Predigt am 13.11.2022 in der EMK Adliswil

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am kommenden Mittwoch werden in Adliswil alle Kirchen rot angeleuchtet. Wir haben uns als AGAP (Arbeitsgemeinschaft Adliswiler Pfarrämter ® Ökumene; auch das Gebäude der Chrischona soll rot angeleuchtet werden) entschieden, bei der Aktion Red Wednesday des katholischen Hilfswerks ‚Kirche in Not‘ mitzumachen. Es ruft weltweit dazu auf, Kirchen und öffentliche Gebäude im November rot anzustrahlen. Dies zum Zeichen der Solidarität für wegen ihres Glaubens verfolgte und diskriminierte Christen auf der ganzen Welt.
Begleitet wird diese Aktion im Sihltal einerseits durch die Ausstellung ‚verfolgte Christen, die vom 13.–30.November in der reformierten Kirche Langnau a.A. zu sehen ist. Und andererseits findet am kommenden Mittwoch, 16.November, um 19.00 bei uns in der EMK ein Informationsveranstaltung mit Podiumsdiskussion statt. Zu Gast sein werden Bischof Bruno Ateba aus Nord-Kamerun und Rolf Brennwald von der Hilfsorganisation Open Doors.
Warum ein Red Wednesday? — Weil für diskriminierte und verfolgte Glaubende jedes Zeichen der Solidarität sehr wertvoll ist. Und weil das Problem der Verfolgung zwar riesig ist und dennoch kaum beachtet wird.
Kirche in Not umschreibt die aktuelle Situation so (die Zahlen sind im Detail z.T. umstritten, aber die Grössenordnung stimmt): In Mitteleuropa ist der christliche Glaube auf dem Rückzug. Damit sinkt auch die gesellschaftliche Bedeutung von Christen. Wir werden marginalisiert und nicht mehr gross beachtet, geniessen aber alle Freiheiten, unsern Glauben zu leben. An vielen anderen Orten der Welt ist es aber gefährlich, Christ zu sein. Diskriminierung, Bedrohung und Verfolgung gibt es auch heute. In rund 62 Staaten – einem Drittel aller Nationen – wird die freie Religionsausübung eingeschränkt oder brutal verhindert. In diesen Ländern leben fast 5,2 Milliarden Menschen. Das sind zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Verstöße gegen die Religionsfreiheit, Diskriminierung und Verfolgung treffen freilich nicht nur Christen, sondern Angehörige aller Religionen. Tatsächlich leiden Christen aber vielerorts in besonderem Masse. Sie haben als kleine Minderheit keine politischen Fürsprecher. Ausserdem gelten sie wegen ihrer Verbundenheit mit Glaubensgeschwistern weltweit als besonders „verdächtig“ und gehören für Extremisten zur meist gehassten Gruppe. — Die Gründe für Verfolgung sind vielfältig:
- weil eine andere Religion als staatstragend gesehen wird, wie in einigen arabischen Ländern und zunehmend auch in Indien.
- weil Religion generell nicht zur Staatsideologie passt, wie in China und Nordkorea.
- weil autokratische Herrscher ihre Macht ausbauen und die Mehrheitsreligion für sich ausschlachten wollen, wie es zum Beispiel in der Türkei passiert.
- weil Extremisten anderer Religionen alle verfolgen, die sich ihrer Ideologie widersetzen (leider muss gesagt werden, dass in dieser Hinsicht umgekehrt auch Christen immer wieder Schuld auf sich geladen haben. Z.B. indem sie diskriminierende Strukturen geschaffen haben, die bis heute nachwirken; Stichwort: Kolonialismus; Rassismus)
- weil Religion missbraucht wird, um politische, wirtschaftliche oder soziale Interessen zu verschleiern.
„Ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden“, sagt Jesus in Lk 21,17. Das ist nicht Geschichte und Vergangenheit. Es ist Gegenwart. – Darum der Red Wednesday am kommenden Mittwoch.
Ergänzend noch der Hinweis: Als wir uns entschieden, beim Red Wednesday mitzumachen, war noch nicht abzusehen, dass die Energie knapp werden könnte. Deswegen doch wieder zu verzichten, kam für uns aber nicht in Frage. Wir würden es als Verrat an verfolgten Christen empfinden, wenn wir um unserer Energie-Absicherung willen auf das Zeichen der Solidarität verzichteten. Selbstverständlich schauen wir als Kirchgemeinden aber sonst sehr auf unseren Energieverbrauch und werden, wo das möglich ist, den Aufwand für den Red Wednesday kompensieren.
