Predigt am 20.08.2023 in der EMK Adliswil
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Anstelle einer Schriftlesung: NACHERZÄHLUNG VON GENESIS 28,10–22
Im Zentrum steht heute eine ganz bekannte Geschichte aus der Bibel, genauer gesagt: aus dem AT. Um diese Geschichte gut zu verstehen, muss man aber noch ein paar Sachen wissen. Z.B. hilft es zu wissen, wie sich die Menschen vor ~ 4000 Jahren die Welt vorgestellt haben:. Wir wissen ja heute, dass die Welt eine Kugel ist. Das wussten aber z.B. Abraham, Isaak und Jakob noch nicht. Sie nahmen an, die Erde sei eine riesige Platte. Und hoch darüber hing, wie eine Glocke oder ein Zeltdach, der Himmel, an dem sich tagsüber die Sonne und nachts Mond und Sterne bewegten. Dabei war das Blaue, das man an schönen Tagen vom Himmel sieht, in ihrer Vorstellung nur die Aussenwand der Wohnung Gottes und der Engel. Also ganz einfach: Unten auf der Erde wohnten die Menschen, hoch oben hinter dem blauen Himmelszelt wohnte Gott. Nun nahm man an — und das ist jetzt wichtig für unsere Geschichte -, dass es irgendwo, weit weg von den Zelten der Menschen, einen Ort geben müsse, wo sich Himmel und Erde berührten. Beim Sonnenuntergang sah man ja ganz deutlich wie die Sonne weit weg, hinter dem Meer oder hinter den Bergen, dort verschwand, wo sich Himmel und Erde berührten. Irgendwo dort also, weiter weg als ein Mensch je gekommen war, musste es einen Ein- und Ausgang des Himmels geben, einen Ort, an dem Engel und auch Gott selbst vorbeikamen, wenn sie die Erde besuchten. — Unsere Geschichte erzählt, wie einer – Jakob – diesen Ort gesehen hat.
Jakob war der jüngere Zwillingsbruder von Esau. Er hatte als Kind ein gutes Leben: Sohn eines wohlhabenden Vaters, aufgewachsen im Schutz einer grossen Sippe. Über diese allerdings sollte später einmal Esau der Chef werden. Als er erwachsen geworden war, begann dies Jakob immer mehr zu ärgern: Sein Bruder sollte einmal alles vom Vater erben, er selbst aber würde leer ausgehen. Als nun der Tod des Vaters Isaak immer näher kam, heckte Jakob mit seiner Mutter Rebekka einen hinterlistigen Plan aus, wie er anstelle von Esau zum Erben werden könnte. Es gelang auch tatsächlich, den blindgewordenen Vater zu täuschen. Dieser gab Jakob – in der Meinung, er sei Esau – seinen Segen und macht ihn damit zum künftigen Chef der Sippe.
Schliesslich hatte Jakob allerdings gar nichts davon. Esau rastete nämlich total aus, als er von der ganzen Sache erfuhr. Er schwor, er werde Jakob umbringen. Und Jakob wusste: Der redet nicht nur so daher. Esau war imstande, seine Drohung wahrzumachen. Also blieb Jakob nur die Flucht. Hals über Kopf musste er von zu Hause weg und alles, seinen ganzen vermeintlichen Besitz und die ganze Sippe (d.h. alle Menschen, die er kannte und liebte), musste er zurücklassen. Auf Rat seiner Mutter flüchtete Jakob zu deren Bruder bzw. seinem Onkel Laban. Der wohnte allerdings nicht gleich nebenan, sondern viele 100 km weit weg. Und Jakob musste die Strecke zu Fuss bewältigen, durch die Wüste.
