Predigt am 01.10.2023 in der EMK Adliswil
beginnen wir heute mit einem Gedankenspiel: Am Freitagabend lagen bei Euro-Millions, einem euopaweiten Lottospiel, 125 Mio. Fr. im Jackpot. Stellen Sie sich vor, Sie hätten diesen Jackpot geknackt! Damit hätten Sie auf einen Schlag genug Geld, um nie mehr arbeiten zu müssen und könnten sich fast alle Wünsche erfüllen.
- Was würden Sie damit machen?
- Wieviel ‘darf man’ bzw. ‘darf ein Christ’ für sich selbst behalten?
Warum dieser Einstieg in die Erntedankpredigt? – Es ist ganz einfach: Im Predigttext, den die Perikopenordnung in diesem Jahr für das EDF vorschlägt, geht es genau um diese Fragen. Ich lese Lukas 12,13–21:
Eigentlich ist das ja ein ‘doofer’ Text für das Erntedankfest! Er trübt die Feierlaune, weil Jesu Geschichte nach übergrossem Mahnfinger klingt. Im Gespräch, dass dem Gleichnis vorangeht, sagt Jesus zwar zunächst: «Regelt eure Erbstreitigkeiten selbst!» Das klingt wie: ‘Das interessiert mich nicht und geht mich nichts an!» Doch dann warnt er vor Habgier. Unterstreicht wird die Warnung mit der Binsenwahrheit, dass niemandes Leben von seinem Besitz abhänge. Und dann fährt eben dieser Mahnfinger aus. Und das so deutlich, dass einem nach dem Lesen/Hören nichts anderes mehr im Ohr klingt.
Vermutlich ist diese Warnung schon berechtigt. Gerade am Erntedankfest, bei dem es nicht nur ums Danken, sondern auch ums Teilen geht. Darum habe ich mich dazu durchgerungen, bei diesem Predigttext zu bleiben. Der übrigens weniger ‘doof’ ist, als er im ersten Moment klingt. Die Beschäftigung mit diesem Gleichnis Jesu läuft nämlich auf die Frage hinaus: Was ist richtig? Vorsorgen/Sparen oder Teilen/Weitergeben?
Vielleicht gibt es ja eine empfehlenswerte Mischung von beidem. Schliesslich ist das Verhalten des Bauern nicht unvernünftig. In der Wirtschaft würde man es wohl als vorausschauend einschätzen. Auch der Volksmund kennt Ratschläge in dieser Richtung. Ich erinnere mich jedenfalls, von meinen Grosseltern ab und zu gehört zu haben: ‘Spare in der Zeit, so hast du in der Not!’ – Das scheint heute in Vergessenheit zu geraten. Sparen ist nicht mehr in. Wir werden motiviert, auf Pump zu leben und uns sofort zu gönnen, was wir uns wünschen. Was immer mal wieder zu einem Ende mit Schrecken führt.
Halten wir fest: Dieser Bauer verhält sich grundsätzlich vernünftig . Nur das Mass seiner Vorsorge ist übertrieben. Dass er alles für sich behalten will. Dass er an niemanden sonst denkt. Dass er verkennt, welche Verantwortung sich mit einer grossen Ernte verbindet. Das ist es, was Jesus kritisiert!
Was wäre denn ein guter Umgang mit dem, was uns geschenkt ist bzw. zufällt? Dazu will ich ausgehend von drei Stichworten kurze Gedankengänge anreissen:
I. Es ist, wie so oft, eine Frage der Balance: Nur an sich selber denken, weil das sonst keiner tut und nur für sich sorgen, ist egoistisch. Das letzte Hemd wegzugeben ist andererseits nur in ausserordentlichen Situationen eine Option. Oft ist es nur selbstzerstörerisch und dumm.
Jesus hat das Liebesgebot so formuliert: «Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!» Darin ist genau die Balance angesprochen, die wichtig ist. Ich muss mich selbst nicht weniger lieben als die anderen. Ich muss mich sogar selbst lieben, d.h. mich um meine Bedürfnisse kümmern, um andere lieben zu können. Aber ich soll die Mitmenschen auch nicht vergessen.
