Predigt am 28.05.2023 in der EMK Adliswil
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Liebe Gemeinde,
an Pfingsten geht es um den Heiligen Geist. So weit, so klar … und so schwierig. Denn von dieser Seite ist Gott am schwersten – wenn überhaupt – fassbar. Der Pfingstbericht der Apg zeigt: Gottes Geist bringt Vieles in Bewegung. Dabei geht aber auch Allerlei drunter und drüber. Man kann weder steuern noch kontrollieren, was durch den Geist von Gott her geschieht. Das ist ja gut und irgendwie befreiend. Weil so Verkrustungen aufbrechen und Erstarrungen sich lösen können. Eigentlich wünschte man Kirchen und Gemeinden mehr Wehen des Geistes, vielleicht sogar als Sturm. Doch solcher Wunsch könnte auch ‚gefährlich‘ sein. Weil dabei liebgewordene Gewohnheiten und vertraute Traditionen womöglich weggeweht würden. Was sicher schmerzhaft wäre, vielleicht sogar beängstigend.
Was hat es mit dem Heiligen Geist auf sich? Was ist da in Jerusalem eigentlich passiert? – Der Bericht des Lk deutet zwar Vieles an. Und gibt zugleich Rätsel auf. Denn letztlich sprengt es unser Vorstellungsvermögen: Verständigung über alle Grenzen von Kultur und Sprache hinweg. Auch die Begeisterung der JüngerInnen ist zwiespältig. Zwar schon sympathisch. Aber so ausser Rand und Band zu geraten ist auch verdächtig. Kaum verwunderlich daher, dass Kirchenordnungen Instrumente geschaffen haben um das Wirken des Geistes zu kontrollieren. Für den Preis, dass vom Feuer des Anfangs nur noch ein laues Lüftchen geblieben ist.
Was ist der Heilige Geist? Was hat er mit unserem Glauben, mit unserem Kirche- und Gemeinde-Sein zu tun? – Ich versuche heute, Grundlinien der Pneumatologie (® ‚Lehre des Geistes‘) möglichst kurz und verständlich darzustellen.
I. Der 3‑D-Gott
Warum differenzieren Christen den einen Gott in drei Erscheinungsweisen, Begegnungsformen oder gar Personen? Buchstäblich ist ja das Bekenntnis zu einem Gott in drei Personen nirgends in der Bibel zu finden. Sondern man hat sich in den ersten Jahrhunderten in einem langen Prozess auf das Interpretationsmodell der Dreieinigkeit geeinigt. Es soll helfen, den alle Vorstellungen sprengenden Gott ein klein wenig zu verstehen: Gott uns begegnet uns in drei (eigentlich sind es ja viel mehr, aber dann würde es unübersichtlich) verschiedenen Dimensionen. Ich stelle mir das gerne bildlich wie eine dreiseitige Pyramide vor: Wenn ich vor ihr stehe, sehe ich bestenfalls zwei Seiten, evtl. sogar nur eine. Wenn diese drei Seiten je ihre eigene Farbe haben, dann ist der Eindruck je nach Standpunkt und Sicht auf die Pyramide ein ganz anderer …. und doch ist es immer dieselbe Pyramide.
Da ist zunächst der Gott über uns – von der Bibel als ‚Vater‘ und ‚Schöpfer‘ bezeichnet. Von dieser Seite gesehen springt die Überlegenheit und Unvergleichlichkeit Gottes (Menschen gegenüber) ins Auge. Er ist der Schöpfer der Welt, aber auch ihr Richter. Von ihm kommen wir her, zu ihm kehren wir zurück. Es ist der ‚Gott über uns‘, der uns im Naturspiel beeindruckt. Seiner Weisheit müssen wir uns beugen, wenn das Leben uns hart mitspielt. Und er ist der, der die Gesetze des Lebens und Glaubens macht.
Die zweite Dimension zeigt die menschliche Seite Gottes, verkörpert von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. So gesehen ist er der Gott an unserer Seite. Jesus sagt: „Wer mich sieht, sieht den Vater” (Jh 14,9). Wenn wir uns auf Jesus konzentrieren, wird der erhabene Gott nahbar. Und wir lernen: Gott liebt bis zum Äussersten. Er ist auf der Seite der Schwachen. Er leidet lieber selbst und verzichtet auf Gewalt. Gerade in seiner Schwachheit und Sanftheit ist er aber unbezwingbar. Er überwindet sogar den Tod. – Von dieser Seite gesehen ist Gott unser Bruder.
