Alles gut!?

Römer 8,26–30

Predigt am 21.05.2023 in der EMK Adliswil und in der Regen­bo­genkirche

Quelle: Jaclyn Moy on unsplash.com

Liebe Gemeinde,

manch­mal fehlen die Worte. Es ver­schlägt uns die Sprache, wenn wir Nachricht­en aus Kriegs­ge­bi­eten lesen, von Naturkatas­tro­phen hören oder tragis­che per­sön­liche Schick­sale erzählt bekom­men. Wie gerne würde man ger­ade dann etwas Sin­nvolles, Tröstlich­es sagen. Doch das will nicht gehen. Und dann flüchtet man sich in Floskeln. Z.B.: «Es kom­men auch wieder bessere Tage!» Oder sog­ar: «Alles wird gut!» Dabei fühlen wir: Es ist alles andere als gut!

Ein Beispiel dazu. Es ist unter­dessen viele Jahre her: Ein Jungscharleit­er, noch keine 20 Jahre alt, verunglück­te tödlich. Ein Auto­mo­bilist hat­te ihn auf seinem Velo überse­hen und über­fahren. Im Gemein­de­brief war dann zu lesen: Es hat Gott gefall­en, XY zu sich zu rufen. Das löste Empörung und Wider­spruch aus: Es kann doch Gott nicht gefall­en, wenn ein hoff­nungsvolles Leben bru­tal kaputt gemacht wird. – Eben: Manch­mal gibt es keine angemesse­nen Worte. Gut gemeinte Ver­suche, den­noch etwas zu for­mulieren, machen die Sache dann nur schlim­mer. – Zwar ste­ht in der Bibel z.B. «Wir wis­sen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen» (Röm 8,28). Aber so etwas kann man Trauern­den nicht zus­prechen. Genau­so wie es besten­falls hil­f­los wirkt, jeman­den mit ein­er frischen Kreb­s­di­ag­nose zu trösten mit: «Alles wird gut!»

Klar: Man will den Glauben fes­thal­ten, will die Hoff­nung nicht ster­ben lassen. Und darf doch nicht fromm beschöni­gen, was ein­fach nicht gut ist. – Nein! Es ist nicht alles gut. Noch nicht jeden­falls. Darum: Wenn es keine angemesse­nen Worte gibt, schweigt man wohl bess­er. Ste­ht dazu, dass es nichts zu sagen gibt. Ver­sucht auszuhal­ten, dass sog­ar das Gebet ton­los, wort­los bleibt, zur schreien­den Stille wird… so weit kann das ja gehen. Die Worte fehlen. Und wir wis­sen nicht, was wir beten sollen. Erich Käst­ner beschreibt das im Kinder­buch vom Dop­pel­ten Lottchen tre­f­fend: Die Zwill­inge Lotte und Luise ste­hen vor der Tür, hin­ter der ihre geschiede­nen Eltern sich zu ver­söh­nen ver­suchen. Auf ein­mal, erzählt Käst­ner, bewegt Lotte die Lip­pen. „Betest Du? fragt Luise. „Ja“, sagt Lotte da und betet laut: „Komm Herr Jesus sei Du unser Gast…“ Dann bricht sie ab. „Es passt nicht“ sagt sie verzweifelt. „Aber mir fällt nichts anderes ein.“

Manch­mal weiss man nicht, was man sagen soll und wie. Sog­ar beim Beten. „Ich würde gern beten“, habe ich ein­mal jeman­den sagen hören: „Aber ich habe das so lange nicht mehr getan. Da kann ich doch jet­zt nicht damit anfan­gen.“ Doch auch geübte BeterIn­nen kön­nen ver­s­tum­men, nicht mehr wis­sen, was und wie sie beten sollen. Vielle­icht, weil sie sich vor Gott schä­men: „Darf ich wirk­lich kom­men mit diesem Prob­lem? Ich bin ja selb­st schuld.“ Oder: „Ich weiss ich sel­ber keine Lösung ver­ste­he nicht ein­mal genau, wo eigentlich das Prob­lem liegt? Was soll ich da beten?“

Paulus kan­nte sich damit aus. An die Chris­ten in Rom schrieb er Fol­gen­des. Ich lese Römer 8,26–30:

In gle­ich­er Weise ste­ht uns der Geist Gottes da bei, wo wir selb­st unfähig sind. Wir wis­sen ja nicht ein­mal, was wir beten sollen. Und wir wis­sen auch nicht, wie wir unser Gebet in angemessen­er Weise vor Gott brin­gen. Doch der Geist selb­st tritt mit Fle­hen und Seufzen für uns ein. Dies geschieht in ein­er Weise, die nicht in Worte zu fassen ist. Aber Gott weiß ja, was in unseren Herzen vorge­ht. Er ver­ste­ht, worum es dem Geist geht. Denn der Geist tritt vor Gott für die Heili­gen ein. Wir wis­sen aber: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten. Es sind die Men­schen, die er nach seinem Plan berufen hat. Die hat er schon im Vorhinein aus­gewählt. Im Voraus hat er sie dazu bes­timmt, nach dem Bild seines Sohnes neu gestal­tet zu wer­den. Denn der sollte der Erst­ge­borene unter vie­len Brüdern und Schwest­ern sein. Wen Gott so im Voraus bes­timmt hat, den hat er auch berufen. Und wen er berufen hat, den hat er auch für gerecht erk­lärt. Und wen er für gerecht erk­lärt hat, dem hat er auch Anteil an sein­er Her­rlichkeit gegeben.                             Römer 8,26–30 (Basis Bibel)

