Predigt am 21.05.2023 in der EMK Adliswil und in der Regenbogenkirche
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Liebe Gemeinde,
manchmal fehlen die Worte. Es verschlägt uns die Sprache, wenn wir Nachrichten aus Kriegsgebieten lesen, von Naturkatastrophen hören oder tragische persönliche Schicksale erzählt bekommen. Wie gerne würde man gerade dann etwas Sinnvolles, Tröstliches sagen. Doch das will nicht gehen. Und dann flüchtet man sich in Floskeln. Z.B.: «Es kommen auch wieder bessere Tage!» Oder sogar: «Alles wird gut!» Dabei fühlen wir: Es ist alles andere als gut!
Ein Beispiel dazu. Es ist unterdessen viele Jahre her: Ein Jungscharleiter, noch keine 20 Jahre alt, verunglückte tödlich. Ein Automobilist hatte ihn auf seinem Velo übersehen und überfahren. Im Gemeindebrief war dann zu lesen: Es hat Gott gefallen, XY zu sich zu rufen. Das löste Empörung und Widerspruch aus: Es kann doch Gott nicht gefallen, wenn ein hoffnungsvolles Leben brutal kaputt gemacht wird. – Eben: Manchmal gibt es keine angemessenen Worte. Gut gemeinte Versuche, dennoch etwas zu formulieren, machen die Sache dann nur schlimmer. – Zwar steht in der Bibel z.B. «Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen» (Röm 8,28). Aber so etwas kann man Trauernden nicht zusprechen. Genauso wie es bestenfalls hilflos wirkt, jemanden mit einer frischen Krebsdiagnose zu trösten mit: «Alles wird gut!»
Klar: Man will den Glauben festhalten, will die Hoffnung nicht sterben lassen. Und darf doch nicht fromm beschönigen, was einfach nicht gut ist. – Nein! Es ist nicht alles gut. Noch nicht jedenfalls. Darum: Wenn es keine angemessenen Worte gibt, schweigt man wohl besser. Steht dazu, dass es nichts zu sagen gibt. Versucht auszuhalten, dass sogar das Gebet tonlos, wortlos bleibt, zur schreienden Stille wird… so weit kann das ja gehen. Die Worte fehlen. Und wir wissen nicht, was wir beten sollen. Erich Kästner beschreibt das im Kinderbuch vom Doppelten Lottchen treffend: Die Zwillinge Lotte und Luise stehen vor der Tür, hinter der ihre geschiedenen Eltern sich zu versöhnen versuchen. Auf einmal, erzählt Kästner, bewegt Lotte die Lippen. „Betest Du?“ fragt Luise. „Ja“, sagt Lotte da und betet laut: „Komm Herr Jesus sei Du unser Gast…“ Dann bricht sie ab. „Es passt nicht“ sagt sie verzweifelt. „Aber mir fällt nichts anderes ein.“
Manchmal weiss man nicht, was man sagen soll und wie. Sogar beim Beten. „Ich würde gern beten“, habe ich einmal jemanden sagen hören: „Aber ich habe das so lange nicht mehr getan. Da kann ich doch jetzt nicht damit anfangen.“ Doch auch geübte BeterInnen können verstummen, nicht mehr wissen, was und wie sie beten sollen. Vielleicht, weil sie sich vor Gott schämen: „Darf ich wirklich kommen mit diesem Problem? Ich bin ja selbst schuld.“ Oder: „Ich weiss ich selber keine Lösung verstehe nicht einmal genau, wo eigentlich das Problem liegt? Was soll ich da beten?“
Paulus kannte sich damit aus. An die Christen in Rom schrieb er Folgendes. Ich lese Römer 8,26–30:
In gleicher Weise steht uns der Geist Gottes da bei, wo wir selbst unfähig sind. Wir wissen ja nicht einmal, was wir beten sollen. Und wir wissen auch nicht, wie wir unser Gebet in angemessener Weise vor Gott bringen. Doch der Geist selbst tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein. Dies geschieht in einer Weise, die nicht in Worte zu fassen ist. Aber Gott weiß ja, was in unseren Herzen vorgeht. Er versteht, worum es dem Geist geht. Denn der Geist tritt vor Gott für die Heiligen ein. Wir wissen aber: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten. Es sind die Menschen, die er nach seinem Plan berufen hat. Die hat er schon im Vorhinein ausgewählt. Im Voraus hat er sie dazu bestimmt, nach dem Bild seines Sohnes neu gestaltet zu werden. Denn der sollte der Erstgeborene unter vielen Brüdern und Schwestern sein. Wen Gott so im Voraus bestimmt hat, den hat er auch berufen. Und wen er berufen hat, den hat er auch für gerecht erklärt. Und wen er für gerecht erklärt hat, dem hat er auch Anteil an seiner Herrlichkeit gegeben. Römer 8,26–30 (Basis Bibel)
