Hören und reden lernen

Markus 7,31–37

Predigt am 04.09.2022 in der EMK Adliswil

Kirchen­fen­ster von Felix Hoff­mann in der Kirche Bel­lach SO

was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei? – Die sprich­wörtlich gewor­dene Frage ist unbeant­wort­bar. Denn es kommt jedes Huhn aus einem Ei und jedes Ei aus einem Huhn.

Und wie ist es beim Hören und Reden? Was war zuerst? Was ist wichtiger? Gibt es darauf eine Antwort? – Viele Men­schen heute ver­hal­ten sich, als wäre das Reden wichtiger. Man muss sich ja aus­drück­en kön­nen, sich zu verkaufen wis­sen. Wer nicht präzis und ele­gant for­mulieren kann, erre­icht nichts. Wer aber über gute sprach­liche Fähigkeit­en ver­fügt, diese noch mit entsprechen­der Mimik, Gestik, Klang­farbe unter­stützen kann, kommt vor­wärts. Und wer die Kun­st der Kom­mu­nika­tion in ver­schiede­nen Sprachen beherrscht, dem sind kaum Gren­zen geset­zt. Also: Das Reden ist wichtiger, kommt zuerst! – Oder vielle­icht doch nicht?

Tat­sache ist doch, dass nur Reden lernt, wer Zuhören kann. Kleinkinder ler­nen über Nachah­mung reden. Dabei spielt das Zuhören eine entschei­dende Rolle: Ein Baby kann sich zunächst durch Rufen oder Schreien bemerk­bar machen. Aber schon bald begin­nt es, die Men­schen um sich herum zu beobacht­en. Es hört genau hin, zuerst auf den Klang der Stimme, dann auf Laute, dann auf Worte. Und so lernt es. Sein Schreien bekommt ver­schiedene ‚Tonarten‘. Es begin­nt, mit sein­er Stimme, sein­er Zunge, seinem Mund zu exper­i­men­tieren. Gesten, Blick­kon­tak­te, Mimik unter­stützen mehr und mehr. Und so entwick­elt das Kind seine Sprache. Was zunächst oft noch sehr orig­inell klingt, wird immer ver­ständlich­er. Und schon bald kann man mit dem Kind reden, ihm Geschicht­en erzählen, Anweisun­gen geben, seine Fra­gen beantworten.

Dem­nach kommt das Hören vor dem Reden. Wer nicht hören kann, hat es schw­er, ver­ständlich zu reden. Darum ist es z.B. für Gehör­lose sehr schwierig, die Sprache der Hören­den klar und ver­ständlich zu artikulieren. Selb­st für Men­schen mit eigentlich funk­tion­stüchti­gen Ohren gilt: Wer nicht zuhört, wer nicht auf sein Gegenüber einge­ht, redet an seinen Mit­men­schen vor­bei, beant­wortet Fra­gen, die kein­er gestellt hat oder referiert über The­men, die nie­man­den inter­essieren… wird also wenig Erfolg haben beim Reden.

Das Hören kommt also zuerst, ist wichtiger. Genauer: Das Zuhören. Es geht um mehr als ‚tech­nis­che‘ Hör­fähigkeit. Es geht darum, das Gesagte aufzunehmen, auf das Gegenüber einzuge­hen. Im Deutschen kann Hören bei­des bedeuten. Viele Sprachen aber unter­schei­den: ascoltare – sen­tire (ital.); écouter – enten­dre (frz.); lis­ten – hear (engl.), genau­so übri­gens der CH-Dialekt: lose – ghöre. Also: Zuerst Reden oder zuerst Hören? Ganz klar: Zuhören.

Vorhin haben wir gesun­gen: Herr, gib uns Mut zum Hören. – Braucht Zuhören Mut? Wenn ja, warum? – Jeden­falls ist Zuhören, Hin­hören, keine Selb­stver­ständlichkeit. Es bedeutet Aufwand, braucht Energie, kostet etwas.