Ein schönes Schlammassel, das er sich da eingebrockt hatte. Jakob war schon einige Tagen auf der Flucht, irgendwo in der Wüste unterwegs und ganz allein. Man muss sich das vorstellen: Ganz allein auf sich gestellt, im Ausland, ohne Karte, Kompass oder GPS. Menschen traf er kaum… und wenn, wusste er nie, ob er ihnen trauen konnte. In der Wüste trieb sich ja auch allerlei Gesindel herum. Ausserdem gab es wilde Tiere, Löwen z.B. und Hyänen, vor denen sich Jakob in Acht nehmen musste. Ganz schön viel Stress! Ich glaube, ich hätte in dieser Situation nachts kein Auge zutun können. Jakob aber schlief an diesem Abend ein. Vielleicht war er einfach so kaputt von der Flucht, dass ihn der Schlaf schlicht übermannte. Und als er schlief, hatte er einen Traum: Er sah plötzlich eine grosse Leiter. Sie schimmerte silbrig in der Nacht und sie reichte bis zum Himmel hinauf (® der Eingang in den Himmel, von dem ich vorhin erzählt habe). Auf dieser Leiter stiegen viele Engel auf und ab, um auf der Erde Gottes Aufträge auszuführen oder um sich im Himmel neue Weisungen zu holen. Und ganz oben auf der Leiter, am Eingang des Himmels stand einer. Jakob merkte plötzlich, dass das Gott war und er erschrak. Schliesslich hatte er seinem Vater Isaak und seinem Bruder Esau ziemlich übel mitgespielt. Doch Gott sagte nichts dazu. Er sagte dafür: „Hab keine Angst. Du bist nicht allein. Ich bin bei dir und ich komme mit dir. Und ich werde dafür sorgen, dass Du eines Tages wieder zurück in Deine Heimat kommen kannst!“ – Als Jakob am nächsten Morgen erwachte, war er zwar immer noch auf der Flucht und in der Wüste. Aber die Angst war weg und er fühlte sich nicht mehr allein. Seine Kraft war wieder da und so wanderte er weiter durch die Wüste, bis er viele Wochen später bei seinem Onkel Laban ankam.
Liebe Gemeinde,
zum ersten Mal in den Kindergarten oder in die Schule gehen, in eine neue Klasse kommen, eine(n) neue(n) Lehrer(in) bekommen, eine Lehre anfangen, eine neue Stelle antreten, in einer neuen Wohnung und einem neuen Ort sich zurecht finden, nach den Ferien am altbekannten Arbeitsplatz neu anfangen, den Ruhestand antreten, nach einer Krankheit oder Verletzung wieder gehen lernen, heiraten, ein neu geborenes Kind mit nach Hause nehmen und in die Familie integrieren, die Kinder in den Chindsgi oder in die Schule gehen lassen, die Kinder zu Hause ausziehen lassen …. ich könnte noch lange weiterfahren: Immer wieder stehen wir vor der Herausforderung, etwas Neues zum ersten Mal zu tun. Und die Gefühle sind, mal stärker und mal schwächer, vor jeder Premiere ähnlich: Wir sind ein wenig unsicher und nervös, freuen uns eigentlich auf das Neue und haben gleichzeitig auch ein wenig Angst vor dem, was schiefgehen könnte. Und wir wissen ganz genau: Das flaue Gefühl in der Magengegend wird sich erst legen, wenn wir angefangen haben, der erste Schritt oder auch die ersten paar Schritte in der neuen Herausforderung bewältigt sind.
Was hilft, wenn wir etwas zum ersten Mal machen? – Im Detail mögen die Bedürfnisse individuell verschieden sein. Sicher für alle wichtig ist aber die Erfahrung, begleitet zu sein. Die Gewissheit, nicht allein (gelassen) zu sein. Neues ist schwer zu bewältigen, wenn ich dabei ganz auf mich gestellt bin. Hingegen geht es leichter, wenn mir jemand Mut zuspricht, mich vielleicht sogar begleitet oder mir jedenfalls zu verstehen gibt: ‚Ich denke an dich!‘ odersogar: ‚Ich bete für dich!‘
Menschen sind auf Gemeinschaft und Beziehungen angewiesen. Wir brauchen es, nicht allein zu sein. Das weiss Gott. Darum sagt er dem Flüchtling Jakob genau dies: ‚Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du auch hinziehst … ich verlasse dich nicht und erfülle alles, was ich dir versprochen habe!“ Sogar noch das Versprechen, ihn eines Tages wieder in die alte Heimat zurückzubringen, gibt Gott Jakob.
Gott garantiert die Hilfe, die Menschen am allernötigsten haben. Er lässt sie nicht allein. Er kommt mit. Einem Flüchtling könnte wirklich nichts Besseres passieren als von Gott zugesprochen zu erhalten: „Ich weiss um deine Situation! Du bist weder verloren noch vergessen! Es geht weiter. Lass die Hoffnung nicht fahren. Vertraue auf mich, denn ich bin mit dir!“
Eindrücklich ist, wie mit dem, was Jakob träumte bzw. Gott ihm zusprach, sich für ihn die Welt total veränderte: Bis zu diesem Moment war er ein Flüchtling. Er wähnte sich – mit gutem Grund — von Gott und aller Welt verlassen. Doch der Traum macht aus ihm einen Reisenden in Gottes Begleitung, ja unter Gottes Schutz und Segen. Gott ist ihm begegnet und hat ihn verwandelt. Aus der Flucht ins Nirgendwo wird eine Reise, die Gott bis zum Ziel führen und begleiten wird.
