte sie. Im Jh-Ev heisst dieser Geist Bei­s­tand, Helfer oder – mit dem Fremd­wort – Parak­let. Mar­tin Luther über­set­zte das mit ‚Tröster‘. Damit waren die Jün­gerIn­nen Jesu endlich wieder – und wohl mehr als je zuvor – ganz bei Trost. Sie kon­nten klar sehen, denken und fühlen, jeden­falls im Blick auf ihren Auf­trag, das Chris­tus­geschehen zu bezeu­gen. Sie sind waren ganz gewiss, begleit­et und unter­stützt zu sein. Sie rede­ten, han­del­ten und lebten im Namen und Geist Jesu Christi, dessen Gegen­wart sie deut­lich spürten, obwohl er nicht mehr zu sehen und nicht mehr leib­lich bei ihnen war. Als Predi­gerIn­nen, BeterIn­nen, Zeug­In­nen tun und bewirken sie Dinge, die von aussen betra­chtet wirken mögen, als wäre sie nicht ganz bei Trost. Inner­lich betra­chtet und gefühlt waren sie aber sehr wohl bei Trost.

Der Heilige Geist bewirkt, dass die Jün­gerIn­nen – jet­zt Apos­telIn­nen genan­nt – den Mut find­en, an Jesus zu glauben und sich dazu zu beken­nen. Sie sind jet­zt ganz gewiss, dass sie nicht allein sind. Und in vie­len Sit­u­a­tio­nen, in die sie ger­at­en, ist ihnen ein­fach klar, was zu tun ist. Was würde Jesus tun (® WWJD = what would Jesus do?) ist für sie keine Frage mehr. Son­dern sie sehen und fühlen es glasklar. Sie leben und tun, was ihr Auf­trag ist und was das von Jesus ange­fan­gene Werk weit­er­führt. Ganz ein­fach auf den Punkt gebracht: Seit Pfin­g­sten sind Jesu Jün­gerin­nen und Jünger – vielle­icht zum ersten Mal in ihrem Leben – voll und ganz bei Trost.

Laut dem Johan­ne­se­van­geli­um hat­te Jesus das alles schon vor seinem Ster­ben angekündigt, in den soge­nan­nten Abschied­sre­den. Hören Sie, wie er in Johannes 14,15–27 davon redet:

»Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befol­gen. Und ich werde den Vater um etwas bit­ten: Er wird euch an mein­er Stelle einen anderen Bei­s­tand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit. Diese Welt kann ihn nicht emp­fan­gen, denn sie sieht ihn nicht und erken­nt ihn nicht. Aber ihr ken­nt ihn, denn er ist mit euch ver­bun­den und wird immer mit euch ver­bun­den bleiben.

Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An dem Tag werdet ihr erken­nen: Ich bin mit dem Vater ver­bun­den, ihr seid es mit mir, und ich bin es mit euch. Wer meine Gebote hält und sie befol­gt, der liebt mich wirk­lich. Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt. Und auch ich liebe ihn und werde mich ihm zeigen.«

Judas – nicht Judas Iskar­i­ot – sagte zu ihm: »Herr, warum willst du dich nur uns zeigen und nicht der Welt?« Jesus antwortete ihm:» Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richt­en. Mein Vater wird ihn lieben, und wir wer­den zu ihm kom­men und für immer bei ihm bleiben. Wer mich nicht liebt, wird sich nicht nach meinem Wort richt­en. Dabei kommt das Wort, das ihr hört, nicht von mir. Es kommt vom Vater, der mich beauf­tragt hat. Ich habe euch das gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Vater wird euch in meinem Namen den Bei­s­tand senden: den Heili­gen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erin­nern, was ich selb­st euch gesagt habe. Zum Abschied schenke ich euch Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch nicht den Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und lasst euch nicht ent­muti­gen.   Jh 14,15–27

Alles, was Jesus seinen Jün­gerIn­nen vor der Pas­sion ver­sprochen hat­te, wurde an Pfin­g­sten wahr. Der von Gott gesandte Bei­s­tand (=Tröster) bewirk­te, dass sie von nun an ganz bei Trost waren. — Ich greife vier Punk­te aus diesem Bibel­text her­aus und ver­tiefe so, was das konkret bedeutet.

