Ein Brief Christi

2. Korinther 3,1–6

Predigt am 22.10.2023 in der EMK Adliswil

Copy­right Han­nah Olinger auf Unsplash

Liebe Gemeinde,

ver­mut­lich im Som­mer des Jahres 50 n.Chr. kam der Apos­tel Paulus auf sein­er zweit­en Mis­sion­sreise nach Korinth. In der pulsieren­den Hafen­stadt blieb er einein­halb Jahre und grün­dete eine christliche Gemeinde. Diese scheint schnell gewach­sen zu sein und hat Men­schen unter­schiedlich­ster Couleur ange­zo­gen. Die Gemeinde erlebte schon in den ersten Jahren eine tur­bu­lente Geschichte. Das spiegelt sich auch in einem wech­sel­haften Ver­hält­nis zwis­chen der Gemeinde und ihrem Grün­der. Die bei­den Briefe an die Korinther lassen da Vieles durch­scheinen: Nach­dem Paulus weit­erge­zo­gen war, kamen näm­lich andere christliche Mis­sion­are nach Korinth. Sie legten neue Schw­er­punk­te und wider­sprachen Paulus in manchen Punk­ten. So ent­standen konkur­ri­erende Rich­tun­gen in der Gemeinde. Es dro­ht­en sog­ar Spal­tun­gen. Paulus ver­suchte zu ver­mit­teln, wie sein erster Brief zeigt. Den­noch kam es zum zwis­chen­zeitlichen Zer­würf­nis. Schliesslich aber ver­söh­n­ten sich Paulus und die Korinther wieder.

Der zweite Korinther­brief ist im Ton­fall sehr wech­sel­haft. Darum wurde oft ver­mutet, er sei aus mehreren Briefen nachträglich zusam­menge­set­zt. Sich­er bestand der Briefwech­sel zwis­chen Paulus und der Gemeinde nicht nur aus den bei­den im NT erhal­te­nen Schreiben. Aber nicht nur die Briefe der Gemeinde an den Apos­tel, son­dern wohl auch Briefe des Apos­tels sind ver­loren gegangen.

Der Abschnitt, der mein­er heuti­gen Predigt zugrunde liegt, gehört in die span­nungsvolle Beziehung zwis­chen Paulus und den Korinth­ern. Es geht um die Legit­i­ma­tion Paulus‘ als Apos­tel. Nach­dem andere Mis­sion­are Empfehlungss­chreiben (von wem auch immer) vorgelegt hat­ten, wurde offen­bar die Autorität des Apos­tels von manchen in Korinth angezweifelt. Paulus wehrt sich mit dem Hin­weis darauf, dass die von ihm gegrün­dete Gemeinde sein – lebendi­ges — Empfehlungss­chreiben sei (Paulus schreibt ‚unser‘, weil er den 2. Kor zusam­men mit Tim­o­theus ver­fasst hat). – Ich lese nun 2.Korinther 3,1–6:

Fan­gen wir jet­zt schon wieder damit an, uns selb­st zu empfehlen? Brauchen wir etwa wie gewisse Leute Empfehlungss­chreiben von euch oder an euch? Unser Empfehlungss­chreiben seid doch ihr. Ihr seid in unsere Herzen geschrieben, und alle Men­schen kön­nen es lesen und ver­ste­hen. Ja, es ist offen­sichtlich: Ihr seid ein Empfehlungss­chreiben, das von Chris­tus kommt. Zus­tande gekom­men ist es durch unseren Dienst. Es wurde nicht mit Tinte geschrieben, son­dern mit dem Geist des lebendi­gen Gottes. Es ste­ht auch nicht auf Steintafeln, son­dern in den Herzen der Men­schen.
Diese Zuver­sicht haben wir durch Chris­tus. Sie gilt auch gegenüber Gott. Von uns aus sind wir dazu gar nicht fähig. Wir kön­nen uns nicht etwas zuschreiben, als hät­ten wir es aus eigen­er Kraft erre­icht. Son­dern es ist Gott, der uns dazu befähigt hat. Er hat uns die Fähigkeit ver­liehen, Diener des neuen Bun­des zu sein. Und die Grund­lage dieses Bun­des sind nicht Buch­staben, son­dern der Heilige Geist. Denn der Buch­stabe tötet, aber der Geist macht lebendig. 

Wie gesagt: Paulus kämpft dage­gen, dass ihm seine Legit­i­ma­tion als Apos­tel abge­sprochen wird. Er hat den Korinth­ern zwar kein Empfehlungss­chreiben vorgelegt. Aber aus seinem mis­sion­ar­ischen Wirken ist die Gemeinde ent­standen. Ganz ver­schiedene Men­schen haben Chris­tus ken­nen und lieben gel­ernt. Die ret­tende Kraft von Gottes Geist wurde erfahren. Das spricht doch für sich. Die ent­standene Chris­tus-Gemeinde selb­st ist das beste Empfehlungss­chreiben, das sich ein Apos­tel wün­schen kann.