Wieviel ich nun teile bzw. an andere weggebe, das liegt in meiner Verantwortung. Gott traut mir zu, richtig zu entscheiden. Manche sind mit viel Grosszügigkeit begabt und brauchen sehr wenig, um selbst glücklich zu sein. Sie geben sehr viel weiter von dem, was ihnen geschenkt ist. Das ist toll. – Aber das können und müssen nicht alle. Im Christentum hat sich deshalb seit langem der Zehnte als Faustregel etabliert. Das scheint mir noch heute eine gute Orientierungshilfe zu sein. Wer den zehnten Teil seines Einkommens an andere weitergibt, wird zwar nicht gerade ein Heiliger wie Franziskus. Aber er bewegt sich in einem guten Rahmen und ist jedenfalls nicht in der Gefahr, wie der Bauer aus Jesu Beispiel zu sein.
Falls jemand an einem spezifisch methodistischen Ratschlag interessiert ist: John Wesley hat keinen Prozentsatz vorgeschlagen. Er war rigoroser und formulierte drei kurze Regeln: 1. Verdiene, so viel du kannst; 2. Spare, so viel du kannst; 3. Gib soviel du kannst. Ich nehme an, konsequent umgesetzt, könnte das dann auch auf 20–25% oder mehr hinauslaufen. – (Diese Ratschläge Wesleys sind ausführlich nachzulesen in seiner Lehrpredigt Nr. 50: Der rechte Gebrauch des Geldes)
II. Verantwortung: Bleiben wir bei John Wesley hat. Er dachte immer vom Auftrag her. Darum für ihn war klar: Was immer uns geschenkt ist, bedeutet einen Auftrag. Je mehr uns geschenkt ist, desto mehr Verantwortung können und müssen wir für andere übernehmen. Reichtum bedeutet Verantwortung für Benachteiligte. D.h. aber auch: Je mehr wir am Erntedankfest zu verdanken haben, umso mehr sollte uns die Dankbarkeit motivieren, uns für Mitmenschen einzusetzen und mit ihnen zu teilen.
Das Stichwort Verantwortung geht mir im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik immer wieder durch den Kopf. Sie wird ja gerade wieder akut in Europa. Was bedeutet Verantwortung, was bedeutet Jesus Gleichnis vom reichen Bauern für die Konzepte in der Flüchtlingsfrage? Offensichtlich können wir nicht alle, die sich das wünschen, in Europa bzw. der Schweiz aufnehmen und versorgen. Das ist logistisch unmöglich. Es sind einfach zu viele Flüchtlinge. Die Politik muss also nach Kriterien suchen, damit die ‘Richtigen’ zuerst zum Zug kommen.
Für diejenigen, die nicht bleiben können, haben wir aber auch eine Verantwortung. Ohne Not kommt schliesslich kaum jemand. Also müssten wir uns dafür engagieren, dass diejenigen, die wir zurückschicken, dort eine Perspektive haben. Diese Verantwortung geht m.E. in Europa und der CH zu oft vergessen. Oft liegt der Fokus zu sehr darauf, wie wir unseren Wohlstand für uns absichern können.
Mit Jesu Gleichnis gesagt: Ich habe den Eindruck, dass wir Stacheldrähte und Mauern um unsere Vorratsscheunen bauen. Aus Angst, unser Wohlstand könnte sinken. Die mit unserem Wohlstand verbundene Verantwortung könnte aber bedeuten, die eine oder andere Vorratsscheune nicht bei uns zu bauen, sondern dort, wo Menschen Mangel leiden. Ohne Bild gesagt: Uns wohlhabenden Europäern stünde es gut an, uns für die Reduzierung der Fluchtgründe in den Herkunftsländern zu engagieren.
Wir sind reich im weltweiten Vergleich. Wir tragen Verantwortung für Ärmere. Wir sollten darauf verzichten könnten, mit unserem Überfluss noch Gewinnmaximierung zu betreiben. Wobei es durchaus auch im Reich Gottes um Gewinn geht. Aber das Prinzip ist ein anderes. Es lautet: ‘Geteilte Freude ist doppelte Freude.’
