Predigt am 11.06.2023 in der EMK Adliswil und in der Regenbogenkirche
Quelle: Aserusainhuu on unsplash.com
Liebe Gemeinde,
„syt dir öpper oder nämet dir Lohn?“ pflegte die legendäre Madame de Meuron unbekannte Leute zu fragen. Nicht nur die Berner Patrizierin ging davon aus, dass sich am Kontostand die Bedeutung einer Persönlichkeit ablesen liesse. Auch über 40 Jahre nach ihrem Tod ist Geld in unserem Land überaus wichtig. So wichtig, dass die Hälfte der Hauptsorgen von SchweizerInnen im Nov 2022 (Sorgenbarometer Credit Suisse) direkt oder indirekt mit Geld zu tun hatten. Viele machen sich Sorgen, sie könnten verarmen. In den News nehmen Wirtschaftsnachrichten immer mehr Raum ein. Immer wieder bleibt am Schluss das Gefühl hängen: „Wir armen Reichen! Wo führt das bloss noch hin mit uns?“ — Natürlich haben wirtschaftliche Entwicklungen weit reichende Folgen. Dennoch jammern wir in der CH auf sehr hohem Niveau. Und das grosse Aufheben, das wir um unser Geld machen, ist vor allem verräterisch: Es zeigt, was uns wichtig ist und was nicht! — Wenn es um unsere Wirtschaft geht, muss der Staat kurzfristig Milliarden riskieren um angeschlagene Banken zu retten. Wenn es aber z.B. um Entwicklungszusammenarbeit ging (d.h. um Nothilfe an arme Menschen), hören wir immer wieder, dass derselbe Staat sich die paar Millionen Fr. dafür nicht leisten könne. – Es scheint schon, als wären unsere Werte aus den Fugen geraten! Die Verhältnisse stimmen doch so nicht …
Das ging mir durch den Kopf angesichts eines Predigttextes, der von Armut und Reichtum handelt. Ich hoffe, dass die Auseinandersetzung damit uns helfen kann, wenigstens unsere persönlichen Wertmassstäbe – falls das nötig ist — zu sortieren. Es geht heute um Fragen wie: Was ist wirklich wichtig? Worauf kommt es letztlich an? Wer ist wirklich reich? Und wer vielleicht trotz grossem Vermögen arm? — Der Bibeltext steht in Lukas 16,19–31. Es ist ein Gleichnis, das Jesus erzählt hat:
19) »Es war einmal ein reicher Mann, der immer die teuerste Kleidung trug und Tag für Tag im Luxus lebte. 20) Vor seinem Haustor lag ein Armer, der hieß Lazarus. Sein Körper war ganz mit Geschwüren bedeckt. 21) Er wartete darauf, dass von den Mahlzeiten des Reichen ein paar kümmerliche Reste für ihn abfielen. Er konnte sich nicht einmal gegen die Hunde wehren, die seine Wunden beleckten. 22) Der Arme starb und die Engel trugen ihn an den Ort, wo das ewige Freudenmahl gefeiert wird; dort erhielt er den Ehrenplatz an der Seite Abrahams. Auch der Reiche starb und wurde begraben. 23) In der Totenwelt litt er große Qualen. Als er aufblickte, sah er in weiter Ferne Abraham, und Lazarus auf dem Platz neben ihm. 24) Da rief er laut: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir! Schick mir doch Lazarus! Er soll seine Fingerspitze ins Wasser tauchen und meine Zunge ein wenig kühlen, denn das Feuer hier brennt entsetzlich. 25) Aber Abraham sagte: Mein Sohn, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten das dir zugemessene Glück erhalten hast, Lazarus aber nur Unglück. Dafür kann er sich nun hier freuen, während du Qualen leidest. 26) Außerdem liegt zwischen uns und euch ein riesiger Graben. Selbst wenn jemand wollte, könnte er nicht zu euch kommen, genauso wie keiner von dort zu uns gelangen kann. 27) Da bat der reiche Mann: Vater Abraham, dann schick Lazarus doch wenigstens in mein Elternhaus! 28) Ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit sie nicht auch an diesen schrecklichen Ort kommen! 29) Doch Abraham sagte: Deine Brüder haben das Gesetz Moses und die Weisungen der Propheten. Sie brauchen nur darauf zu hören. 30) Der Reiche erwiderte: Vater Abraham, das genügt nicht! Aber wenn einer von den Toten zu ihnen käme, dann würden sie ihr Leben ändern. 31) Abraham sagte: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, dann lassen sie sich auch nicht überzeugen, wenn jemand vom Tod aufersteht.« Lukas 16,19–31 (GNB)
Ist das fair, was mit diesem reichen Mann geschieht? Der arme Lazarus ist doch sehr passiv. Ärgerlich, wie er nur so vor der Tür des reichen Mannes herumsitzt. Als müssten andere für ihn sorgen. Als wären alle, nur nicht er selbst, an seiner Armut schuld. – Alles was recht ist. Einfach nur da sitzen reicht halt nicht. Man muss schon wollen. Lazarus sollte sich nach Arbeit umschauen, sich in den Hintern klemmen, die Hände aus dem Sack nehmen und sich bemühen. Aber diese vorwurfsvolle Passivität, das ist eine Frechheit!
