Wir sahen seine Herrlichkeit

Johannes 1,1–5.9–14

Predigt am 25.12.2022 in der EMK Adliswil

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Gott ist in Jesus Men­sch gewor­den um uns zu erlösen. Darum muss es heute, an Wei­h­nacht­en, gehen. — Doch: Wo knüpfe ich an, um bei dieser Botschaft zu lan­den? Die vier ntl Evan­ge­lis­ten z.B. machen das unter­schiedlich, auf ihre je ganz eigene Weise: Mk lässt die Wei­h­nachts­geschichte weg und begin­nt sein Buch gle­ich mit dem erwach­se­nen Predi­ger Jesus. Lk und Mt erzählen je ihre Wei­h­nachts­geschichte. Dabei fan­gen sie aber nicht bei der Geburt Jesu an. Son­dern sie verknüpfen die Beth­le­hemgeschichte mit den Ver­heis­sun­gen des AT. Dazu über­liefern bei­de einen Stamm­baum von Jesus. Mt führt ihn auf Abra­ham, Lk sog­ar auf Adam zurück. Und Jh, der vierte Evan­ge­list im NT, holt sog­ar noch weit­er aus. Für ihn begin­nt die Wei­h­nachts­geschichte schon mit der Schöp­fung, wie er im Vor­wort (Jh 1) seines Evan­geli­ums schreibt. Sein sog. Pro­log ist eine ganz spezielle Art von Wei­h­nachts­geschichte. Damit will ich mich heute in der Predigt beschäftigen.

In früheren Zeit­en wurde die Ver­wurzelung von Wei­h­nacht­en im ersten Tes­ta­ment bewusst unter­strichen. Das Wei­h­nachts­fest begann oft mit einem Schaus­piel vor der Kirche: Es dreht sich um einen grü­nen (an den Garten Eden erin­nern­der) Baum, zu dieser Jahreszeit deshalb eine – mit roten Äpfeln geschmück­te ‑Tanne. Darum herum wurde der Anfang der Men­schheits­geschichte dargestellt: Adam und Eva, der Baum der Erken­nt­nis und die Schlange. Die Gemeinde erlebte so das erste Dra­ma der Geschichte neu mit: Adam und Eva lassen sich vom Ver­sprechen der Macht ver­führen. Sie wollen sein wie Gott und ver­lieren damit alles. Sie ver­lieren das Paradies und müssen sei­ther das Leben und Über­leben oft hart erkämpfen.

Nach dem Schaus­piel ging die Gemeinde in die Kirche. Und dort hörte sie die Botschaft, dass sich Gott über die Men­schen, die das Paradies ver­spielt hat­ten, erbarmt: Im Men­schen Jesus von Nazaraeth geht er den obdach‑, heimat­los gewor­de­nen Men­schen nach. Gott wird ein Men­sch wie wir und öffnet neu die Möglichkeit zur Gemein­schaft mit ihm. Der Paradies­baum auf dem Vor­platz wurde in der Kirche zum Wei­h­nachts­baum. Statt den Äpfeln des Anfangs wird das Brot des Abendmahls zum Ange­bot. Der Zugang zu Gott ging wieder auf. Und die Gemeinde sang (wie wir es eben tat­en): “Heut schleusst er wieder auf die Tür zum schö­nen Paradeis!” (Stro­phe 6 aus Lied 168: Lobt Gott ihr Chris­ten alle gleich).

Wei­h­nacht­en hat eine lange Vorgeschichte. Sie begin­nt spätestens mit der Paradies­geschichte, wenn nicht schon mit der Schöp­fung. Wei­h­nacht­en ist Gottes Antwort auf die erfol­glose Suche der Men­schen nach dem ver­lore­nen Paradies.

Wei­h­nacht­en bedeutet: Gott schafft die Möglichkeit der grossen Wende für die Men­schen: Der Weg zum Paradies geht wieder auf. Gott will, dass wir find­en, was wir suchen. Es ist uns ver­sprochen, dass die Sucht gelingt, wenn wir seinem Ange­bot in Jesus Chris­tus trauen. Wir kön­nen die Quelle des Lebens finden.