I. Gottes Geist hil­ft, wenn Men­schen zu schwach sind zum Beten

Wenn die Worte zum Beten fehlen oder im Hals steck­en bleiben, gilt: «Der Geist Gottes ste­ht uns bei, wo wir unfähig sind. Wir wis­sen ja nicht ein­mal, was wir beten sollen. ….Doch der Geist selb­st tritt mit Fle­hen und Seufzen für uns ein.“ – Das heisst doch: Selb­st wenn nur die Sehn­sucht nach dem Gebet da ist. Selb­st wenn mein Hil­feschrei stumm bleibt. Gott hört mich. Er sieht mich (Jahres­lo­sung 2023: Gott, der mich sieht) und was mich plagt. Er schickt nie­man­den weg. Sein Geist betet an mein­er Stelle, mit ‘unaussprech­lichen Seufz­ern’ wie Luther über­set­zte. Die Gelehrten stre­it­en sich, ob damit das Sprachenge­bet, die soge­nan­nte Zun­genrede ange­sprochen sei. M.E. ist das gar nicht so wichtig. Gemeint ist: Gottes Geist ist bei denen, die ihn brauchen. Er unter­stützt sie, hil­ft den Schwachen auf. Er hält selb­st die Verbindung aufrecht, wenn wir zu schwach sind dafür. Er find­et die Worte, Laute, Töne, die uns fehlen. Gottes Geist betet für uns.

Der Geist Gottes hil­ft denen auf, die zu schwach sind zum Beten. Das kann sog­ar in einem Men­schen wach­sen, dem man das nie zuge­traut hätte… Der Regis­seur Christoph Schlin­gen­sief war  kaum ein Christ, wie wir es uns vorstellen. Er hielt kri­tis­che Dis­tanz zu Kirche und Glauben. Doch: In seinem ‘Tage­buch ein­er Kreb­serkrankung’ schrieb er: Vor ein paar Tagen war ich in der Kapelle. „Da habe ich gere­det, ganz leise vor mich hin gere­det, obwohl nie­mand anderes da war. Habe gefragt, wie ich wieder Kon­takt her­stellen kann und wie ich begreifen kann, dass das jet­zt Bestandteil vom Leben ist. … Nach ein­er Zeit hat mir jemand ein­fach die Stimme abgeschal­tet. Ich bin ganz still gewor­den und habe hoch geguckt, da hing das Kreuz und in dem Moment hat­te ich ein warmes, wun­der­bares, wohliges Gefühl. Ich war plöt­zlich jemand, der sagt: Halt ein­fach die Klappe, sei still, es ist gut, es ist gut.“

So kön­nte es sein, wenn wir nicht wis­sen, was wir beten sollen und der Geist unser­er Schwach­heit aufhil­ft. Oft braucht Gottes Geist aber auch andere Men­schen, die mir auf die Sprünge helfen: Jeman­den, der mir Mut macht und mich erin­nert: Warum soll­test du nicht beten kön­nen? Er ist für die da, die ihn brauchen. Und manch­mal braucht Gottes Geist jene, die sagen: Ich bete für dich. So oft braucht Gottes Geist Men­schen, um denen zu helfen, die nicht mehr beten kön­nen. Men­schen, die man sehen und spüren kann und die so zu Gottes Gesicht wer­den, ihn verkörpern.

II. Paulus erin­nert die, die zu schwach zum Beten sind, an Jesus Christus.

Dann ist mir Paulus Ver­weis auf Jesus Chris­tus in die Augen gesprun­gen: Denen, die nicht (mehr) beten kön­nen, geht es doch ähn­lich wie Jesus in sein­er Pas­sion. Schon in Geth­se­mane ging das Gebet fast über seine Kraft. Und am Kreuz, den Tod vor Augen, hat er gebetet: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Selb­st Jesus war am Ende mit Ver­trauen, Glauben und Hof­fen. Er spürte Gott nicht mehr. Und das schrie er ihm ent­ge­gen! – Schweigen ist nicht immer Gold. Lieber die Ent­täuschung her­auss­chreien. Lieber Vor­würfe an Gott for­mulieren. Reden kann eine Erlö­sung sein. Dann ist es raus. Dann quält es nicht mehr.

Eigene Worte hat Jesus in diesem Moment nicht mehr gefun­den. Darum zitierte er ein altes Gebet: «Warum hast Du mich ver­lassen, Gott!?» Wie er haben in jen­er Zeit viele mit dem 22. Psalm gebetet. Es ist ihm nichts anderes mehr einge­fall­en. Ein wenig wie Lotte vor der Wohnz­im­mertür. Doch Jesus war schlicht zu schwach für eigene Worte. Der Geist hil­ft unser­er Schwach­heit auf! — Mir fall­en auch manch­mal Worte ein, die ich irgend­wann gel­ernt habe. Sie trösten ein wenig, wenn es eigentlich keinen Trost gibt. Oder sie ver­schaf­fen etwas Luft und die Angst ist nicht mehr so bedrückend.

