Vorsorgen oder Teilen?

Lukas 12,13–21

Predigt am 01.10.2023 in der EMK Adliswil

begin­nen wir heute mit einem Gedanken­spiel: Am Fre­itagabend lagen bei Euro-Mil­lions, einem euopaweit­en Lot­tospiel, 125 Mio. Fr. im Jack­pot. Stellen Sie sich vor, Sie hät­ten diesen Jack­pot gek­nackt! Damit hät­ten Sie auf einen Schlag genug Geld, um nie mehr arbeit­en zu müssen und kön­nten sich fast alle Wün­sche erfüllen.

  • Was wür­den Sie damit machen?
  • Wieviel ‘darf man’ bzw. ‘darf ein Christ’ für sich selb­st behalten?

Warum dieser Ein­stieg in die Erntedankpredigt? – Es ist ganz ein­fach: Im Predigt­text, den die Perikopenord­nung in diesem Jahr für das EDF vorschlägt, geht es genau um diese Fra­gen. Ich lese Lukas 12,13–21:

Eigentlich ist das ja ein ‘doofer’ Text für das Erntedank­fest! Er trübt die Feier­laune, weil Jesu Geschichte nach über­grossem Mah­n­fin­ger klingt. Im Gespräch, dass dem Gle­ich­nis vor­ange­ht, sagt Jesus zwar zunächst: «Regelt eure Erb­stre­it­igkeit­en selb­st!» Das klingt wie: ‘Das inter­essiert mich nicht und geht mich nichts an!» Doch dann warnt er vor Habgi­er. Unter­stre­icht wird die War­nung mit der Bin­sen­wahrheit, dass nie­man­des Leben von seinem Besitz abhänge. Und dann fährt eben dieser Mah­n­fin­ger aus. Und das so deut­lich, dass einem nach dem Lesen/Hören nichts anderes mehr im Ohr klingt.

Ver­mut­lich ist diese War­nung schon berechtigt. Ger­ade am Erntedank­fest, bei dem es nicht nur ums Danken, son­dern auch ums Teilen geht. Darum habe ich mich dazu durchgerun­gen, bei diesem Predigt­text zu bleiben. Der übri­gens weniger ‘doof’ ist, als er im ersten Moment klingt. Die Beschäf­ti­gung mit diesem Gle­ich­nis Jesu läuft näm­lich auf die Frage hin­aus: Was ist richtig? Vorsorgen/Sparen oder Teilen/Weitergeben?

Vielle­icht gibt es ja eine empfehlenswerte Mis­chung von bei­dem. Schliesslich ist das Ver­hal­ten des Bauern nicht unvernün­ftig. In der Wirtschaft würde man es wohl als vorauss­chauend ein­schätzen. Auch der Volksmund ken­nt Ratschläge in dieser Rich­tung. Ich erin­nere mich jeden­falls, von meinen Grossel­tern ab und zu gehört zu haben: ‘Spare in der Zeit, so hast du in der Not!’ – Das scheint heute in Vergessen­heit zu ger­at­en. Sparen ist nicht mehr in. Wir wer­den motiviert, auf Pump zu leben und uns sofort zu gön­nen, was wir uns wün­schen. Was immer mal wieder zu einem Ende mit Schreck­en führt.

Hal­ten wir fest: Dieser Bauer ver­hält sich grund­sät­zlich vernün­ftig . Nur das Mass sein­er Vor­sorge ist über­trieben. Dass er alles für sich behal­ten will. Dass er an nie­man­den son­st denkt. Dass er verken­nt, welche Ver­ant­wor­tung sich mit ein­er grossen Ernte verbindet. Das ist es, was Jesus kritisiert!

Was wäre denn ein guter Umgang mit dem, was uns geschenkt ist bzw. zufällt? Dazu will ich aus­ge­hend von drei Stich­worten kurze Gedankengänge anreissen:

I. Es ist, wie so oft, eine Frage der Bal­ance: Nur an sich sel­ber denken, weil das son­st kein­er tut und nur für sich sor­gen, ist ego­is­tisch. Das let­zte Hemd wegzugeben ist ander­er­seits nur in ausseror­dentlichen Sit­u­a­tio­nen eine Option. Oft ist es nur selb­stzer­störerisch und dumm.

Jesus hat das Liebesge­bot so for­muliert: «Liebe deinen Mit­men­schen wie dich selb­st!» Darin ist genau die Bal­ance ange­sprochen, die wichtig ist. Ich muss mich selb­st nicht weniger lieben als die anderen. Ich muss mich sog­ar selb­st lieben, d.h. mich um meine Bedürfnisse küm­mern, um andere lieben zu kön­nen. Aber ich soll die Mit­men­schen auch nicht vergessen.

