Recht haben oder gerechtfertigt sein?

Lukas 18,9–14

Predigt am 27.08.2023 in der EMK Adliswil

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wis­sen Sie, was das ist? – Das ist ein Phar­isäer. Jeden­falls kriegt man so etwas vorge­set­zt, wenn man im Nor­den Deutsch­lands im Restau­rant einen Phar­isäer bestellt. Bei uns würde man es wohl Café mélange nen­nen …. jeden­falls bis zum ersten Schluck. Danach müsste man wohl noch ein­mal über die Büch­er. Denn es ist kein gewöhn­lich­er Kaf­fee. Unter der Sah­ne­haube ver­steckt sich vielmehr Kaf­fee und Rum im Ver­hält­nis 1:1! Es heisst, die Friesen hät­ten früher mit diesem Getränk gerne Pas­toren und andere strenge Per­so­n­en irre geführt. Die Sah­ne­haube ver­hin­dert näm­lich, dass man den hoch­prozenti­gen Zusatz riecht. Der Pas­tor, dessen Tasse genau gle­ich aus­sah, aber eben keinen Rum enthielt, schöpfte so keinen Ver­dacht und stellte keine unan­genehmen Fra­gen. Und weil dieses Getränk eben nicht ist, was es zu sein vorgibt, gab man ihm den Namen Pharisäer.

Schliesslich gel­ten die Phar­isäer als sprich­wörtliche Heuch­ler. Die Beze­ich­nung ist ein Schimpf­wort. Das war sie übri­gens schon zu ntl Zeit­en. ‘Phar­isäer’ war schon damals keine Selb­st­beze­ich­nung. Die damit gemeinte jüdis­che Gruppe beze­ich­nete sich selb­st als ‘chaver­im’ = ‘Fre­unde (der Schrift). – Als war es schon damals wie noch heute: ‘Phar­isäer’ ist man nie sel­ber. Das sind immer die anderen.

Ob das wirk­lich immer so klar und ein­deutig ist? Wohl kaum, wie fol­gende Anek­dote zeigt: Ein Pfar­rer besuchte eines sein­er Gemein­deglieder, das sich am Son­ntag nie zeigte. Darauf ange­sprochen, erk­lärte der Mann: ‘Wis­sen Sie, die Kirche ist kein Platz für mich. Es gibt dort zu viele Heuch­ler.’ Darauf meinte der Pfar­rer: ‘Deswe­gen braucht­en Sie sich keine Sor­gen zu machen. Ein­er mehr hätte schon noch Platz.’

Es ist im Leben sel­ten ein­deutig klar, wer der Heuch­ler ist und wer nicht, wer recht hat und wer nicht, was wahr ist und was nicht. – Kür­zlich stellte jemand mit Blick auf den Kon­flikt über die Hal­tung zu sex­uellen Ori­en­tierun­gen fest: „Ich glaube, allen Beteiligten stünde etwas mehr Beschei­den­heit, etwas mehr Demut gut an. Etwas weniger Sicher­heit, selb­st alles zu ver­ste­hen und richtig zu sehen. Dafür etwas mehr Bere­itschaft, die Gedanken ander­er als berechtigt – und vielle­icht richtiger als die eige­nen — anzunehmen. Mehr Respekt für Mei­n­un­gen, die wir selb­st nicht nachvol­lziehen kön­nen. Mehr Beschei­den­heit, dafür weniger laute Behaup­tun­gen ….“ – Ich glaube, da ist etwas dran. Jesus hat näm­lich ein­mal eine Geschichte erzählt, die genau in diese Rich­tung zielt. Sie ste­ht in Lukas 18,9–14:

Wer hat recht? Der Phar­isäer – so rechtschaf­fen er auch sein mag – offen­bar nicht. Der Zöll­ner allerd­ings auch nicht. Von ihm aber sagt Jesus: Er ist gerecht­fer­tigt. Recht haben und gerecht­fer­tigt sein ist offen­sichtlich nicht das­selbe. Es ist anscheinend ziem­lich kompliziert.

Jeden­falls: All denen, die so genau zu wis­sen meinen, was gut und was böse ist, wer Recht hat und wer nicht – Ihnen allen macht Jesus mit sein­er Geschichte einen dick­en Strich durch die Rech­nung. Wer meint, mit seinem Fin­ger auf sog. ‘Phar­isäer’ zeigen zu dür­fen, schiesst sich nur allzu leicht selb­st ins Bein. Der Dichter Eugen Roth hat das mit fol­gen­den Zeilen auf den Punkt gebracht:

Ein Men­sch betra­chtete einst näher,
die Fabel von dem Phar­isäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei,
dafür, dass er kein Zöll­ner sei.
Got­t­lob! rief er im eitlen Sinn,
dass ich kein Phar­isäer bin.