So. Und worüber predigt man nun mit diesem Hintergrund? – Ich habe mich für einen Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes entschieden, über den ich letztes Jahr im Advent schon einmal gepredigt habe: Das Sendschreiben an die Gemeinde in Philiadelphia in Offenbarung 3,7–13:
Die Sendschreiben gelten zwar innerhalb der Offenbarung als vergleichsweise ‚einfach‘. Aber auch der gerade gehörte Abschnitt wirkt fremd und z.T. düster. Und immer wieder drängen sich beim Lesen der Johannesoffenbarung Fragen auf, wie z.B.: Wie ist das zu verstehen? Was bedeutet, was da steht, für die Zukunft? Meine Zukunft? Die Zukunft der Menschheit und der ganzen Welt? Warum scheint Gott hier so anders als in anderen Teilen der Bibel? Wo sind seine Liebe und Gnade geblieben?
Gerne weise ich an dieser Stelle auf einige wichtige Punkte zum Verständnis der Johannesoffenbarung hin:
- Die Johannes-Offenbarung gehört zu einer eigenen literarischen Gattung, der sogenannten Apokalyptik. Diese hat eine spezielle Sprache und Vorstellungswelt. In der Bibel gibt es nur einen anderen grösseren Teil, der zu dieser Gattung gehört, nämlich der zweite Teil des Buches Daniel.
- In der Apokalyptik spielen Träume, Bilder und Symbole eine grosse Rolle. Alle darin beschriebenen Visionen sind aber nicht 1:1‑Niederschriften von so geträumten Träumen, sondern literarisch gestaltet.
- Wegen ihrer eigenen Sprach- und Bildwelt eignet sich die Apokalyptik ganz besonders zur Kommunikation im Untergrund. In Verfolgungssituationen wie der, in welche die Jh-Offenbarung hineinspricht, ist es hilfreich, wenn die ‚Obrigkeit‘ nicht versteht, wovon eigentlich gesprochen wird. – Z.B. ist in der Jh-Offb immer wieder von ‚Babylon‘ die Rede. Das ist da aber ein Deckname für die Welthauptstadt Rom. Dafür den Namen Babylon zu verwenden, war weniger gefährlich als offen Rom zu kritisieren.
- Auch die Offb ist zunächst in eine ganz bestimmte historische Situation hinein geschrieben, die der ersten systematischen Christenverfolgung unter Kaiser Domitian in Kleinasien. – Dass und wie ihre Texte darüber hinaus immer wieder transparent wurden für andere Situationen, ist und bleibt ein Geheimnis. Darüber kann man dankbar staunen. Es gibt aber keine Systematik, die das erklären kann
- Die Offenbarung ist ein prophetisches Buch. Prophetie ist im biblischen Verständnis aber nicht, wie viele meinen, die Voraussage der Zukunft. Sondern Prophetie ist die aktuelle Verkündigung des Willen Gottes in eine ganz bestimmte, konkrete Situation hinein. – Geschichts- oder Zukunftspläne aus der Offenbarung abzuleiten ist deswegen genauso falsch wie der Versuch, konkrete geschichtliche Personen als den Antichristen oder als die Hure Babylon zu identifizieren. – Im Blick auf die Zukunft Gottes mit seiner Welt gilt immer das Wort Jesu: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat“ (Apg 1,7)
- Die Offb richtet sich an Christen, die unter Druck sind, mindestens diskriminiert, wenn nicht gar verfolgt werden. – Ich glaube, wer nicht selbst in dieser Situation ist, kann Vieles kaum verstehen, was in der Offenbarung steht. Die Erfahrung zeigt aber immer wieder, dass in Verfolgungssituationen die Offenbarung für Glaubende sehr wichtig werden kann. Wer selbst verfolgt ist, erkennt in der Offenbarung offenbar viel leichter das Trostbuch, als das sie von Anfang an gedacht ist.
Nun bleibt gar nicht Zeit, noch den ganzen Abschnitt auszulegen. Ich beschränke mich im Folgenden auf Aussagen aus den ersten beiden Versen, die ich noch einmal lese: Offenbarung 3,7–8:
»Schreib an den Engel der Gemeinde in Philadelphia:› So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat.– Was er öffnet, kann niemand wieder schließen. Und was er schließt, kann niemand wieder öffnen. –Er lässt euch sagen: Ich kenne deine Taten. Sieh hin, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand wieder schließen kann. Du hast zwar nur wenig Kraft. Aber dennoch hast du an meinem Wort festgehalten und hast meinen Namen nicht verleugnet.
Zunächst: Gehen wir der Einfachheit davon aus, dass mit dem ‚Engel‘ der Gemeindevorsteher oder Leiter der Christen in Philadelphia gemeint ist. Derjenige also, der den Schlüssel zum Gemeindebriefkasten hat, an den man schreiben kann, wenn man die ganze Gemeinde meint. – Man kann – und es wurde auch – lange darüber spekulieren, welche Vorstellungen möglicherweise hinter dieser Bezeichnung stecken. Aber das lenkt m.E. vor allem von der Botschaft, welche dieser Abschnitt vermitteln will.
