Predigt am 27.08.2023 in der EMK Adliswil
Copyright: Jametlene Reskp on Unsplash.com
wissen Sie, was das ist? – Das ist ein Pharisäer. Jedenfalls kriegt man so etwas vorgesetzt, wenn man im Norden Deutschlands im Restaurant einen Pharisäer bestellt. Bei uns würde man es wohl Café mélange nennen …. jedenfalls bis zum ersten Schluck. Danach müsste man wohl noch einmal über die Bücher. Denn es ist kein gewöhnlicher Kaffee. Unter der Sahnehaube versteckt sich vielmehr Kaffee und Rum im Verhältnis 1:1! Es heisst, die Friesen hätten früher mit diesem Getränk gerne Pastoren und andere strenge Personen irre geführt. Die Sahnehaube verhindert nämlich, dass man den hochprozentigen Zusatz riecht. Der Pastor, dessen Tasse genau gleich aussah, aber eben keinen Rum enthielt, schöpfte so keinen Verdacht und stellte keine unangenehmen Fragen. Und weil dieses Getränk eben nicht ist, was es zu sein vorgibt, gab man ihm den Namen Pharisäer.
Schliesslich gelten die Pharisäer als sprichwörtliche Heuchler. Die Bezeichnung ist ein Schimpfwort. Das war sie übrigens schon zu ntl Zeiten. ‘Pharisäer’ war schon damals keine Selbstbezeichnung. Die damit gemeinte jüdische Gruppe bezeichnete sich selbst als ‘chaverim’ = ‘Freunde (der Schrift). – Als war es schon damals wie noch heute: ‘Pharisäer’ ist man nie selber. Das sind immer die anderen.
Ob das wirklich immer so klar und eindeutig ist? Wohl kaum, wie folgende Anekdote zeigt: Ein Pfarrer besuchte eines seiner Gemeindeglieder, das sich am Sonntag nie zeigte. Darauf angesprochen, erklärte der Mann: ‘Wissen Sie, die Kirche ist kein Platz für mich. Es gibt dort zu viele Heuchler.’ Darauf meinte der Pfarrer: ‘Deswegen brauchten Sie sich keine Sorgen zu machen. Einer mehr hätte schon noch Platz.’
Es ist im Leben selten eindeutig klar, wer der Heuchler ist und wer nicht, wer recht hat und wer nicht, was wahr ist und was nicht. – Kürzlich stellte jemand mit Blick auf den Konflikt über die Haltung zu sexuellen Orientierungen fest: „Ich glaube, allen Beteiligten stünde etwas mehr Bescheidenheit, etwas mehr Demut gut an. Etwas weniger Sicherheit, selbst alles zu verstehen und richtig zu sehen. Dafür etwas mehr Bereitschaft, die Gedanken anderer als berechtigt – und vielleicht richtiger als die eigenen — anzunehmen. Mehr Respekt für Meinungen, die wir selbst nicht nachvollziehen können. Mehr Bescheidenheit, dafür weniger laute Behauptungen ….“ – Ich glaube, da ist etwas dran. Jesus hat nämlich einmal eine Geschichte erzählt, die genau in diese Richtung zielt. Sie steht in Lukas 18,9–14:
Wer hat recht? Der Pharisäer – so rechtschaffen er auch sein mag – offenbar nicht. Der Zöllner allerdings auch nicht. Von ihm aber sagt Jesus: Er ist gerechtfertigt. Recht haben und gerechtfertigt sein ist offensichtlich nicht dasselbe. Es ist anscheinend ziemlich kompliziert.
Jedenfalls: All denen, die so genau zu wissen meinen, was gut und was böse ist, wer Recht hat und wer nicht – Ihnen allen macht Jesus mit seiner Geschichte einen dicken Strich durch die Rechnung. Wer meint, mit seinem Finger auf sog. ‘Pharisäer’ zeigen zu dürfen, schiesst sich nur allzu leicht selbst ins Bein. Der Dichter Eugen Roth hat das mit folgenden Zeilen auf den Punkt gebracht:
Ein Mensch betrachtete einst näher,
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei,
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er im eitlen Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin.
Wie schnell gleichen wir dem Pharisäer, der wir nicht sein wollen! Dagegen die Pose und Haltung des Zöllners ’nachzuäffen’, hilft übrigens nicht weiter. Wenn Berechnung dahinter steckt, wird aus Demut Unterwürfigkeit. Das ist auch nicht, was Gott rechtfertigt.
