Freue dich, Welt!

Philip­per 4,4–7

Predigt am 18.12.2022 in der EMK Adliswil

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Liebe Gemeinde,

„Freue dich, Welt!“ – Wie meis­tens, vielle­icht in diesem Jahr sog­ar noch stärk­er, ste­ht diese Ein­ladung, ja Auf­forderung ziem­lich quer in der Land­schaft. Zugegeben: Der Advent wäre eigentlich die Zeit der Vor­freude auf Wei­h­nacht­en. Die Zeit zuver­sichtlich­er Hoff­nung. Die Zeit fröh­lich­er Ein­stim­mung auf das Fest. Doch wed­er Vor­freude noch Zuver­sicht sind prä­gende Fak­toren der aktuellen Stim­mung. Im Gegen­teil: Die bedrän­gende Nachricht­en­lage mit Krisen, Kon­flik­ten und Kriegen weltweit belastet. Die Sorge um den offen­sichtlich­er wer­den­den Kli­mawan­del bremst. Die Ner­vosität im Blick auf mögliche Eng­pässe in der Energiev­er­sorgung und wirtschaftlichen Abschwung irri­tiert! – „Freue dich, Welt?“ – Ja, wie denn? Warum denn? Worauf denn?

Es gin­ge um Freude, weil Chris­tus kommt bzw. da ist. Wir warten darauf, dass das offen­sichtlich­er wird. Wir klam­mern uns an die Hoff­nung, dass Christi Werte und sein Reich sich durch­set­zen wer­den. Doch das fällt schw­er! Und immer wieder dro­hen wir beim Warten die Hoff­nung zu ver­lieren, dass er tat­säch­lich im Kom­men ist … schon jet­zt und immer mehr.

Damit geht es uns freilich nicht anders als den allerersten christlichen Gen­er­a­tio­nen. Auch sie erlebten sich und ihren Glauben als bedrängt. Sie waren im Kon­flikt mit jüdis­chen Gemein­den. Sie wur­den von ‚Hei­den‘ belächelt, zum Teil ver­achtet und bisweilen von Staats wegen ver­fol­gt. Die Bedin­gung waren damals auch nicht opti­mal, um freudi­ge Zuver­sicht, ver­trauensvolle Hoff­nung und Glauben zu entwick­eln. Den­noch waren die ersten Chris­ten getra­gen von der Gewis­sheit: „Der Herr ist nahe!“ Das bes­timmte und prägte ihr Lebens­ge­fühl. Sie freuten sich auf, sehn­ten sich nach Christi Kom­men. Sie begrüssten sich mit: „Maranatha! Der Herr kommt bald!“ Das klingt z.B. in Paulus‘ Brief an die Philip­per an. Ich lese den bekan­nten Text aus Philip­per 4,4–7:

Freut euch! Oder eben: „Freue dich, Welt!“ Ein­er­seits: Wir haben bere­its den vierten Advent. Wei­h­nacht­en ist nahe. Es ist höch­ste Zeit, nicht nur vor­wei­h­nach­lichtliche Geschäftigkeit, son­dern vor allem Freude zu entwickeln.

Ander­er­seits: Freude kann man ja nicht ein­fach befehlen oder verord­nen. Was ist denn mit den zahllosen Krisen weltweit? Was läuft in Kranken­häusern und Pflege­heimen? Wie geht es Kranken, Armen, Hungern­den, Ver­fol­gten? Was ist mit denen, die in der Wei­h­nacht­szeit ihre Ein­samkeit deut­lich­er, drän­gen­der spüren als son­st? Viele Leute scheinen wenig Grund zur Freude zu haben. – Kön­nen wir das ein­fach zu Seite schieben? Ver­drän­gen? Ein­fach das Wei­h­nachts­fest feiern und uns freuen, wie gut es uns ger­ade geht? Das wäre doch ego­is­tisch. Herzlos.

Paulus verbindet in seinem Aufruf die Ein­ladung zur Freude mit der Auf­gabe, für andere da zu sein: „Freut euch! Alle Men­schen sollen merken, wie gütig ihr seid.“ So lässt er durch­blick­en: Es geht weniger um ein Gefühl als um eine Hal­tung. Sich zu freuen heisst: Wahrnehmen, dass Gott nahe ist. Daran fes­thal­ten, dass er wirkt. Auf ihn hof­fen, sog­ar gegen den Augen­schein. Sich von ihm prä­gen zu lassen. Und anderen zum Gesicht Christi wer­den. Gottes Güte nicht nur geniessen, son­dern teilen. Weit­ergeben. Sie andere Men­schen erleben lassen, indem wir in Gottes Namen für sie da sind, Zeichen der Nähe und der Liebe schenken.