Von wem kommt die Botschaft? Die Offenbarung des Johannes geht vom auferstandenen und erhöhten Christus aus. Ihm hat Gott alle Vollmacht übertragen. Und hier wird von ihm gesagt bzw. sagt er von sich: Ich habe die alles umfassende Schlüsselgewalt. Der ‚Schlüssel Davids‘ ist ein Passepartout, der in jedes Schloss passt. Weltweit. Im ganzen Universum. Wo Christus öffnet, ist offen. Wo er zuschliesst, bleiben alle aussen vor.
Nun muss man sich vorstellen: Für diskriminierte oder gar verfolgte Menschen gehört es zur täglichen Erfahrung, dass ihnen Türen verschlossen bleiben oder dass sie hinter schweren Toren eingesperrt werden. Andere, die sie nicht mögen, entscheiden darüber, wozu sie Zugang haben und wozu nicht. – Was für ein Trost muss es da sein zu hören: Derjenige, der alle Türen öffnen kann, ist auf meiner Seite. Gott sperrt mich nicht weg, sondern öffnet mir die Tür zum Leben. Und wo andere mich wegsperren, sucht und findet er mich doch. Er hat immer und überall Zugang zu mir, ist bei mir selbst da, wo Folterknechte die Öffentlichkeit aussperren.
Hat schon die Selbstvorstellung tröstenden Charakter, dann erst recht der Zuspruch: „Ich weiss!“ bzw. „Ich kenne!“ Christus kennt die Seinen, er weiss ihre Namen. Er ist sich im Klaren über ihre Situation.
Quälend ist in Diskriminierungen, in Verfolgung und Unterdrückung die Angst davor, dass übersehen werden könnte, was einem geschieht. Wenn niemand wüsste, niemand davon Notiz nehmen würde. Wenn niemand einem glauben würde. Man allein bliebe … Und wenn es verharmlost, nicht ernst genommen würde, wenn man davon zu erzählen versucht. Doch diese Angst, so garantiert Christus, entbehrt jeder Grundlage. Denn er übersieht nichts. Er weiss darum. Und er nimmt uns ernst. „Ich weiss!“, sagt er, bzw.: „Ich kenne dich!“ – Den unter Druck stehenden Christen in Philadelphia ist zugesagt: Was immer mit ihnen geschieht, hinter Mauern des Schweigens – es wird nicht vergessen gehen. Denn Christus weiss. Und er wird es überwinden können.
Christus weiss! Wir werden zwar unseres Glaubens willen nicht verfolgt. Aber wir mögen auch schon Unrecht erlitten haben, verletzt worden sein. Und wir dürfen auch für uns persönlich in Anspruch nehmen: Unsere Ängste; Beleidigungen; Benachteiligungen; herablassende Bemerkungen; Feindschaft; Mobbing; Missgunst; Sorgen, die wir uns machen … Was immer uns geschieht und belastet: Christus weiss darum. Er kennt mich und meine Situation. Er lässt mich nicht damit allein. Und er ist stärker. Mit seiner Hilfe wird es möglich sein, mit allem klar bzw. darüber hinweg zu kommen.
Dafür, dass es einen Ausweg gibt, hat er nämlich schon gesorgt. Er hat eine Tür geöffnet, die niemand zusperren kann. Mit Bezug aufs JhEv (vgl. Schriftlesung aus Jh 10,7–10) lässt sich sogar sagen: Er selbst ist diese Tür für uns. Sie ist und bleibt offen. – Vielleicht ist das in schwierigen Situationen zunächst nur ein Bild. Weil wir den Ausgang nicht, noch nicht sehen. Weil wir den Überblick verloren haben, verwirrt und verirrt sind. Und doch ist es Grund zur Hoffnung. Es gibt eine Tür. Sie ist und bleibt offen. Christus selbst will uns zur Tür werden hinaus in die Freiheit, hinaus ins Leben.
Dazu kommt: Er kennt die Grenzen unserer Kraft. Er weiss, dass uns vielleicht schon ein weiterer Schritt zuviel scheint. Er kennt die grosse Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Wieviel wir wollen und wie wenig wir können. Unser Verzweifeln ab uns selbst, wenn wir nicht schaffen, was wir möchten und meinen zu müssen. Die Selbstzweifel, ob wir denn überhaupt zu etwas zu gebrauchen sein. Ob wir genug glauben, dienen, lieben.
Und setzt dem allem entgegen: Ja, du hast eine kleine Kraft. Aber es ist genug. Es reicht, dass Du immer wieder Anlauf nimmst. Dass Du Dich immer wieder nach mir ausrichtest. Dass Du es versuchst. Es ist genug. Lass dich nicht stressen. — Ich kenne deine Taten. Sieh hin, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand wieder schließen kann. Du hast zwar nur wenig Kraft. Aber dennoch hast du an meinem Wort festgehalten.
Diesen Zuspruch dürfen wir persönlich für uns in Anspruch nehmen. Daran können wir uns halten. – Darüber hinaus reicht Christi Zuspruch in schwierigste Situationen hinein. In Diskriminierung. In Verfolgung. Es gilt: Christus kennt die Seinen. Und er garantiert, dass die Tür für sie immer offen bleibt. Amen