Liebe ist verschwenderisch

Markus 4,1–8

Predigt am 03.09.2023 in der EMK Adliswil und in der Regen­bo­genkirche

Paulus schreibt, die Liebe sei das Grösste. Sie übertr­e­ffe sog­ar Glauben und Hoff­nung (vgl. 1.Kor 13,13). Schliesslich: Wenn wir lieben, ver­schenken wir uns selb­st. Mehr, Wertvolleres kann nie­mand geben. Aber Liebende sind auch ver­let­zlich. Darum über­legen wir uns genau, wem wir wann wieviel Liebe schenken. Und knau­sern oft dabei. Aus Angst, ver­let­zt zu wer­den. Aus Sorge, uns selb­st zu verlieren.

Darum wirkt die Geschichte von der Sal­bung Jesu durch eine Frau (→ ntl. Schriftle­sung) befremdlich. Diese Frau übertreibt doch. Sie ist so mass­los in ihrer Liebe zu Jesus. Das scheint unvernün­ftig, und auch unanständig. Wir kön­nen die Jünger ver­ste­hen, die sich kri­tisch äussern.

Doch Jesus gibt ihnen nicht Recht. Er will zeigen: Liebe ist nicht dosier­bar. Sie ist mehr als grosszügig, ist ver­schwen­derisch. Diese Frau set­zt genau Gottes Idee und Vor­bild um. Denn auch er ist in sein­er Liebe gren­zen­los. Unvernün­ftig vielle­icht. Sich­er ver­schwen­derisch. Das ist die Idee. So ist Liebe. Darum ist sie die Grösste. Bei ander­er Gele­gen­heit hat Jesus dieses Wesen von Gottes Liebe in ein­er Beispielgeschichte ver­an­schaulicht. Ich lese Markus 4,1–8 :

Eine selt­same Geschichte. Sie lässt einen den Kopf schüt­teln. Dieser Bauer han­delt ja gegen jede (ökonomis­che) Ver­nun­ft: Saatgut ist knapp und teuer. Doch er ver­streut die Samen ohne darauf zu acht­en, wo sie lan­den. Mass­los ver­schwen­derisch. Ver­ant­wor­tungs­los. Unbeküm­mert. Als hätte er einen uner­schöpflichen Vor­rat. – So wird doch viel Saatgut einge­hen. Nur wenig lan­det auf gutem Boden und hat Chan­cen zu wach­sen und zu reifen. Dieser Bauer sät nach dem ver­pön­ten Giesskannenprinzip.

Doch – das will Jesus damit zeigen – dieser Säe­mann han­delt wie er selb­st. Wie Gott. So mass­los wie er sät, liebt Gott: Jesus wirkt, predigt, lehrt die Men­schen. Er gibt sich völ­lig aus dabei. Lässt nie­man­den links liegen. Eben: Giesskan­nen­prinzip. Ohne Strate­gie. Kein Inter­esse an Gewin­n­max­imierung. Jesus wägt nicht ab, wer reif ist für seine Botschaft und wer nicht. Er wen­det sich an alle. Hil­ft, wo er kann. Erzählt allen von seinem gren­zen­los lieben­den Vater. Ob sie es hören wollen oder nicht. In der kurzen Zeit seines Wirkens haben unzäh­lige Men­schen Jesus gese­hen und gehört. ‚Alles Volk‘ hörte ihm zu. Und die Men­schen waren begeis­tert. — Doch was ist davon geblieben? Am Kreuz hing er ganz allein, fühlte sich sog­ar von Gott verlassen.

Erleben wir nicht oft Ähn­lich­es? Und hadern damit: So viele Kinder hören in der Son­ntagss­chule Geschicht­en von Jesus! Zahllose Jugendliche wer­den in den Kirchen unter­wiesen, geseg­net, unter­stützt. Und wer­den danach nie mehr gese­hen! – Bei fast jedem Hotel­bett, bei jedem Spi­tal­bett liegt eine Bibel. Und wie oft wird darin gele­sen? Die Botschaft Jesu wird auf so vielfältige Weise (→ Medi­en) ver­bre­it­et. Doch so viele auch davon hören. Nur wenige nehmen es auf. Aufwand und Ertrag ste­hen in einem krassen Missverhältnis.

Das Gle­ich­nis vom Säe­mann bildet dieses Missver­hält­nis ab. Es erk­lärt aber nicht, warum es so ist. Warum schon Jesus selb­st nichts anderes erlebt hat. Jesu Geschichte zeigt nur auf: Liebe und strate­gis­ches Vorge­hen beis­sen sich. Liebe muss ver­schwen­derisch han­deln. Son­st wäre es keine Liebe. Liebe rech­net nicht, son­dern sie hofft. Sie sucht nicht Gewinn, son­dern eine Antwort aus Freiheit.