Wieviel ich nun teile bzw. an andere weggebe, das liegt in mein­er Ver­ant­wor­tung. Gott traut mir zu, richtig zu entschei­den. Manche sind mit viel Grosszügigkeit begabt und brauchen sehr wenig, um selb­st glück­lich zu sein. Sie geben sehr viel weit­er von dem, was ihnen geschenkt ist. Das ist toll. – Aber das kön­nen und müssen nicht alle. Im Chris­ten­tum hat sich deshalb seit langem der Zehnte als Faus­tregel etabliert. Das scheint mir noch heute eine gute Ori­en­tierung­shil­fe zu sein. Wer den zehn­ten Teil seines Einkom­mens an andere weit­ergibt, wird zwar nicht ger­ade ein Heiliger wie Franziskus. Aber er bewegt sich in einem guten Rah­men und ist jeden­falls nicht in der Gefahr, wie der Bauer aus Jesu Beispiel zu sein.

Falls jemand an einem spez­i­fisch methodis­tis­chen Ratschlag inter­essiert ist: John Wes­ley hat keinen Prozentsatz vorgeschla­gen. Er war rig­oros­er und for­mulierte drei kurze Regeln: 1. Ver­di­ene, so viel du kannst; 2. Spare, so viel du kannst; 3. Gib soviel du kannst. Ich nehme an, kon­se­quent umge­set­zt, kön­nte das dann auch auf 20–25% oder mehr hin­aus­laufen. – (Diese Ratschläge Wes­leys sind aus­führlich nachzule­sen in sein­er Lehrpredigt Nr. 50: Der rechte Gebrauch des Geldes)

II. Ver­ant­wor­tung: Bleiben wir bei John Wes­ley hat. Er dachte immer vom Auf­trag her. Darum für ihn war klar: Was immer uns geschenkt ist, bedeutet einen Auf­trag. Je mehr uns geschenkt ist, desto mehr Ver­ant­wor­tung kön­nen und müssen wir für andere übernehmen. Reich­tum bedeutet Ver­ant­wor­tung für Benachteiligte. D.h. aber auch: Je mehr wir am Erntedank­fest zu ver­danken haben, umso mehr sollte uns die Dankbarkeit motivieren, uns für Mit­men­schen einzuset­zen und mit ihnen zu teilen.

Das Stich­wort Ver­ant­wor­tung geht mir im Zusam­men­hang mit der Flüchtling­sprob­lematik immer wieder durch den Kopf. Sie wird ja ger­ade wieder akut in Europa. Was bedeutet Ver­ant­wor­tung, was bedeutet Jesus Gle­ich­nis vom reichen Bauern für die Konzepte in der Flüchtlings­frage? Offen­sichtlich kön­nen wir nicht alle, die sich das wün­schen, in Europa bzw. der Schweiz aufnehmen und ver­sor­gen. Das ist logis­tisch unmöglich. Es sind ein­fach zu viele Flüchtlinge. Die Poli­tik muss also nach Kri­te­rien suchen, damit die ‘Richti­gen’ zuerst zum Zug kommen.

Für diejeni­gen, die nicht bleiben kön­nen, haben wir aber auch eine Ver­ant­wor­tung. Ohne Not kommt schliesslich kaum jemand. Also müssten wir uns dafür engagieren, dass diejeni­gen, die wir zurückschick­en, dort eine Per­spek­tive haben. Diese Ver­ant­wor­tung geht m.E. in Europa und der CH zu oft vergessen. Oft liegt der Fokus zu sehr darauf, wie wir unseren Wohl­stand für uns absich­ern können.

Mit Jesu Gle­ich­nis gesagt: Ich habe den Ein­druck, dass wir Stachel­drähte und Mauern um unsere Vor­ratss­che­unen bauen. Aus Angst, unser Wohl­stand kön­nte sinken. Die mit unserem Wohl­stand ver­bun­dene Ver­ant­wor­tung kön­nte aber bedeuten, die eine oder andere Vor­ratss­che­une nicht bei uns zu bauen, son­dern dort, wo Men­schen Man­gel lei­den. Ohne Bild gesagt: Uns wohlhaben­den Europäern stünde es gut an, uns für die Reduzierung der Flucht­gründe in den Herkun­ft­slän­dern zu engagieren.

Wir sind reich im weltweit­en Ver­gle­ich. Wir tra­gen Ver­ant­wor­tung für Ärmere. Wir soll­ten darauf verzicht­en kön­nten, mit unserem Über­fluss noch Gewin­n­max­imierung zu betreiben. Wobei es dur­chaus auch im Reich Gottes um Gewinn geht. Aber das Prinzip ist ein anderes. Es lautet: ‘Geteilte Freude ist dop­pelte Freude.’

