Predigt am Pfingstsonntag, 05.06.2022 in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
„bist Du eigentlich nicht mehr ganz bei Trost?“ – Es war kein gutes Zeichen, wenn meine Mutter mich das zu fragen müssen glaubte. Dann hatte ich etwas Unerlaubtes, Gefährliches oder Verrücktes vor … oder womöglich schon getan. Laut Duden bedeutet ‚nicht bei Trost sein: Verwirrt sein oder verrückt sein. Ich brauche die Redewendung kaum, würde direkter fragen: ‚Spinnsch eigentlich?‘ oder: ‚Het’s dir is Hirni gschneit?‘Als Redensarten geläufiger sind mir z.B.: Einen Sprung in der Schüssel haben; nicht ganz dicht sein; nicht alle Tassen im Schrank haben …. — Umgekehrt bedeutete ‚bei Trost sein‘: Klar sehen; bei klarem Verstand sein; rational denken können. Seit Jesus am Kreuz gestorben war, waren seine Jüngerinnen und Jünger nicht mehr bei Trost. Die Ostererscheinungen hatten zwar die Trauer überwunden, hatten sie trösten können. Aber sie blieben vorläufig verwirrt. Wie sollten sie sich in der neuen Situation orientieren? Sie blieben unsicher, wussten nicht recht, was und vor allem wie sie es tun sollten.
So blieb es wohl bis Pfingsten. Da erst kam es zu einer nachhaltigen Veränderung. Der Heilige Geist kam über sie. Gottes Kraft erfüllte sie. Im Jh-Ev heisst dieser Geist Beistand, Helfer oder – mit dem Fremdwort – Paraklet. Martin Luther übersetzte das mit ‚Tröster‘. Damit waren die JüngerInnen Jesu endlich wieder – und wohl mehr als je zuvor – ganz bei Trost. Sie konnten klar sehen, denken und fühlen, jedenfalls im Blick auf ihren Auftrag, das Christusgeschehen zu bezeugen. Sie sind waren ganz gewiss, begleitet und unterstützt zu sein. Sie redeten, handelten und lebten im Namen und Geist Jesu Christi, dessen Gegenwart sie deutlich spürten, obwohl er nicht mehr zu sehen und nicht mehr leiblich bei ihnen war. Als PredigerInnen, BeterInnen, ZeugInnen tun und bewirken sie Dinge, die von aussen betrachtet wirken mögen, als wäre sie nicht ganz bei Trost. Innerlich betrachtet und gefühlt waren sie aber sehr wohl bei Trost.
Der Heilige Geist bewirkt, dass die JüngerInnen – jetzt ApostelInnen genannt – den Mut finden, an Jesus zu glauben und sich dazu zu bekennen. Sie sind jetzt ganz gewiss, dass sie nicht allein sind. Und in vielen Situationen, in die sie geraten, ist ihnen einfach klar, was zu tun ist. Was würde Jesus tun (® WWJD = what would Jesus do?) ist für sie keine Frage mehr. Sondern sie sehen und fühlen es glasklar. Sie leben und tun, was ihr Auftrag ist und was das von Jesus angefangene Werk weiterführt. Ganz einfach auf den Punkt gebracht: Seit Pfingsten sind Jesu Jüngerinnen und Jünger – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – voll und ganz bei Trost.
Laut dem Johannesevangelium hatte Jesus das alles schon vor seinem Sterben angekündigt, in den sogenannten Abschiedsreden. Hören Sie, wie er in Johannes 14,15–27 davon redet:
»Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen. Und ich werde den Vater um etwas bitten: Er wird euch an meiner Stelle einen anderen Beistand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit. Diese Welt kann ihn nicht empfangen, denn sie sieht ihn nicht und erkennt ihn nicht. Aber ihr kennt ihn, denn er ist mit euch verbunden und wird immer mit euch verbunden bleiben.
Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet. An dem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin mit dem Vater verbunden, ihr seid es mit mir, und ich bin es mit euch. Wer meine Gebote hält und sie befolgt, der liebt mich wirklich. Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt. Und auch ich liebe ihn und werde mich ihm zeigen.«
Judas – nicht Judas Iskariot – sagte zu ihm: »Herr, warum willst du dich nur uns zeigen und nicht der Welt?« Jesus antwortete ihm:» Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und für immer bei ihm bleiben. Wer mich nicht liebt, wird sich nicht nach meinem Wort richten. Dabei kommt das Wort, das ihr hört, nicht von mir. Es kommt vom Vater, der mich beauftragt hat. Ich habe euch das gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Vater wird euch in meinem Namen den Beistand senden: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe. Zum Abschied schenke ich euch Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch nicht den Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und lasst euch nicht entmutigen. Jh 14,15–27
Alles, was Jesus seinen JüngerInnen vor der Passion versprochen hatte, wurde an Pfingsten wahr. Der von Gott gesandte Beistand (=Tröster) bewirkte, dass sie von nun an ganz bei Trost waren. — Ich greife vier Punkte aus diesem Bibeltext heraus und vertiefe so, was das konkret bedeutet.