I. Zunächst ver­spricht Jesus: Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.» — Waisen, d.h. Kinder ohne Eltern, gal­ten in der Antike als höchst gefährdet. Sie hat­ten nie­man­den, der für sie ein­trat. Doch Jesus wird die Seinen nicht schut­z­los der Willkür ander­er Mächte preis­geben. Zwar muss er wegge­hen. Aber er wird – in ander­er Form – zu ihnen zurück­kom­men. Sie wer­den also nie allein, son­dern immer begleit­et, gehal­ten und unter­stützt sein. Von aussen mag es anders ausse­hen. Doch die Tren­nung Jesu von den Seinen ist eine optis­che Täuschung, von der nur ‘die Welt’ betrof­fen ist. D.h. für die Men­schen, die sich Jesu Botschaft ver­schliessen, ist er mit seinem Tod von der Bild­fläche ver­schwun­den. ‘Die Welt wird mich nicht mehr sehen.’ Für die Apos­telIn­nen aber gilt das nicht, denn: ‘Ihr aber sehr mich, denn ich lebe.’ In den Erschei­n­un­gen ab Ostern begeg­net ihnen Jesus als der Aufer­standene, als der Lebendi­ge. Und das begrün­det eine neue Gemein­schaft mit ihm. Und alle, die zu ihm gehören, wer­den in sein Aufer­ste­hungsleben mit ein­be­zo­gen: ‘und ihr werdet auch leben.’

Der Bei­s­tand bzw. der Geist, den Gott schickt, ver­mit­telt den Jün­gerIn­nen die Gewis­sheit, nicht allein, son­dern stets begleit­et, getra­gen und unter­stützt zu sein. Und er öffnet den Kanal zur Kraft, zur Energie Gottes. Die Wirk­lichkeit der Aufer­ste­hung Christi wirkt bis in ihr Leben in dieser Welt hinein. – Ja, so kann man gelassen, get­rost, zuver­sichtlich glauben und leben. So muss man bei Trost sein.

II. Eine andere Frage, die sich den Jün­gerIn­nen nach Ostern stellte, war: Wie geht eigentlich Nach­folge in der neuen Sit­u­a­tion? Vor der Pas­sion war es ‚ein­fach‘: Jesus war leib­lich da, redete mit ihnen, beant­wortete ihre Fra­gen, ging ihnen voraus. Ihm Nachzu­fol­gen bedeutete: Mit ihm zu leben; auf ihn zu hören; da zu sein, wo er war; zu tun, was er tat bzw. wozu er anleitete.

Doch wie fol­gt man jeman­dem nach, den man wed­er sieht noch hört? – Da kommt der heilige Geist ins Spiel. Jesus sagt: «Der Vater wird euch in meinem Namen den Bei­s­tand senden: den Heili­gen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erin­nern, was ich selb­st euch gesagt habe.» Es wird also dafür gesorgt, dass die Erin­nerung an Jesus so lebendig, sein Vor­bild so plas­tisch bleibt, dass Nach­folge weit­er­hin funk­tion­iert. Dank Gottes Geist kön­nen wir wis­sen oder fühlen, was Jesus tun würde bzw. was jet­zt dran wäre. – Bischof i.R. Wal­ter Klaiber schreibt in seinem Kom­men­tar zu dieser Stelle: «Der Heilige Geist wird Jesu Lehren fort­set­zen und für die Sit­u­a­tion der Jün­gerin­nen und Jünger aktu­al­isieren. Er tut dies, indem er sie daran erin­nert, was Jesus gelehrt und gesagt hat. Der Geist offen­bart keine neuen Erken­nt­nisse über das hin­aus, wie Gott in Jesu Chris­tus gehan­delt hat. Und doch geht es bei diesem Erin­nern nicht nur um das Wieder­holen dessen, was Jesus damals gesagt hat. Son­dern das vom Geist ver­mit­teln Erin­nern ist ein kreativ­er Prozess, ein Erin­nern, das in ein vorher nicht gekan­ntes Ver­ste­hen hine­in­führt. Es geht um die Verge­gen­wär­ti­gung des Ver­gan­genen in ein­er durch die Gegen­wart des Geistes bes­timmten Ausle­gung» (® etwas vere­in­facht nach: W. Klaiber, das Johan­ne­se­van­geli­um, Teil­band II, S. 112 in der Rei­he ‘Die Botschaft des neuen Testaments).

Man kann es auch viel ein­fach­er sagen: Die Frage ‘Was würde Jesus tun? (WWJD) kön­nen wir dank dem Heili­gen Geist immer wieder aktuell und konkret beantworten.

III. Dieses Erin­nern Jesu durch den Geist wird weit­er konkretisiert: «Wer meine Gebote hält und sie befol­gt, der liebt mich wirk­lich. Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt. Und auch ich liebe ihn und werde mich ihm zeigen.» — Nach­folge Jesu bzw. geist­geleit­ete Lebens­gestal­tung hat also auch mit Geboten zu tun. Die Liebe zu Jesus zeigt sich im Hal­ten sein­er Gebote. Sie ist also weniger eine Sache des Gefühls, son­dern eher des Wil­lens und des Tuns. Wobei klar festzuhal­ten ist: Mit ‘Geboten Jesu’ ist hier kein Kat­a­log von geset­zlichen Vorschriften, keine Samm­lung von Para­graphen gemeint. Son­dern es geht um das Ganze sein­er Botschaft, den Sinn und Geist des Evan­geli­ums. Wer Jesus liebt, hält sich an das, was er gesagt und getan hat, macht sich seine ganz von Liebe bes­timmte Sicht auf die Welt und die Men­schen zu eigen.

