Predigt am 03.07.2022 in der EMK Adliswil und in der Regenbogenkirche
Liebe Gemeinde,
„uf d’Wirtschaft chunnt’s a, Löli!“ Besser bekannt ist dieses Zitat im englischen Original: ‚It’s the economy, stupid!“ So lautete das interne Motto im Wahlkampfteam Bill Clintons um die US-Präsidentschaft 1992. Gemeint ist damit: Gewählt wird vom Volk, wer die besten Chancen auf wirtschaftlichen Fortschritt und Mehrung des Wohlstands verspricht. Darauf wurde Clintons Kampagne ausgerichtet. Und tatsächlich: Obwohl zu Beginn des Wahlkampfs aussichtslos im Hintertreffen, wurde Bill Clinton klar zum Präsidenten gewählt. – Auf die Wirtschaft kommt es an. Sogar in so übersättigten Gesellschaften wie der us-amerikanischen oder auch der unsrigen.
Wer nach Macht und Einfluss strebt, muss die wirtschaftliche Entwicklung im Auge haben. Umgekehrt dominiert und prägt die Wirtschaft menschliche Wahrnehmung und die Gestaltung des Miteinanders in vielerlei Hinsicht. So ist es jedenfalls in der ‚Welt‘. — Und wie ist es im Reich Gottes? Gibt es dort auch eine Wirtschaftsordnung? Wenn ja, welche? Und wie wichtig ist sie?
Das fragte ich mich, als ich den Predigttext erstmals las. Darin klingen Begriffe an, die an Wirtschaft denken lassen. Auffällig ist dabei, dass Geld, ein wichtiges Element jeder Wirtschaftsordnung, ziemlich negativ gesehen wird. Kommt die Wirtschaft im Reich Gottes also ohne Geld aus? – Ich lese Jesaja 55,1–5:
Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch – sie kosten nichts. Warum wollt ihr Geld ausgeben für Brot, das nicht wie Brot schmeckt? Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht? Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen. Hört mich an und kommt zu mir! Hört, dann lebt ihr auf! Ich will mit euch einen Bund schließen, der für immer besteht. Was ich David für immer versprochen habe, gilt auch für euch. Ihn habe ich ja dazu bestimmt, Völker zu beherrschen und ihnen Befehle zu erteilen. So sollte er meine Macht vor den Völkern bezeugen. Ihr werdet Leute herbeirufen, die ihr nicht kennt. Und Leute, die euch nicht kennen, kommen herbei. So will es der Herr, euer Gott, der Heilige Israels. Er lässt euch diese Ehre zuteil werden. Jesaja 55,1–5 (Basis Bibel)
Im Reich Gottes kann man ohne Geld einkaufen! Nicht bargeldlos, sondern ohne zu bezahlen. Wie wird denn da ‚gewirtschaftet‘? Und: Ist Gott so etwas wie ein ‚billiger Jakob‘? Jedenfalls tritt der Prophet in Gottes Namen so auf: Sein Angebot hat ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis und sticht alle anderen aus.
Hintergrund unseres Textes ist ein orientalischer Markt. Wie dort verkauft und gehandelt wird. Damit kannten sich damals alle aus. Der Prophet mimt einen fliegenden Händler. Sein Angebot ist sensationell günstig, Nicht nur das Lebensnotwendige (Brot, Wasser), sondern auch Genussmittel (Milch und Wein = Luxusgüter ® Genuss, Fülle) sind bei ihm gratis zu haben. Eindringlich, flehend, ja fast mit einem Unterton von Verzweiflung, lockt dieser Prophet potenzielle Kunden an.
Er lebt und wirkt im 5. vorchristlichen Jahrhundert in Babylon. D.h. die Israeliten leben in der 2., 3. oder sogar schon 4. Generation im Exil (® Verbannung). Jerusalem und der Tempel mit seinen Festen und Gottesdiensten dort ist nur noch ein ferner Traum. – Hat das Volk im Exil resigniert? aufgegeben? Die Stimmung im jüdischen Ghetto in Babylon ist jedenfalls schlecht. Das Vertrauen zu Gott auf einem Tiefpunkt. Viele Ausleger vermuten, der Prophet kämpfe gegen den Trend, dass Israeliten sich Hilfe bei den Göttern Babylons suchten. Das würde jedenfalls den Nachdruck in der Stimme des Marktschreiers zu erklären.