Der Abstand zwischen Mensch und Gott ist also beim Sohn viel kleiner als beim Vater. Und doch: Jesus ist nicht mehr hier, sondern in den Himmel aufgefahren. Und selbst zu Jesu Lebzeiten blieb zwischen ihm und seinen JüngerInnen jener Abstand, der immer zwischen zwei Menschen besteht: Sie sind eben nicht eins, sondern zwei verschiedene Personen. – Da kommt nun die ‚dritte Dimension‘ Gottes ins Spiel: nicht mehr als Gott über uns, auch nicht als Gott an unserer Seite, sondern als Gott in uns. Als Geist lebt und wirkt Gott in uns. Er vergegenwärtigt Jesus (darum spricht die Bibel manchmal auch vom ‚Geist Jesu‘). Als Geist durchdringt Gott unser Leben und Glauben. Er macht seine Kraft und Inspiration für uns verfügbar. – Gott hat drei Seiten (® Personen, Wesensarten, Dimensionen): Gott als Vater. Gott als Sohn. Gott als Geist. Kurz gesagt: Christen glauben an einen dreidimensionalen, an einen 3‑D-Gott.
II. Der Heilige Geist — Kraft und Person zugleich
Bleiben wir auf der Seite der Pyramide, von der her sich Gott als Geist präsentiert: Jahrhundertelang wurde in der Entwicklung der Dreieinigkeitslehre darüber gestritten: Ist der Heilige Geist eine übernatürliche Kraft, also letztlich eine Sache? Oder ist er doch eine eigenständige Person. In der Bibel klingt es mal so, mal so: Der Pfingstbericht der Apg zeigt den Geist als Kraft, die wie eine Naturgewalt Menschen erfasst. Auch andere Bibeltexte reden von der enormen Kraft, die mit dem Heiligen Geist in das Leben einzelner Christen oder ganzer Gemeinden kommt. – Es gibt aber auch biblische Aussagen über den Geist, die ihn als Person kennzeichnen: Jesus z.B. bezeichnet den Geist als ‚Tröster‘, der redet, hört, verkündigt, leitet und einen eigenen Willen hat. An einem anderen Ort heisst es, dass man den Hl. Geist betrüben kann. Und manche Stellen bezeichnen ihn neben Jesus als unseren göttlichen Fürsprecher. lm Missionsbefehl Jesu nach Mt 28,18–20 steht der Heilige Geist dann auf derselben Ebene wie der Vater und Christus.
Vor diesem Hintergrund kam die Kirche dazu, im Geist eine eigenständige Person Gottes zu sehen. Gleichzeitig hielt sie an der Kernaussage des Judentums (und auch das Islams) fest, dass es nur einen Gott gebe. — Diese ‚Dreieinigkeitslehre‘, im Jahr 381 als verbindlich erklärt, ist in der Bibel aber noch nicht ausformuliert.
Die Bibel berichtet nur von konkreten Erfahrungen, die Menschen mit dem Geist gemacht haben. Die Kirche hat mit der Trinitätslehre versucht, solche Erfahrungen in ein System zu fassen. Getrieben war sie dabei nicht von zuletzt von Irrlehren, gegen die sie sich wehren musste.
Für mich sind solche dogmengeschichtlichen Überlegungen sehr spannend. Wohl wichtiger aber ist, dass wir uns mit den Wirkungsweisen Gottes, und an Pfingsten vor allem des Heiligen Geistes in unserem Leben befassen. Damit kommen wir zurück zu Bibeltext aus Apg 2.
III. Wirkungen des Heiligen Geistes
Unser Text erzählt von drei Wirkungen des Heiligen Geistes. Er ist wie 1. ein Sturm, der die Jünger in Bewegung setzt. Wie Feuerzungen legt er sich 2. auf sie und erfüllt sie. Und er gibt ihnen 3. eine neue Sprache, die Verständigung schafft.
Zunächst also: der Sturm. Sowohl im Griechischen als auch im Hebräischen (also AT +NT) ist das Wort für ‚Geist‘ (pneuma bzw. ruach) identisch mit dem Wort für ‘Wind‘ oder ‚Atem‘. Wie nahe diese Begriffe beieinander liegen, zeigt sich auch am Pfingsttext des Johannesevangeliums, wo es heisst: „Und als Jesus dies gesagt hatte, hauchte er sie an und spricht zu ihnen: Empfanget den Heiligen Geist!” (Jh 20,22). Der Hauch (=Geist) Gottes ist der Lebensspender schlechthin. In 1.Mose 2,7 haucht Gott dem Adam den Lebensatem (ruach) ein. Ähnlich haucht Christus seine Jünger an, um sie an seinem neuen Leben teilhaben zu lassen. Am Pfingsttag sehen wir den Anfang einer neuen Schöpfung. – Mir gefällt es, dass es sowohl eine ‚laute‘ (Apg 2) als auch eine ‚leise‘ (Jh 20,22) Version der Pfingsterfahrung gibt: Der Heilige Geist erscheint als Sturm und als Hauch. Er kann eine Macht sein, die einen packt und vorwärts treibt, wie ein Orkan, eine Naturgewalt. Die andere Erfahrung ist aber genauso wichtig: dass der Geist nämlich eine stille, uns von innen heraus inspirierende Kraft ist. Der Prophet Elia erfuhr das, als ihm Gott nicht im lauten Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer begegnete. Es war vielmehr ein unbeschreibbar leises und doch unüberhörbares Sausen, aus dem die Stimme Gottes sprach (vgl. 1.Könige 19,1–22).