Alle müssen sie ken­nen ler­nen. Nicht nur die religiösen Spezial­is­ten. Nicht nur die Anständi­gen, die Gebilde­ten oder die hoff­nungsvollen Fälle. Nicht ein­mal nur die, deren Herz schon offen ist. Nein, ger­ade die Ver­nach­läs­sigten, die Schwieri­gen, die Frag­würdi­gen, die, denen der Glaube schw­er fällt, ja selb­st diejeni­gen, die wie ein fest­ge­tram­pel­ter Weg Gott gegenüber sehr abweisend sind. Alle müssen sein­er Liebe begeg­nen. Und weil nur die Liebe ret­ten kann, muss das Risiko, dass der grösste Teil der Saat kaputt geht, in Kauf genom­men werden.

Diese Gefahr ist sehr real. Denn das men­schliche Herz ist kreativ, wenn es darum geht, sich dem An- und Zus­pruch Jesu zu entziehen. So sel­ten frucht­bar­er Boden ist, so sel­ten sind Men­schen, welche Gottes Liebe sofort an- und aufnehmen. In denen die Liebe unge­hin­dert wach­sen kann. Jesus war das sehr bewusst. Darum nen­nt er vier typ­is­che Arten, wie Men­schen mit sein­er Botschaft umgehen:

1: Men­schen nehmen die Liebe Gottes gar nicht wahr. Sie perlt an ihnen ab. Sie nehmen sich keine Zeit dafür. Oder sie sind inner­lich so abweisend, dass Gottes Wort die ver­härtete Schicht ihrer Vorurteile nicht durch­drin­gen kann. Es ist wie bei den Vögeln auf dem Weg. Die Vögel ste­hen für Ein­flüsse von aussen: andere Men­schen, vorge­fer­tigte Mei­n­un­gen, Ter­mine, spon­tane Ein­fälle …. Das men­schliche Herz ist so ablenkungs­bere­it. Ablenkun­gen ‚pick­en‘ die Samen weg, bevor sie aufge­hen kön­nen. – Wobei nicht die ‚Vögel‘ das Prob­lem sind. Son­dern der fest­ge­tram­pelte Weg. Wir, d.h. unsere Ver­här­tung ist das Prob­lem.. Die Gründe liegen in uns drin.

2: Men­schen nehmen Gottes Liebe nur halb­herzig auf. Sie entwick­eln ‚Light-Vari­anten des Glaubens: So viel Christ­sein wie nötig, aber so wenig wie möglich. Chris­ten mit fel­sigem Boden haben zwar ‚ihren Glauben‘. Doch er bleibt ober­fläch­lich. Er reicht nicht bis zum Herz. – Oder: Manche sind zunächst voller Begeis­terung. Doch das Stro­hfeuer erlis­cht schnell wieder. Weil der Boden ihres Herzens von Steinen und Felsen durch­set­zt ist. – Oder: Manche sam­meln viel Wis­sen über Bibel und Glauben. Aber es bleibt im Kopf steck­en. – Das sind allesVari­anten, die zum Bild von den Felsen passen. Es gibt zwar guten Boden, aber er hat nicht genug Tiefe.

3: Gottes Liebe begin­nt zwar Wurzeln zu schla­gen. Aber manch­es andere erhält viel Aufmerk­samkeit: Sor­gen und Nöte vielle­icht. Alltägliche Hek­tik. Hob­bies oder ehrgeizige Pläne. Solche Dinge kön­nen eine grosse Dynamik entwick­eln und die gute Saat über­wuch­ern. Jesus sagt: „Man kann nicht zwei Her­ren dienen“ (vgl. Mt 6,24).“ Nur eine Pflanze kann sich durch­set­zen: Die Saat Gottes oder das Unkraut. — Welche es sein wird, liegt nicht zulet­zt daran, welche wir bess­er hegen und pflegen.

4: Gutes Land: Gottes Liebe kommt zum Ziel. Gott und Men­sch find­en zueinan­der. Die Saat wächst, ver­wurzelt sich, reift und bringt schlicht Frucht. Sehr viel Frucht: „Dreissig‑, sechzig‑, ja sog­ar hun­dert­fach!” Das ist die verblüf­fende Pointe von Jesu Gle­ich­nis: Trotz der Ver­schwen­dung von viel Saatgut resul­tiert am Schluss eine grosse Ernte. Gottes Botschaft kommt zum Ziel. Der schein­baren Ver­schwen­dung am Anfang ste­ht eine ver­schwen­derische Fülle am Ende gegenüber. Die Ernte ist gross. Jesu Vorge­hen mag (ökonomisch) unvernün­ftig sein. Den­noch geht die Rech­nung schliesslich auf. Mit dieser Zusage macht Jesu Geschichte Hoffnung!

Wie nahe liegt nun die Ver­suchung, einzuteilen: Bin ich fest­ge­tram­pel­ter Weg? Ist er steiniges Land? Ist sie voller Unkraut? Und wer bitte, ist dann ‚gutes Land‘?