  • Wer zuhören und auf seine Mit­men­schen einge­hen will, muss aus dem eige­nen ‚Tramp‘ aus­brechen. Den Rhyth­mus, den eigene Ziele vorgeben, ver­lassen und die Hek­tik des eige­nen All­t­ags hin­ter sich lassen. Dazu braucht es Zeit. Allein schon, diese einzuset­zen, bedeutet einen Aufwand.
  • Darüber hin­aus muss ich, wenn ich jeman­dem zuhören will, meine eige­nen Gedanken und Ansicht­en zurück­stellen. Ich muss rel­a­tivieren, was ich schon über mein Gegenüber zu wis­sen meine. Vorurteile sind loszu­lassen. Vielle­icht ist es ja ganz anders, will mein Mit­men­sch etwas ganz anderes sagen als ich erwarte. Und vielle­icht ver­ste­ht er etwas bess­er, weiss er mehr als ich. – Ich muss also Vorschussver­trauen in die Begeg­nung ein­brin­gen und bere­it sein, mich kor­rigieren zu lassen. Das braucht u.U. tat­säch­lich auch etwas Mut.
  • Ausser­dem begebe ich mich damit auf unsicheren – freilich auch: ver­heis­sungsvollen – Boden. Ich kann nicht schon zum Voraus wis­sen, was bei einem Gespräch her­auskom­men wird. Ich kann auch meine Reaktion/Antwort nicht schon fes­tle­gen, bevor ich hinge­hört habe. Ich lasse mich vielle­icht auf ganz Neues ein, wenn ich richtig, sorgfältig zuhöre. Auch deshalb braucht es Mut, zuzuhören.

Wurzeln in unser­er Welt und Gesellschaft nicht viele Prob­leme u.a. darin, dass viel zu sel­ten der Mut, die Zeit und die Sen­si­bil­ität aufge­bracht wer­den, um wirk­lich zuzuhören? Ich meine zu beobacht­en, dass der Mut zum Zuhören sel­ten gewor­den ist. Dage­gen ist die Ten­denz dazu, viel und laut zu reden, oft über­mächtig. Und so ertrinken wir fast in ein­er Flut von Wörtern. Wir lei­den unter der damit ein­herge­hen­den Infla­tion (→ Entwer­tung) der Sprache. Da hil­ft es wenig, dass viele sich rhetorisch dur­chaus gekon­nt verkaufen. Was nützt das, wenn nie­mand zuhört? Es gibt zu viele, die reden und zu wenige, die zuhören. Und so reden Men­schen oft nicht miteinan­der. Son­dern sie kämpfen gegeneinan­der um Aufmerk­samkeit. So reden sie aneinan­der vor­bei. Oder reden/schreien gegeneinan­der an. Hören nicht zu, son­dern inter­pretieren einan­der auf­grund der eige­nen Einschätzung.

Wir hören einan­der zu wenig zu (® ich rede von der ganzen Gesellschaft, nicht ‚nur‘ von uns Chris­ten) Weil wir meinen, uns die Zeit dafür nicht leis­ten zu kön­nen. Weil die Angst um die eigene Bedeu­tung unsere Wertschätzung füreinan­der ein­schränkt. Weil der Takt unser­er alltäglichen Hek­tik und die Leis­tungsziele, die wir uns set­zen das Zuhören als Luxus erscheinen lassen, den wir uns nicht leis­ten zu kön­nen meinen.

Im Ergeb­nis tendieren wir zur Taub­heit und sind vielle­icht sog­ar – trotz geschlif­f­en­em Mundw­erk – stumm. Wir sind wie ein­er, den man zu Jesus brachte, der …. so müsste man Mk 7,32 wörtlich über­set­zen: „…nichts hörte und deshalb nur schlecht reden kon­nte.“ Ste­hen wir als ganze Gesellschaft wie er vor Jesus und bedür­fen der Heilung unser­er Kommunikation?

Ich lese aus Mk 7,31–37

Danach ver­ließ Jesus die Gegend von Tyrus wieder. Er kam über Sidon zum See von Galiläa, mit­ten ins Gebi­et der Zehn Städte. Da bracht­en Leute einen Taub­s­tum­men zu ihm. Sie bat­en Jesus: »Leg ihm deine Hand auf.« Und Jesus führte ihn ein Stück von der Volks­menge weg. Er legte seine Fin­ger in die Ohren des Taub­s­tum­men und berührte dessen Zunge mit Spe­ichel. Dann blick­te er zum Him­mel auf, seufzte und sagte zu ihm: »Effa­ta!« Das heißt: »Öffne dich!«Und sofort öffneten sich seine Ohren, seine Zunge löste sich und er kon­nte nor­mal sprechen. Und Jesus schärfte ihnen ein, nichts davon weiterzuerzählen.ber je mehr er darauf bestand, desto mehr macht­en sie es bekan­nt. Die Leute geri­eten außer sich vor Staunen und sagten: »Wie gut ist alles, was er getan hat. Er macht, dass die Tauben hören und dass die Stum­men reden können .« 

