Predigt am 03.09.2023 in der EMK Adliswil und in der Regenbogenkirche
Paulus schreibt, die Liebe sei das Grösste. Sie übertreffe sogar Glauben und Hoffnung (vgl. 1.Kor 13,13). Schliesslich: Wenn wir lieben, verschenken wir uns selbst. Mehr, Wertvolleres kann niemand geben. Aber Liebende sind auch verletzlich. Darum überlegen wir uns genau, wem wir wann wieviel Liebe schenken. Und knausern oft dabei. Aus Angst, verletzt zu werden. Aus Sorge, uns selbst zu verlieren.
Darum wirkt die Geschichte von der Salbung Jesu durch eine Frau (→ ntl. Schriftlesung) befremdlich. Diese Frau übertreibt doch. Sie ist so masslos in ihrer Liebe zu Jesus. Das scheint unvernünftig, und auch unanständig. Wir können die Jünger verstehen, die sich kritisch äussern.
Doch Jesus gibt ihnen nicht Recht. Er will zeigen: Liebe ist nicht dosierbar. Sie ist mehr als grosszügig, ist verschwenderisch. Diese Frau setzt genau Gottes Idee und Vorbild um. Denn auch er ist in seiner Liebe grenzenlos. Unvernünftig vielleicht. Sicher verschwenderisch. Das ist die Idee. So ist Liebe. Darum ist sie die Grösste. Bei anderer Gelegenheit hat Jesus dieses Wesen von Gottes Liebe in einer Beispielgeschichte veranschaulicht. Ich lese Markus 4,1–8 :
Eine seltsame Geschichte. Sie lässt einen den Kopf schütteln. Dieser Bauer handelt ja gegen jede (ökonomische) Vernunft: Saatgut ist knapp und teuer. Doch er verstreut die Samen ohne darauf zu achten, wo sie landen. Masslos verschwenderisch. Verantwortungslos. Unbekümmert. Als hätte er einen unerschöpflichen Vorrat. – So wird doch viel Saatgut eingehen. Nur wenig landet auf gutem Boden und hat Chancen zu wachsen und zu reifen. Dieser Bauer sät nach dem verpönten Giesskannenprinzip.
Doch – das will Jesus damit zeigen – dieser Säemann handelt wie er selbst. Wie Gott. So masslos wie er sät, liebt Gott: Jesus wirkt, predigt, lehrt die Menschen. Er gibt sich völlig aus dabei. Lässt niemanden links liegen. Eben: Giesskannenprinzip. Ohne Strategie. Kein Interesse an Gewinnmaximierung. Jesus wägt nicht ab, wer reif ist für seine Botschaft und wer nicht. Er wendet sich an alle. Hilft, wo er kann. Erzählt allen von seinem grenzenlos liebenden Vater. Ob sie es hören wollen oder nicht. In der kurzen Zeit seines Wirkens haben unzählige Menschen Jesus gesehen und gehört. ‚Alles Volk‘ hörte ihm zu. Und die Menschen waren begeistert. — Doch was ist davon geblieben? Am Kreuz hing er ganz allein, fühlte sich sogar von Gott verlassen.
Erleben wir nicht oft Ähnliches? Und hadern damit: So viele Kinder hören in der Sonntagsschule Geschichten von Jesus! Zahllose Jugendliche werden in den Kirchen unterwiesen, gesegnet, unterstützt. Und werden danach nie mehr gesehen! – Bei fast jedem Hotelbett, bei jedem Spitalbett liegt eine Bibel. Und wie oft wird darin gelesen? Die Botschaft Jesu wird auf so vielfältige Weise (→ Medien) verbreitet. Doch so viele auch davon hören. Nur wenige nehmen es auf. Aufwand und Ertrag stehen in einem krassen Missverhältnis.
Das Gleichnis vom Säemann bildet dieses Missverhältnis ab. Es erklärt aber nicht, warum es so ist. Warum schon Jesus selbst nichts anderes erlebt hat. Jesu Geschichte zeigt nur auf: Liebe und strategisches Vorgehen beissen sich. Liebe muss verschwenderisch handeln. Sonst wäre es keine Liebe. Liebe rechnet nicht, sondern sie hofft. Sie sucht nicht Gewinn, sondern eine Antwort aus Freiheit.
