Eine Predigt in drei Portionen, gehalten am 21.08.2022 in der EMK Adliswil
Portion I: Ein Ferienerlebnis
- Die Ferienzeit ist vorbei. Morgen geht es wieder los! ® Vorfreude, aber auch Bammel: Was kommt auf mich zu? Schaffe ich es? Reicht meine Kraft? Finde ich Unterstützung, wo ich sie brauche? – Schöne Zusage: „Gott gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark“! – Wage ich es, mich darauf zu verlassen? Oder suche ich nach zusätzlichen Sicherheiten?
- Neuanfang oder neue Runde wie eine Bergwanderung. — Ich erzähle von einer Wanderung, die wir in den Ferien gemacht haben.
- Vor 40 Jahren: Ferien in Zinal mit Herkunftsfamilie. Tracuit-Hütte SAC am Weisshorn als Traumziel. Es kam damals nicht dazu. Mein Vater erwischte eine Sommergrippe. Meine Mutter traute sich die Wanderung mit uns Kindern nicht alleine zu (über 4 h Aufstieg; ~ 1700 m Höhendifferenz; Ziel auf über 3200 m). Ich war noch zu jung, um die Verantwortung für Mutter und jüngere Geschwister zu übernehmen. ® unerfüllter Traum
- Vor 2½ Wochen mit WoMo nach Zinal gefahren, eigentlich eher zufällig. Dort erwachte der Traum, zur Tracuit-Hütte auf 3259 MüM zu wandern, wieder. Das Wetter war gut. Wir entschlossen uns, den Versuch zu wagen.
- Respekt, einerseits wegen der konditionellen Anforderung, andererseits wegen dem Schwierigkeitsgrad. Vor 40 Jahren einfach ein rot-weiss markierter Bergweg, ist die Route heute als Kategorie T4 klassiert, d.h. eigentlich blau-weiss. Mir ist bewusst, dass das für mich, der ich nicht schwindelfrei bin und manchmal gegen Höhenangst kämpfen muss, stellenweise grenzwertig werden kann.
- Zunächst zwar sehr steiler, aber breiter und gut gesicherter Weg. Kein Problem also.
- Nach der Hälfte weitet sich eine Mulde, die ziemlich sanft anzusteigen scheint (hier ^rückwärts‘ fotografiert). Die Hütte ist in der Ferne schon erkennbar. Die Morgensonne taucht alles in ein freundliches Licht. Und wir haben ja schon 1000 Höhenmeter geschafft: Zuversicht. Freude. Dankbarkeit
- Nach und nach wird der Weg wieder steiler. Und schmaler. Ausserdem beginne ich die Höhe zu spüren. Wir nähern uns der 3000er-Grenze.
- Der Atem geht schnell und heftig. Das Herz pumpt mit aller Kraft. – Aber die Hütte kommt näher. Keine Frage. Umkehren will ich nicht. Es ist zu schaffen.
- Der Weg wird immer steiler! Geht das überhaupt? – Immer häufiger muss ich die Hände zu Hilfe nehmen. Und alle 20 Schritte verschnaufen. Ich bin körperlich an der Leistungsgrenze. Doch die Hütte ist so nahe.
- Zuletzt: Eine Felswand, vielleicht 10–15 Meter hoch, zwar nicht senkrecht, aber doch sehr steil. Es scheint gute Tritte zu geben. Eine Eisenkette ist als Hilfe fest montiert. Dennoch: Das ist nicht mehr Wandern, sondern Klettern. Schaffe ich das? Klettern ist definitiv nicht meine Stärke. Und vor allem: Da muss ich nachher auch wieder hinunter. Und das ist ja noch schwieriger. – Ich sehe Pia an, dass sie sich fragt, ob ich jetzt so kurz vor dem Ziel aufgebe. Der Gedanke ist auch kurz da. Doch ich schiebe ihn weg. Nicht lange nachdenken. Den Schwung ausnutzen, solange er noch da ist. Und darauf vertrauen: Pia wird mir beim Abstieg helfen können, falls ich steckenbleibe.
