Predigt am 09.04.2023 (Ostern) in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,
beim Lesen in den Osterberichten der Evangelien bin ich diesmal bei Lk hängen geblieben. Wie die anderen auch erzählt er von den Frauen, die am frühen Ostermorgen zum Grab Jesu gingen. Dort finden sie aber nicht den Leichnam Jesu, den sie salben wollten. Dafür treffen sie auf Engel. Lk erzählt von zwei Engeln, welche die Frauen mit vorwurfsvollem Unterton anreden: “Was macht Ihr denn hier? Warum sucht Ihr den Lebenden bei den Toten?” – Sie klingen wie ein genervter Lehrer, der seinen Schülern schon zum 27.Mal zu erklären versucht, was sie längst wissen sollten: „Ihr müsstet es doch längst wissen! Jesus hat es Euch doch so oft erklärt und vorausgesagt. Warum sucht Ihr ihn jetzt doch bei den Toten?“
I. Neue Chance: Es geht weiter – Er lebt und ist den Lebenden nahe
Engel mögen sich über den Kleinglauben der Frauen wundern und darüber, dass sie Jesus bei den Toten suchen. Aber ich kann es nachvollziehen und mag ihnen keinen Vorwurf machen. Schliesslich sind sie noch im Schock. Die Trauerphase hat noch gar nicht richtig begonnen. Seit Jesu Tod sind noch keine 40 Stunden vergangen (in biblischer Zählung dennoch schon drei Tage). Sie habe nicht nur einen lieben Menschen und guten Freund verloren. Sondern alle Hoffnungen, ihr Glaube, ja ihr ganzer Lebensinhalt war zusammengekracht. Drei lange, aufregende, prägende und inspirierende Jahre lang waren sie mit ihm unterwegs. Sie hatten Jesus unterstützt, finanziell und mit tatkräftiger Hilfe. Dank ihm hatten sie ein ganz neues Leben anfangen können. Die Begegnung mit Jesus hatte sie Boden unter die Füsse bekommen lassen. Einige von ihnen hatte er ihre Würde wieder finden lassen. Und die Brücken zum ‚alten’ Leben vor der Begegnung mit Jesus standen längst nicht mehr. — So hatte sie Karfreitag nicht nur um ihren besten Freund gebracht. Ihr eigenes Leben war damit gestorben, an die Wand gefahren. Es fühlte sich an, als wäre alles aus und vorbei. Dass zu nun noch zum Grab wollten, war wie eine Pilgerreise zur Endstation ihres eigenen Lebens. An diesem Morgen wollten sie nicht mehr als von Jesus Abschied nehmen. Ihre Hoffnungen, ihr Glauben würden sie danach in seinem Grab zurücklassen. Wie es danach weitergehen könnte, wussten sie nicht. Aber diese letzte Ehre, diesen letzten Liebesbeweis, wollten sie dem Andenken Jesu nicht schuldig bleiben. Und vielleicht hofften sie, so einen ersten, vorläufigen Schlussstrich unter die Katastrophe ziehen zu können.
Doch sie können nicht abschliessen. Bei ihrer Ankunft ist das Grab Jesu aufgebrochen und leer. Das macht die Frauen vollends ratlos, bzw. ‚bekümmert’, wie Luther übersetzte. – Als LeserIn mag man sich fragen: Hätte nicht spätestens jetzt die Erinnerung an Jesu Reden von seiner Auferstehung am 3.Tag wach werden müssen? Doch nein! Nichts. Da ist nur Frust, Panik, Verzweiflung … Sie erleben, was heute allgemein anerkannt ist: Trauerarbeit wird noch viel schwieriger, wenn es keinen Ort des Abschieds oder der Erinnerung gibt. – So brauchen die Frauen Hilfe von aussen, wenn sie nicht endgültig stecken bleiben, sondern dem Grossen, das passiert ist, auf die Spur kommen sollen.
