Predigt am 16.04.2023 in der EMK Adliswil
aus dem Bildersaal EMK
Liebe Gemeinde,
eine Woche ist vergangen seit Ostern. Die Eier und Schoggihasen sind wohl gegessen. Die Osterdekorationen abgebaut. Das Fest ist vorbei. – Und die Osterbotschaft? Wirkt sie noch nach? Oder ist auch in geistlicher Hinsicht wieder der Alltag eingekehrt?
Für jene, welche die Auferstehung live miterlebten hatten, war es sicher noch nicht vorbei: Die Auferstehungsbotschaft hatte die JüngerInnen aus tiefster Verzweiflung befreit. Das wirkte lebenslang nach. Neue Hoffnung und neuer Glaube waren erwacht: ‘Jesus lebt! Es geht weiter! Es geht vorwärts!’
Nur: wie? Die Rahmenbedingungen hatten sich geändert. Jesus lebte. Aber es war ein anderes Leben als vor Karfreitag. Seine Gegenwart von ganz anderer Qualität als vorher. Wie konnte man nach Ostern mit Jesus leben? – Vorher war Nachfolge buchstäblich zu verstehen: Mit Jesus, bzw. Jesus nach unterwegs zu sein zu den Menschen. Die JüngerInnen hatte Jesus leibhaftig vor Augen. Sie teilten sein Leben. – Das ging jetzt so nicht mehr. Nach Ostern war also neu zu buchstabieren, was Nachfolge, was Glauben konkret bedeutete.
In den 40 Tagen zwischen Ostern und Himmelfahrt unterstützte sie Jesus dabei. Es kam zu persönlichen Begegnungen mit dem Auferstandenen. Punktuell zwar nur und doch überwältigend. Anfängliche Zweifel an der Auferstehung wurden. Die Osterbotschaft konnte sich fest im Leben der JüngerInnen verwurzeln.
Wichtig war dabei sicher, dass der Auferstandene jedem/jeder wieder anders begegnete. Die Begegnungen waren individuell auf die Bedürfnisse der einzelnen zugeschnitten. Für Maria Magdalena war wichtig, dass Jesus sie mit ihrem Namen ansprach. Die Emmausjünger gewannen in einem theologischen Gespräch mit Jesus entscheidende Einsichten. Und Thomas durfte den Auferstandenen berühren und lernte so: ‘Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!” (Jh 20,28)
Im letzten Kapitel des Jh-Ev rückt Petrus ins Blickfeld. Nach der Verleugnung brauchte er eine ausdrückliche Bestätigung der Berufung. Das geschah in einem seelsorgerlichen Gespräch. Jesus rief Petrus erneut in seine Nachfolge und beauftragt ihn, “seine Herde zu weiden!” (vgl. Jh 21,15ff). Doch das ist nicht das einzige Thema dieses Gesprächs. Es geht darin auch noch um einen zweiten Jünger und Petrus’ Beziehung zu ihm. Das Jh-Ev spricht von ‘dem Jünger, den Jesus liebhatte’.
Petrus war am Ostermorgen zusammen mit dem ‚Lieblingsjünger ‘am Grab. Dieser habe das leere Grab gesehen und sei sofort zum Glauben gekommen. Bei Petrus dagegen, der sogar ins leere Grab hineingegangen war, dauerte das ein wenig.. Jh 21 erzählt dann, wie die beiden zusammen mit fünf anderen auf dem See Tiberias fischten, zunächst erfolglos. Erst auf einen Tipp des Auferstandenen, der plötzlich am Ufer erschien, gelang ihnen ein unglaublicher Fang. Und wieder begriff der ‘Lieblingsjünger’ schneller, dafür stürzt sich Petrus ins Wasser, um als erster bei Jesus zu sein.
Daran kommt das schon erwähnte seelsorgerliche Gespräch zwischen Jesus und Petrus. Dreimal fragt der Auferstandene: “Hast du mich lieb?” Petrus antwortet dreimal: “Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe” … und erhält jedes Mal den Auftrag: “Weide meine Schafe!”
Petrus kann also nach der Verleugnung noch einmal von vorne, ganz neu anfangen. Er erfährt durch ein prophetisches Wort aber auch, dass im Dienst Jesu schwierige Herausforderungen auf ihn warten. Jesu sagt: “Wahrlich, ich sage dir, als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest, wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.” (Jh 21,18) Und dann schliesst Jesus das Gespräch mit der Aufforderung: “Folge mir nach!” ab.
Petrus hatte schon vor Karfreitag behauptet, er würde Jesus überall hin folgen und dafür sogar sein Leben aufs Spiel setzen. Als Antwort kündigte Jesus ihm damals die Verleugnung an. Auf seinem Weg ans Kreuz könne er ihm nicht folgen, sagte Jesus. Das werde erst später möglich sein. — Nach Ostern ist es so weit: Jesus fordert Petrus auf, ihm auf neue Weise nachzufolgen, den Auftrag anzunehmen und sich seinen Weg ganz führen zu lassen.