- Das Felswändchen überwinde ich schneller als gedacht. Der Blick wird frei. Man sieht die Gletscher. – Noch ein kurzer Grat. Zwar auch mit Sicherungsseilen versehen. Doch ihn zu überwinden scheint mir schon fast ein Kinderspiel.
- Und dann ist es geschafft. Die Hütte ist erreicht. Der Kaffee, obwohl ‚nur‘ gefriergetrocknetes Pulver angerührt, schmeckt herrlich. Und der Blick auf die Gletscher und hinauf zum Weisshorn ist unvergleichlich.
- Sogar ein ‚Sofa‘ gibt es in der Geröllhalde, auf dem ich es mir einen Moment lang bequem mache.
- Dann geht es an den Abstieg. Schnell sind wir wieder beim Felswändchen. Dieses abwärts zu bewältigen, ist für mich heute die grösste Herausforderung. – Pia geht voran. Und nachher dirigiert sich mit von unten Schritt für Schritt und Griff für Griff. Alleine wäre ich in dieser Felswand steckengeblieben und würde vielleicht noch heute dort hängen. So aber geht es gut und schnell vorbei.
- Beim Weiterwandern merke ich, dass die Kraftreserven durchaus noch ok sind. Und so nehmen wir sogar noch einen Umweg und zusätzliche 100 Höhenmeter unter die Füsse.
- So stehen wir dann beim Kreuz auf dem Roc de la Vache. Direkt am Abgrund. Dahinter geht es 600 m senkrecht in die Tiefe.
- Auf dem Kreuz steht, aus Psalm 46: „Der Herr ist mein Fels und meine Burg und mein Erretter!“ — Eine wichtige Erinnerung: Darauf will ich vertrauen. Und mir wird bewusst: Ohne Vertrauen wäre diese Wanderung nicht gelungene Vertrauen in die Fähigkeiten, die mir geschenkt sind. Vertrauen in die Erfahrungen, die wir in den Bergen schon gemacht haben. Vertrauen darauf, dass Pia mich an heiklen Stellen unterstützen kann. Vertrauen darauf, dass mir die nötige Kraft geschenkt wird. Vertrauen auf Gottes Segen und Bewahrung, die immer mit mir sind (damit will ich nicht sagen, dass Gefahren und Grenzen ausser Acht gelassen werden dürften oder sollten. Auf einer anderen Wanderung zu Beginn unserer Ferien haben wir vor dem Ziel umgekehrt, weil wir merkten, dass die Kondition noch nicht reichte).
- Dennoch: Ob das Ziel einer Bergwanderung. Ob ein neues Schuljahr. Ob der Wiedereinstieg in den Berufsalltag. Ob die Lancierung eines neuen Projekts. Ob neue Verantwortung oder eine neue Aufgabe. – Was auch immer ansteht: Wir sind eingeladen, es mutig anzugehen. Vielleicht muss man sich da und dort ein wenig überwinden. So wie ich am Felswändchen unterhalb der Tracuit-Hütte. Und wir können uns darauf verlassen, darauf vertrauen: Gott begleitet, stärkt, hilft uns … Schritt für Schritt. Es gilt: „Der Herr ist mein Fels und meine Burg und mein Erretter!“
Portion II: Vertrauend glauben
Die Predigt gibt es heute in drei Portionen. Nach der ersten Portion in Form des Erlebnisberichts folgt als zweite Portion ein kleiner Werbespot für ein Buch: Geschrieben von Marc Nussbaumer, seines Zeichens frisch pensionierter EMK-Pfarrerkollege. Seine Auslegung des Galaterbriefes trägt den Titel: Mutig glauben in undurchsichtigen Zeiten – ein Fall für Paulus.
Ich habe eben schon vom Vertrauen gesprochen. Vertrauen ist die Grundstruktur unseres Glaubens (oder sollte es jedenfalls sein). Ohne Vertrauen kann man nicht an Christus glauben. – Darum geht es in diesem Büchlein.