Da kommen ihnen aus dem Grab zwei Engel entgegen. Sie tragen strahlend helle Kleider und erhellen mit ihrem Glanz die dunkle, leere Grabkammer. Ein starkes Bild, das Lk mit seiner Erzählung malt: Die Finsternis ist besiegt durch das Licht, die Schrecken des Todes überwunden von Gott, der Jesus ins Leben rief. Doch die Frauen haben keinen Blick für die Symbolträchtigkeit der Situation. Sie nehmen die Botschaft des Lichtes nicht wahr. Sie erschrecken und schauen zu Boden. Das göttliche Licht blendet sie.
In diesem Moment erzählen die anderen Evangelisten davon, dass die (bzw. der) Engel Trost spendeten. Lukas scheint das nicht so wichtig. Seine Engel trösten nicht und sprechen auch nicht Gottes Frieden zu. Sondern sie konfrontieren und rütteln auf. Fast vorwurfsvoll klingt es: „Was sucht Ihr den Lebenden bei den Toten? Das ist doch falsch! Erinnert Euch an alles, was Jesus gesagt hatte! Christus ist bei den Lebenden zu suchen.“ Es geht hier darum, dass die Frauen aus dem Loch herauskommen, in das sie am Karfreitag gefallen waren. Es geht darum, dass ihr Glaube, ihre Hoffnung wieder belebt werden. Darum auch, dass sie mit Gottes Möglichkeiten zu rechnen beginnen, der ein Gott des Lebens und der Lebenden ist. Dieses Ziel brachte aus lk Sicht die Engel dazu, Maria und ihre Gefährtinnen in Frage zu stellen und sie an Jesu Worte zu erinnern. So holen die Engel diese Frauen aus ihrer Trauer zurück ins Leben.
Von diesen Frauen wird viel verlangt: Sie sollen nicht weniger als glauben, was es vorher gar noch nie gegeben hat. Die Auferstehung Jesu Christi kann ja aus keiner früheren Erfahrung abgeleitet werden. Das Eingreifen Gottes an Ostern übertrifft alles, was schon da war. Denn es ist anders als bei den Totenauferweckungen, die von atl Propheten oder auch von Jesus erzählt werden: An Ostern wird Jesus nicht (wie Lazarus oder das Töchterlein des Jairus) zurück in das irdische Leben geholt, um später wieder sterben zu müssen. Sondern Gott hat seinen Sohn in die Ewigkeit auferweckt. Das bedeutet eine ganz neue Dimension des Lebens und damit auch ganz neue Möglichkeiten, mit ihm in Beziehung zu treten. Neu ist Christus allen Menschen nahe! Er ist jetzt bei allen Lebenden zugleich. Durch den Heiligen Geist kann jeder und jede eine Beziehung zu ihm leben, unabhängig von Zeit und Ort. Das ist das Neue und Umwälzende, das wir an Ostern feiern: Jesus lebt! Er ist nicht bei den Toten! Er ist nicht in einem abgeschotteten Bereich im Himmel. Er lebt bei den Lebenden, ist ihnen nah und öffnet ihnen den Blick für Gott.
Für die Frauen bedeutet das eine unvergleichliche neue Chance: Im Moment, als alles zu Ende schien, fängt das Leben erst richtig an. Sie waren unterwegs, um ihre Hoffnungen, ihren Glauben, ihre Zukunft endgültig zu begraben. Doch sie dürfen erleben, dass aus dem totalen Untergang ein neuer Anfang wird. Ostern bedeutet, dass es eine neue Chance gibt, wo alles verloren scheint.
Ein erstes Mal hatten die Frauen diese Chance schon genutzt, als sie Jesus begegneten und sich auf das Leben mit ihm einliessen. Nun bietet sich an Ostern mit dem auferweckten Jesus die Chance wieder – und noch umfassender. So konnten sie zurück in ein erneuertes Leben gehen. Ihr Leben mit Christus wird ja nun nach Ostern anders sein: Waren sie vorher noch Nachfolgerinnen, d.h. Mitläuferinnen, werden sie nun zu ‚Vorausgeherinnen’. Sie werden zu Missionarinnen, die im Namen Christi anderen vorangehen.