Nun ja, solche Leute gibt es: Ohne Eigeninitiative, nicht bereit, die eigenen Hände schmutzig zu machen, hängen sie herum, schimpfen auf die Gesellschaft … und wenn man ihnen einen Job vermittelt, gehen sie nicht hin, oder kommen zu spät, oder sind überfordert mit einfachsten Arbeiten. – Es gibt diese Leute. Aber sie sind die Ausnahme. Darum: Warum sollte Lazarus so ein Schmarotzer sein?
Vielleicht wollte er ja arbeiten, aber fand keine Arbeit. Vielleicht hatte er schlicht und einfach Pech. Es wäre aber auch möglich, dass Lazarus zwar arbeitete. Aber er verdiente nicht genug. In der CH gibt es – je nach Bewertungsmassstäben – zwischen 100’000 und 200’000 Leute, die zwar hart arbeiten, aber arm bleiben. War Lazarus ein ‚Working Poor’?
Vielleicht konnte er aber auch aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten. Lazarus war ja krank. In der Schweiz heute könnte er eine Invalidenrente beziehen, müsste sich aber gegen den Vorwurf wehren, scheininvalid zu sein.
Vielleicht war Lazarus aber arm, weil er nur ungenügend ausgebildet war. Weltweit können 250 Millionen Kinder nicht in die Schule gehen und 770 Millionen Erwachsene weder lesen und schreiben.
Also: Es mag Leute geben, die arm sind, weil sie nichts oder zu wenig dagegen unternehmen. Doch die ganz grosse Mehrheit der Armen weltweit kann nichts für ihre Not. Lazarus höchstwahrscheinlich auch nicht. Weltweit muss fast die Hälfte der Menschen mit weniger als 6.85 $/Tag auskommen. 648 Millionen (= 8.4%) haben sogar unter 2.15 $ / Tag. Das gilt als die Grenze absoluter Armut. Es ist nicht ihre Schuld, wenn sie davon kein Dach über dem Kopf, kein regelmässiges Essen, keine Krankenversicherung finanzieren können.
Es mag sehr ärgerlich sein, dass es Lazarus gibt. Aber: Er kann nichts dafür! Ausserdem: Geht es Jesus mit seiner Geschichte nicht viel mehr um den reichen Mann?
Wer ist der reiche Mann in dieser Geschichte? Im Gegensatz zum armen Lazarus hat er keinen Namen. Ein Mister X, dem ich irgendeinen Namen geben könnte. Ist es vielleicht Bill Gates? Oder Elon Musk? Heisst er Kamprad, Wertheimer oder Hoffmann, wie die reichsten Schweizer? — 1 % der SchweizerInnen besitzen mehr als die restlichen 99 %. Die Namen solcher Leute könnte man einsetzen als Namen des reichen Mannes in der Geschichte.
Andererseits: Wer Konto bei der Bank hat und etwas Geld im Portemonnaie gehört zu den weltweit 8% wohlhabenden Menschen. So gesehen bin auch ich reich. Mehr als reich: Ich habe ein Dach über dem Kopf. Ich habe Arbeit und Beziehungen. Ich besitze allerlei, was ich nicht wirklich brauche. Z.B. nicht nur ein, sondern sogar zwei Sofas, ein paar tausend Bücher (gelesen habe ich nicht alle) und bestimmt mehr Krawatten als nötig. Ich habe mindestens vier Brieföffner (von denen ich im entscheidenden Moment selten einen finde) und eine ganze Reihe von Videos/DVDs, die ich höchstens einmal angeschaut habe.
Heisst der reiche Mann aus der Geschichte womöglich gar nicht Gates oder Hoffmann, sondern trägt meinen/deinen Namen? Was er tut, das tun wir ja auch. Wir sind gut gekleidet, geniessen (fast) jeden Tag und essen mehr als genug. Und Abfälle für Kehricht und Kompost produzieren wir auch am Laufmeter.
