Predigt am 25.12.2022 in der EMK Adliswil
Gott ist in Jesus Mensch geworden um uns zu erlösen. Darum muss es heute, an Weihnachten, gehen. — Doch: Wo knüpfe ich an, um bei dieser Botschaft zu landen? Die vier ntl Evangelisten z.B. machen das unterschiedlich, auf ihre je ganz eigene Weise: Mk lässt die Weihnachtsgeschichte weg und beginnt sein Buch gleich mit dem erwachsenen Prediger Jesus. Lk und Mt erzählen je ihre Weihnachtsgeschichte. Dabei fangen sie aber nicht bei der Geburt Jesu an. Sondern sie verknüpfen die Bethlehemgeschichte mit den Verheissungen des AT. Dazu überliefern beide einen Stammbaum von Jesus. Mt führt ihn auf Abraham, Lk sogar auf Adam zurück. Und Jh, der vierte Evangelist im NT, holt sogar noch weiter aus. Für ihn beginnt die Weihnachtsgeschichte schon mit der Schöpfung, wie er im Vorwort (Jh 1) seines Evangeliums schreibt. Sein sog. Prolog ist eine ganz spezielle Art von Weihnachtsgeschichte. Damit will ich mich heute in der Predigt beschäftigen.
In früheren Zeiten wurde die Verwurzelung von Weihnachten im ersten Testament bewusst unterstrichen. Das Weihnachtsfest begann oft mit einem Schauspiel vor der Kirche: Es dreht sich um einen grünen (an den Garten Eden erinnernder) Baum, zu dieser Jahreszeit deshalb eine – mit roten Äpfeln geschmückte ‑Tanne. Darum herum wurde der Anfang der Menschheitsgeschichte dargestellt: Adam und Eva, der Baum der Erkenntnis und die Schlange. Die Gemeinde erlebte so das erste Drama der Geschichte neu mit: Adam und Eva lassen sich vom Versprechen der Macht verführen. Sie wollen sein wie Gott und verlieren damit alles. Sie verlieren das Paradies und müssen seither das Leben und Überleben oft hart erkämpfen.
Nach dem Schauspiel ging die Gemeinde in die Kirche. Und dort hörte sie die Botschaft, dass sich Gott über die Menschen, die das Paradies verspielt hatten, erbarmt: Im Menschen Jesus von Nazaraeth geht er den obdach‑, heimatlos gewordenen Menschen nach. Gott wird ein Mensch wie wir und öffnet neu die Möglichkeit zur Gemeinschaft mit ihm. Der Paradiesbaum auf dem Vorplatz wurde in der Kirche zum Weihnachtsbaum. Statt den Äpfeln des Anfangs wird das Brot des Abendmahls zum Angebot. Der Zugang zu Gott ging wieder auf. Und die Gemeinde sang (wie wir es eben taten): “Heut schleusst er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis!” (Strophe 6 aus Lied 168: Lobt Gott ihr Christen alle gleich).
Weihnachten hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt spätestens mit der Paradiesgeschichte, wenn nicht schon mit der Schöpfung. Weihnachten ist Gottes Antwort auf die erfolglose Suche der Menschen nach dem verlorenen Paradies.
Weihnachten bedeutet: Gott schafft die Möglichkeit der grossen Wende für die Menschen: Der Weg zum Paradies geht wieder auf. Gott will, dass wir finden, was wir suchen. Es ist uns versprochen, dass die Sucht gelingt, wenn wir seinem Angebot in Jesus Christus trauen. Wir können die Quelle des Lebens finden.
Dazu sind wir in den Stall von Bethlehem eingeladen. Beim Kind in der Krippe gilt es neu anzuknüpfen. So finden wir Hilfe. So finden wir das Leben, das wir suchen. Die Begegnung mit dem menschgewordenen Gott wird uns verwandeln. Sie lässt uns zum Lob Gottes finden. So wie es die Hirten, von denen Lk erzählt, erlebt haben: „Und sie priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten!“ (Lk 2,20)
Der Evangelist Johannes erzählt nicht von Stall, Hirten oder Weisen. Er fasst die Einladung Gottes in ein Gedicht. Es redet genau wie die Weihnachtsgeschichte davon, wie Gott das eisige Schweigen zwischen Himmel und Erde durchbricht:
Johannes 1,1.5.9–14 (Gute Nachricht Bibel)
Weihnachten heisst: Gott spricht (wieder) mit uns. Sein Wort kommt zu uns. Das Schweigen ist gebrochen, und wie! Nicht bloss ein Post oder ein weitergeleitetes Mail. Weder ein geschriebenes noch ein elektronisches, sondern ein lebendiges Wort richtet Gott an uns. Er schickt einen Menschen aus Fleisch und Blut, Jesus von Nazareth.