Wie schnell gle­ichen wir dem Phar­isäer, der wir nicht sein wollen! Dage­gen die Pose und Hal­tung des Zöll­ners ’nachzuäf­fen’, hil­ft übri­gens nicht weit­er. Wenn Berech­nung dahin­ter steckt, wird aus Demut Unter­wür­figkeit. Das ist auch nicht, was Gott rechtfertigt.

Jesus zeigt mit sein­er Geschichte, dass Gott nicht Hal­tun­gen, son­dern Men­schen recht­fer­tigt. Sie richtet sich wed­er gegen Phar­isäer noch Zöll­ner. Sie will keine Schubladen bere­it stellen, in die sich Men­schen ein­sortieren lassen. Son­dern sie will vom Wet­tbe­werb befreien, bess­er als die anderen sein zu wollen. — Jesus verkündigtet auch mit dieser Geschichte die grosse Gnade und Liebe Gottes. Und er macht klar: Nicht Recht haben oder behal­ten ist das Entschei­dende. Son­dern Recht­fer­ti­gung, d.h. die Liebe und Gnade Gottes zu erfahren – darum geht es.

Gehen wir nun noch etwas mehr ins Detail und schauen uns erst ein­mal den ‚Phar­isäer‘ an: Der ist näm­lich viel bess­er als sein Ruf. In viel­er­lei Hin­sicht keine eine Gemeinde nicht genug Men­schen haben wie ihn. Er will von Herzen fromm sein. Gottes Wort respek­tiert er. Er gestal­tet sein Leben engagiert und kon­se­quent danach. Die dama­li­gen Phar­isäer haben sich kon­se­quent an Gottes Geboten ori­en­tiert. Sie haben den Sab­bat gehal­ten. Sie haben grosszügig Almosen gegeben. Den Zehn­ten entrichteten sie sog­ar dop­pelt: von allem, was sie ein­nah­men und für alles, was sie aus­gaben. Ihr Glaube war ihnen etwas wert. Und wenn ein­er zu einem Phar­isäer kam und ihn bat: Du, ich bin in Not, bete für mich und hilf mir — dann hat­te er das nicht umson­st gesagt.

Auf unsere Sit­u­a­tion heute über­tra­gen: Der Phar­isäer in Jesu Geschichte ste­ht für engagierte Leute, die in der Gemeinde nicht nur kon­sum­ieren, son­dern aktiv mit­machen. Men­schen, die ihren Glauben im All­t­ag umset­zen. Immer wieder in der Bibel lesen, darüber nach­denken und beten. Sie set­zen ihre Begabun­gen, ihre Kraft, ihre Zeit und ihren Besitz für die Kirche ein. Men­schen, die im besten Sinne des Wortes Chris­ten sind, auch von aussen als Chris­ten erkennbar sind – sie sind gemeint.

Und klar: Das alles verurteilt Jesus nicht! Er anerken­nt das Bemühen der Phar­isäer um ein Leben nach dem Willen Gottes. Das Prob­lem liegt an einem anderen Ort. Es entste­ht dort, wo sich in frommes Bemühen Leis­tungs­denken und Wet­tbe­werb ein­schle­ichen. Wo aus den guten Werken Ver­di­en­ste wer­den, die Gott anerken­nen und belohnen muss. — Der Phar­isäer in Jesu Geschichte meint, er könne sich mit seinem Engage­ment vor Gott in ein besseres Licht rück­en. Er rech­net aus, wie viele Punk­te er bei Gott gesam­melt haben müsste. Er schaut auf die anderen herab, die weniger auf dem Kon­to haben … das ist der Punkt, wo seine Fröm­migkeit ent­gleist. Er täuscht sich, wenn er meint, sich mit seinem guten Leben Gottes Gnade ver­di­enen zu können.

Ich weiss das alles, ich will die Fehler des Phar­isäers ver­mei­den — und tappe doch immer wieder in die Falle. Wie schnell rede oder denke ich abschätzig über andere? Wie leicht füh­le ich mich bess­er als sie … und blende doch nur aus, dass die blind­en Fleck­en in meinem Leben an ein­er anderen Stelle ver­steckt sind? Wer von uns hat nicht schon ein­mal heim­lich bei sich gedacht: ‘Ich bin vielle­icht nicht per­fekt. Aber eigentlich kann Gott doch ganz zufrieden sein mit mir.…’ Und damit trete ich vor Gott wie dieser Phar­isäer und Jesu Urteil trifft auch mich.

Natür­lich muss ‘Phar­isäis­mus’, nicht zwangsläu­fig zu Stolz und Über­he­blichkeit führen. Manchen ist ihr Glaube, als Leis­tungss­port betrieben, vielmehr zur Last gewor­den. Denen ging es dann vielle­icht so: Es gibt auch belastete Phar­isäer, die wohl eher wie der Zöll­ner vor Gott ste­hen und um Gnade und Ent­las­tung bit­ten. Wom­it defin­i­tiv klar wird, dass die Gren­zen zwis­chen Zöll­ner und Phar­isäer fliessend sind. Vielle­icht tra­gen wir ja bei­de wie zwei Seit­en ein­er Medaille in uns.