I. Exegetis­ches

Das ist beson­dere Heilungs­geschichte. Mk berichtet aus­nahm­sweise detail­liert über das ‚ther­a­peutis­che‘ Vorge­hen Jesu. Daraus lassen sich Ansätze für Heilung gestörter Kom­mu­nika­tion ableit­en. – Mk zeigt, dass Jesus sehr konzen­tri­ert auf diesen ‚Taub­s­tum­men‘ einge­ht. Und er macht deut­lich, dass genau dieses Einge­hen auf den Patien­ten diesen heilt. Dabei hat die Therapie/Heilung drei Schritte/Phasen:

  • Herz: Jesus nimmt den Kranken bei­seite. Er konzen­tri­ert sich ganz auf ihn. Durch ungeteilte Zuwen­dung, durch Berührun­gen und Gesten spricht er sein vor Ein­samkeit krankes Herz an. Der Taube merkt: Ich bin wahrgenom­men. Ich bin Jesus wichtig. Er küm­mert sich um mich. –Jesus kom­mu­niziert in dieser ersten Phase ohne Worte, nur non­ver­bal – logisch: sein Gegenüber hört ja nichts. Und doch erlebt sich der Kranke so als wert­geschätzt, respek­tiert, ernst genom­men. So wird er offen für Jesus und sein Tun.
  • Ohren: Dann wen­det sich Jesus dem vorder­gründi­gen Haupt­prob­lem, den Ohren, zu. Er berührt die ver­schlosse­nen Organe. Sein Seufzen ist als Äusserung des Mit­ge­fühls zu ver­ste­hen, aber auch als Gebet. Und die Auf­forderung ‚öffne dich‘ ist nicht nur das heilende Wort für die kranken Ohren. Es ist zugle­ich die Ein­ladung: Öffne dich in ganzheitlichem Sinn für Gottes Wirken und für deine Mit­men­schen. – Es geschieht also zweier­lei: Jesus ent­fal­tet seine heilende Kraft. Und der Patient wird ein­ge­laden, sich auf diese Kraft Gottes einzu­lassen, sich ihr zu öff­nen. Es geht nicht nur um Reden und Hören, son­dern ins­ge­samt um die Beziehung zu Gott.
  • Zunge: Zum drit­ten Schritt hält Mk fest, dass sich die ‚Fes­sel sein­er Zunge‘ löst. Das bewirkt vorder­gründig die für unser Empfind­en son­der­baren Ther­a­pie: Jesus berührt die Zunge des Kranken mit seinem Spe­ichel. Eigentlich ist es vor allem Folge des geheil­ten Gehörs. Weil er nun gut hören kann, wird der Patient auch fähig, klar und ver­ständlich zu reden. – Man darf aber dur­chaus auch im weit­eren Sinne inter­pretieren: Dank der inten­siv­en Zuwen­dung durch Jesus lösen sich Block­aden, Krämpfe und Verkrus­tun­gen im Patien­ten und er wird kommunikationsfähig.

Zusam­menge­fasst: Indem ihm Hör­fähigkeit geschenkt, wird der vor­mals Taub­s­tumme kom­mu­nika­tions­fähig. Das deckt sich mit unser­er Erfahrung: Als Red­ner­In­nen beein­druck­en uns Men­schen, die uns das Gefühl geben, ver­standen zu sein. Wenn ich jeman­dem anmerke/glauben kann, dass er meine Sit­u­a­tion, meine Bedürfnisse ver­ste­ht, dann werde ich bere­it und fähig, mich ihm zu öff­nen, d.h. ihm zuzuhören. Gute Kom­mu­nika­toren machen – wie man dem in der Predigtlehre sagt – eine Hörerbesin­nung … und weck­en damit die Bere­itschaft zum Zuhören. Sie hören denen, zu denen sie sprechen, zu oder über­legen sich wenig­stens: Wo und wie sind meine ZuhörerIn­nen von dem, was ich sagen will, betrof­fen? Welche Fra­gen und Gefüh­le kön­nten sie im Blick auf mein The­ma haben? … etc. – Zuhören ist eine wesentliche Voraus­set­zung für gelin­gen­des Reden. Zur Heilung in unser­er Geschichte trägt bei­des bei: Dass Jesus auf den Taub­s­tum­men hört/eingeht. Und dass der Taub­s­tumme ganz auf Jesus hört/ausgerichtet ist.