Man kann und darf das Bild von der konkreten Sit­u­a­tion lösen. Dann beschreibt es Sinn und Zweck (= Auf­trag) ein­er Kirche/Gemeinde: Sie ist ein Brief Christi, der von der Liebe Gottes erzählt. Geschrieben vom Heili­gen Geist an alle Men­schen. Wobei es nicht auf die einzel­nen Buch­staben ankommt, son­dern darauf, dass Leben geweckt und Ver­trauen ermöglicht wird.

Mir gefällt dieses Bild sehr. Auch wir als Gemeinde/Bezirk sind ein Brief Christi. Unser Dasein­szweck beste­ht darin, dass der Liebes­brief Gottes gele­sen wird, dass so Men­schen von Ver­här­tun­gen und Verkrus­tun­gen erlöst wer­den und Gottes Geist bewirkt, dass sie ihre Lebendigkeit ent­fal­ten und feiern.

Das Bild der Gemeinde als Liebes­brief Christi hil­ft mir zu erk­lären und einzuord­nen, was wir als Bezirksvor­stand im SLI-Prozess machen (bzw.: wom­it wir anfan­gen und in was wir die Bezirks­ge­meinde ein­binden zu kön­nen hof­fen): Wir suchen nach Antworten auf die Frage: Wie kön­nen wir heute als EMK-Bezirk für die Men­schen im Sihltal und in Woll­ishofen dieser Liebes­brief Christi sein? Möglichst viele sollen ver­ste­hen: Christi Brief ist an mich per­sön­lich gerichtet. Sie sollen den Brief als her­zliche Ein­ladung lesen kön­nen. Sie sollen die Ein­ladung annehmen kön­nen und das Leben, die Lebendigkeit find­en, die Christi Geist schenkt. – Was kön­nen wir in der Art, wie wir Gemeinde organ­isieren und leben, dazu beitra­gen? Wie dienen wir am besten dem Ziel, dass Christi Liebe viele Men­schen erreicht.

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fra­gen haben wir eine Vision und Werte for­muliert. Wobei – das ist wichtig – es nicht auf die einzel­nen Buch­staben ankommt. Das ste­ht ja auch im Predigt­text. Nicht Buch­staben, son­dern der Geist macht lebendig. Insofern bleiben alle For­mulierun­gen vor­läu­fig und müssen je nach Zeit und Sit­u­a­tion wieder neu geschrieben werden.

Wir haben Vision und Werte im Sep­tem­ber bei einem Kirchenkaf­fee vorgestellt … und real­isiert, dass Vieles auch missver­ständlich ist. Darum möchte ich an dieser Stelle zweier­lei festhalten:

Erstens: Manche waren etwas ent­täuscht, weil sie emp­fan­den: „Das ist ja gar nicht neu!“ – Das stimmt. Wir erfind­en Kirche/Gemeinde nicht neu. Das ist auch nicht nötig. Sie ist ja schon erfun­den – von Chris­tus. Und der Auf­trag, ein Liebes­brief Christi zu sein, ist zeit­los.
Wir suchen nur nach den For­mulierun­gen, die uns am besten helfen, diesen Auf­trag auch umzuset­zen. Sprache ist ja etwas Lebendi­ges und stetiger Verän­derung unter­wor­fen. Dem tra­gen wir Rech­nung und ver­suchen, das ‚Alte‘/Bisherige neu und aktuell zu formulieren.

Zweit­ens: Manche waren auch etwas irri­tiert und reagierten mit der Frage: „War denn früher alles schlecht?“ – Nein! Natür­lich nicht. Vieles war gut, sog­ar sehr gut. Wir sind und bleiben sehr dankbar dafür, wie z.B. der Chor über viele Jahre die Gemeinde belebt und getra­gen hat.
Es geht im SLI über­haupt nicht um eine (neg­a­tive) Bew­er­tung der Ver­gan­gen­heit. Wie soll­ten wir auch aus heutiger Sicht angemessen beurteilen kön­nen, was vor 15 oder 25 Jahren gut war und was nicht. – Wir kom­men aber nicht umhin festzustellen, dass heute nicht mehr funk­tion­iert, was damals gut ging. Wir möcht­en her­aus­find­en, was denn heute die Men­schen um uns herum so gut auf die Liebe Christi hin­weisen kön­nte, wie es z.B. der Chor lange konnte