Der Herr ist nahe. Gott kommt. Nicht erst am Ende der Tage. Son­dern immer wieder: jet­zt! In guten Begeg­nun­gen und Erleb­nis­sen. Im miteinan­der Teilen. Im füreinan­der Dasein. Im einan­der Beschenken. – Zuver­sichtlich auf die Gegen­wart Gottes ver­trauen, das ist die her­aus­fordernde Auf­gabe. Sie lohnt sich. Denn so lässt sich spüren: „Die Freude am Her­rn ist unsere Stärke!“

Es gilt allen: Freut euch! Der Herr ist nahe. – Trotz viel Schwierigem. Adventlich­es Warten auf das Kom­men Gottes vol­lzieht sich in ein­er Span­nung: Wir erken­nen kleine Zeichen von Gottes Gegen­wart … und wün­scht­en uns viel mehr. Jet­zt. – Wir erleben Gottes Kraft fein, hin­ter­gründig … und wün­scht­en uns, dass er die macht­gieri­gen Ego­is­t­en, die weltweit über Leichen gehen, endlich stoppt. Die Kriegs­maschiner­ie zum Erliegen bringt. Dem Macho-Getue auf dem Rück­en von Mil­lio­nen lei­den­den ein Ende bere­it­et. Die Let­zten Erste sein lässt.

Ja, die Span­nung ist da und sie ist gross: zwis­chen Hoff­nung und Ent­täuschung. Zwis­chen Glauben und Zweifel. Zwis­chen Freude und Trau­rigkeit. Zwis­chen Feiern und Lei­den. Schon Paulus lebte in dieser Span­nung. Er schreibt: Freut euch in dem Her­rn allewege Und aber­mals sage ich: Freut euch! – Dabei hat­te er selb­st kaum Grund zur Freude. Immer­hin schreibt er aus dem Gefäng­nis an die ihm liebge­wor­dene Gemeinde in Philip­pi. Er ist im Gefäng­nis, abgeschnit­ten vom nor­malen Leben. Auf sich selb­st zurück­ge­wor­fen und doch voller Sehn­sucht nach den anderen. Der­er sehn­süchtig gedenk­end, die ihm beson­ders nah­e­s­tanden. Ver­mut­lich in Angst um das eigene Leben — und doch den anderen draußen mit let­zter Kraft zurufend: Sor­get nicht! Äng­stet euch nicht! Im Gegen­teil: Freut euch! Der Herr ist nahe.

Wie aus zugeschnürter Kehle kommt sein Aufruf zur Freude: Bald, bald wird dieses Elend hier ein Ende haben. Denn der Herr ist nahe. Er wird kom­men und aller Angst, allem Leid ein Ende machen. Sehr real, und eben noch zu seinen Lebzeit­en, hat Paulus Ihn erwartet, der alle Angst in Freude, den Stre­it in Frieden, alle Heil­losigkeit in Heil würde ver­wan­deln kön­nen. Warum soll­ten wir Angst haben? Worum soll­ten wir uns sor­gen? Der Herr ist doch nahe. Er kommt. Deswe­gen: Freut euch!

Wirk­lich? Kein­er von uns wartet so wie Paulus auf den wiederk­om­menden, nahen­den Her­rn. Die Wiederkun­ft Christi ist in unserem Glauben in den Hin­ter­grund gerückt. Löst nach 2000 Jahren Warten eher Fra­gen aus. Aber wir rech­nen fest damit, dass der, der in Chris­tus Men­sch gewor­den und unserem Leben ganz nahe gekom­men ist — dass der uns immer wieder begeg­net. Jet­zt. Heute. Mor­gen. Durch den heili­gen Geist ist er da in unserem All­t­ag. Er kommt immer wieder zu uns. Gott ist da, ist mit dabei in unserem manch­mal schö­nen, oft aber auch angstren­gen­den, manch­mal schwieri­gen, vielle­icht von Angst erfüll­ten und von Sor­gen gefes­sel­ten Leben. Deswe­gen: Freut euch!

Wie wird dieser Grund zur Freude greif­bar in unserem Leben? Wie merken wir, dass Paulus Ein­ladung uns gilt — uns verän­dern will und verän­dern kann? Wie ler­nen wir zu sin­gen: ‘In Dir ist Freude, in allem Lei­de’?