Ostern bedeutet: Gott eröffnet uns eine neue Chance und ungeahnte Möglichkeiten! Nehmen wir diese Chance an und wahr? — Vielleicht steckt unser Leben trotz allem Glauben oder Glaubenwollen in einer Sackgasse fest. Wir kommen einfach nicht weiter, werden nicht los, was längst überwunden sein sollte. Oder Kummer und Sorgen machen unser Herz schwer. Wir sind vielleicht enttäuscht, dass Gebetsanliegen keine oder jedenfalls nicht die Antwort finden. Wir stehen an einer Kreuzung und wissen nicht, in welche Richtung der Weg weitergehen soll. Vielleicht erleiden wir auch die Krise einer Freundschaft, die sich ein bisschen wie Sterben anfühlt.
Das und noch manch anderes können Erfahrungen sein, die dem gleichen, was die Frauen am Ostermorgen auf ihrem Weg zum Grab bedrückte. Der Glaube wird dabei klein und schwach, die Hoffnung serbelt und wir sehen gar nicht mehr, wie es weitergehen könnte. Doch der Ostermorgen bietet uns die neue Chance, bietet uns die Möglichkeit, zum Leben zurück zu finden. Uns wird zugesprochen: „Jesus ist bei uns Lebenden. Er gibt Hoffnung. Er will uns aus den Erfahrungen des Todes heraus reissen. Er hat die Kraft, auch Tot-Geglaubtes aufzuerwecken. Unsere Kummer geht ihm zu Herzen. Er hört unsere ungläubig vorgebrachten Gebetsanliegen. Er kennt unsere Orientierungslosigkeit angesichts der der Zukunft. Er spürt unsere Verletzungen. Er spricht uns zu, dass er uns nahe ist und den Weg mit uns geht. Und er macht uns klar, dass er alles auf sich genommen hat, um uns den Weg zu Gott frei zu machen, auch unsere Anteile an Schuld, auch unser Versagen und unseren Kleinglauben. Seit er auferstanden ist, gibt es keine Situation mehr, die wir ohne ihn durchstehen müssen. Und es gibt nichts mehr, was uns vom Leben fernhalten kann.“
II. Neue Chance – Verstehen, warum es so kommen musste
Mit Ostern verbindet sich auch die Chance einer neuen Perspektive. Was die Frauen gerade durchlebt und durchlitten haben, der Verlust ihres Meisters, sieht im Rückblick ganz anders aus. Was nach sinnlosem Leiden und blinder Gewalt aussah, gewinnt von Ostern her gesehen seinen Sinn. Die Engel erklären den Frauen, was Jesus schon vor seinem Sterben sagte. Und nun, von Ostern her gesehen, beginnen sie zu begreifen, dass es unvermeidlich und sogar sinnstiftend war: Jesus hat stellvertretend für die Menschen die Konsequenz der Trennung von Gott im Tod auf sich genommen und durchlitten. Er hat den Schrecken des Todes überwunden. Bis in die totale Gottverlassenheit ist er vorgedrungen, damit auch das Sterben uns nicht mehr von Gott trennen kann. Er starb, damit uns nichts mehr von Gott trennt und wir leben können.
Jetzt, nach Ostern, findet diese Botschaft Eingang in den Herzen der Frauen. Jetzt verstehen sie. Das steckt hinter der fast beiläufigen Bemerkung in V.8: „Da erinnerten sich die Frauen an seine Worte!“ Trauer, Frust, Hoffnungslosigkeit fallen damit von ihnen ab. Neue Hoffnung und frischer Mut keimen in ihnen auf.
Nehmen doch auch wir uns die Osterbotschaft zu Herzen! Dann können wir den Dingen ins Auge sehen, die uns vom Leben abschneiden, von Gott trennen wollen. Um das für uns aus dem Weg zu räumen, hat Jesus Leiden und Tod ausgehalten. Es mögen ganz verschiedene Dinge sein: Persönliche Schuld vielleicht, aber auch Mutlosigkeit, Gefühle des Versagens genauso wie ein herzloser Umgang mit anderen Menschen. Das alles können wir Jesus bekennen und uns von ihm vergeben lassen. Wir müssen es nicht mitschleifen in unser neues österliches Leben. Sonst haben wir schon gleich am Anfang unsere neue Chance vertan.