I. Gottes Geist hilft, wenn Menschen zu schwach sind zum Beten
Wenn die Worte zum Beten fehlen oder im Hals stecken bleiben, gilt: «Der Geist Gottes steht uns bei, wo wir unfähig sind. Wir wissen ja nicht einmal, was wir beten sollen. ….Doch der Geist selbst tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein.“ – Das heisst doch: Selbst wenn nur die Sehnsucht nach dem Gebet da ist. Selbst wenn mein Hilfeschrei stumm bleibt. Gott hört mich. Er sieht mich (Jahreslosung 2023: Gott, der mich sieht) und was mich plagt. Er schickt niemanden weg. Sein Geist betet an meiner Stelle, mit ‘unaussprechlichen Seufzern’ wie Luther übersetzte. Die Gelehrten streiten sich, ob damit das Sprachengebet, die sogenannte Zungenrede angesprochen sei. M.E. ist das gar nicht so wichtig. Gemeint ist: Gottes Geist ist bei denen, die ihn brauchen. Er unterstützt sie, hilft den Schwachen auf. Er hält selbst die Verbindung aufrecht, wenn wir zu schwach sind dafür. Er findet die Worte, Laute, Töne, die uns fehlen. Gottes Geist betet für uns.
Der Geist Gottes hilft denen auf, die zu schwach sind zum Beten. Das kann sogar in einem Menschen wachsen, dem man das nie zugetraut hätte… Der Regisseur Christoph Schlingensief war kaum ein Christ, wie wir es uns vorstellen. Er hielt kritische Distanz zu Kirche und Glauben. Doch: In seinem ‘Tagebuch einer Krebserkrankung’ schrieb er: Vor ein paar Tagen war ich in der Kapelle. „Da habe ich geredet, ganz leise vor mich hin geredet, obwohl niemand anderes da war. Habe gefragt, wie ich wieder Kontakt herstellen kann und wie ich begreifen kann, dass das jetzt Bestandteil vom Leben ist. … Nach einer Zeit hat mir jemand einfach die Stimme abgeschaltet. Ich bin ganz still geworden und habe hoch geguckt, da hing das Kreuz und in dem Moment hatte ich ein warmes, wunderbares, wohliges Gefühl. Ich war plötzlich jemand, der sagt: Halt einfach die Klappe, sei still, es ist gut, es ist gut.“
So könnte es sein, wenn wir nicht wissen, was wir beten sollen und der Geist unserer Schwachheit aufhilft. Oft braucht Gottes Geist aber auch andere Menschen, die mir auf die Sprünge helfen: Jemanden, der mir Mut macht und mich erinnert: Warum solltest du nicht beten können? Er ist für die da, die ihn brauchen. Und manchmal braucht Gottes Geist jene, die sagen: Ich bete für dich. So oft braucht Gottes Geist Menschen, um denen zu helfen, die nicht mehr beten können. Menschen, die man sehen und spüren kann und die so zu Gottes Gesicht werden, ihn verkörpern.
II. Paulus erinnert die, die zu schwach zum Beten sind, an Jesus Christus.
Dann ist mir Paulus Verweis auf Jesus Christus in die Augen gesprungen: Denen, die nicht (mehr) beten können, geht es doch ähnlich wie Jesus in seiner Passion. Schon in Gethsemane ging das Gebet fast über seine Kraft. Und am Kreuz, den Tod vor Augen, hat er gebetet: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Selbst Jesus war am Ende mit Vertrauen, Glauben und Hoffen. Er spürte Gott nicht mehr. Und das schrie er ihm entgegen! – Schweigen ist nicht immer Gold. Lieber die Enttäuschung herausschreien. Lieber Vorwürfe an Gott formulieren. Reden kann eine Erlösung sein. Dann ist es raus. Dann quält es nicht mehr.