Alle müssen sie kennen lernen. Nicht nur die religiösen Spezialisten. Nicht nur die Anständigen, die Gebildeten oder die hoffnungsvollen Fälle. Nicht einmal nur die, deren Herz schon offen ist. Nein, gerade die Vernachlässigten, die Schwierigen, die Fragwürdigen, die, denen der Glaube schwer fällt, ja selbst diejenigen, die wie ein festgetrampelter Weg Gott gegenüber sehr abweisend sind. Alle müssen seiner Liebe begegnen. Und weil nur die Liebe retten kann, muss das Risiko, dass der grösste Teil der Saat kaputt geht, in Kauf genommen werden.
Diese Gefahr ist sehr real. Denn das menschliche Herz ist kreativ, wenn es darum geht, sich dem An- und Zuspruch Jesu zu entziehen. So selten fruchtbarer Boden ist, so selten sind Menschen, welche Gottes Liebe sofort an- und aufnehmen. In denen die Liebe ungehindert wachsen kann. Jesus war das sehr bewusst. Darum nennt er vier typische Arten, wie Menschen mit seiner Botschaft umgehen:
1: Menschen nehmen die Liebe Gottes gar nicht wahr. Sie perlt an ihnen ab. Sie nehmen sich keine Zeit dafür. Oder sie sind innerlich so abweisend, dass Gottes Wort die verhärtete Schicht ihrer Vorurteile nicht durchdringen kann. Es ist wie bei den Vögeln auf dem Weg. Die Vögel stehen für Einflüsse von aussen: andere Menschen, vorgefertigte Meinungen, Termine, spontane Einfälle …. Das menschliche Herz ist so ablenkungsbereit. Ablenkungen ‚picken‘ die Samen weg, bevor sie aufgehen können. – Wobei nicht die ‚Vögel‘ das Problem sind. Sondern der festgetrampelte Weg. Wir, d.h. unsere Verhärtung ist das Problem.. Die Gründe liegen in uns drin.
2: Menschen nehmen Gottes Liebe nur halbherzig auf. Sie entwickeln ‚Light-Varianten des Glaubens: So viel Christsein wie nötig, aber so wenig wie möglich. Christen mit felsigem Boden haben zwar ‚ihren Glauben‘. Doch er bleibt oberflächlich. Er reicht nicht bis zum Herz. – Oder: Manche sind zunächst voller Begeisterung. Doch das Strohfeuer erlischt schnell wieder. Weil der Boden ihres Herzens von Steinen und Felsen durchsetzt ist. – Oder: Manche sammeln viel Wissen über Bibel und Glauben. Aber es bleibt im Kopf stecken. – Das sind allesVarianten, die zum Bild von den Felsen passen. Es gibt zwar guten Boden, aber er hat nicht genug Tiefe.
3: Gottes Liebe beginnt zwar Wurzeln zu schlagen. Aber manches andere erhält viel Aufmerksamkeit: Sorgen und Nöte vielleicht. Alltägliche Hektik. Hobbies oder ehrgeizige Pläne. Solche Dinge können eine grosse Dynamik entwickeln und die gute Saat überwuchern. Jesus sagt: „Man kann nicht zwei Herren dienen“ (vgl. Mt 6,24).“ Nur eine Pflanze kann sich durchsetzen: Die Saat Gottes oder das Unkraut. — Welche es sein wird, liegt nicht zuletzt daran, welche wir besser hegen und pflegen.
4: Gutes Land: Gottes Liebe kommt zum Ziel. Gott und Mensch finden zueinander. Die Saat wächst, verwurzelt sich, reift und bringt schlicht Frucht. Sehr viel Frucht: „Dreissig‑, sechzig‑, ja sogar hundertfach!” Das ist die verblüffende Pointe von Jesu Gleichnis: Trotz der Verschwendung von viel Saatgut resultiert am Schluss eine grosse Ernte. Gottes Botschaft kommt zum Ziel. Der scheinbaren Verschwendung am Anfang steht eine verschwenderische Fülle am Ende gegenüber. Die Ernte ist gross. Jesu Vorgehen mag (ökonomisch) unvernünftig sein. Dennoch geht die Rechnung schliesslich auf. Mit dieser Zusage macht Jesu Geschichte Hoffnung!
Wie nahe liegt nun die Versuchung, einzuteilen: Bin ich festgetrampelter Weg? Ist er steiniges Land? Ist sie voller Unkraut? Und wer bitte, ist dann ‚gutes Land‘?