Aber Jesus will sich­er nicht solche Schubladen anbi­eten. Ausser­dem steckt im Leben viel Dynamik. Was heute ist, kann mor­gen auf­brechen. Es gibt Raum für Verän­derun­gen. — Wichtig: Gutes Land, d.h. den ide­alen Ack­er, gibt es nicht von selb­st. Er muss erar­beit­et wer­den. Und das kann dauern. Der Naturzu­s­tand aber ist so, wie Jesu Gle­ich­nis beschreibt: Geprägt von harte Krusten, Steinen, Dor­nen und Dis­teln. Das muss weggear­beit­et – gepflügt, gejätet … — werden.

Genau­so ist es im men­schlichen Herz. Nie­mand ist von Natur aus ide­ales Ack­er­land. Son­dern alle vier Boden-Typen steck­en — in unter­schiedlichen Dosierun­gen — in uns drin. Da hat es fest­ge­fahrene Wege, also Bere­iche, in denen wir uns nach aussen hart und abweisend geben. Bei anderen The­men neigen wir zur Ober­fläch­lichkeit. Und alle ken­nen in ihrem Leben Dor­nen und Dis­teln, die den Glauben zu erstick­en dro­hen. Es gibt aber auch in allen Stücke guten Bodens. Das sind Bere­iche und The­men, bei denen wir gut auf Gottes Liebe ansprechen.

Wichtig ist, diese Bere­iche guten Bodens in sich zu fördern, gewis­ser­massen zu beack­ern. Frucht­bar­er Boden ist das Ergeb­nis von Arbeit. Es muss gepflügt und gehackt wer­den. Es sind Steine wegzu­tra­gen. Es ist zu jäten und zu dün­gen. — Im geistlichen Bere­ich ist es wie im Acker­bau: Ein schlechter Boden, auf dem ordentlich gear­beit­et wird, bringt auf Dauer mehr Frucht als ein guter Boden, den man verkom­men lässt’

Christlich­er Glaube ist also mit Arbeit ver­bun­den!? Stimmt das wirk­lich? Bei Paulus ist doch zu lesen, dass der Glaube ein Geschenk, reine Gnade sei. Jesus selb­st hat auch gepredigt, dass Gottes Liebe bedin­gungs­los allen gilt. – Daran ist unbe­d­ingt festzuhal­ten. Doch wenn diese Botschaft von der Liebe Gottes in uns nicht nur ein emo­tionales Stro­hfeuer ent­fachen, allen­falls viel Kopfwis­sen her­vor­brin­gen oder sich let­ztlich nicht in ein paar unverbindlichen Floskeln erschöpfen soll, dann braucht es Arbeit.

Das ist nur schein­bar para­dox. Nehmen wir zum Ver­gle­ich die Liebe: Die Liebe ist immer ein Geschenk. Aber damit dieses Geschenk auf Dauer nicht verblasst, müssen wir an der Beziehung arbeit­en. Wir alle ken­nen mehr als genug Beispiele dafür, dass Men­schen dies ver­säumt und darüber das Geschenk ihrer Liebe ver­loren haben. So ist es auch mit dem Glauben. Jesus streut sein Wort ger­adezu ver­schwen­derisch aus. Aber dieses Geschenk muss gepflegt wer­den. Ein Men­sch, der starke Weg-Anteile in sich find­et, müsste das Ganze erst mal auf­pflü­gen und sich ganz neu öff­nen. Jemand, der mehr steinige Anteile in sich hat, muss ler­nen, seinem Glauben mehr Tief­gang zu geben. Und wer starke Unkraut-Anteile in sich hat, kann diese nur über­winden, indem er dem Wort Jesu mehr Raum gibt und konkur­ri­erende „Pflanzen” zurückschneidet.

Wie aber macht man das: das vorhan­dene gute Land in uns sel­ber zu hegen und zu pfle­gen? Das geschieht am besten dadurch, dass wir darauf acht­en, wo und wie wir beson­ders empfänglich sind für das Wort Jesu — und dem dann mehr Raum geben. Bei manchen ist das das Lesen der Bibel, bei anderen sind es eher gemein­schaftliche Erleb­nisse wie der Besuch von Gottes­di­en­sten oder das Gespräch in ein­er Kle­in­gruppe. Bei wieder anderen sind es bes­timmte For­men der Med­i­ta­tion oder des Gebets. Let­ztlich geht es darum — wie Johannes es aus­drückt — an und bei Jesus zu bleiben, damit er an uns und durch uns wirken kann (vgl. Jh 15). Darum soll­ten wir her­aus­find­en, auf welche Weise die Botschaft Jesu beson­ders gut an unser Herz her­ankommt – und dem gezielt Raum geben in unserem Leben. Denn er sät immer noch weit­er, grosszügig, ver­schwen­derisch … auch in unseren Herzen.  Amen

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