Neue Chancen

Lukas 24,1–12

Predigt am 09.04.2023 (Ostern) in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

beim Lesen in den Oster­bericht­en der Evan­gelien bin ich dies­mal bei Lk hän­gen geblieben. Wie die anderen auch erzählt er von den Frauen, die am frühen Oster­mor­gen zum Grab Jesu gin­gen. Dort find­en sie aber nicht den Leich­nam Jesu, den sie sal­ben woll­ten. Dafür tre­f­fen sie auf Engel. Lk erzählt von zwei Engeln, welche die Frauen mit vor­wurfsvollem Unter­ton anre­den: “Was macht Ihr denn hier? Warum sucht Ihr den Leben­den bei den Toten?” – Sie klin­gen wie ein gen­ervter Lehrer, der seinen Schülern schon zum 27.Mal zu erk­lären ver­sucht, was sie längst wis­sen soll­ten: „Ihr müsstet es doch längst wis­sen! Jesus hat es Euch doch so oft erk­lärt und voraus­ge­sagt. Warum sucht Ihr ihn jet­zt doch bei den Toten?“

Lukas 24,1–12

I. Neue Chance: Es geht weit­er – Er lebt und ist den Leben­den nahe

Engel mögen sich über den Kle­inglauben der Frauen wun­dern und darüber, dass sie Jesus bei den Toten suchen. Aber ich kann es nachvol­lziehen und mag ihnen keinen Vor­wurf machen. Schliesslich sind sie noch im Schock. Die Trauer­phase hat noch gar nicht richtig begonnen. Seit Jesu Tod sind noch keine 40 Stun­den ver­gan­gen (in bib­lis­ch­er Zäh­lung den­noch schon drei Tage). Sie habe nicht nur einen lieben Men­schen und guten Fre­und ver­loren. Son­dern alle Hoff­nun­gen, ihr Glaube, ja ihr ganz­er Lebensin­halt war zusam­mengekracht. Drei lange, aufre­gende, prä­gende und inspiri­erende Jahre lang waren sie mit ihm unter­wegs. Sie hat­ten Jesus unter­stützt, finanziell und mit tatkräftiger Hil­fe. Dank ihm hat­ten sie ein ganz neues Leben anfan­gen kön­nen. Die Begeg­nung mit Jesus hat­te sie Boden unter die Füsse bekom­men lassen. Einige von ihnen hat­te er ihre Würde wieder find­en lassen. Und die Brück­en zum ‚alten’ Leben vor der Begeg­nung mit Jesus standen längst nicht mehr. — So hat­te sie Kar­fre­itag nicht nur um ihren besten Fre­und gebracht. Ihr eigenes Leben war damit gestor­ben, an die Wand gefahren. Es fühlte sich an, als wäre alles aus und vor­bei. Dass zu nun noch zum Grab woll­ten, war wie eine Pil­ger­reise zur End­sta­tion ihres eige­nen Lebens. An diesem Mor­gen woll­ten sie nicht mehr als von Jesus Abschied nehmen. Ihre Hoff­nun­gen, ihr Glauben wür­den sie danach in seinem Grab zurück­lassen. Wie es danach weit­erge­hen kön­nte, wussten sie nicht. Aber diese let­zte Ehre, diesen let­zten Liebes­be­weis, woll­ten sie dem Andenken Jesu nicht schuldig bleiben. Und vielle­icht hofften sie, so einen ersten, vor­läu­fi­gen Schlussstrich unter die Katas­tro­phe ziehen zu können.

Doch sie kön­nen nicht abschliessen. Bei ihrer Ankun­ft ist das Grab Jesu aufge­brochen und leer. Das macht die Frauen vol­lends rat­los, bzw. ‚beküm­mert’, wie Luther über­set­zte. – Als LeserIn mag man sich fra­gen: Hätte nicht spätestens jet­zt die Erin­nerung an Jesu Reden von sein­er Aufer­ste­hung am 3.Tag wach wer­den müssen? Doch nein! Nichts. Da ist nur Frust, Panik, Verzwei­flung … Sie erleben, was heute all­ge­mein anerkan­nt ist: Trauer­ar­beit wird noch viel schwieriger, wenn es keinen Ort des Abschieds oder der Erin­nerung gibt. – So brauchen die Frauen Hil­fe von aussen, wenn sie nicht endgültig steck­en bleiben, son­dern dem Grossen, das passiert ist, auf die Spur kom­men sollen.