Jesus zeigt mit seiner Geschichte, dass Gott nicht Haltungen, sondern Menschen rechtfertigt. Sie richtet sich weder gegen Pharisäer noch Zöllner. Sie will keine Schubladen bereit stellen, in die sich Menschen einsortieren lassen. Sondern sie will vom Wettbewerb befreien, besser als die anderen sein zu wollen. — Jesus verkündigtet auch mit dieser Geschichte die grosse Gnade und Liebe Gottes. Und er macht klar: Nicht Recht haben oder behalten ist das Entscheidende. Sondern Rechtfertigung, d.h. die Liebe und Gnade Gottes zu erfahren – darum geht es.
Gehen wir nun noch etwas mehr ins Detail und schauen uns erst einmal den ‚Pharisäer‘ an: Der ist nämlich viel besser als sein Ruf. In vielerlei Hinsicht keine eine Gemeinde nicht genug Menschen haben wie ihn. Er will von Herzen fromm sein. Gottes Wort respektiert er. Er gestaltet sein Leben engagiert und konsequent danach. Die damaligen Pharisäer haben sich konsequent an Gottes Geboten orientiert. Sie haben den Sabbat gehalten. Sie haben grosszügig Almosen gegeben. Den Zehnten entrichteten sie sogar doppelt: von allem, was sie einnahmen und für alles, was sie ausgaben. Ihr Glaube war ihnen etwas wert. Und wenn einer zu einem Pharisäer kam und ihn bat: Du, ich bin in Not, bete für mich und hilf mir — dann hatte er das nicht umsonst gesagt.
Auf unsere Situation heute übertragen: Der Pharisäer in Jesu Geschichte steht für engagierte Leute, die in der Gemeinde nicht nur konsumieren, sondern aktiv mitmachen. Menschen, die ihren Glauben im Alltag umsetzen. Immer wieder in der Bibel lesen, darüber nachdenken und beten. Sie setzen ihre Begabungen, ihre Kraft, ihre Zeit und ihren Besitz für die Kirche ein. Menschen, die im besten Sinne des Wortes Christen sind, auch von aussen als Christen erkennbar sind – sie sind gemeint.
Und klar: Das alles verurteilt Jesus nicht! Er anerkennt das Bemühen der Pharisäer um ein Leben nach dem Willen Gottes. Das Problem liegt an einem anderen Ort. Es entsteht dort, wo sich in frommes Bemühen Leistungsdenken und Wettbewerb einschleichen. Wo aus den guten Werken Verdienste werden, die Gott anerkennen und belohnen muss. — Der Pharisäer in Jesu Geschichte meint, er könne sich mit seinem Engagement vor Gott in ein besseres Licht rücken. Er rechnet aus, wie viele Punkte er bei Gott gesammelt haben müsste. Er schaut auf die anderen herab, die weniger auf dem Konto haben … das ist der Punkt, wo seine Frömmigkeit entgleist. Er täuscht sich, wenn er meint, sich mit seinem guten Leben Gottes Gnade verdienen zu können.
Ich weiss das alles, ich will die Fehler des Pharisäers vermeiden — und tappe doch immer wieder in die Falle. Wie schnell rede oder denke ich abschätzig über andere? Wie leicht fühle ich mich besser als sie … und blende doch nur aus, dass die blinden Flecken in meinem Leben an einer anderen Stelle versteckt sind? Wer von uns hat nicht schon einmal heimlich bei sich gedacht: ‘Ich bin vielleicht nicht perfekt. Aber eigentlich kann Gott doch ganz zufrieden sein mit mir.…’ Und damit trete ich vor Gott wie dieser Pharisäer und Jesu Urteil trifft auch mich.
Natürlich muss ‘Pharisäismus’, nicht zwangsläufig zu Stolz und Überheblichkeit führen. Manchen ist ihr Glaube, als Leistungssport betrieben, vielmehr zur Last geworden. Denen ging es dann vielleicht so: Es gibt auch belastete Pharisäer, die wohl eher wie der Zöllner vor Gott stehen und um Gnade und Entlastung bitten. Womit definitiv klar wird, dass die Grenzen zwischen Zöllner und Pharisäer fliessend sind. Vielleicht tragen wir ja beide wie zwei Seiten einer Medaille in uns.