Als Paulus zu Beginn der 50er Jahre des 1. Jh diesen Brief schreibt, ist er emotional aufgewühlt. Das scheint in den 6 Kapiteln des Gal deutlich durch. Er ist verwundert, besorgt, ja ratlos ob den Nachrichten, die ihn aus Galatien erreichen. Kaum mehr als 1–2 Jahre sind vergangen, seit er dort das Evangelium von Jesus Christus verkündigt hat. Und er hat sich gefreut, wie die Menschen dort die gute Nachricht aufnahmen, wie sie Befreiung erlebten und wie begeistert sie begannen, diese Freiheit zu leben. Sie vertrauten darauf, von Christus erlöst zu sein. Sie waren Angst, Schuldgefühle, Sorgen, Druck los. Und hochmotiviert, die Gnade und Liebe Gottes in Christus zum Lebensmotto zu machen, darauf zu vertrauen und sie weiterzugeben.
Und nun? Man hat Paulus erzählt, dass andere Missionare in die Gemeinde gekommen wären. Die hätten gesagt: Vertrauen, Liebe, Gnade … das sei ja alles gut und recht. Aber damit habe man doch nichts in den Händen. Es gäbe Regeln, die zu befolgen mehr Sicherheit verleihe: Die Beschneidung; das Einhalten von bestimmten Zeiten und Rhythmen; das Gesetz. Wer das alles einhalte, könne mit seiner Lebensführung sich selbst und anderen beweisen, von Christus gerettet zu sein. Kurz zusammengefasst: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Dies zu hören bringt in Paulus das Blut zum Kochen. Nicht weniger als einen Rückfall in alte Zeiten diagnostiziert er. Wem der Zuspruch Christi nicht reicht, macht sich abhängig von Regeln. Bringt sich wieder unter Druck, sich anzustrengen. Und landet bei der deprimierenden Erfahrung: Alle Anstrengung reicht nicht. Ich kann nicht aus eigener Kraft gut genug sein. – Sehr direkt fragt Paulus die Galater (etwas flapsig in meinen Worten): ‚Hat es euch eigentlich ins Hirn geschneit? Ihr habt die Freiheit in Christus erfahren und genossen. Und nun geht ihr freiwillig zurück unter die Herrschaft des Gesetzes? Das ein strenger Zuchtmeister ist? … Ja, geht es denn eigentlich noch?
Marc Nussbaumer arbeitet in seinem Büchlein sehr eindrücklich heraus: Das Grundproblem der Christen in Galatien und vieler Gläubiger heute ist fehlendes Vertrauen. Es wurzelt in einer übertriebenen Sucht nach Sicherheit. Statt darauf zu vertrauen, dass Christus alles für uns getan hat und tut, versuchen wir die Sache selbst abzusichern… erstellen Regeln und Kriterien, was ein Christ müsse, was eine Christin keinesfalls dürfe … Damit stressen wir unser Miteinander, unsere Gemeinschaft. Und wir stressen uns selbst. Schliesslich können wir so ja auch selbst sicher sein, ob wir genug tun, genug glauben, richtig glauben…. Dabei verliert das Evangelium seine Kraft. Zu glauben wird so anstrengend, sehr sogar.
Der grundlegende Irrtum besteht darin, dass wir immer wieder meinen, es gehe darum, richtig zu glauben. Dabei ging es Jesus nie um die richtige Lehre oder das korrekte Glaubensbekenntnis. Wer es nicht glaubt, lese in den Heilungsgeschichten der Evangelium nach. Er fragt zwar nach dem Glauben. Doch es geht dabei nicht um Inhalte oder Lehren. Es geht um die Beziehung. Die Frage Jesu ist immer wieder: Vertraust du mir? Traust Du mir zu, dass ich Dir helfen kann? Und nach erfolgter Heilung der Zuspruch: „Dein Vertrauen hat sich gelohnt!“ Oder eben: „Dein Glaube hat dich gerettet!“
Glaube ist nichts anderes als Vertrauen. Vertrauen zu Gott. Vertrauen in Christus. Vertrauen, dass er getan hat und tut, was nötig ist. Damit rechnen, dass zählt, was er uns zugesagt hat. Und auf dieser Basis mutig leben, lieben, dienen … ohne Leistungsdruck, in aller Freiheit und in der felsenfesten Gewissheit: Ich gehöre zu Jesus Christus. Dank ihm heisse ich nicht nur Kind Gottes, sondern bin es.