Wir sind in Jesu Geschichte also der reiche Mann und nicht Lazarus. Und damit haben wir ein Problem: Denn mit dem Reichen nimmt es kein gutes Ende. Das wünschen wir uns anders. Und so landen wir bei der Frage: Wie komme ich Kamel durchs Nadelöhr? Das soll ja nach einem Wort von Jesus leichter gehen, als dass ein Reicher ins Himmelreich komme.
Doch dank Gott kann auch ein Reicher in den Himmel kommen. Das hat Jesus so gesagt (vgl. Lk 18,27). Und in seiner Geschichte befindet sich auch ein Reicher im Himmel: Abraham nämlich, in dessen Schoss Lazarus geborgen ist. Und von Abraham weiss die Bibel (1.Mose 13,2): „Abram war sehr reich. Er besaß große Viehherden und viel Silber und Gold.“
Der reiche Abraham geniesst in Jesu Geschichte himmlische Freuden. Dagegen schmachtet der namenlose Reiche ganz unten im Totenreich. Zwischen den beiden, die miteinander reden, ist ein unüberwindlicher Graben. Und es ist klar, wer der gute Reiche ist und wer der schlechte.
Wie kommt ein reicher Mann in den Himmel? Wo ist der entscheidende Unterschied zwischen Abraham und dem reichen Mann? — Abraham war ja auch nicht perfekt. Zweimal griff er z.B. aus Angst, zu einer Notlüge. Abraham gab seine Frau als seine Schwester aus. Er befürchtete nämlich, dass man den Ehemann seiner (über 70-jährigen) Frau töten könnte, weil diese so schön sei. Da wollte er lieber als Bruder Sarahs überleben. Abimelech, der König von Gerar, nahm deshalb Sarah als Frau zu sich. Die Wahrheit kam aber aus. Und der König warf er Abraham vor: „Du hast mir etwas angetan, was man nicht tun darf. ” (Gen 20,9b).
Weiter: Abraham gilt der Bibel zwar als Vater des Glaubens. Doch er kannte auch Zweifel. In Gen 17,17 lesen wir: “Da fiel Abraham auf sein Angesicht, lachte und dachte in seinem Herzen: ‚Soll etwa ein 100-Jähriger Kinder machen? Oder soll Sara, eine 90-Jährige gebären?’“ Selbst der ‚Vater des Glaubens’ musste um seinen Glauben kämpfen. Er kannte Anfechtungen und Zweifel. — Halten wir also fest: Um schliesslich bei Gott angenommen zu werden, muss ein Reicher weder ein Glaubensheld noch perfekt und fehlerlos sein.
Doch was steht denn nun bei Abraham auf der Aktivseite? Das ist zunächst dann doch sein Glaubensmut: Auf Gottes Wort bricht er in die Fremde auf. Oft wurde sein Glaube auf die Probe gestellt, besonders als es um den versprochenen Erben ging. Doch Abraham hielt sich an Gottes Versprechen fest. Das war seine ‚Tat der Gerechtigkeit’ wie es in 1.Mose 15,6 heisst. — Nun ist der Glaube sicher wichtig, um vor Gott gerecht zu sein. Allerdings sagt die Lazarusgeschichte nichts Negatives über den Glauben des namenlosen Reichen. Und auch von Lazarus’ Glaube ist nicht die Rede. Am Glauben allein kann es also nicht liegen. Vielleicht befolgte ja dieser Reiche genau wie Abraham oder wie der ‚reiche Jüngling‘ Gottes Gebote. Nur, wie Paulus immer wieder betonte: Gesetzesgehorsam garantiert keine Eintrittskarte in den Himmel.
Ein erster Unterschied zwischen Abraham und dem reichen Mann betrifft ihren Umgang mit anderen Menschen. Der reiche Mann auf der einen Seite scheint noch im Jenseits noch davon auszugehen, dass Lazarus für ihn Dienste zu tun habe. Er fordert ja Abraham auf, Lazarus als Hilfe zu ihm zu schicken. Oder er soll wenigstens Botendienste für die Geschwister des Reichen tun. — Typisch Snob!
Da ist Abraham anders: Von ihm wird erzählt, dass er Lot, seinen Neffen, unter Einsatz des Lebens aus Kriegsgefangenschaft befreite. Auf die Kriegsbeute verzichtete Abraham allerdings. Er führte nicht Krieg, um reicher zu werden, sondern um seinem Verwandten zu helfen (1. Mose 14,1ff., bes. 22–24). Einige Zeit später setzte Abraham sich intensiv für die Menschen von Sodom und Gomorra ein. Er feilschte mit Gott um ihr Leben und hätte Gott beinahe überzeugt. Abraham setzte sich für andere Menschen ein, auch für fremde Menschen. Dagegen erwartet der reiche Mann noch in der Hölle, dass andere sich für ihn einsetzen. Darum merke: Vertrauen in Gott und Einsatz für andere Menschen öffnet uns Reichen den Himmel.