Er hätte uns vielleicht auch in einem amtlich beglaubigten Dokument mitteilen können, dass die Zugangssperre zum Paradies für uns aufgehoben ist. Aber wir wissen ja was passiert, wenn Botschaften zum Juristenfutter werden. Dann beginnen die toten Buchstaben zu dominieren und der Inhalt geht verloren. Gott aber geht es nicht um Buchstaben, nicht um die reine Lehre, sondern um das volle Leben. Mit uns leben, mit uns Gemeinschaft erleben will er. Er will von uns ganz verstanden werden. Und das geht nur, wenn er wird, wie wir sind. Darum wird er in Jesus Christus Mensch. Um die Last des Menschsein mit uns zu teilen. Und um als unser Bruder den Weg zurück ins Paradies mit uns gehen zu können.
In Jesus spricht Gott nicht nur mit uns. Er wird in seiner Person sichtbar. In Jesus, so sagt der Jh-Prolog, ist Gottes Wort sichtbar und damit begreifbar geworden. Nur an Jesus von Nazareth ist Gottes Willen und Wesen abzulesen. In seiner Person wird Gottes Herrlichkeit sichtbar. Das zeigt sich nach dem Jh-Ev einerseits in Jesu Verbundenheit mit Gott und andererseits in der Art, wie er den Menschen begegnet.
Jh betont sehr die enge Beziehung, die Jesus zu seinem himmlischen Vater gelebt hat. In allem, was er tut, geht es darum, Gott gross werden zu lassen. Das ist aus Sicht des Jh-Ev Jesu Mission: Wenn er heilt, wenn er predigt, wenn er in die Nachfolge ruft, wenn er leidet, so geschieht das, damit Gott verherrlicht — groß gemacht wird. Auch seine Begegnungen mit Menschen haben nur dies zum Ziel. Jesus vermittelt das volle Leben, damit so der Schöpfer gross werden kann. Exemplarisch wird das im Jh-Ev an vier Wundern gezeigt: (1) In Kana verwandelt Jesus Wasser in Wein. Er sorgt dafür, dass das Fest weitergehen kann. So zeigt Jesus: Mit Gott zusammen zu sein, das ist wie ein Fest, bei dem gar nichts fehlt oder knapp ist. (2) Das zweite Wunder besteht in der Heilung eines seit Jahrzehnten Gelähmten. Er kann wieder laufen und in die Welt hinaus gehen. Hier macht Jesus deutlich: Mit Gott zusammen zu sein bedeutet Befreiung. Was immer uns lähmen mag, verletzende Erfahrungen, eigenes Verschulden, vielleicht auch schicksalshafte Gegebenheiten. Jesus befreit aus Lähmung und Resignation. Mit ihm kann sich das Leben voll entfalten. (3) Dann erzählt Jh von der Heilung eines Blindgeborenen. Sie zeigt: Jesus öffnet unsere Augen für Gottes Liebe und Fürsorge. (4) Schliesslich und endlich zeigt das vierte Wunder im Jh-Ev das eigentliche Ziel. Jesus erweckt seinen Freund Lazarus vom Tod. Hier wird klar: Nicht einmal mehr im Tod muss die Beziehung zu Gott abbrechen. In Jesus ist die Gemeinschaft mit Gott unzerstörbar. Was er bringt, hat Bestand (Ewigkeit).
Diese vier Wundergeschichten zeigen für Jh die Herrlichkeit Gottes auf, die in Jesus sichtbar geworden ist. Nicht weniger als das Leben schlechthin ist in ihm zu uns gekommen. Und an ihm vorbei ist Leben gar nicht zu finden. Das zeigen in den Augen von Jh nicht nur die Wunder, sondern auch die Worte Jesu, ganz besonders jene Bildworte, die nur das 4.Evangelium überliefert. Jesus sagt z.B.: “Ich bin das Brot des Lebens” oder: “ich bin lebendiges Wasser”, ‚d.h. ich bin das Grundnahrungsmittel für euch, damit ihr überhaupt leben könnt.”
Leben gibt es nur mit und durch Jesus Christus. Er ist Gottes Friedensangebot. Wir sind eingeladen, ihm die Hand zu geben. Dann nämlich geht für uns die Tür zum Paradies auf. In ihm schenkt Gott uns Fülle und Freude, Heilung und ewiges Leben.