III. Woran liegt es eigentlich, dass Menschen so leicht die Balance verlieren und egoistisch entgleisen? Warum vergessen sie ihre Verantwortung für die Mitmenschen und für die Gemeinschaft/Gesellschaft so leicht? – Ich glaube, es liegt an der Angst, dass man zu kurz kommen könnte. Sie steckt tief in uns Menschen drin. Wir haben Angst, etwas zu verlieren. Darum versuchen wir uns abzusichern. Darum halten wir zusammen, was wir haben. Darum versichern wir uns gegen alles Mögliche.
Das Rezept dagegen heisst Vertrauen. Vertrauen wurzelt in und wächst aus Dankbarkeit: aus der bewussten Wahrnehmung dessen, was uns geschenkt ist. Darum feiern wir jedes Jahr Erntedankfest. Eigentlich sollten wir es sogar jeden Tag tun. Um die Angst vor dem Zukurzkommen zu überwinden. Um nicht zu bleiben wie der ‘reiche Jüngling’ (vgl. Mk 10,17–27), der traurig wegging, als Jesus ihm sagte, er sollte alles weggeben. Um die grassierende Absicherungsmentalität zu überwinden. Um zu werden wie Zachäus (vgl. Lk 19,1–10), der sich von Jesus anstecken liess, seinen Reichtum vertrauensvoll und ohne Rücksicht auf Verluste zu teilen.
Ich schliesse mit einer Gegengeschichte zu Jesu Gleichnis. Ich habe sie – ohne Quellenangabe – in meiner Materialsammlung gefunden:
Eine alte Erzählung berichtet von einem Bauernehepaar in einsamer, armer Gegend, die sich hart mühen mussten, dem Boden etwas abzuringen.
In dem einen Jahr hatte der Bauer Saatgetreide über den Winter gerettet und es unter Segenssprüchen in die Erde geworden. Aber der Frost kam zur Unzeit und verdarb fast alles. Da sprach der Bauer zu seiner Frau: “Geh in die Scheune und reibe Baumrinde unter das Mehl, das uns geblieben ist. Es wird ein hungriger Winter werden.” Im folgenden Jahr kauften sie unter grossen Entbehrungen Saatgetreide zusammen, und wieder warf es der Bauer unter Segenssprüchen auf den Acker. Als aber die Zeit der Ernte nahte, geschah ein furchtbares Hagelwetter und vernichtete den grössten Teil des Getreides.
Und wieder musste der Bauer zu seiner Frau sagen: “Geh in die Scheune und reibe Baumrinde unter das Mehl, das uns geblieben ist. Es wird ein hungriger Winter werden.” Im dritten Jahr kauften sie vom Letzten ihr Saatgetreide. Und der Bauer warf es unter Segenssprüchen in die Erde. Und die Saat ging auf, und der Acker trug gut. Und der Frost kam zur rechten Zeit, und das Hagelwetter ging gnädig vorüber. Und sie brachten eine gute Ernte ein. Es würde keinen hungrigen Winter geben, und die Saat für das kommende Jahr würde auch reichen.
Da brachten sie Gott Dank dar und waren fröhlich.
Als der Bauer und seine Frau ihr Erntedanklied gesungen hatten, sprach der Bauer, “Geh nun und richte uns ein Essen, wie wir lange keines hatten.” Er aber ging noch einmal in seine Scheune, um die Ernte zu besehen und sich an ihr zu freuen.
Nach einiger Zeit merkte er, dass seine Frau nicht in der Küche arbeitete und ein festliches Essen bereitete, sondern in der Scheunenkammer schaffte. Und als er hinging, sah er, dass sie Baumrinde rieb, um sie unter das Mehl zu mischen. Und er rief ihr zu und sagte: “Frau, was tust du, unsere Ernte ist gut, was brauchen wir die Baumrinde?”
“Nicht soviel wie im vorigen Jahr”, sagte die Frau da, “aber wir brauchen sie dennoch. Hast du vergessen, dass unser Nachbar vom Frost nicht verschont geblieben ist? Du musst den Wagen mit Kornsäcken beladen und zu ihm fahren, sonst können wir Gott nicht richtig danken.”