Dazu sind wir in den Stall von Beth­le­hem ein­ge­laden. Beim Kind in der Krippe gilt es neu anzuknüpfen. So find­en wir Hil­fe. So find­en wir das Leben, das wir suchen. Die Begeg­nung mit dem men­schge­wor­de­nen Gott wird uns ver­wan­deln. Sie lässt uns zum Lob Gottes find­en. So wie es die Hirten, von denen Lk erzählt, erlebt haben: „Und sie priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gese­hen hat­ten!“ (Lk 2,20)

Der Evan­ge­list Johannes erzählt nicht von Stall, Hirten oder Weisen. Er fasst die Ein­ladung Gottes in ein Gedicht. Es redet genau wie die Wei­h­nachts­geschichte davon, wie Gott das eisige Schweigen zwis­chen Him­mel und Erde durchbricht:

Johannes 1,1.5.9–14 (Gute Nachricht Bibel)

Wei­h­nacht­en heisst: Gott spricht (wieder) mit uns. Sein Wort kommt zu uns. Das Schweigen ist gebrochen, und wie! Nicht bloss ein Post oder ein weit­ergeleit­etes Mail. Wed­er ein geschriebenes noch ein elek­tro­n­is­ches, son­dern ein lebendi­ges Wort richtet Gott an uns. Er schickt einen Men­schen aus Fleisch und Blut, Jesus von Nazareth.

Er hätte uns vielle­icht auch in einem amtlich beglaubigten Doku­ment mit­teilen kön­nen, dass die Zugangssperre zum Paradies für uns aufge­hoben ist. Aber wir wis­sen ja was passiert, wenn Botschaften zum Juris­ten­fut­ter wer­den. Dann begin­nen die toten Buch­staben zu dominieren und der Inhalt geht ver­loren. Gott aber geht es nicht um Buch­staben, nicht um die reine Lehre, son­dern um das volle Leben. Mit uns leben, mit uns Gemein­schaft erleben will er. Er will von uns ganz ver­standen wer­den. Und das geht nur, wenn er wird, wie wir sind. Darum wird er in Jesus Chris­tus Men­sch. Um die Last des Men­sch­sein mit uns zu teilen. Und um als unser Brud­er den Weg zurück ins Paradies mit uns gehen zu können.

In Jesus spricht Gott nicht nur mit uns. Er wird in sein­er Per­son sicht­bar. In Jesus, so sagt der Jh-Pro­log, ist Gottes Wort sicht­bar und damit begreif­bar gewor­den. Nur an Jesus von Nazareth ist Gottes Willen und Wesen abzule­sen. In sein­er Per­son wird Gottes Her­rlichkeit sicht­bar. Das zeigt sich nach dem Jh-Ev ein­er­seits in Jesu Ver­bun­den­heit mit Gott und ander­er­seits in der Art, wie er den Men­schen begegnet.