Auch heute sind wir her­aus­ge­fordert, ein Liebes­brief Christi an die Men­schen um uns herum zu sein. Wie das gelin­gen kann, ver­suchen wir im SLI her­auszufind­en. Und es ist uns ein gross­es Anliegen, alle in dieses Fra­gen einzubeziehen. Schliesslich sind wir dann ja auch alle gefordert, die hof­fentlich zu find­en­den Antworten zu leben und umzuset­zen. – Darum nehme ich mir übri­gens vor, Anfang 2024 eine Predigtrei­he zu den Werten unser­er Gemeinde zu erar­beit­en und zu halten

Kom­men wir nun noch ein­mal zurück zum Predigt­text aus 2.Kor 3,1–6: Neben dem Bild des Briefes/Empfehlungsschreibens enthält er ein zweites Ele­ment, das mir aus­ge­sprochen wichtig scheint: In drei Begriff­s­paaren umreisst Paulus einen Gegen­satz: Buch­stabe – Geist; tot – lebendig; Steintafeln – Herzen.

Glaube weckt Leben. Und Leben bringt Verän­derung. Gemeinde und Kirche, in denen Glaube wach­sen, müssen deswe­gen auch etwas Lebendi­ges sein. Da gehört Verän­derung dazu. Es lässt sich wed­er in Buch­staben giessen noch in Felsen meis­seln, was es mit dem Glauben auf sich hat. Son­dern es muss lebendi­ge Herzen prä­gen. Der Geist muss hin­durch­strö­men wie das Blut durch das Herz. Es geht darum, das Leben, das Chris­tus schenkt, zu feiern.

Mar­i­on Moser, die einige Jahre in Adliswil reformierte Pfar­rerin war, hat danach eine lange Pil­ger­wan­derung gemacht. Sie ist von Nord nach Süd durch ganz Deutsch­land gewan­dert. Darüber hat sie ein Buch geschrieben, das kür­zlich erschienen ist: Meine Füsse, der Ruck­sack und ich. Eine sehr empfehlenswerte Lek­türe. (ich habe übri­gens noch ein – leicht gebraucht­es — Expl. zu verschenken).

Darin beschreibt sie ein­mal, wie sie vor ihrer Wan­derung auf grosse Inspi­ra­tion und spir­ituelle Impulse gehofft hat­te. Doch die blieben aus. Sie sam­melte zwar viele Gedanken und Anre­gun­gen, machte nicht nur äusser­lich, son­dern auch inner­lich viele Schritte. Aber auf die grosse Erleuch­tung, die durch­drin­gende Offen­barung wartete sie verge­blich. – Das ent­täuschte sie mehr und mehr. Und sie begann sich zu fra­gen, ob sie wom­öglich in ein­er Glauben­skrise steck­te. Eine Fre­undin, der sie davon erzählte, tröstete sie dann aber und erk­lärte: „Du hast keine Glauben­skrise. Du hast nur eine Dogmatikkrise!“

Ich finde, das bringt etwas ganz Wesentlich­es auf den Punkt: In Kirchen und Gemein­den ver­suchen wir immer wieder, den Glauben, den Geist, die Liebe etc. so genau wie möglich zu erfassen. Dabei schleifen wir an For­mulierun­gen und definieren Begriffe. Wir erstellen Glaubenssys­teme (® Dog­matiken) und sind ent­täuscht, wenn sich das Leben nicht daran hält. Wenn sich der Geist nicht von Buch­staben fan­gen und in Rah­men pressen lässt.

Vielle­icht ist wirk­lich, was uns oft Mühe macht, gar keine Glauben­skrise, son­dern ‚nur‘ eine Dog­matikkrise. Wir spüren, dass wir den Geist, den Glauben nicht so fes­thal­ten kön­nen, wie wir möcht­en. Dass unsere Dog­matik nicht funk­tion­iert. Dass wir den Glauben nicht ein für alle Mal definieren kön­nen. Son­dern dass wir uns von der Liebe und vom Geist mitreis­sen, in Bewe­gung brin­gen lassen müssten. Dass wir ver­trauen müssten statt zu kon­trol­lieren. – Ich hoffe sehr, dass das, was wir mit dem SLI anstossen wollen, uns hil­ft, mehr im Strom der Liebe Christi mitzuschwim­men und weniger ihn erk­lären und definieren zu wollen. Paulus hat schon recht, wenn er sagt: «Es ist Gott, der uns befähigt hat. Er hat uns die Fähigkeit ver­liehen, Diener des neuen Bun­des zu sein. Und die Grund­lage dieses Bun­des sind nicht Buch­staben, son­dern der Heilige Geist. Denn der Buch­stabe tötet, aber der Geist macht lebendig.»   Amen

Ein Gedanke zu „Ein Brief Christi“

  1. Danke, Daniel für diese fundierten und ein­fühlsamen Worte. Sie motivieren mich im Hin­blick auf meinen Wiedere­in­stieg in den Pfar­r­di­enst ab 1.1 2024. Sei her­zlich gegrüsst aus Puer­to Montt, Chile.

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