III. Woran liegt es eigentlich, dass Men­schen so leicht die Bal­ance ver­lieren und ego­is­tisch ent­gleisen? Warum vergessen sie ihre Ver­ant­wor­tung für die Mit­men­schen und für die Gemeinschaft/Gesellschaft so leicht? – Ich glaube, es liegt an der Angst, dass man zu kurz kom­men kön­nte. Sie steckt tief in uns Men­schen drin. Wir haben Angst, etwas zu ver­lieren. Darum ver­suchen wir uns abzu­sich­ern. Darum hal­ten wir zusam­men, was wir haben. Darum ver­sich­ern wir uns gegen alles Mögliche.

Das Rezept dage­gen heisst Ver­trauen. Ver­trauen wurzelt in und wächst aus Dankbarkeit: aus der bewussten Wahrnehmung dessen, was uns geschenkt ist. Darum feiern wir jedes Jahr Erntedank­fest. Eigentlich soll­ten wir es sog­ar jeden Tag tun. Um die Angst vor dem Zukurzkom­men zu über­winden. Um nicht zu bleiben wie der ‘reiche Jüngling’ (vgl. Mk 10,17–27), der trau­rig weg­ging, als Jesus ihm sagte, er sollte alles weggeben. Um die grassierende Absicherungs­men­tal­ität zu über­winden. Um zu wer­den wie Zachäus (vgl. Lk 19,1–10), der sich von Jesus ansteck­en liess, seinen Reich­tum ver­trauensvoll und ohne Rück­sicht auf Ver­luste zu teilen.

Ich schliesse mit ein­er Gegengeschichte zu Jesu Gle­ich­nis. Ich habe sie – ohne Quel­lenangabe – in mein­er Mate­ri­al­samm­lung gefunden:

Eine alte Erzäh­lung berichtet von einem Bauerne­hep­aar in ein­samer, armer Gegend, die sich hart mühen mussten, dem Boden etwas abzurin­gen.
In dem einen Jahr hat­te der Bauer Saat­ge­trei­de über den Win­ter gerettet und es unter Segenssprüchen in die Erde gewor­den. Aber der Frost kam zur Unzeit und ver­darb fast alles. Da sprach der Bauer zu sein­er Frau: “Geh in die Sche­une und reibe Baum­rinde unter das Mehl, das uns geblieben ist. Es wird ein hun­griger Win­ter wer­den.” Im fol­gen­den Jahr kauften sie unter grossen Ent­behrun­gen Saat­ge­trei­de zusam­men, und wieder warf es der Bauer unter Segenssprüchen auf den Ack­er. Als aber die Zeit der Ernte nahte, geschah ein furcht­bares Hagel­wet­ter und ver­nichtete den grössten Teil des Getrei­des.
Und wieder musste der Bauer zu sein­er Frau sagen: “Geh in die Sche­une und reibe Baum­rinde unter das Mehl, das uns geblieben ist. Es wird ein hun­griger Win­ter wer­den.” Im drit­ten Jahr kauften sie vom Let­zten ihr Saat­ge­trei­de. Und der Bauer warf es unter Segenssprüchen in die Erde. Und die Saat ging auf, und der Ac­ker trug gut. Und der Frost kam zur recht­en Zeit, und das Hagel­wet­ter ging gnädig vorüber. Und sie bracht­en eine gute Ernte ein. Es würde keinen hun­gri­gen Win­ter geben, und die Saat für das kom­mende Jahr würde auch reichen.
Da bracht­en sie Gott Dank dar und waren fröh­lich.
Als der Bauer und seine Frau ihr Erntedanklied gesun­gen hat­ten, sprach der Bauer, “Geh nun und richte uns ein Essen, wie wir lange keines hat­ten.” Er aber ging noch ein­mal in seine Sche­une, um die Ernte zu bese­hen und sich an ihr zu freuen.
Nach einiger Zeit merk­te er, dass seine Frau nicht in der Küche arbeit­ete und ein fes­tlich­es Essen bere­it­ete, son­dern in der Sche­unenkam­mer schaffte. Und als er hing­ing, sah er, dass sie Baum­rinde rieb, um sie unter das Mehl zu mis­chen. Und er rief ihr zu und sagte: “Frau, was tust du, unsere Ernte ist gut, was brauchen wir die Baum­rinde?”
“Nicht soviel wie im vorigen Jahr”, sagte die Frau da, “aber wir brauchen sie den­noch. Hast du vergessen, dass unser Nach­bar vom Frost nicht ver­schont geblieben ist? Du musst den Wagen mit Korn­säck­en beladen und zu ihm fahren, son­st kön­nen wir Gott nicht richtig danken.”

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