Jh betont sehr die enge Beziehung, die Jesus zu seinem himm­lis­chen Vater gelebt hat. In allem, was er tut, geht es darum, Gott gross wer­den zu lassen. Das ist aus Sicht des Jh-Ev Jesu Mis­sion: Wenn er heilt, wenn er predigt, wenn er in die Nach­folge ruft, wenn er lei­det, so geschieht das, damit Gott ver­her­rlicht — groß gemacht wird. Auch seine Begeg­nun­gen mit Men­schen haben nur dies zum Ziel. Jesus ver­mit­telt das volle Leben, damit so der Schöpfer gross wer­den kann. Exem­plar­isch wird das im Jh-Ev an vier Wun­dern gezeigt: (1) In Kana ver­wan­delt Jesus Wass­er in Wein. Er sorgt dafür, dass das Fest weit­erge­hen kann. So zeigt Jesus: Mit Gott zusam­men zu sein, das ist wie ein Fest, bei dem gar nichts fehlt oder knapp ist. (2) Das zweite Wun­der beste­ht in der Heilung eines seit Jahrzehn­ten Gelähmten. Er kann wieder laufen und in die Welt hin­aus gehen. Hier macht Jesus deut­lich: Mit Gott zusam­men zu sein bedeutet Befreiung. Was immer uns läh­men mag, ver­let­zende Erfahrun­gen, eigenes Ver­schulden, vielle­icht auch schick­sal­shafte Gegeben­heit­en. Jesus befre­it aus Läh­mung und Res­ig­na­tion. Mit ihm kann sich das Leben voll ent­fal­ten. (3) Dann erzählt Jh von der Heilung eines Blind­ge­bore­nen. Sie zeigt: Jesus öffnet unsere Augen für Gottes Liebe und Für­sorge. (4) Schliesslich und endlich zeigt das vierte Wun­der im Jh-Ev das eigentliche Ziel. Jesus erweckt seinen Fre­und Lazarus vom Tod. Hier wird klar: Nicht ein­mal mehr im Tod muss die Beziehung zu Gott abbrechen. In Jesus ist die Gemein­schaft mit Gott unz­er­stör­bar. Was er bringt, hat Bestand (Ewigkeit).

Diese vier Wun­dergeschicht­en zeigen für Jh die Her­rlichkeit Gottes auf, die in Jesus sicht­bar gewor­den ist. Nicht weniger als das Leben schlechthin ist in ihm zu uns gekom­men. Und an ihm vor­bei ist Leben gar nicht zu find­en. Das zeigen in den Augen von Jh nicht nur die Wun­der, son­dern auch die Worte Jesu, ganz beson­ders jene Bild­worte, die nur das 4.Evangelium über­liefert. Jesus sagt z.B.: “Ich bin das Brot des Lebens” oder: “ich bin lebendi­ges Wass­er”, ‚d.h. ich bin das Grund­nahrungsmit­tel für euch, damit ihr über­haupt leben könnt.”

Leben gibt es nur mit und durch Jesus Chris­tus. Er ist Gottes Frieden­sange­bot. Wir sind ein­ge­laden, ihm die Hand zu geben. Dann näm­lich geht für uns die Tür zum Paradies  auf. In ihm schenkt Gott uns Fülle und Freude, Heilung und ewiges Leben.

Um Gottes Ange­bot an uns geht es an Wei­h­nacht­en. Damit ist kein­er­lei Zwang ver­bun­den. Man kann es auch auss­chla­gen. Jh macht schon in den ersten Sätzen seines Evan­geli­ums deut­lich, dass es bei­de Reak­tio­nen gibt. Die einen lässt er sagen: „Wir sahen seine Her­rlichkeit!“(Jh 1,14), von anderen aber heisst es: “Die Dunkel­heit hat sich ihm ver­schlossen” (Jh 1,5). – Es gibt beides.

Im Jahre 1777 startete James Cook zu ein­er Expe­di­tion mit dem Auf­trag, neues Land im Paz­i­fik zu erkun­den. Wochen‑, ja monate­lang war er mit sein­er Mannschaft unter­wegs ohne Land zu sicht­en. Immer wieder taucht­en Zweifel auf: Lohnte sich der Aufwand? Gab es über­haupt Land zu find­en? Am 24.12.1777 kam endlich Land in Sicht, eine kleine Insel. Die Mannschaft ging an Land, labte sich an den Frücht­en der Insel, trank von dem Wass­er der Quellen, genoß den sicheren Boden unter den Füßen. Und weil es Wei­h­nacht­en war, feierten sie auf dieser Insel ihr Wei­h­nachts­fest, san­gen unter der Som­mer­son­ne des Süd­paz­i­fiks ihre Wei­h­nacht­slieder und dacht­en an die Geburt Jesu im Stall. Sie erlebten buch­stäblich: Mit Wei­h­nacht­en kommt das Leben. Nach Monat­en auf dem stür­mis­chen Meer hat­ten sie wieder Boden unter den Füßen. Sie hat­ten Land gefun­den, an dem man heimisch wer­den kon­nte. Sie genossen Freude und Fülle, Ruhe nach den Stra­pazen und die Ankun­ft am Ziel. Schliesslich gaben sie dem neuen Land den Namen “Wei­h­nachtsin­sel”. (® Es gibt übri­gens zwei Inseln mit diesem Namen: Die eine liegt nördlich von Aus­tralien im Indis­chen Ozean. Die andere, eben von James Cook und sein­er Mannschaft ent­deck­te, nen­nt sich heute Kir­iti­mati (übri­gens die grösste Koral­lenin­sel weltweit) und liegt im zen­tralen Paz­i­fik, ca. 6‘300 km östlich von Aus­tralien und 2‘000 km südlich von Hawaii)