Da kom­men ihnen aus dem Grab zwei Engel ent­ge­gen. Sie tra­gen strahlend helle Klei­der und erhellen mit ihrem Glanz die dun­kle, leere Grabkam­mer. Ein starkes Bild, das Lk mit sein­er Erzäh­lung malt: Die Fin­ster­n­is ist besiegt durch das Licht, die Schreck­en des Todes über­wun­den von Gott, der Jesus ins Leben rief. Doch die Frauen haben keinen Blick für die Sym­bol­trächtigkeit der Sit­u­a­tion. Sie nehmen die Botschaft des Licht­es nicht wahr. Sie erschreck­en und schauen zu Boden. Das göt­tliche Licht blendet sie.

In diesem Moment erzählen die anderen Evan­ge­lis­ten davon, dass die (bzw. der) Engel Trost spende­ten. Lukas scheint das nicht so wichtig. Seine Engel trösten nicht und sprechen auch nicht Gottes Frieden zu. Son­dern sie kon­fron­tieren und rüt­teln auf. Fast vor­wurfsvoll klingt es: „Was sucht Ihr den Leben­den bei den Toten? Das ist doch falsch! Erin­nert Euch an alles, was Jesus gesagt hat­te! Chris­tus ist bei den Leben­den zu suchen.“ Es geht hier darum, dass die Frauen aus dem Loch her­auskom­men, in das sie am Kar­fre­itag gefall­en waren. Es geht darum, dass ihr Glaube, ihre Hoff­nung wieder belebt wer­den. Darum auch, dass sie mit Gottes Möglichkeit­en zu rech­nen begin­nen, der ein Gott des Lebens und der Leben­den ist. Dieses Ziel brachte aus lk Sicht die Engel dazu, Maria und ihre Gefährtin­nen in Frage zu stellen und sie an Jesu Worte zu erin­nern. So holen die Engel diese Frauen aus ihrer Trauer zurück ins Leben.

Von diesen Frauen wird viel ver­langt: Sie sollen nicht weniger als glauben, was es vorher gar noch nie gegeben hat. Die Aufer­ste­hung Jesu Christi kann ja aus kein­er früheren Erfahrung abgeleit­et wer­den. Das Ein­greifen Gottes an Ostern über­trifft alles, was schon da war. Denn es ist anders als bei den Tote­naufer­weck­un­gen, die von atl Propheten oder auch von Jesus erzählt wer­den: An Ostern wird Jesus nicht (wie Lazarus oder das Töchter­lein des Jairus) zurück in das irdis­che Leben geholt, um später wieder ster­ben zu müssen. Son­dern Gott hat seinen Sohn in die Ewigkeit aufer­weckt. Das bedeutet eine ganz neue Dimen­sion des Lebens und damit auch ganz neue Möglichkeit­en, mit ihm in Beziehung zu treten. Neu ist Chris­tus allen Men­schen nahe! Er ist jet­zt bei allen Leben­den zugle­ich. Durch den Heili­gen Geist kann jed­er und jede eine Beziehung zu ihm leben, unab­hängig von Zeit und Ort. Das ist das Neue und Umwälzende, das wir an Ostern feiern: Jesus lebt! Er ist nicht bei den Toten! Er ist nicht in einem abgeschot­teten Bere­ich im Him­mel. Er lebt bei den Leben­den, ist ihnen nah und öffnet ihnen den Blick für Gott.

Für die Frauen bedeutet das eine unver­gle­ich­liche neue Chance: Im Moment, als alles zu Ende schien, fängt das Leben erst richtig an. Sie waren unter­wegs, um ihre Hoff­nun­gen, ihren Glauben, ihre Zukun­ft endgültig zu begraben. Doch sie dür­fen erleben, dass aus dem total­en Unter­gang ein neuer Anfang wird. Ostern bedeutet, dass es eine neue Chance gibt, wo alles ver­loren scheint.

Ein erstes Mal hat­ten die Frauen diese Chance schon genutzt, als sie Jesus begeg­neten und sich auf das Leben mit ihm ein­liessen. Nun bietet sich an Ostern mit dem aufer­weck­ten Jesus die Chance wieder – und noch umfassender. So kon­nten sie zurück in ein erneuertes Leben gehen. Ihr Leben mit Chris­tus wird ja nun nach Ostern anders sein: Waren sie vorher noch Nach­fol­gerin­nen, d.h. Mitläuferin­nen, wer­den sie nun zu ‚Voraus­ge­herin­nen’. Sie wer­den zu Mis­sion­ar­in­nen, die im Namen Christi anderen vorangehen.