Ich glaube, das Geheim­nis beste­ht darin, immer wieder an der Grun­der­fahrung des Glaubens anzuknüpfen. In der Nacht, als Jesus zur Welt kam, hat sich der Him­mel geöffnet. Es ist klar und hell gewor­den über Beth­le­hem. Ähn­lich habe wir, als uns Chris­tus zum ersten Mal begeg­nete, als wir glauben lern­ten, erlebt: Es wird hell im Leben — wie damals in der Wei­h­nacht­snacht. Und es gab sei­ther immer wieder Momente, in denen Gottes Freude ganz zu uns durchge­drun­gen ist. Gute Erfahrun­gen liessen uns direkt spüren, wie nahe er unserem Leben ist. Da war es, als gin­ge der Him­mel auf. — Ich weiss: Diese Momente sind sel­ten und kurz. Sie verge­hen schnell und das andere, das Dun­kle scheint danach umso über­mächtiger — wie bei Paulus im Gefäng­nis. Was dann, wenn wir gefan­gen sind — in unseren Äng­sten, in den Sor­gen um die Zukun­ft, in Müdigkeit, Res­ig­na­tion oder Schmerzen? Gilt auch dann noch: “Freuet euch im Her­rn allewege”?

Erin­nert euch doch, so sage ich mit Paulus, erin­nert euch doch, wie sich für euch der Him­mel geöffnet hat. Erin­nert euch an den Glanz, der euer Leben da ganz erfüllt hat. Erin­nert euch, wie ihr es gespürt habt: Gott ist da, ist bei mir in diesem meinem kleinen und doch so großen Leben. Strahlt von diesen Erleb­nis­sen nicht noch etwas herüber — here­in in die augen­blick­liche Dunkelheit?

Ich glaube, daß Paulus im Gefäng­nis von diesen Erin­nerun­gen lebte. Daß er erfüllt war von seinen Begeg­nun­gen mit dem Aufer­stande­nen. Aus diesen Begeg­nun­gen kon­nte er Kraft gewin­nen, so viel Kraft, dass sie ihm auch in Zeit­en der Not noch als Leben­sre­ser­ven zur Ver­fü­gung standen. Bei sein­er Bekehrung vom Saulus zum Paulus vor Damaskus strahlte ihn ein Licht vom Him­mel an.. Es war ähn­lich wie bei den Hirten auf dem Felde, die die Stimme des Engels hörten und von der Klarheit des Her­rn umleuchtet wur­den. Der Glanz solch­er Erfahrun­gen kann selb­st dunkel­ste Stun­den im Leben noch erhellen — vielle­icht nur ganz spär­lich, aber immer­hin. Es sind dann Reser­ven dann aus den Lichter­fahrun­gen unseres Lebens. Und eben aus solchen Reser­ven her­aus erge­ht der Ruf des Paulus zur Freude, zur Sor­glosigkeit, zur Güte — um uns heute ins Herz gesagt zu wer­den. Denn seht, schon bren­nent alle Kerzen am Kranz und erin­nern uns: Gott kommt uns nahe. Er zögert nicht. “Auf ihr Herzen, lasst euch erleucht­en!” Das ist auch und ger­ade denen gesagt, die im Dunkeln sind, die keinen Grund zur Freude haben. Erin­nert euch an die licht­en Zeit­en, in denen Gott ganz nahe war. Erin­nert euch an den Glanz sein­er Gegen­wart und nehmt wahr, dass er auch heute über eurem Leben liegt. Dass er auch das aller­dunkel­ste Leben erleucht­en kann.

Wie kein ander­er hat dies Jochen Klep­per gesagt. Er, dem die Angst die Luft zum Leben nahm. Er, der in seinen Tage­büch­ern im Advent 1941 von den schw­eren Zeit­en schreibt, aus denen es keinen Ausweg gibt. Er, der unter Qualen nach den let­zten Lichtre­ser­ven sucht. Leise, ganz leise wagt er zu sin­gen: “Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein, der Mor­gen­stern bescheinet auch deine Angst und Pein.”

Die Span­nung bleibt. Es gibt Vieles, was die Freude, die Zuver­sicht bedrängt. Das lässt sich nicht wegdisku­tieren. Aber man muss auch nicht resig­nieren. Ich habe diese Woche einen Satz gele­sen, der mir sei­ther nachge­ht: Hoff­nung ist der Protest gegen meinen ver­meintlich gesun­den Men­schen­ver­stand. (2mal). Das kön­nte ein Rezept sein, um Paulus Aufruf zur Freude umzuset­zen. Protestieren (inner­lich und im Ver­hal­ten) dage­gen, uns die Hoff­nung nehmen zu lassen. Dage­gen hal­ten. Und dabei bleiben: Der Herr ist nahe!

Paulus Ein­ladung ist kein Appell zur fröh­lichen Sor­glosigkeit. Darum kostet es Kraft, ihr Folge zu leis­ten. Die Sor­gen und Nöte wahrnehmen. Sie ernst nehmen. Und den­noch die Freude an Gott zur eige­nen Stärke und zur Herzen­shal­tung machen. Weil sie in der göt­tlichen Zusage wurzelt: Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst und Sor­gen gefan­gen sind. Freut euch, der Herr ist nahe. Amen

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