Wei­h­nacht­en bedeutet: Es ist Land in Sicht. Gott ist Men­sch gewor­den um Dir zu helfen, damit Du wieder Boden unter die Füsse kriegst. Wei­h­nacht­en ist die ersehnte Insel nach langer Fahrt durch die Stürme des Lebens.

So wie damals im Paz­i­fik wohl vor James Cook schon einige Seefahrer die Wei­h­nachtsin­sel ver­fehlt haben, so kann man auch am Wei­h­nachts­fest die ret­tende Insel ver­passen. Vielle­icht ist man abges­tumpft gegenüber den Tra­di­tio­nen. Vielle­icht ist man gefan­gen in den Stür­men des All­t­ags. Vielle­icht hat man die Hoff­nung auf die ret­tende Insel sog­ar aufgegeben. Es ist auch heute nicht selb­stver­ständlich, die Wei­h­nachtsin­sel zu treffen.

Wie gut, dass diese Insel mit einem Leucht­turm aus­ges­tat­tet ist. Jesus sagte ja von sich selb­st auch: „Ich bin das Licht der Welt!“ Er lädt uns ein, Kurs auf ihn zu nehmen, d.h. die Begeg­nung mit ihm zu suchen. Und uns ist ver­sprochen, dass die Begeg­nung mit ihm uns verän­dern wird, so wie sie die ersten Besuch­er an der Krippe verän­dert hat. Die Begeg­nung mit Jesus Chris­tus lässt Lahme gehen und Blinde sehen. Wei­h­nachts­men­schen bekom­men Kraft für ihren Beruf und ihre Fam­i­lie. Sie bekom­men Hil­fe, die Prob­leme anzu­pack­en und sog­ar das eisige Schweigen zwis­chen Men­schen zu durch­brechen. Wei­h­nachts­men­schen bekom­men eine klare Sicht, was jet­zt — nach Gottes Willen — dran ist, Verän­derung und Auf­bruch oder Ruhe und Besin­nung. Weil Wei­h­nachts­men­schen, die die ret­tende Insel gefun­den haben, das alles erleben, wer­den sie dankbar. Und das bedeutet: Die Schlange mit ihrem Geflüster von mehr Macht hat kaum mehr eine Chance, denn die eigentliche Macht liegt in der Ver­bun­den­heit mit Jesus Chris­tus, der die Tür zum Paradies aufschliesst.

Darum lass Dich ein­laden. Die Wei­h­nachtsin­sel hat Tag der offe­nen Tür. Gott wird sicht­bar in Jesus Chris­tus. Er schenkt das Leben pur. Geh hin zu ihm. Lass Dir die Tür zum Paradies öff­nen. Lass dich ver­wan­deln, lass Dir Leben schenken vom Men­sch gewor­de­nen Gott. Lass Dir die Her­rlichkeit Gottes zeigen. So wie Jh in seinem Evan­geli­um schreibt: „Er, das Wort, wurde ein Men­sch, ein wirk­lich­er Men­sch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Her­rlichkeit“                                                                               Amen

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