I. Zunächst verspricht Jesus: „Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, weil ich lebe und weil auch ihr leben werdet.» — Waisen, d.h. Kinder ohne Eltern, galten in der Antike als höchst gefährdet. Sie hatten niemanden, der für sie eintrat. Doch Jesus wird die Seinen nicht schutzlos der Willkür anderer Mächte preisgeben. Zwar muss er weggehen. Aber er wird – in anderer Form – zu ihnen zurückkommen. Sie werden also nie allein, sondern immer begleitet, gehalten und unterstützt sein. Von aussen mag es anders aussehen. Doch die Trennung Jesu von den Seinen ist eine optische Täuschung, von der nur ‘die Welt’ betroffen ist. D.h. für die Menschen, die sich Jesu Botschaft verschliessen, ist er mit seinem Tod von der Bildfläche verschwunden. ‘Die Welt wird mich nicht mehr sehen.’ Für die ApostelInnen aber gilt das nicht, denn: ‘Ihr aber sehr mich, denn ich lebe.’ In den Erscheinungen ab Ostern begegnet ihnen Jesus als der Auferstandene, als der Lebendige. Und das begründet eine neue Gemeinschaft mit ihm. Und alle, die zu ihm gehören, werden in sein Auferstehungsleben mit einbezogen: ‘und ihr werdet auch leben.’
Der Beistand bzw. der Geist, den Gott schickt, vermittelt den JüngerInnen die Gewissheit, nicht allein, sondern stets begleitet, getragen und unterstützt zu sein. Und er öffnet den Kanal zur Kraft, zur Energie Gottes. Die Wirklichkeit der Auferstehung Christi wirkt bis in ihr Leben in dieser Welt hinein. – Ja, so kann man gelassen, getrost, zuversichtlich glauben und leben. So muss man bei Trost sein.
II. Eine andere Frage, die sich den JüngerInnen nach Ostern stellte, war: Wie geht eigentlich Nachfolge in der neuen Situation? Vor der Passion war es ‚einfach‘: Jesus war leiblich da, redete mit ihnen, beantwortete ihre Fragen, ging ihnen voraus. Ihm Nachzufolgen bedeutete: Mit ihm zu leben; auf ihn zu hören; da zu sein, wo er war; zu tun, was er tat bzw. wozu er anleitete.
Doch wie folgt man jemandem nach, den man weder sieht noch hört? – Da kommt der heilige Geist ins Spiel. Jesus sagt: «Der Vater wird euch in meinem Namen den Beistand senden: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe.» Es wird also dafür gesorgt, dass die Erinnerung an Jesus so lebendig, sein Vorbild so plastisch bleibt, dass Nachfolge weiterhin funktioniert. Dank Gottes Geist können wir wissen oder fühlen, was Jesus tun würde bzw. was jetzt dran wäre. – Bischof i.R. Walter Klaiber schreibt in seinem Kommentar zu dieser Stelle: «Der Heilige Geist wird Jesu Lehren fortsetzen und für die Situation der Jüngerinnen und Jünger aktualisieren. Er tut dies, indem er sie daran erinnert, was Jesus gelehrt und gesagt hat. Der Geist offenbart keine neuen Erkenntnisse über das hinaus, wie Gott in Jesu Christus gehandelt hat. Und doch geht es bei diesem Erinnern nicht nur um das Wiederholen dessen, was Jesus damals gesagt hat. Sondern das vom Geist vermitteln Erinnern ist ein kreativer Prozess, ein Erinnern, das in ein vorher nicht gekanntes Verstehen hineinführt. Es geht um die Vergegenwärtigung des Vergangenen in einer durch die Gegenwart des Geistes bestimmten Auslegung» (® etwas vereinfacht nach: W. Klaiber, das Johannesevangelium, Teilband II, S. 112 in der Reihe ‘Die Botschaft des neuen Testaments).
Man kann es auch viel einfacher sagen: Die Frage ‘Was würde Jesus tun? (WWJD) können wir dank dem Heiligen Geist immer wieder aktuell und konkret beantworten.