Ostern bedeutet: Gott eröffnet uns eine neue Chance und ungeah­nte Möglichkeit­en! Nehmen wir diese Chance an und wahr? — Vielle­icht steckt unser Leben trotz allem Glauben oder Glauben­wollen in ein­er Sack­gasse fest. Wir kom­men ein­fach nicht weit­er, wer­den nicht los, was längst über­wun­den sein sollte. Oder Kum­mer und Sor­gen machen unser Herz schw­er. Wir sind vielle­icht ent­täuscht, dass Gebet­san­liegen keine oder jeden­falls nicht die Antwort find­en. Wir ste­hen an ein­er Kreuzung und wis­sen nicht, in welche Rich­tung der Weg weit­erge­hen soll. Vielle­icht erlei­den wir auch die Krise ein­er Fre­und­schaft, die sich ein biss­chen wie Ster­ben anfühlt.

Das und noch manch anderes kön­nen Erfahrun­gen sein, die dem gle­ichen, was die Frauen am Oster­mor­gen auf ihrem Weg zum Grab bedrück­te. Der Glaube wird dabei klein und schwach, die Hoff­nung ser­belt und wir sehen gar nicht mehr, wie es weit­erge­hen kön­nte. Doch der Oster­mor­gen bietet uns die neue Chance, bietet uns die Möglichkeit, zum Leben zurück zu find­en. Uns wird zuge­sprochen: „Jesus ist bei uns Leben­den. Er gibt Hoff­nung. Er will uns aus den Erfahrun­gen des Todes her­aus reis­sen. Er hat die Kraft, auch Tot-Geglaubtes aufzuer­weck­en. Unsere Kum­mer geht ihm zu Herzen. Er hört unsere ungläu­big vorge­bracht­en Gebet­san­liegen. Er ken­nt unsere Ori­en­tierungslosigkeit angesichts der der Zukun­ft. Er spürt unsere Ver­let­zun­gen. Er spricht uns zu, dass er uns nahe ist und den Weg mit uns geht. Und er macht uns klar, dass er alles auf sich genom­men hat, um uns den Weg zu Gott frei zu machen, auch unsere Anteile an Schuld, auch unser Ver­sagen und unseren Kle­inglauben. Seit er aufer­standen ist, gibt es keine Sit­u­a­tion mehr, die wir ohne ihn durch­ste­hen müssen. Und es gibt nichts mehr, was uns vom Leben fern­hal­ten kann.“

II. Neue Chance – Ver­ste­hen, warum es so kom­men musste

Mit Ostern verbindet sich auch die Chance ein­er neuen Per­spek­tive. Was die Frauen ger­ade durch­lebt und durch­lit­ten haben, der Ver­lust ihres Meis­ters, sieht im Rück­blick ganz anders aus. Was nach sinnlosem Lei­den und blind­er Gewalt aus­sah, gewin­nt von Ostern her gese­hen seinen Sinn. Die Engel erk­lären den Frauen, was Jesus schon vor seinem Ster­ben sagte. Und nun, von Ostern her gese­hen, begin­nen sie zu begreifen, dass es unver­mei­dlich und sog­ar sinns­tif­tend war: Jesus hat stel­lvertre­tend für die Men­schen die Kon­se­quenz der Tren­nung von Gott im Tod auf sich genom­men und durch­lit­ten. Er hat den Schreck­en des Todes über­wun­den. Bis in die totale Gottver­lassen­heit ist er vorge­drun­gen, damit auch das Ster­ben uns nicht mehr von Gott tren­nen kann. Er starb, damit uns nichts mehr von Gott tren­nt und wir leben können.

Jet­zt, nach Ostern, find­et diese Botschaft Ein­gang in den Herzen der Frauen. Jet­zt ver­ste­hen sie. Das steckt hin­ter der fast beiläu­fi­gen Bemerkung in V.8: „Da erin­nerten sich die Frauen an seine Worte!“ Trauer, Frust, Hoff­nungslosigkeit fall­en damit von ihnen ab. Neue Hoff­nung und frisch­er Mut keimen in ihnen auf.

Nehmen doch auch wir uns die Oster­botschaft zu Herzen! Dann kön­nen wir den Din­gen ins Auge sehen, die uns vom Leben abschnei­den, von Gott tren­nen wollen. Um das für uns aus dem Weg zu räu­men, hat Jesus Lei­den und Tod aus­ge­hal­ten. Es mögen ganz ver­schiedene Dinge sein: Per­sön­liche Schuld vielle­icht, aber auch Mut­losigkeit, Gefüh­le des Ver­sagens genau­so wie ein her­zlos­er Umgang mit anderen Men­schen. Das alles kön­nen wir Jesus beken­nen und uns von ihm vergeben lassen. Wir müssen es nicht mitschleifen in unser neues öster­lich­es Leben. Son­st haben wir schon gle­ich am Anfang unsere neue Chance vertan.