In diesem Moment taucht der ‘Lieblingsjünger’ wieder auf …. und schon ist Petrus abgelenkt von dem, was gerade noch in seinem persönlichen Gespräch mit Jesus wichtig war. Ich lese Johannes 21,20–23:
20) Petrus drehte sich um und sah hinter sich den Jünger, den Jesus besonders lieb hatte. Es war derselbe, der während des letzten Mahles neben Jesus gesessen und ihn gefragt hatte: »Herr, wer wird dich verraten?«
21) Als Petrus ihn sah, fragte er Jesus: »Herr, was geschieht denn mit dem?«
22) Jesus antwortete ihm: »Wenn ich will, dass er so lange lebt, bis ich wiederkomme, was geht das dich an? Du sollst mir folgen!«
23) Deswegen verbreitete sich in der Gemeinde das Gerücht, dass der andere Jünger nicht sterben werde. Aber Jesus hatte nicht gesagt, dass er nicht sterben werde, sondern: »Wenn ich will, dass er so lange lebt, bis ich wiederkomme, was geht dich das an?« Johannes 21,20–23 (GNB)
Wer ist eigentlich dieser ‘Lieblingsjünger’? Er kommt nur im Jh-Ev vor und tritt fast immer mit Petrus auf. Es klingt fast, als wären die beiden Konkurrenten. Petrus als der Aktivere, Tatkräftigere, der aber manchmal übers Ziel hinausschiesst und fehleranfälliger ist. Der ‘Jünger, den Jesus lieb hatte’ scheint dagegen ruhiger und zurückhaltender zu sein. Grosser Glaube und kindliches Vertrauen zeichnen ihn aus. Ein wenig erinnern die beiden in ihrer Gegenüberstellung an die Geschichte von Martha und Maria aus dem Lk-Ev (Lk 10,38–42).
Der ‘Lieblingsjünger’ wird nie mit seinem Namen genannt. In der kirchlichen Tradition und in der Kunst ist er aber sehr bald mit dem Jünger Johannes identifiziert worden. Ob das auch richtig ist, lässt sich heute nicht mehr beweisen.
Jedenfalls klingt die Bezeichnung seltsam: ‘Der Jünger, den Jesus liebte’. Könnte das nicht Neid provoziert haben, wie es viel früher schon Jakobs Lieblingssohn Joseph erlebt hat? Die anderen müssten sich doch zurückgesetzt gefühlt haben? … Und dann erwacht die Frage: Gibt es vielleicht heute auch Menschen, die Jesus lieber hat als andere? lieber als mich selbst womöglich? Haben die dann für ihr Leben bessere Bedingungen, müssen sie mit weniger Schwierigkeiten kämpfen als ich? Sind sie vielleicht wirkungsvoller und begabter als ich?
Fragen des Neides eben. Sie könnten Petrus bedrängen. Gerade mit einem verantwortungsvollen Auftrag und einen wenig erfreulichen Ausblick auf die persönliche Zukunft konfrontiert, liegt die Frage menschlich nahe: ‘Was wird aber mit diesem? Der wird’s natürlich im Leben wieder besser und leichter haben als ich …”
Vielleicht steckt aber etwas ganz anderes hinter Petrus’ Frage. Lag ihm dieser andere Jünger vielleicht ganz besonders am Herzen? Dann wäre es eher Fürsorge, die ihn fragen lässt: “Was wird aber aus diesem? … Herr, du weisst, doch, dass er nicht so stark und belastbar ist wie ich. Mute ihm nicht zuviel zu ….”
Was auch immer die Motivation hinter der Frage ist: Jesu Antwort wirft Petrus auf sich selbst zurück und macht klar: “Es geht jetzt gar nicht um den anderen. Mit dem anderen habe ich meine eigene Geschichte, meine eigene Beziehung. Gerade jetzt geht es um dich. Zu dir habe ich gesagt: Folge mir nach! Dich habe ich gemeint. Lenk nicht ab von dem, was zwischen dir und mir ist, weder aus Neid, noch aus Fürsorge oder irgend welchen anderen Motiven.”
“Folge du mir nach!” Das könnte z.B. heissen:
- Lass dich nicht ablenken von dem, was andere vermeintlich haben oder können.
- Gib dem Neid und der Angst, zu kurz zu kommen, keinen Raum in deinem Leben.
- Lass Dich aber auch nicht vereinnahmen! Fürsorge und Engagement für andere in Ehren, aber sie dürfen nicht so viel Raum einnehmen, dass für deine persönliche Beziehung zu Jesus gar keine Zeit und kein Platz mehr da ist.