Es geht darum, sich für Jesu Worte und Ratschläge zu öff­nen und danach zu leben. So umschreibt das Jh-Ev, was lebendi­ger Glaube ist: Wer an Jesus glaubt, liebt ihn. Und das ist dann die Tür, die in die Gemein­schaft mit Gott, dem Vater und dem Sohn führt. Sie ist von gegen­seit­iger Liebe bes­timmt. Das bedeutet nicht nur die Pflicht, die Gebote zu hal­ten, son­dern zugle­icht die Zusage, von Gott geliebt zu sein. Noch ein­mal: «Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt. Und auch ich liebe ihn und werde mich ihm zeigen.» Geliebt zu wer­den gibt dem Leben eines Men­schen Halt und Sinn.

So ver­mit­telt der Bei­s­tand = Tröster = Heilige Geist dreier­lei: Die Liebe zu Gott; die Fähigkeit, dem Willen und den Geboten Gottes entsprechend zu leben; die Gewis­sheit, von Gott geliebt zu sein.

IV. Zulet­zt wen­den wir unsere Aufmerk­samkeit dem ‚Frieden‘ zu: «Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch nicht den Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und lasst euch nicht ent­muti­gen.» Ganz real­is­tisch wird die ‘Welt’ eingeschätzt. Da gibt es viel, sehr viel, was beun­ruhi­gen, ja Angst machen kön­nte. Doch Jesus lässt den Seinen Frieden, atl. gesagt: Schalom, zurück. Das ist die Fülle des Lebens aus Gottes Hand. Es ist die Gebor­gen­heit, die eine geheilte Beziehung zu Gott schenkt. Und es ist die Gewis­sheit, von Gott geliebt zu sein.

Das geht weit über alles hin­aus, was men­schliche Frieden­sar­beit erre­ichen kön­nte. Es ist eben der Friede Christi. Er ist ein Geschenk Christi, das der Heilige Geist ver­mit­telt. — Dieses Geschenk wird abge­gren­zt und unter­schieden von allem, was Men­schen an Frieden bew­erk­stel­li­gen kön­nen: „Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch.“ Es gibt ja aller­lei Frieden­sange­bote in dieser Welt. Manche entsprin­gen immer­hin einem guten Willen. Andere sind von vorn­here­in trügerisch oder dem Eigen­nutz verpflichtet. Vielle­icht ist auch an die Pax Romana gedacht, die sta­bile Ord­nung, welche durch die Herrschaft der Römer rund um das Mit­telmeer geschaf­fen wurde. Sie hat­te dur­chaus ihre guten Seit­en. Ander­er­seits wurde viel, was den Römern nicht passte, gewalt­sam unter­drückt. Das jüdis­che Volk erlitt das in den ersten bei­den Jahrhun­derten in zwei mörderischen Kriegen. Die junge Chris­ten­heit machte erste Erfahrun­gen von Ver­fol­gung. Da bestand dur­chaus die Ver­suchung, um des lieben Friedens willen auf wesentliche Glaubensin­halte zu verzichten.

Doch der Friede, den Chris­tus schenkt, ist etwas ganz anderes: Zuver­sicht noch unter Ver­fol­gung; Gelassen­heit im Trubel und Chaos; Frei­heit von Angst in kleinen und grossen Bedro­hun­gen. Die Kraft des Hl. Geistes befähigt Jesu Jün­gerIn­nen, in allem ein ruhiges Herz zu bewahren und nicht zu verzagen.

An Pfin­g­sten wird der Heilige Geist zur bes­tim­menden Kraft im Leben der Jün­gerIn­nen Jesu. So wer­den sie befähigt, als Nach­fol­gerIn­nen Jesu zu leben. Sie bleiben begleit­et und gehal­ten. Die Erin­nerung an Chris­tus bleibt lebendig. Sie sind bere­it, aus Liebe Jesu Gebote zu hal­ten. Und ihnen ist der Friede Christi geschenkt. Das alles macht der Geist Gottes. Er tröstet. Ja mehr noch: Er begrün­det, dass und warum Chris­ten ganz bei Trost sind. Dank dem Bei­s­tand, den Gott uns im Namen Christi schickt. Amen 

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