Das wäre mehr als nur schade. Denn Ostern bedeutet die Chance, Alt­las­ten endgültig zu entsorgen.

III. Neue Chance – eine neue Aufgabe

Und noch etwas möchte ich wenig­stens kurz andenken: Mir fällt auf, dass die Frauen gle­ich sofort zu erzählen begin­nen, was sie erlebt haben. Einen Mis­sions­be­fehl hat­ten sie zwar noch nicht erhal­ten. Aber den brauchen sie auch gar nicht. „Wes das Herz voll ist, dem geht der Mund über!“ Es drängt sie förm­lich, von der unglaublichen Wende zu erzählen, die sie ger­ade erlebt haben. Sie gehen ein­fach los und suchen die (noch) verängstigten und hoff­nungslosen Jünger auf.

So erleben wir es auch bei Men­schen, die neu zum Glauben an Jesus Chris­tus gekom­men sind. Sie gehen ein­fach los, kön­nen nicht schweigen von dem, was sie erlebt haben. Und ihre Begeis­terung ist so ansteck­end, dass sie andere mitzieht.

Als Chris­ten, die schon lange im Glauben ‚ste­hen’ (oder hof­fentlich: ‚uns bewe­gen‚) merken wir manch­mal, wie diese Begeis­terung nach­lässt: Die Beziehung zu Jesus ist ver­traut gewor­den, das Leben­sum­feld hat sich verän­dert, die echt­en Fre­unde sind jet­zt Chris­ten, man fühlt sich wohl mit ihnen, die ‚Welt’ rückt aus dem Blick­feld, man richtet sich ein mit dem Gedanken, dass manche eben ein­fach nicht glauben wollen. Erst in dieser Phase des Glaubens greift der Mis­sions­be­fehl Jesu. Aus der Selb­st­genügsamkeit weckt er uns auf. “Gehet hin, verkün­det das Evan­geli­um allen Völk­ern”, auch wenn ihr keine Lust habt, keine Zeit oder sowieso keine Hoff­nung mehr für die anderen habt. Im Evan­geli­um steckt soviel Kraft, dass sie nicht bei uns bleiben kann. Wir dür­fen es nicht für uns behal­ten. Es drängt hin­aus, will über die Gemeinde alle Men­schen erre­ichen und fängt mit uns an. Die Frauen macht­en sich auf den Weg. Wir kön­nen heute mit ihnen gehen. Ostern bedeutet auch die Chance, aus der from­men Selb­st­beschäf­ti­gung und –genügsamkeit zu erwachen und neu die Auf­gabe zu ent­deck­en, von Jesus zu erzählen und zum Glauben einzuladen.

Zu V.10–12: Zunächst liess sich nur ein­er liess sich von den Frauen ein wenig aufrüt­teln. Petrus ging zum leeren Grab, immer­hin. Doch Er tat genau das Gegen­teil von dem, was die Frauen erzählten. Er suchte den Leben­den bei den Toten. Und er fand ihn nicht. Das leere Grab ließ ihn staunen, lebendi­gen Glauben rief es nicht her­vor. Erst eine kurze Rand­no­tiz einige Sätze später lässt erah­nen, wie es mit Petrus weit­erge­gan­gen ist (Lukas 24,34). Offen­sichtlich ist ihm per­sön­lich Jesus begeg­net, vielle­icht auf dem Rück­weg vom leeren Grab. Diese Begeg­nung war für ihn entschei­dend und lebensverän­dernd — sie war seine neue Chance. Jesus suchte ihn auf, den Sün­der, der ihn ver­rat­en und ver­lassen hat­te. Petrus kon­nte umkehren, Jesus ver­gab ihm. Aus dem hoff­nungslosen Fis­ch­er wurde ein Gemeindegründer.

Mir ist ganz neu wichtig: Ostern bedeutet für uns neue Chan­cen und ungeah­nte Möglichkeit­en. Uns bietet sich die Chance, mit Gottes Hil­fe neu anz­u­fan­gen, wo alles ver­loren scheint. Es bietet sich die Chance, Alt­las­ten endgültig zu entsor­gen. Und es bietet sich die Chance, sich ganz neu von Chris­tus begeis­tern zu lassen und seine Botschaft weit­erzu­tra­gen zu andern. Pack­en wir doch die Chan­cen, die der Aufer­standene uns bietet. Brechen wir mit ihm wieder neu auf, zum Leben in und mit Gott. Amen

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