- Nimm den Weg, die Aufgaben und Herausforderungen an, die Jesus dir stellt, als deinen persönlichen Weg an. Lass Dich von ihm als Hirten führen. Und vergleiche nicht ständig mit den Wegen, die anderen zu gehen haben.
Dass das Jh-Ev einen der Zwölf als ‘den Jünger, den Jesus liebte’ bezeichnet, darf nicht zum Fehlschluss verleiten, dass er andere weniger geliebt hätte. Zu oft und zu klar betont das NT Jesu Liebe zu allen, z.B. in Jh 15,13, wo es heisst: “Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.”
Jesus braucht weder lauter Petrusse noch lauter “Lieblingsjünger”, weder lauter Marias noch lauter Marthas. Er braucht dich und mich — in unserer Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit.
In einem Buch über Jüngerschaft ist zu lesen: “Berufung in die Nachfolge geschieht ohne Rücksicht auf Qualifikationen” Das galt damals, als Jesus einfache Fischer wie Petrus, korrupte Zöllner wie Levi, potentielle Gewalttäter wie Simon und intellektuelle Zweifler wie Thomas … in seinen Freundeskreis gerufen hat. Und es gilt genauso heute, wenn Jesus uns auffordert, seine Nachfolger und Nachfolgerinnen zu sein.
Wir müssen nur bereit sein, auf ihn zu hören und uns führen zu lassen. Dann werden wir begreifen lernen, welchen Weg Jesus mit uns gehen möchte, welche Aufgaben er uns anvertraut, wie er uns samt Stärken und Schwächen in seinen Dienst nimmt … wie er uns verändert und wachsen lässt.
Wir sind ganz verschieden Typen und haben unterschiedliche Lebens- und Glaubensgeschichten. Ein bewertender, neidischer Vergleich ist aber nicht angemessen. Zu Petrus sagt Jesus sogar ziemlich schroff: “Es geht dich nichts an!” – Was aber nicht bedeutet, dass die Mitchristen uns nicht angingen. Das Jh-Ev fordert im Gegenteil dazu auf, einander zu lieben und zu achten und sich gerade darin als NachfolgerInnen Christi zu erweisen. Und so erleben wir hoffentlich immer wieder in der Gemeinde: Wir brauchen einander zur Ermutigung, zur Unterstützung und zur Ergänzung. Es ist ein riesiges Geschenk, dass wir nicht allein, sondern gemeinsam unterwegs sind. Und doch ist es wie beim Weinstock (vgl. Jh 15,1ff): Wie dort jedes einzelne Blatt und jeder Trieb muss auch jede und jeder von uns persönlich mit dem Stamm und mit der Wurzel verbunden sein. Nur so können die lebenswichtigen Nährstoffe fliessen und das Blatt lebendig bleiben. Losgelöst werden die Blätter gelb, trocken und sterben ab. Die je persönliche Beziehung zu Jesus Christus ist die Grundlage unseres Glaubens und auch unserer Gemeinschaft. — Wenn wir in dieser Beziehung nicht alles genau gleich erleben und verschiedene Wege geführt werden, brauchen wir uns deswegen ja nicht neidisch zu vergleichen oder ängstlich zu fragen, wen Jesus denn jetzt lieber habe. Wichtig ist nur, dass die Verbindung mit Jesus Christus lebendig ist!
“Folge du mir nach!” — Das ist die Aufforderung, nach Ostern nicht einfach in den gewohnten Alltagstrott zurückzusinken, sondern für mich neu zu buchstabieren: Was bedeutet mir Jesus Christus? Wo brauche ich Vergebung und einen Neuanfang? Welche Schritte möchte Jesus mit mir persönlich gehen?
‘Folge du mir nach!’ — Das fordert mich heraus, den Weg zu gehen und anzunehmen, den Jesus mit mir geht … ohne neidische Seitenblicke auf andere, die es leichter zu haben scheinen oder die es sich leicht machen. Ich möchte dankbar sein für die Gaben und Aufgaben, die er mir gibt und ihm auch in schwierigen Zeiten vertrauen.
‘Folge du mir nach!’- Ich bin dankbar, dass ich wie ein Trieb am Weinstock an den lebensspendenden Kreislauf angeschlossen bin und nicht auf meine begrenzte eigene Kraft angewiesen bin. Ich bin dankbar, dass ich mich nicht alleine durchs Leben kämpfen muss, sondern mich in der Geborgenheit einer Gemeinschaft (® Gemeinde) der Leitung Jesu anvertrauen darf.
‘Du aber — folge du mir nach!’ — Ich bin gefragt. Du bist gefragt. — Lassen wir uns darauf ein? Amen