Aber wenden wir uns nun dem Zöllner zu: Er kommt in Jesu Geschichte ja besser weg. Aber deswegen kann ich mir doch nicht wünschen, wie er zu sein! Schliesslich: Sein Lebensstil vorher ist kaum zu rechtfertigen. Zöllner damals lebten nach der Devise: Geld stinkt nicht, aber es beruhigt. Mit Gottes Geboten hat er es nicht so genau genommen. Die bremsten einen, der Karriere machen wollte, doch nur aus. Beruflich hat er es geschafft. Und erst dann gemerkt, dass ihn weder Erfolg noch Reichtum befriedigten. — Nun steht dieser Zöllner vor Gott. Wie es dazu kam, erzählt Jesus nicht. Nur dies, dass ihn die Erkenntnis überfällt: „Mein Leben gefällt Gott nicht. Ich kann nicht mit Gott rechten. Ich bin vor Gott hoffnungslos im Defizit!”
Dieser Zöllner weiss: „Ich kann nichts zu meinen Gunsten in die Waagschale werden. Meine Hände sind ganz leer. Ich bin ganz auf Gottes Gnade angewiesen.“ – So bleibt ihm nur die Bitte: “Gott, sei mir Sünder gnädig!”
Es wäre Pharisäimus (= Berechnung) in Reinkultur, aus dem Beispiel des Zöllners eine Methode abzuleiten. Das liefe nämlich auf das Motto hinaus: ‘Sich nicht zu viele Gedanken machen, ungeniert drauflos sündigen –Gott drückt dann schon ein Auge zu. Wer im richtigen Moment Reue zeigt, wird schon nichts passieren.
Ich fürchte, dieses Motto hat – so dumm es auch klingen mag – ziemlich grosse Anziehungskraft. Wir Menschen haben den fatalen Hang, uns die Wirklichkeit zurechtzubiegen – und falls nötig: zurechtzulügen – bis es für uns passt. Und dann redet man sich z.B. ein: Gott kann doch am Ende gar nicht anders, als alle und alles zu rechtfertigen. Sonst bliebe doch sein Himmel leer. Dann wäre er ungerecht. Und vor allem hätte er den Titel ‘lieber Gott’ nicht verdient. – Am liebsten stellen sich Menschen selbst den Persil-Schein aus. Sie spekulieren dann auf die ‚Zöllner-‚ oder Schächergnade”. Doch das ist nichts anderes als die Kehrseite der berechnenden Frömmigkeit, die Gott ihre guten Werke vorhält. Beides ist nicht, was Gott meint.
Die Lösung liegt nicht in dem, was der Pharisäer tut. Und auch nicht in dem, was der Zöllner tut. Sondern die Lösung bringt, was Gott bewirkt. Also geht es nicht darum, Recht zu haben oder zu behalten. Weder der Pharisäer noch der Zöllner haben recht. Sondern es geht darum, von Gott gerechtfertigt, ins Recht gesetzt zu werden. Es anzunehmen, dass Gott uns sagt: „Du bist mir recht. Deine Schuld, deine Fehler, deine Unzulänglichkeiten und Defizite schaue ich nicht an. Sie sind mir nicht wichtig. Aber ich liebe dich. Nimm das an. Dann bist und bleibst du gerechtfertigt, selbst wenn Du immer mal wieder nicht recht hast.“
Die logische Folge davon ist – oder sollte jedenfalls sein: Mehr Demut und mehr Bescheidenheit im Blick auf das eigene Denken und die eigene Lebensführung. Mehr Grosszügigkeit und Respekt für das, was anderen tun, denken und sagen. Und vor allem: Viel mehr Dankbarkeit dafür, wie grosszügig Gott mit uns umgeht. In seiner Liebe und Gnade liegt der wahre Reichtum. Und nicht im Rang und Ansehen, die wir uns vermeintlich erarbeiten.
Gottes Gnade macht nämlich allem Wettbewerb, auch dem frommen, ein Ende. Sieger auf Kosten von anderen gibt es nicht mehr. Vor Gott muss keiner besser sein als die anderen. Sondern jeder und jede kann Gott danken, dass er ihn / sie geschaffen hat und liebt. Gott will jeden und jede annehmen und lieben. Wenn wir lernen, Gott dafür zu danken, wenn wir lernen, uns über die Begabungen und Stärken unserer Mitmenschen zu freuen statt uns an ihren Schwächen zu ärgern, wenn wir miteinander Gott danken für das Leben, das er schenkt, dann kommen wir dem Paradies tatsächlich schon hier und jetzt einen Schritt näher. Amen