Ein zweiter Unterschied: Der reiche Mann erwartete selbst im Totenreich noch bevorzugte Behandlung. Aus seiner Sicht stand er weiter im Mittelpunkt, und Abraham und Lazarus sollten ihm und seiner Familie helfen. Ganz anders Abraham. Als Lot und er zu viel Vieh hatten und ihre Hirten sich ins Gehege kamen, trennten sie sich. Es gab es das damals fruchtbare Tal bei Sodom und Gomorra, und es gab die kargen Höhen in die andere Richtung. Und was tat Abraham? Er überliess Lot die Wahl und der entschied sich prompt für das fruchtbare Tiefland. Der reiche Abraham liess Lot den Vortritt und nahm damit finanzielle Einbussen im kargen Hochland in Kauf. Ihm die gute Beziehung zu Lot wichtiger als die Chance auf mehr Wohlstands. Darum merke: Nicht die Mehrung des Reichtums, sondern Rücksicht auf die Mitmenschen öffnet uns Reichen den Himmel.
Der dritter Unterschied zwischen dem reichen Mann und dem reichen Abraham ist die Gastfreundschaft: Der reiche Mann schert sich keinen Deut um den armen Lazarus vor seinem Haus. Abrahams Gastfreundschaft dagegen ist sprichwörtlich. Grosszügig bat er drei fremde Männer in sein Zelt, erfrischte und bewirtete sie. Die Herzlichkeit, mit der Abraham diese drei Männer bewirtete, lohnte sich. Es war nämlich Gott selbst, der mit zwei seiner Boten bei ihm zu Besuch war. Darum merke: Ein für die Menschen vor deiner Tür offenes Haus und die Bereitschaft, für sie da zu sein und sie zu bewirten und zu bedienen – das ist was, was uns Reichen den Himmel öffnet.
Und es gibt einen vierten Unterschied: Der reiche Mann gibt nichts. Nicht einmal Essensreste bietet er Lazarus an. Er behält alles für sich. Nur sein Besitz interessiert ihn. Lazarus ist ihm egal. — Ganz anders Abraham. Er war bereit, alles zu geben. Dass er nicht an Gütern hing, wurde schon klar, als er Lot den Vortritt liess. Doch Abraham war noch zu viel mehr bereit. Bereit, den im hohen Alter gezeugten Sohn Isaak wieder loszulassen. Abraham war bereit, mit seinem Sohn die Verheissung Gottes von einem grossen Volk, und einem Namen, den man nie vergessen würde, wieder loszulassen. Er war bereit, alles zu geben und sich damit ganz zurückzunehmen. — Darum merke: Die Bereitschaft, für Gott auf alles zu verzichten und die Hände zu öffnen für unsere Mitmenschen und sich selbst als Geringster oder Geringste zu sehen, öffnet uns Reichen den Himmel.
Was also sagt uns Jesu Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus? Reich sein ist freiwillig. Niemand muss reich sein. Aber wenn ein Mensch reich ist, dann wird Gott von einem solchen Menschen viel fordern. Dann soll so ein Mensch sich den reichen Abraham zum Vorbild nehmen, der bereit war, für Gott und seine Mitmenschen auf alles zu verzichten, was er hatte. Es ist die Art und Weise, wie ein reicher Mensch mit seinen Mitmenschen umgeht, was ihn oder sie auszeichnet vor Gott. Zuerst muss das Gottesreich kommen, die Liebe zu Jesus Christus. Und diese Liebe wird sichtbar in der Art und Weise, wie wir mit den Mitmenschen umgehen und ihnen helfen, uns ihnen zuwenden, für sie unser Leben einsetzen und mit ihnen teilen. Der Himmel öffnet sich uns, wenn wir Lazarus nicht einfach vor unserer Haustür liegen lassen, sondern es wie Abraham machen und Lazarus auf unserem Schoss sitzen lassen. Amen
Ausgehend vom reichen Mann, dem ich gleiche, antworte ich mir selbst:
›Nein, Vater Abraham! Sondern, wenn jemand von den Toten wieder zu ihnen zurückkehrt, dann werden sie ihr Leben sicherlich ändern!‹ Jesus hat genau das kurz darauf getan um “allen, die an ihn glauben, nicht dem verloren werden zu überlassen, sondern das ewige Leben zu haben”.
Wieso ich glaube, wieso ich da bin, das weiss Gott.