Aber wen­den wir uns nun dem Zöll­ner zu: Er kommt in Jesu Geschichte ja bess­er weg. Aber deswe­gen kann ich mir doch nicht wün­schen, wie er zu sein! Schliesslich: Sein Lebensstil vorher ist kaum zu recht­fer­ti­gen. Zöll­ner damals lebten nach der Devise: Geld stinkt nicht, aber es beruhigt. Mit Gottes Geboten hat er es nicht so genau genom­men. Die brem­sten einen, der Kar­riere machen wollte, doch nur aus. Beru­flich hat er es geschafft. Und erst dann gemerkt, dass ihn wed­er Erfolg noch Reich­tum befriedigten. — Nun ste­ht dieser Zöll­ner vor Gott. Wie es dazu kam, erzählt Jesus nicht. Nur dies, dass ihn die Erken­nt­nis über­fällt: „Mein Leben gefällt Gott nicht. Ich kann nicht mit Gott recht­en. Ich bin vor Gott hoff­nungs­los im Defizit!”

Dieser Zöll­ner weiss: „Ich kann nichts zu meinen Gun­sten in die Waagschale wer­den. Meine Hände sind ganz leer. Ich bin ganz auf Gottes Gnade angewiesen.“ – So bleibt ihm nur die Bitte: “Gott, sei mir Sün­der gnädig!”

Es wäre Phar­isäimus (= Berech­nung) in Reinkul­tur, aus dem Beispiel des Zöll­ners eine Meth­ode abzuleit­en. Das liefe näm­lich auf das Mot­to hin­aus: ‘Sich nicht zu viele Gedanken machen, unge­niert drau­f­los sündi­gen –Gott drückt dann schon ein Auge zu. Wer im richti­gen Moment Reue zeigt, wird schon nichts passieren.

Ich fürchte, dieses Mot­to hat – so dumm es auch klin­gen mag – ziem­lich grosse Anziehungskraft. Wir Men­schen haben den fatal­en Hang, uns die Wirk­lichkeit zurechtzu­biegen – und falls nötig: zurechtzulü­gen – bis es für uns passt. Und dann redet man sich z.B. ein: Gott kann doch am Ende gar nicht anders, als alle und alles zu recht­fer­ti­gen. Son­st bliebe doch sein Him­mel leer. Dann wäre er ungerecht. Und vor allem hätte er den Titel ‘lieber Gott’ nicht ver­di­ent. – Am lieb­sten stellen sich Men­schen selb­st den Per­sil-Schein aus. Sie spekulieren dann auf die ‚Zöll­ner-‚ oder Schächergnade”. Doch das ist nichts anderes als die Kehr­seite der berech­nen­den Fröm­migkeit, die Gott ihre guten Werke vorhält. Bei­des ist nicht, was Gott meint.

Die Lösung liegt nicht in dem, was der Phar­isäer tut. Und auch nicht in dem, was der Zöll­ner tut. Son­dern die Lösung bringt, was Gott bewirkt. Also geht es nicht darum, Recht zu haben oder zu behal­ten. Wed­er der Phar­isäer noch der Zöll­ner haben recht. Son­dern es geht darum, von Gott gerecht­fer­tigt, ins Recht geset­zt zu wer­den. Es anzunehmen, dass Gott uns sagt: „Du bist mir recht. Deine Schuld, deine Fehler, deine Unzulänglichkeit­en und Defizite schaue ich nicht an. Sie sind mir nicht wichtig. Aber ich liebe dich. Nimm das an. Dann bist und bleib­st du gerecht­fer­tigt, selb­st wenn Du immer mal wieder nicht recht hast.“

Die logis­che Folge davon ist – oder sollte jeden­falls sein: Mehr Demut und mehr Beschei­den­heit im Blick auf das eigene Denken und die eigene Lebens­führung. Mehr Grosszügigkeit und Respekt für das, was anderen tun, denken und sagen. Und vor allem: Viel mehr Dankbarkeit dafür, wie grosszügig Gott mit uns umge­ht. In sein­er Liebe und Gnade liegt der wahre Reich­tum. Und nicht im Rang und Anse­hen, die wir uns ver­meintlich erarbeiten.

Gottes Gnade macht näm­lich allem Wet­tbe­werb, auch dem from­men, ein Ende. Sieger auf Kosten von anderen gibt es nicht mehr. Vor Gott muss kein­er bess­er sein als die anderen. Son­dern jed­er und jede kann Gott danken, dass er ihn / sie geschaf­fen hat und liebt. Gott will jeden und jede annehmen und lieben. Wenn wir ler­nen, Gott dafür zu danken, wenn wir ler­nen, uns über die Begabun­gen und Stärken unser­er Mit­men­schen zu freuen statt uns an ihren Schwächen zu ärg­ern, wenn wir miteinan­der Gott danken für das Leben, das er schenkt, dann kom­men wir dem Paradies tat­säch­lich schon hier und jet­zt einen Schritt näher.  Amen

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