Eigene Worte hat Jesus in diesem Moment nicht mehr gefunden. Darum zitierte er ein altes Gebet: «Warum hast Du mich verlassen, Gott!?» Wie er haben in jener Zeit viele mit dem 22. Psalm gebetet. Es ist ihm nichts anderes mehr eingefallen. Ein wenig wie Lotte vor der Wohnzimmertür. Doch Jesus war schlicht zu schwach für eigene Worte. Der Geist hilft unserer Schwachheit auf! — Mir fallen auch manchmal Worte ein, die ich irgendwann gelernt habe. Sie trösten ein wenig, wenn es eigentlich keinen Trost gibt. Oder sie verschaffen etwas Luft und die Angst ist nicht mehr so bedrückend.
Die Erinnerung an Jesu verzweifeltes: Warum hast du mich verlassen, Gott? zeigt aber auch: Auch wenn Jesus davon nichts mehr spürte, hatte Gott ihn eben doch nicht verlassen. Gott war da. Er hat ihn im Sterben gehalten. Und schliesslich auferweckt. — Aus dem grössten Elend schuf Gott das ganz Neue und Andere. Besiegte er den Tod. Durch die Not führt der Weg zum Sieg. Das ist die Hoffnung für alle in Not und Elend. Selbst wenn sie nichts spüren: Gottes Geist ist gerade bei denen, die schwach und hoffnungslos sind. Ausgerechnet ihnen hilft er auf.
III. Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen
Schliesslich steht in unserem Predigttext auch noch dieser schwierige Satz: «Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.» Schwierig, weil er niemanden tröstet, der gerade im Dreck steckt. Wie könnte ich einem Verzweifelten sagen: «Gott will nur das Beste für dich!» Oder auch nur: «Es wird schon für irgendwas gut sein!» So etwas kann man allenfalls für sich selber einsehen, in der Regel wohl erst hinterher. Wenn es überstanden ist. Wenn sich — vielleicht erst nach langer Zeit – zeigt, wozu etwas gut war. Und manchmal zeigt sich das ja nie so klar.
Doch bestimmt kann ich nie für einen anderen sagen: „Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.“ Aber ich könnte ihm erzählen, wann und warum ich für mich zu diesem Schluss gekommen bin. Dass ich mich deshalb daran klammere, dass Gott es gut mit mir meint. Mit mir und auch mit allen seinen Geschöpfen – sogar, wenn ich nicht verstehe, warum es so ist, wie es ist. Dann kann man anders beten. So, wie Jesus es getan hat. Als er Verhaftung und Verurteilung auf sich zukommen sah, da hat er gebetet: „Gott, erspar mir das“. Und nach einer Weile dann: „Dein Wille geschehe, Gott“. Mit Jesus scheint da etwas passiert zu sein, was an das erinnert, was Schlingensief in seinem Tagebuch schreibt: „Ich bin ganz still geworden … und hatte ein warmes, gutes Gefühl … es ist gut. Es ist gut.“ Ich hoffe und glaube: Dieses Vertrauen – gegen den Augenschein und das eigene, aktuelle Erleben — dieses Vertrauen schenkt Gottes Geist. Er hilft uns auf in unserer Schwachheit. Er hilft mir zum Vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint. Er hilft mir, wenn ich nicht genug Kraft habe zum Beten. Auch Paulus hat es erlebt und in 2. Kor 12,9 deshalb festgehalten: «Gott Kraft ist in den Schwachen stark.»
Es ist nicht alles gut! Aber manchmal fehlen die Worte, das zu formulieren. Und erst recht die Worte, dagegen anzubeten. Doch Paulus unterstreicht: Der Geist Gottes, hilft dir auf, wenn du zu schwach bist oder wenn es dir die Sprache verschlägt.
Kann ich also nur darauf warten, dass der Geist dies tut? — Vielleicht kann man ja beim Warten doch schon zu beten anfangen. Wenn eigene Worte fehlen, kann man zu denen anderer greifen und sie sich aneignen. Z.B. so beten, wie Jesus es gelehrt hat. Das Unser-Vater. Gebrauchsfertig formuliert. Worte, in denen alles drinsteckt. Auch wenn vielleicht zunächst nur die Lippen beten, aber weder Kopf noch Herz mitkommen. Einfach Beten. Eigentlich so, wie Lottchen gebetet hat: „Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast.“ So wie Jesus Worte aus dem 22. Psalm gebetet hat. Regelmässig das Vaterunser beten. So bleibt man in Verbindung. So reisst die Beziehung nicht ab. Und den Rest macht, gerade in schlimmen Zeiten, Gottes Geist. Und meine Erfahrung ist: Irgendwann kommen auch die anderen Worte wieder. Die eigenen. Die, die eine Erlösung sind, weil sie formulieren lassen, wie es ist. Und was wir von Gott erhoffen und ihm zutrauen. Amen