Das wäre mehr als nur schade. Denn Ostern bedeutet die Chance, Altlasten endgültig zu entsorgen.
III. Neue Chance – eine neue Aufgabe
Und noch etwas möchte ich wenigstens kurz andenken: Mir fällt auf, dass die Frauen gleich sofort zu erzählen beginnen, was sie erlebt haben. Einen Missionsbefehl hatten sie zwar noch nicht erhalten. Aber den brauchen sie auch gar nicht. „Wes das Herz voll ist, dem geht der Mund über!“ Es drängt sie förmlich, von der unglaublichen Wende zu erzählen, die sie gerade erlebt haben. Sie gehen einfach los und suchen die (noch) verängstigten und hoffnungslosen Jünger auf.
So erleben wir es auch bei Menschen, die neu zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Sie gehen einfach los, können nicht schweigen von dem, was sie erlebt haben. Und ihre Begeisterung ist so ansteckend, dass sie andere mitzieht.
Als Christen, die schon lange im Glauben ‚stehen’ (oder hoffentlich: ‚uns bewegen‚) merken wir manchmal, wie diese Begeisterung nachlässt: Die Beziehung zu Jesus ist vertraut geworden, das Lebensumfeld hat sich verändert, die echten Freunde sind jetzt Christen, man fühlt sich wohl mit ihnen, die ‚Welt’ rückt aus dem Blickfeld, man richtet sich ein mit dem Gedanken, dass manche eben einfach nicht glauben wollen. Erst in dieser Phase des Glaubens greift der Missionsbefehl Jesu. Aus der Selbstgenügsamkeit weckt er uns auf. “Gehet hin, verkündet das Evangelium allen Völkern”, auch wenn ihr keine Lust habt, keine Zeit oder sowieso keine Hoffnung mehr für die anderen habt. Im Evangelium steckt soviel Kraft, dass sie nicht bei uns bleiben kann. Wir dürfen es nicht für uns behalten. Es drängt hinaus, will über die Gemeinde alle Menschen erreichen und fängt mit uns an. Die Frauen machten sich auf den Weg. Wir können heute mit ihnen gehen. Ostern bedeutet auch die Chance, aus der frommen Selbstbeschäftigung und –genügsamkeit zu erwachen und neu die Aufgabe zu entdecken, von Jesus zu erzählen und zum Glauben einzuladen.
Zu V.10–12: Zunächst liess sich nur einer liess sich von den Frauen ein wenig aufrütteln. Petrus ging zum leeren Grab, immerhin. Doch Er tat genau das Gegenteil von dem, was die Frauen erzählten. Er suchte den Lebenden bei den Toten. Und er fand ihn nicht. Das leere Grab ließ ihn staunen, lebendigen Glauben rief es nicht hervor. Erst eine kurze Randnotiz einige Sätze später lässt erahnen, wie es mit Petrus weitergegangen ist (Lukas 24,34). Offensichtlich ist ihm persönlich Jesus begegnet, vielleicht auf dem Rückweg vom leeren Grab. Diese Begegnung war für ihn entscheidend und lebensverändernd — sie war seine neue Chance. Jesus suchte ihn auf, den Sünder, der ihn verraten und verlassen hatte. Petrus konnte umkehren, Jesus vergab ihm. Aus dem hoffnungslosen Fischer wurde ein Gemeindegründer.
Mir ist ganz neu wichtig: Ostern bedeutet für uns neue Chancen und ungeahnte Möglichkeiten. Uns bietet sich die Chance, mit Gottes Hilfe neu anzufangen, wo alles verloren scheint. Es bietet sich die Chance, Altlasten endgültig zu entsorgen. Und es bietet sich die Chance, sich ganz neu von Christus begeistern zu lassen und seine Botschaft weiterzutragen zu andern. Packen wir doch die Chancen, die der Auferstandene uns bietet. Brechen wir mit ihm wieder neu auf, zum Leben in und mit Gott. Amen