Die Erin­nerung an Jesu verzweifeltes: Warum hast du mich ver­lassen, Gott? zeigt aber auch: Auch wenn Jesus davon nichts mehr spürte, hat­te Gott ihn eben doch nicht ver­lassen. Gott war da. Er hat ihn im Ster­ben gehal­ten. Und schliesslich aufer­weckt. — Aus dem grössten Elend schuf Gott das ganz Neue und Andere. Besiegte er den Tod. Durch die Not führt der Weg zum Sieg. Das ist die Hoff­nung für alle in Not und Elend. Selb­st wenn sie nichts spüren: Gottes Geist ist ger­ade bei denen, die schwach und hoff­nungs­los sind. Aus­gerech­net ihnen hil­ft er auf.

III. Denen, die Gott lieben, wer­den alle Dinge zum Besten dienen

Schliesslich ste­ht in unserem Predigt­text auch noch dieser schwierige Satz: «Denen, die Gott lieben, wer­den alle Dinge zum Besten dienen.» Schwierig, weil er nie­man­den tröstet, der ger­ade im Dreck steckt. Wie kön­nte ich einem Verzweifel­ten sagen: «Gott will nur das Beste für dich!» Oder auch nur: «Es wird schon für irgend­was gut sein!» So etwas kann man allen­falls für sich sel­ber ein­se­hen, in der Regel wohl erst hin­ter­her. Wenn es über­standen ist. Wenn sich  — vielle­icht erst nach langer Zeit – zeigt, wozu etwas gut war. Und manch­mal zeigt sich das ja nie so klar.

Doch bes­timmt kann ich nie für einen anderen sagen: „Denen, die Gott lieben, wer­den alle Dinge zum Besten dienen.“ Aber ich kön­nte ihm erzählen, wann und warum ich für mich zu diesem Schluss gekom­men bin. Dass ich mich deshalb daran klam­mere, dass Gott es gut mit mir meint. Mit mir und auch mit allen seinen Geschöpfen – sog­ar, wenn ich nicht ver­ste­he, warum es so ist, wie es ist. Dann kann man anders beten. So, wie Jesus es getan hat. Als er Ver­haf­tung und Verurteilung auf sich zukom­men sah, da hat er gebetet: „Gott, erspar mir das“. Und nach ein­er Weile dann: „Dein Wille geschehe, Gott“. Mit Jesus scheint da etwas passiert zu sein, was an das erin­nert, was Schlin­gen­sief in seinem Tage­buch schreibt: „Ich bin ganz still gewor­den … und hat­te ein warmes, gutes Gefühl … es ist gut. Es ist gut.“ Ich hoffe und glaube: Dieses Ver­trauen – gegen den Augen­schein und das eigene, aktuelle Erleben — dieses Ver­trauen schenkt Gottes Geist. Er hil­ft uns auf in unser­er Schwach­heit. Er hil­ft mir zum Ver­trauen, dass Gott es gut mit mir meint. Er hil­ft mir, wenn ich nicht genug Kraft habe zum Beten. Auch Paulus hat es erlebt und in 2. Kor 12,9 deshalb fest­ge­hal­ten: «Gott Kraft ist in den Schwachen stark.»

Es ist nicht alles gut! Aber manch­mal fehlen die Worte, das zu for­mulieren. Und erst recht die Worte, dage­gen anzu­beten. Doch Paulus unter­stre­icht: Der Geist Gottes, hil­ft dir auf, wenn du zu schwach bist oder wenn es dir die Sprache verschlägt.

Kann ich also nur darauf warten, dass der Geist dies tut? — Vielle­icht kann man ja beim Warten doch schon zu beten anfan­gen. Wenn eigene Worte fehlen, kann man zu denen ander­er greifen und sie sich aneignen. Z.B. so beten, wie Jesus es gelehrt hat. Das Unser-Vater. Gebrauchs­fer­tig for­muliert. Worte, in denen alles drin­steckt. Auch wenn vielle­icht zunächst nur die Lip­pen beten, aber wed­er Kopf noch Herz mitkom­men. Ein­fach Beten. Eigentlich so, wie Lottchen gebetet hat: „Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast.“ So wie Jesus Worte aus dem 22. Psalm gebetet hat. Regelmäs­sig das Vaterunser beten. So bleibt man in Verbindung. So reisst die Beziehung nicht ab. Und den Rest macht, ger­ade in schlim­men Zeit­en, Gottes Geist. Und meine Erfahrung ist: Irgend­wann kom­men auch die anderen Worte wieder. Die eige­nen. Die, die eine Erlö­sung sind, weil sie for­mulieren lassen, wie es ist. Und was wir von Gott erhof­fen und ihm zutrauen. Amen

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