Aber Jesus will sicher nicht solche Schubladen anbieten. Ausserdem steckt im Leben viel Dynamik. Was heute ist, kann morgen aufbrechen. Es gibt Raum für Veränderungen. — Wichtig: Gutes Land, d.h. den idealen Acker, gibt es nicht von selbst. Er muss erarbeitet werden. Und das kann dauern. Der Naturzustand aber ist so, wie Jesu Gleichnis beschreibt: Geprägt von harte Krusten, Steinen, Dornen und Disteln. Das muss weggearbeitet – gepflügt, gejätet … — werden.
Genauso ist es im menschlichen Herz. Niemand ist von Natur aus ideales Ackerland. Sondern alle vier Boden-Typen stecken — in unterschiedlichen Dosierungen — in uns drin. Da hat es festgefahrene Wege, also Bereiche, in denen wir uns nach aussen hart und abweisend geben. Bei anderen Themen neigen wir zur Oberflächlichkeit. Und alle kennen in ihrem Leben Dornen und Disteln, die den Glauben zu ersticken drohen. Es gibt aber auch in allen Stücke guten Bodens. Das sind Bereiche und Themen, bei denen wir gut auf Gottes Liebe ansprechen.
Wichtig ist, diese Bereiche guten Bodens in sich zu fördern, gewissermassen zu beackern. Fruchtbarer Boden ist das Ergebnis von Arbeit. Es muss gepflügt und gehackt werden. Es sind Steine wegzutragen. Es ist zu jäten und zu düngen. — Im geistlichen Bereich ist es wie im Ackerbau: Ein schlechter Boden, auf dem ordentlich gearbeitet wird, bringt auf Dauer mehr Frucht als ein guter Boden, den man verkommen lässt’
Christlicher Glaube ist also mit Arbeit verbunden!? Stimmt das wirklich? Bei Paulus ist doch zu lesen, dass der Glaube ein Geschenk, reine Gnade sei. Jesus selbst hat auch gepredigt, dass Gottes Liebe bedingungslos allen gilt. – Daran ist unbedingt festzuhalten. Doch wenn diese Botschaft von der Liebe Gottes in uns nicht nur ein emotionales Strohfeuer entfachen, allenfalls viel Kopfwissen hervorbringen oder sich letztlich nicht in ein paar unverbindlichen Floskeln erschöpfen soll, dann braucht es Arbeit.
Das ist nur scheinbar paradox. Nehmen wir zum Vergleich die Liebe: Die Liebe ist immer ein Geschenk. Aber damit dieses Geschenk auf Dauer nicht verblasst, müssen wir an der Beziehung arbeiten. Wir alle kennen mehr als genug Beispiele dafür, dass Menschen dies versäumt und darüber das Geschenk ihrer Liebe verloren haben. So ist es auch mit dem Glauben. Jesus streut sein Wort geradezu verschwenderisch aus. Aber dieses Geschenk muss gepflegt werden. Ein Mensch, der starke Weg-Anteile in sich findet, müsste das Ganze erst mal aufpflügen und sich ganz neu öffnen. Jemand, der mehr steinige Anteile in sich hat, muss lernen, seinem Glauben mehr Tiefgang zu geben. Und wer starke Unkraut-Anteile in sich hat, kann diese nur überwinden, indem er dem Wort Jesu mehr Raum gibt und konkurrierende „Pflanzen” zurückschneidet.
Wie aber macht man das: das vorhandene gute Land in uns selber zu hegen und zu pflegen? Das geschieht am besten dadurch, dass wir darauf achten, wo und wie wir besonders empfänglich sind für das Wort Jesu — und dem dann mehr Raum geben. Bei manchen ist das das Lesen der Bibel, bei anderen sind es eher gemeinschaftliche Erlebnisse wie der Besuch von Gottesdiensten oder das Gespräch in einer Kleingruppe. Bei wieder anderen sind es bestimmte Formen der Meditation oder des Gebets. Letztlich geht es darum — wie Johannes es ausdrückt — an und bei Jesus zu bleiben, damit er an uns und durch uns wirken kann (vgl. Jh 15). Darum sollten wir herausfinden, auf welche Weise die Botschaft Jesu besonders gut an unser Herz herankommt – und dem gezielt Raum geben in unserem Leben. Denn er sät immer noch weiter, grosszügig, verschwenderisch … auch in unseren Herzen. Amen