Also: Konkret wendet sich der Prophet an verzweifelnde Israeliten im babylonischen Exil. Er spricht jene an, die mit Ps 137 klagen: „An den Flüssen Babylons sassen wir und weinten, jedes Mal, wenn wir an Zion dachten…. Fern vom Tempel, im fremden Land, wie könnten wir da Lieder singen zum Lob des Herrn? –Zugleich sind, etwas allgemeiner, Durstige‘ angesprochen. Gemeint ist Lebensdurst, also die Sehnsucht nach dem vollen Leben. Angesprochen sind auch Menschen, die vielleicht mit Ps 42 schreien: „Wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so sehne ich mich nach dir, mein Gott. Ich dürste nach Gott, nach dem wahren, lebendigen Gott. Wann darf ich zu ihm kommen? Wann darf ich ihn sehen?
So flehenden, sich nach Leben sehnenden, bedürftigen, ja notleidenden Menschen verspricht der Prophet: „Gott ist die Antwort auf Eure Sehnsucht. Er stillt euren Durst. Kauft bei ihm, was ihr sucht! Ihr braucht dafür nicht einmal Geld!“ Gleichnishaft greift er wirtschaftliche Zusammenhänge auf. Fast nebenbei und mehr zwischen den Zeilen klingt mit: Im Reich Gottes ist es anders als unter Menschen. Da gilt nicht: ‚Wenn du etwas brauchst, dann kauf es dir!‘ Sondern: ‚Wer sich sehnt darf einfach die Hände zum Empfang öffnen! Und Gott wird Leben in Fülle schenken!‘ Wie der Prophet hier macht es später Jesus in seinen Gleichnissen: Eine bekannte Situation wird verfremdet, um so Gottes Botschaft zu verdeutlichen.
Die Botschaft von Jes 55,1–5 ist: Statt (am falschen Ort) Geld zu verschleudern für NICHT-Brot und NICHT-Wasser, nehmt NICHT-Geld und erhaltet von Gott ‚VIEL-MEHR-ALS-Brot. – Diese Formulierung mag für unser Denken fremd klingen. Sie nimmt aber hebräisches Denken auf. Im Bemühen, so nahe wie möglich am hebräischen Original zu bleiben, übersetzen die Alttestamentler Werner Grimm und Kurt Dittert Jes 55 so. Ich lese noch einmal die ersten Verse, jetzt in dieser Übersetzung:
Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser. Auch wer kein Geld hat – kommt! Kaufet und esset um Nicht-Geld und um Nicht-Preis Wein und Milch! Warum wollt ihr Geld abwägen für Nicht-Brot, den Lohn eurer Schweissarbeit für das, was nicht satt macht? Schenkt mir doch Gehör, dass ihr Gutes zu essen bekommt und sich am Fett eure Seele labe! Neigt euer Ohr und kommt zu mir,Hört zu, dass eure Seele auflebe! Ich will mit euch schliessen einen ewigen Bund. (Jesaja 55,1–3 nach Grimm/Dittert)
I. „Kauft ohne Geld!“ – Ist ein Wirtschaftssystem ohne Geld überhaupt vorstellbar? Auch vor der Erfindung des Geldes wurde schon ‚gewirtschaftet‘ und ‚gehandelt‘. Es gab den Tauschhandel. Man konnte z.B. seine überzähligen Eier beim Nachbarn gegen Gemüse tauschen. Das Prinzip dabei war dasselbe: Wer etwas haben/kaufen will, muss dafür etwas anderes abgeben. Bedürfnisbefriedigung kostet etwas. ‚Wenn du etwas brauchst, dann kauf es dir!‘. So funktioniert das halt. Und es gilt in allen Wirtschaftssystemen.
Deshalb steckt diese Denkstruktur ganz tief in uns drin: Alles kostet etwas! Es gibt nichts geschenkt! – Vermutlich ist diese Art zu denken eines der grössten Hindernisse dabei, Gottes Angebote zu verstehen. Die Struktur seines Reiches unterscheidet sich grundsätzlich von allem, was wir kennen. Bei Gott gilt: Man kann nichts verdienen. Es gibt keine einklagbaren Ansprüche. Aber es gilt das Versprechen Gottes, dass er allen gerecht wird. Für alle will er das volle Leben. Es ist schon alles da. Geschenkt.