Um Gottes Angebot an uns geht es an Weihnachten. Damit ist keinerlei Zwang verbunden. Man kann es auch ausschlagen. Jh macht schon in den ersten Sätzen seines Evangeliums deutlich, dass es beide Reaktionen gibt. Die einen lässt er sagen: „Wir sahen seine Herrlichkeit!“(Jh 1,14), von anderen aber heisst es: “Die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen” (Jh 1,5). – Es gibt beides.
Im Jahre 1777 startete James Cook zu einer Expedition mit dem Auftrag, neues Land im Pazifik zu erkunden. Wochen‑, ja monatelang war er mit seiner Mannschaft unterwegs ohne Land zu sichten. Immer wieder tauchten Zweifel auf: Lohnte sich der Aufwand? Gab es überhaupt Land zu finden? Am 24.12.1777 kam endlich Land in Sicht, eine kleine Insel. Die Mannschaft ging an Land, labte sich an den Früchten der Insel, trank von dem Wasser der Quellen, genoß den sicheren Boden unter den Füßen. Und weil es Weihnachten war, feierten sie auf dieser Insel ihr Weihnachtsfest, sangen unter der Sommersonne des Südpazifiks ihre Weihnachtslieder und dachten an die Geburt Jesu im Stall. Sie erlebten buchstäblich: Mit Weihnachten kommt das Leben. Nach Monaten auf dem stürmischen Meer hatten sie wieder Boden unter den Füßen. Sie hatten Land gefunden, an dem man heimisch werden konnte. Sie genossen Freude und Fülle, Ruhe nach den Strapazen und die Ankunft am Ziel. Schliesslich gaben sie dem neuen Land den Namen “Weihnachtsinsel”. (® Es gibt übrigens zwei Inseln mit diesem Namen: Die eine liegt nördlich von Australien im Indischen Ozean. Die andere, eben von James Cook und seiner Mannschaft entdeckte, nennt sich heute Kiritimati (übrigens die grösste Koralleninsel weltweit) und liegt im zentralen Pazifik, ca. 6‘300 km östlich von Australien und 2‘000 km südlich von Hawaii)
Weihnachten bedeutet: Es ist Land in Sicht. Gott ist Mensch geworden um Dir zu helfen, damit Du wieder Boden unter die Füsse kriegst. Weihnachten ist die ersehnte Insel nach langer Fahrt durch die Stürme des Lebens.
So wie damals im Pazifik wohl vor James Cook schon einige Seefahrer die Weihnachtsinsel verfehlt haben, so kann man auch am Weihnachtsfest die rettende Insel verpassen. Vielleicht ist man abgestumpft gegenüber den Traditionen. Vielleicht ist man gefangen in den Stürmen des Alltags. Vielleicht hat man die Hoffnung auf die rettende Insel sogar aufgegeben. Es ist auch heute nicht selbstverständlich, die Weihnachtsinsel zu treffen.
Wie gut, dass diese Insel mit einem Leuchtturm ausgestattet ist. Jesus sagte ja von sich selbst auch: „Ich bin das Licht der Welt!“ Er lädt uns ein, Kurs auf ihn zu nehmen, d.h. die Begegnung mit ihm zu suchen. Und uns ist versprochen, dass die Begegnung mit ihm uns verändern wird, so wie sie die ersten Besucher an der Krippe verändert hat. Die Begegnung mit Jesus Christus lässt Lahme gehen und Blinde sehen. Weihnachtsmenschen bekommen Kraft für ihren Beruf und ihre Familie. Sie bekommen Hilfe, die Probleme anzupacken und sogar das eisige Schweigen zwischen Menschen zu durchbrechen. Weihnachtsmenschen bekommen eine klare Sicht, was jetzt — nach Gottes Willen — dran ist, Veränderung und Aufbruch oder Ruhe und Besinnung. Weil Weihnachtsmenschen, die die rettende Insel gefunden haben, das alles erleben, werden sie dankbar. Und das bedeutet: Die Schlange mit ihrem Geflüster von mehr Macht hat kaum mehr eine Chance, denn die eigentliche Macht liegt in der Verbundenheit mit Jesus Christus, der die Tür zum Paradies aufschliesst.
Darum lass Dich einladen. Die Weihnachtsinsel hat Tag der offenen Tür. Gott wird sichtbar in Jesus Christus. Er schenkt das Leben pur. Geh hin zu ihm. Lass Dir die Tür zum Paradies öffnen. Lass dich verwandeln, lass Dir Leben schenken vom Mensch gewordenen Gott. Lass Dir die Herrlichkeit Gottes zeigen. So wie Jh in seinem Evangelium schreibt: „Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit“ Amen