III. Dieses Erinnern Jesu durch den Geist wird weiter konkretisiert: «Wer meine Gebote hält und sie befolgt, der liebt mich wirklich. Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt. Und auch ich liebe ihn und werde mich ihm zeigen.» — Nachfolge Jesu bzw. geistgeleitete Lebensgestaltung hat also auch mit Geboten zu tun. Die Liebe zu Jesus zeigt sich im Halten seiner Gebote. Sie ist also weniger eine Sache des Gefühls, sondern eher des Willens und des Tuns. Wobei klar festzuhalten ist: Mit ‘Geboten Jesu’ ist hier kein Katalog von gesetzlichen Vorschriften, keine Sammlung von Paragraphen gemeint. Sondern es geht um das Ganze seiner Botschaft, den Sinn und Geist des Evangeliums. Wer Jesus liebt, hält sich an das, was er gesagt und getan hat, macht sich seine ganz von Liebe bestimmte Sicht auf die Welt und die Menschen zu eigen.
Es geht darum, sich für Jesu Worte und Ratschläge zu öffnen und danach zu leben. So umschreibt das Jh-Ev, was lebendiger Glaube ist: Wer an Jesus glaubt, liebt ihn. Und das ist dann die Tür, die in die Gemeinschaft mit Gott, dem Vater und dem Sohn führt. Sie ist von gegenseitiger Liebe bestimmt. Das bedeutet nicht nur die Pflicht, die Gebote zu halten, sondern zugleicht die Zusage, von Gott geliebt zu sein. Noch einmal: «Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt. Und auch ich liebe ihn und werde mich ihm zeigen.» Geliebt zu werden gibt dem Leben eines Menschen Halt und Sinn.
So vermittelt der Beistand = Tröster = Heilige Geist dreierlei: Die Liebe zu Gott; die Fähigkeit, dem Willen und den Geboten Gottes entsprechend zu leben; die Gewissheit, von Gott geliebt zu sein.
IV. Zuletzt wenden wir unsere Aufmerksamkeit dem ‚Frieden‘ zu: «Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch nicht den Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und lasst euch nicht entmutigen.» Ganz realistisch wird die ‘Welt’ eingeschätzt. Da gibt es viel, sehr viel, was beunruhigen, ja Angst machen könnte. Doch Jesus lässt den Seinen Frieden, atl. gesagt: Schalom, zurück. Das ist die Fülle des Lebens aus Gottes Hand. Es ist die Geborgenheit, die eine geheilte Beziehung zu Gott schenkt. Und es ist die Gewissheit, von Gott geliebt zu sein.
Das geht weit über alles hinaus, was menschliche Friedensarbeit erreichen könnte. Es ist eben der Friede Christi. Er ist ein Geschenk Christi, das der Heilige Geist vermittelt. — Dieses Geschenk wird abgegrenzt und unterschieden von allem, was Menschen an Frieden bewerkstelligen können: „Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch.“ Es gibt ja allerlei Friedensangebote in dieser Welt. Manche entspringen immerhin einem guten Willen. Andere sind von vornherein trügerisch oder dem Eigennutz verpflichtet. Vielleicht ist auch an die Pax Romana gedacht, die stabile Ordnung, welche durch die Herrschaft der Römer rund um das Mittelmeer geschaffen wurde. Sie hatte durchaus ihre guten Seiten. Andererseits wurde viel, was den Römern nicht passte, gewaltsam unterdrückt. Das jüdische Volk erlitt das in den ersten beiden Jahrhunderten in zwei mörderischen Kriegen. Die junge Christenheit machte erste Erfahrungen von Verfolgung. Da bestand durchaus die Versuchung, um des lieben Friedens willen auf wesentliche Glaubensinhalte zu verzichten.
Doch der Friede, den Christus schenkt, ist etwas ganz anderes: Zuversicht noch unter Verfolgung; Gelassenheit im Trubel und Chaos; Freiheit von Angst in kleinen und grossen Bedrohungen. Die Kraft des Hl. Geistes befähigt Jesu JüngerInnen, in allem ein ruhiges Herz zu bewahren und nicht zu verzagen.
An Pfingsten wird der Heilige Geist zur bestimmenden Kraft im Leben der JüngerInnen Jesu. So werden sie befähigt, als NachfolgerInnen Jesu zu leben. Sie bleiben begleitet und gehalten. Die Erinnerung an Christus bleibt lebendig. Sie sind bereit, aus Liebe Jesu Gebote zu halten. Und ihnen ist der Friede Christi geschenkt. Das alles macht der Geist Gottes. Er tröstet. Ja mehr noch: Er begründet, dass und warum Christen ganz bei Trost sind. Dank dem Beistand, den Gott uns im Namen Christi schickt. Amen