Dagegen gehen Menschen von Mängeln aus. Sie wollen ausgleichen bzw. erhalten, was ihnen fehlt. Die Leitfrage ist: Wie kriege ich, was ich haben will oder muss? Wie sichere ich mir mein Stück vom Kuchen? Der Kuchen ist aber, wie wir empfinden, zu klein, um allen alle Wünsche zu erfüllen. Darum suchen wir Wege, soviel wie möglich zu erhalten. Menschliches Wirtschaften beruht darauf, die Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche der einzelnen so gut wie möglich gegeneinander auszutarieren. Es müssen aber alle selbst schauen, wo sie bleiben. Denn wir sind ständig im Wettbewerb ‚Alle gegen alle‘. Das drohende Chaos versuchen wir durch Verträge und Abmachungen einzudämmen (manchmal gelingt es dabei sogar, eine ‚Win-win-Situation‘ zu schaffen). – Das funktioniert gar nicht so schlecht. Vieles lässt sich auf diesem Weg lösen und erreichen. Das zeigt der Wohlstand, den wir erreicht haben. — Und doch gibt es Grenzen: Das Gleichgewicht ist labil. Erfüllte Bedürfnisse wecken neue Begehrlichkeiten. Und es gibt viele Verlierer. Nicht zuletzt verliert das Miteinander, der gesellschaftliche Zusammenhalt. Solange alle in erster Linie für sich schauen (schauen müssen), ist das gegenseitige Vertrauen begrenzt. Es gilt dann eben: ‚Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!‘ – Damit dominiert aber letztlich das Misstrauen. Daraus wächst Pessimismus. Bis dahin, dass man, wenn einem etwas Gutes passiert, der Sache schon gar nicht mehr traut. Nicht einmal, wenn sie von Gott kommt. Eine Legende beschreibt:
„Ein moderner Mensch verirrte sich in der Wüste. Die unbarmherzige Sonnenglut hatte ihn ausgedorrt. Da sah er in einiger Entfernung eine Oase. Aha, eine Fata Morgana, dachte er. eine Luftspiegelung, die mich narrt. Denn in Wirklichkeit ist nichts da. — Er näherte sich der Oase, aber sie verschwand nicht. Er sah immer deutlicher die Dattelpalmen, das Gras und vor allem die Quelle. Natürlich eine Hungerphantasie, die mir mein halb wahnsinniges Gehirn vorgaukelt, dachte er. Solche Phantasien hat man bekanntlich in meinem Zustand. Jetzt höre ich sogar das Wasser sprudeln. Eine Gehör-Halluzination. Wie grausam die Natur ist. Kurze Zeit später fanden ihn zwei Beduinen tot. ‚Kannst du so etwas verstehen?‘ sagte der eine zum anderen, ‚die Datteln wachsen ihm beinahe in den Mund. Und dicht neben der Quelle liegt er verhungert und verdurstet. Wie ist das möglich?‘ Da antwortete der andere: ‚Er war ein moderner Mensch‘!
II. So weit kann es gehen. Es ist gefährlich, wenn Menschen nur dem eigenen Denken trauen und glauben, ganz allein verantwortlich für ihr Glück zu sein. — Im Reich Gottes funktioniert es anders. Da geht es nicht um Gewinnmaximierung für einzelne. Ziel ist vielmehr das Wohlergehen aller. Und das ist nur gemeinsam zu erreichen.
Das mag verdächtig klingen, schon fast ‚kommunistisch‘. Die Christen haben es, ohne Marx oder Engels zu kennen, in der ersten Zeit nach Pfingsten radikal gelebt. Sie lebten zusammen und teilten alles miteinander (vgl. Apg 2,42–47; 4.32–35). Manche Ausleger reden tatsächlich von ‚urchristlichem Kommunismus‘. Dabei ist dem Kommunismus spätestens seit 1989 wirtschaftlich nichts mehr zuzutrauen. Selbst China, noch heute von einer dem Namen nach kommunistischen Partei geführt, wirtschaftet längst kapitalistisch.