Marc Nussbaumer schreibt, damit keine Missverständnisse aufkommen, immer wieder ausdrücklich vom ‚vertrauenden Glauben‘. Das ist die Einladung und das Geschenk Gottes. – Vielleicht wären wir gut beraten, uns diese Formulierung anzueignen: Vertrauender Glaube. Und uns so immer wieder zu erinnern. Einladung und Aufforderung zugleich ist immer wieder ‚nur‘: Gott zu vertrauen.
Portion III: “Sei mutig!”
Jede Predigtportion ist heute etwas kürzer als die vorangehende. – Soviel habe ich nun begriffen: Ich darf mich auf Jesus verlassen. Das ist das A und das O. Mehr braucht es nicht. Darauf Vertrauen, dass er alles für mich getan hat und tut. Dass ich in seiner Hand sicher bin. Und dass ich also mutig lieben, leben, dienen kann…
Es gibt da nur ein Problem: Ich bin ein Angsthase! Man sieht mir das zwar nicht an. Ich gebe und fühle mich oft souverän, gelassen, zuversichtlich. Ich fühle die Angst selten. Aber das hat nicht damit zu tun, dass ich so mutig wäre. Sondern es liegt daran, dass ich Situationen, in denen ich Angst fühlen könnte (oder in denen Vertrauen gefragt wäre), in denen ich an Grenzen kommen könnte, sorgfältig meide. Durch detaillierte Planung lange im Voraus. Oder indem ich darauf achte, nicht zu hohe Erwartungen zu wecken. Vermeidungstaktiker wie ich können sehr kreativ sein, wenn es darum geht, sich und anderen vorzugaukeln, dass man furchtlos sei. Wenn einem dann aber das Heft aus der Hand rutscht und die Kontrolle verloren geht, dann ist die Angst da. Und wie! Ich bin dann wie gelähmt. Versuche mir Vertrauen und Glauben einzureden. Doch das funktioniert dann auch nicht mehr und kommt im Herzen nicht an.
Josua, der Nachfolger Moses im Alten Testament, war aus ganz anderem Holz geschnitzt als ich. Als Kundschafter im gelobten Land liess er sich nicht einschüchtern von der Wehrhaftigkeit der Bewohner. Später sagte er Ja zur Aufgabe, Israel nach Kanaan zu führen. Er brachte alle Anlagen mit sich, ein Held zu werden. Dennoch bekommt er am Jordan, an der Schwelle zum gelobten Land, von Gott zu hören: „Ich sage dir noch einmal: Sei mutig und entschlossen! Hab keine Angst und lass dich durch nichts erschrecken; denn ich, der Herr, dein Gott, bin bei dir, wohin du auch gehst!“ (Jos 1,9)
Warum mahnt Gott einen mutigen Kundschafter und tatkräftigen Leader, keine Angst zu haben? Ich glaube, dass es mit Kontrolle abgeben zu tun hat. Entscheidend sind weder Mut noch Angst. Nicht die eigene Kraft gibt den Ausschlag. Und auch nicht eigene Grenzen. Sondern entscheidend ist, dass Gott mitgeht. Darin liegt das Geheimnis. Es geht nicht darum, dass ich alles kontrolliere und die Sache im Griff behalte. Das kann ich sehr oft ja gar nicht. Es ist eine Energieverschwendung sondergleichen, wenn ich es dennoch versuche. Und es überwindet die Angst nicht, sondern verstärkt sie.
Angsthasen, wie ich einer bin, sind ganz besonders herausgefordert und eingeladen, die Kontrolle abzugeben. Sich Gott anzuvertrauen. Sich darauf zu verlassen, dass er mitgeht. Sich führen zu lassen. Und zu entdecken, dass die Angst kleiner wird, wo immer man sich auf den verlässt, der überall und immer mitgeht. Ist das nicht eine tolle Zusage? „Ich sage dir noch einmal: Sei mutig und entschlossen! Hab keine Angst und lass dich durch nichts erschrecken; denn ich, der Herr, dein Gott, bin bei dir, wohin du auch gehst!“ Amen