Dann: Das Feuer. Das Bild ist naheliegend: Feuer entzündet, bringt zum Glühen, setzt grosse Energie frei. Ähnlich strahlt ein Mensch, der von Gottes Geist bewegt ist, Licht und Wärme und Energie aus. Wir kennen Redewendungen wie ‚Feuer und Flamme sein‘ oder ‚der Funke ist übergesprungen‘, wenn ein Mensch sich für etwas begeistert oder von etwas ergriffen ist. Der Geist ist der Funke, der Menschen für Gott begeistert. Man kann sich schon fragen, warum die Begriffe ‚Kirche‘ und ‚Begeisterung/Feuer‘ heute so weit auseinander scheinen wie Morgen und Abend. In der Geburtsstunde der Kirche gehörten sie doch untrennbar zusammen. Wobei es, wie Moses Erfahrung am Dornbusch zeigt, um ein Feuer geht, das zwar entflammt, aber nichts verbrennt. Neu ist an Pfingsten, dass Gottes Feuer Menschen direkt erfasst. Mose musste noch Abstand halten.
Klar sein muss aber: Dieses Feuer können wir Menschen nicht selbst in uns entzünden. Der Funke muss von aussen, von oben kommen. Alle Argumente, Methoden, Hebel und Kniffe können wohl eine Menge heisse Luft produzieren, aber pfingstlich wird die Kirche nur durch Gott. Alles, was wir dazu tun können, ist, wie die Jünger beieinander zu bleiben und darum zu beten.
Jesus sagt: „Der Vater im Himmel wird den Geist denen geben, die ihn darum bitten!” (Lk 11,13) Darum sitzen am Anfang der Geschichte die Jünger zusammen und beten. Und das können und müssen wir auch tun. Denn der Heilige Geist drängt sich niemandem auf. Der Schriftsteller C.S. Lewis hat einmal gesagt: „Der Heilige Geist ist ein ‚Gentleman‘. Er kommt nur, wenn man ihn hinein bittet.“ Die Frage ist dann höchstens: Wollen wir das überhaupt, dass der Heilige Geist uns entflammt? Lassen wir Verwandlung durch den Geist in der Gemeinde zu? Oder ist uns die Sache zu ‚heiss‘?
Schliesslich: die neue Sprache. Die ‚Zungen von Feuer‘ lassen sich auf den Jüngern nieder, und diese beginnen, ‚in anderen Zungen‘ (= Sprachen) zu reden. Feuerzungen und menschliche Zungen werden im Urtext mit demselben Wort bezeichnet: glossa. Das Sprachwunder ist also die direkte Folge des Feuers. Die Vertreter der verschiedensten Völker können ihre Muttersprache hören und verstehen. Die Pfingstgeschichte ist damit die Gegengeschichte zur Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel (vgl. 1.Mose 11,1–9). Der Heilige Geist schafft Verständigung über alle kulturellen und ethnischen Grenzen hinweg.
Als einzelne Christen wie als Gemeinde/Kirche sind wir in vielerlei Hinsicht auf die Hilfe des Heiligen Geistes angewiesen. Freilich haben wir keinen Einfluss darauf, wann er wo und wie wirkt. Schliesslich weht der Geist, wo er will.
Wir können nur um sein Kommen bitten und dann staunen, was er tut. Ich schliesse mit einem Erlebnis von einer früheren Pfarrerweiterbildung (PIM). Wir waren in einem Hotel über dem St.Galler Rheintal und feierten einen Abendmahlsgottesdienst gefeiert. Der Föhn kam gerade auf, nicht als Sturm, zwar aber immerhin. Das Gebet ganz zu Beginn dieses Gottesdienstes enthielt die Bitte um das Kommen des Heiligen Geistes. Und genau in dem Moment als es ausgesprochen wurde, erfasste in einem unübertroffenen Timing eine Windböe das Haus. Das war tatsächlich ziemlich eindrücklich, in diesem Moment das Pfeifen und Rauschen des Föhnes um die Hausecken wahrzunehmen. Im Blick auf das Wirken des Heiligen Geistes viel wichtiger war freilich das andere: An diesem Gottesdienst wirkten wohl über 20 Personen mit je eigenen Beiträgen mit. Sie hatten sich nach loser Absprache je selber vorbereitet. Und daraus wurde ein Gottesdienst, der in sich stimmig und ganz war. Es passte einfach alles zusammen … und das Ganze wurde nicht einmal übermässig lang. Vielleicht ist das die wichtigste Wirkung des Heiligen Geistes: Aus der Begeisterung und Betroffenheit vieler, aus unterschiedlichsten Ideen, schafft er ein Ganzes, in dem Christi Gegenwart lebendig, ja fast mit Händen zu greifen ist. Das mag lange nicht immer spektakulär sein, aber stets ergreifend und prägend. Und so kann ich an Pfingsten mir und uns nicht mehr wünschen, als dass Gottes Geist uns erfasst und mit dem Leben Christi füllt. Amen