Ist die Wirtschaftsordnung im Reich Gottes kommunistisch? – Ich glaube nicht. Eher verliert unter Gottes Regieren die Wirtschaft jede Bedeutung. Wenn seine Liebe alle prägt, dann braucht es ja kein System zum Bedürfnis- und Interessenausgleich mehr. Darauf weist Jesaja 55 hin mit der Einladung, ohne Geld bei Gott alles zu kaufen. Jesus selbst bestätigt dies mit seinem sog. ‚Heilandsruf‘ (Mt 11.28): ‚Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid!‘ Es ist keine Vorleistung zu erbringen, kein Preis zu zahlen. Mängel und Belastungen können entsorgt werden. Bei ihm dürfen wir aufatmen. – Oder denken wir an das ‚Ich-bin-Wort‘ in Jh 6,35: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ D.h. doch: Der Durst nach Leben wird gestillt, die Sehnsucht nach Fülle befriedigt. Einfach so. – Vielleicht hat das Reich Gottes gar keine Wirtschaftsordnung. Und falls doch, dann funktioniert sie völlig anders als wir es erwarten würden. Die Spielregeln im Reich Gottes sind nämlich:
- Kein Preisschild. Weder Leistung noch Geld sind Voraussetzung, um von Gott beschenkt zu werden. Wir dürfen einfach die Hände öffnen und empfangen.
- Was jemand mitbringt oder vorweisen kann, spielt KEINE Rolle. Alle aber dürfen loswerden (d.h. gebührenfrei entsorgen), was sie belastet.
- Ausgangspunkt ist nie der Mangel, sondern die Fülle, die Gott schenkt.
- Es gibt keinen Wettbewerb und keine Ranglisten!
- Motto ist nicht ein misstrauisches Alle gegen Alle. Vielmehr heisst das Leitbild: Alle miteinander und mit Gott!
III. Jesaja 55,1–5 hat mich nach dem Wirtschaftssystem im Reich Gottes fragen lassen. Beim Nachdenken wird mir bewusst: Die Wirtschaft, die in menschlichen Gesellschaft Vieles, ja fast alles dominiert, verliert ihr Gewicht im Reich Gottes völlig. Da gelten ganz andere Werte und Maximen. Wobei das nicht nur die Wirtschaft, sondern die Gesellschaft insgesamt betrifft. Wo Gott regiert, dominiert weder das Ich (wie in den westlichen Gesellschaften) noch das Wir (wie in totalitären Gesellschaften). In seinem Reich kommen sowohl Ich als auch Wir zu ihrem Recht. Und beide werden in Bezug gesetzt zu Gott. Man könnte auch sagen: In Gottes Reich kommt Dreiklang Ich-Wir-Gott (bzw. Selbstliebe, Nächstenliebe und Liebe zu Gott) harmonisch zum Klingen.
Das ist übrigens auch das Thema des Berichtes der Distriktsvorsteher an die Jährliche Konferenz. Ich weise gerne noch einmal darauf hin und lade zu Download und Lektüre ein. Die DV’s zeigen darin auf, wie das Ich sich im Wir nicht auflösen muss, aber aufgehoben wird. Dazu stellen sie die Begriffe ‚Bund‘ und ‚Vertrag‘ einander gegenüber. Und da heisst es dann u.a.:
- In einem Vertrag verfolgen die Partner je ihren eigenen Vorteil. In einem Bund hingegen verbinden sich Partner, um gemeinsam zu tun und zu erreichen, wozu sie je für sich allein nicht in der Lage wären. – Ein Vertrag ist ein Tauschhandel, ein Bund eine Beziehung.
- Inhaltlich ist der Bund ein Programm zur Gestaltung einer Gesellschaft, die Leben fördert, eines ‘Wir’ und in engster Verbundenheit mit Gott.
- Es geht darum, als Einzelne und als Gemeinschaft aus dem Hören und der Kraft Gottes gemeinschaftliche Verantwortung füreinander und für andere zu übernehmen.
Zuletzt: Im Predigtthema habe ich auch die Frage gestellt: Ist Gott ein ‘billiger Jakob’? – Das beantworte ich abschliessend klar und deutlich mit: JA und NEIN. Ja, wenn es bedeutet, dass sein Angebot unschlagbar ist. Nein, wenn wir auf die Qualität seines Angebots schauen. Was Gott uns anbietet, ist von unübertroffener Qualität. Oder, wie es Jes 55 sagt: Kauft bei mir ohne Geld Wasser, Brot, Milch, ja sogar Wein. Hört mich an und kommt zu mir! Hört, dann lebt ihr auf! Ich will mit euch einen Bund schließen, der für immer besteht. Amen