Gott kommt mit! – Wenn das sogar für Jakob galt in einem Moment, in dem er aus eigenem Verschulden in grossen Schwierigkeiten stand, dann dürfen wir das erst recht für uns in Anspruch nehmen, wenn wir vor neue Herausforderungen gestellt sind. Gott kommt mit.
Gott kommt mit! – Das ist wichtig für jede(n), der oder die etwas Neues anfangen muss. Gott bleibt auch dabei. Nicht nur am ersten Chindsgi- oder Schultag, sondern an jedem Tag. Er ist da, wenn es neue Lehrer und Schulkameraden kennen zu lernen gilt, wenn man sich auf neue MitarbeiterInnen einlassen muss, wenn ein heikler Job zu erledigen oder wenn Konflikte zu überwinden sind. Er lässt uns nicht allein und gibt uns den Mut und das Vertrauen, uns den Herausforderungen zu stellen.
Gott geht mit! – Das zu wissen und darauf zu vertrauen, ist genauso wichtig für jene, die zurückbleiben, wenn einer zu neuen Ufern aufbricht. Die Eltern, die ihr Kind wieder ein Stück mehr loslassen müssen, können sich darauf verlassen. Gottes Segen geht mit unserem Kind. Wir können die Sorgen und Ängste, was ihm in der Schule alles passieren oder angetan werden könnte, an ihn abgeben.
‚Ich behüte dich!‘, sagt Gott zu Jakob. Andere Übersetzungen sagen auch: ‚Ich schütze dich‘ oder: ‚Ich segne dich!‘ – Obwohl wir es eigentlich wissen, ist vielleicht der Hinweis doch wichtig, dass das nicht bedeutet: Es wird Dir alles gelingen und Dir wird niemals etwas zustossen. Das hätten wir ja gerne. Gott kommt mit und alles Schwierige geht spielerisch leicht, Konflikte perlen an uns ab und Heldentaten gelingen von selbst. Doch nein! So ist es nicht gemeint.
Gott hat Jakob tatsächlich begleitet. Aber Jakob war gleichwohl immer wieder herausgefordert und hatte einiges zu ‚chnorze‘ und zu stöhnen, um bei seinem Onkel, der ein richtiges Schlitzohr war, zu bestehen. Es dauerte, bis er seine Traumfrau heiraten konnte, bis er soviel verdient hatte, dass er mit seiner Familie auf eigenen Beinen stehen und die Rückkehr in die Heimat eine realistische Möglichkeit werden konnte. Und als es dann, viele Jahre später, tatsächlich zurück ging in die alte Heimat, da ging das auch keineswegs von selbst. Ein richtiger Kampf war es, die Grenze zum Heimatland zu überschreiten. Vor der Begegnung mit dem Zwillingsbruder hatte Jakob auch Jahrzehnte nach dem misslungenen Betrug noch Angst. Doch es ging und Jakob ging in all den Herausforderungen nicht unter, denn Gott war mit ihm.
Das ist es, was Gottes Versprechen bedeutet: ‚Es mögen grosse Herausforderungen kommen, es kann schwierig werden, es kann sogar drunter und drüber gehen, aber ich bin und bleibe bei dir. Du gehst nicht unter und nicht verloren, ich gebe dir den Mut und die Kraft, alle Herausforderungen zu bewältigen, wenn Du auf mich vertraust.‘
Darum gilt: Es ist niemand je ganz allein. Selbst den Verlassenen garantiert Gott, dass er bei ihnen bleibt. So hat es Jakob erlebt. Und bei ihm bewirkte dies eine Veränderung der Wirklichkeitswahrnehmung: Als er sich abends zum Schlafen niederlegte, wähnte er sich an einem gefährlichen und verlassenen Ort. Am Morgen aber erwacht er im Bewusstsein auf heiligem Boden, in Gottes Gegenwart die Nacht verbracht zu haben. Damit dies nicht vergessen geht und damit auch andere, die später hier vorbeikommen, darauf aufmerksam werden, errichtet er ein einfaches Denkmal: Er stellt einen Stein auf, den er mit Öl übergiesst. Dieser Stein soll ein Hinweis auf die Himmelsleiter sein. Er soll jedem, der sich hierhin flüchtet, zusprechen: “Du bist nicht allein! Gott ist schon da!” So soll hier fortan jeder die Verwandlung erleben können, die Jakob geschenkt wurde:
Wichtig ist, das wir einander immer wieder erzählen, wie wir diese Begleitung Gottes erleben. Auf unserer jüngsten Ferienreise haben wir z.B. mehrfach erlebt: Pläne und Träume erfüllen sich oft nicht. Aber es kommt anderes, das gut tut. Und gelungen ist die Reise am Schluss dann doch.