II. Zuhören lernen

So lese ich diese Heilungs­geschichte als eine her­zliche Ein­ladung und ern­ste Mah­nung, dem Zuhören mehr Aufmerk­samkeit zu geben. Üben, ler­nen zuzuhören. Das ist ein, wenn nicht der Schlüs­sel für eine verbesserte Ver­ständi­gung, zwis­chen Men­schen, aber auch zwis­chen Men­sch und Gott. – Dazu nun abschliessend einige kurze bib­lis­che Gedanke­nanstösse als Motivation.

a) Der Glaube kommt aus dem Hören (Röm 10,17)

Hören, zuhören, ist die Voraus­set­zung zum Glauben. Luther über­set­zte Röm 10,17 etwas ten­den­z­iös und pfar­rerfre­undlich mit: „Der Glaube kommt aus der Predigt!“ Die meis­ten anderen Bibelüber­set­zung haben das kor­rigiert zu: Der Glaube kommt aus dem Hören. – Nur schon deshalb ist die Entwick­lung, Förderung, Heilung unser­er Hör­fähigkeit unglaublich wichtig. Wer nicht zuhören kann, kann nicht glauben, lernt nicht zu vertrauen.

b) Sich von Gott das Ohr weck­en lassen (Jes 50,4.5a)

Zugle­ich ist diese Hör­fähigkeit, die Glauben möglich macht, ein Geschenk. Mir kön­nen und müssen es nicht erleis­ten. Das zeigt die Pas­sage aus dem 3. Gottesknecht­slied, die wir ganz zu Beginn des Gottes­di­en­stes gehört haben, sehr schön: „Gott, der Herr ….lässt mich jeden Mor­gen aufwachen mit dem Ver­lan­gen, ihn zu hören. Begierig horche ich auf das, was er mir zu sagen hat. Er hat mir das Ohr geöffnet und mich bere­it­gemacht, auf ihn zu hören.“

c) Liebe als Schlüs­sel zum Zuhören (Jh 13,34f; Mk 12,29f par)

Wer sich mit­teilen, eine Botschaft an den Mann bzw. die Frau brin­gen will, muss wie Jesus in dieser Heilungs­geschichte inten­siv auf sein Gegenüber einge­hen. Den Mit­men­schen mit sein­er ganz eige­nen Geschichte wahrnehmen. Empathie entwick­eln für seine Gedanken, Fra­gen, Gefüh­le. Dem Gegenüber respek­tvoll, liebevoll, rück­sichtsvoll begegnen.

So lan­den wir schliesslich beim Liebesge­bot als Voraus­set­zung für gelin­gende Kom­mu­nika­tion, also z.B. bei Jh 13,34f: „Ich gebe euch jet­zt ein neues Gebot: Ihr sollt einan­der lieben! Genau­so wie ich euch geliebt habe, sollt ihr einan­der lieben.“ Wobei mir in diesem Zusam­men­hang die markinis­che For­mulierung des Dop­pel­ge­botes noch lieber, weil voll­ständi­ger ist: „Liebe Gott von ganzem Herzen … und liebe deinen Mit­men­schen wie dich selb­st!“ (Mk 12,29f). Liebe ist ein Schlüs­sel zum Zuhören (und Ver­ste­hen). Wenn es stimmt mit mein­er Beziehung zu Gott, zum Mit­men­schen und zu mir selb­st, dann kann sich auf dieser Basis eine gute Kom­mu­nika­tion entwickeln.

d) Pfin­g­sten: Aus dem Hören her­aus reden können

Die Schriftle­sun­gen, die wir gehört haben, zeigen, was Ver­ständi­gung ver­hin­dert und was sie fördert. Beim Turm­bau zu Babel ging es um den Traum von Grösse und Unsterblichkeit. Men­schen die diesem Traum frö­nen, fokussieren sich zu sehr auf sich. Dabei geht die Ver­ständi­gung verloren.

Men­schen, welche die grossen Tat­en Gottes verkündi­gen wollen (® wörtlich­es Zitat aus der Pfin­gst­geschichte) hinge­gen, wer­den ver­standen, sog­ar über die Gren­zen von Sprache und Kul­tur hin­weg. Wobei wohl aus­ge­sprochen wichtig ist, dass dem Pfin­gst­wun­der eine 50tägige Zeit des Schweigens, Betens, auf Gott Hörens voraus­ging. Damit ist Apg 2 ein sehr stark­er Hin­weis darauf: Nur aus dem Hören her­aus kann man so reden, dass auch Ver­ständi­gung erzielt wird.

Also: Die Einladung/Aufforderung heute ist: Arbeit­et mit Gottes Hil­fe an eur­er Hör­fähigkeit – auf Gott und auf eure Mit­men­schen. Es lohnt sich. Denn darin liegt der Schlüs­sel dafür, ver­standen zu wer­den. Nur aus dem Hören her­aus kann die gute Nachricht, das Evan­geli­um, überzeu­gend und glaub­würdig kom­mu­niziert wer­den. Amen

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