Wenn wir vor den Ferien gefragt wurden, was wir denn vorhätten, habe ich erzählt, dass wir in die Vogesen wollten, der Mosel entlang fahren, später wohl in die Vulkaneiffel und am Schluss vielleicht noch an die Nordsee. – An der Moselquelle und in den Vogesen waren wir tatsächlich. Aber nur kurz. Das Wetter war oben auf den Vogesen auf 1200 m zu kühl. Statt in 3–4 Tagen sind wir an einem Tag die Routes des Crêtes abgefahren und haben uns dann ins Elsass geflüchtet, wo der Regen mindestens spürbar wärmer war. Gut, geregnet hat es zwar immer wieder. Aber es hat wieder aufgehört. Und so haben wir die Route de Vins d’Alsace im Sommer erkundet. Eine Tarte flambée gab es auch einmal. Und den Besuch bei Freunden in der Nähe Frankfurts konnten wir wie geplant machen. – Danach wollten wir nach Süden um die Wärme zu suchen. In der Schweiz sind wir aber hängen geblieben und haben etliche Besuche bei Freunden und Verwandt gemacht. Das wurden tolle Begegnungen, obwohl – oder vielleicht weil – sie nicht von langer Hand geplant waren. In der CH gab es auch allerlei zu sehen. Und das wir schliesslich einige Tage früher als geplant zu Hause waren, uns dafür von hier aus z.B. noch eine grosse Zürichsee-Rundfahrt gönnen konnten, war auch sehr schön. – Fazit: Vieles anders als geplant. Allerlei Umwege. Aber schliesslich doch sehr gut gelungen. Und immer begleitet und gesegnet. Und am Schluss so erholt, dass ich am vorletzten Ferientag ganz von selber um die Zeit ausgeschlafen erwachte, zu der im Alltag der Wecker klingelt. – Gott kommt mit. In den Ferien. Aber auch im Alltag. Darauf dürfen wir uns verlassen.
Zum Abschluss: Jakob hat in seinem Traum eine Leiter gesehen, die bis in den Himmel hinausreicht. Sie zeigte ihm: Wo ich liege, da berühren sich Himmel und Erde. Da kommt und bleibt Gott ganz nahe. Und wohl ein Leben lang hat ihn jede Leiter, die er gesehen hat, daran erinnert, dass Gott da ist. – Eine Leiter hängt in unserem Gottesdienstraum zwar nicht (in den Ferien habe ich – wegen Bauarbeiten — etliche Gottesdiensträume mit Leitern gesehen). Aber ein Zeichen dafür, dass Gott immer da und für uns da ist schon: Unsere ‚Himmelsleiter‘ ist doch das Kreuz. Schliesslich wird im Neuen Testament das Kreuz Christi mehr als alles andere zu dem Ort, an dem sich Himmel und Erde berühren. Anders als es Jakob in seinem Traum noch gesehen hat, ist Gott nämlich nicht oben, im Himmel, stehen geblieben. Sondern er ist in Jesus Christus herunter gekommen. Und weil er für uns gestorben ist, haben wir auch Zugang zum Himmel. Aus der Himmelsleiter Jakobs ist das Kreuz von Jesus Christus geworden. Hier berühren sich Himmel und Erde, ja kommt der Himmel in unsere Welt. Also bedeutet das Kreuz für uns genau, was die Himmelsleiter für Jakob.
Genau wie Gott gegenüber Jakob hat nämlich auch Jesus etwas versprochen. Er hat gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt!“ Und so lässt sich, was ich im Input zu sagen versuchte, auch so formulieren. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass Jesus mitkommt, wohin ich auch gerade gehe und welchen Herausforderungen ich mich auch immer stellen muss (Schule, Beruf, Ruhestand ….). Er ist da. Jesus kommt mit. In und dank ihm ist der Himmel immer bei mir. Amen