Im Gegenwind

Matthäus 5,10–12

Gehal­ten am 19.11.2023 in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

stark­er Wind, wie wir ihn diese Tage erlebt haben, kann Spass machen: Man kann Drachen steigen lassen. Oder man kann sich auf freiem Feld gegen den Wind lehnen und ein wenig das Gefühl vom Fliegen erah­nen. Stürme kön­nen aber auch gefährlich sein. Und es kostet viel Kraft, macht müde, lange Zeit gegen den Wind zu kämpfen. Dauernd im Gegen­wind zu ste­hen, auch im über­tra­ge­nen Sinn, das wün­scht sich nie­mand. – Heute geht es um Gläu­bige, die im Gegen­wind stehen.

Ver­gan­gene Woche waren in der Nacht von Mittwoch auf Don­ner­stag alle Kirchen in Adliswil und Lang­nau a.A. rot beleuchtet. Damit woll­ten wir an jene Chris­ten rund um den Globus erin­nern, die wegen ihres Glaubens Nachteile, Diskri­m­inierung und nicht sel­ten sog­ar ver­i­ta­ble Ver­fol­gung erleben und erlei­den. Wir haben uns damit als AGAP der Ini­tia­tive ‚Red Week‘ des katholis­ches Hil­f­swerks Kirche in Not angeschlossen. Dafür leuchteten in dieser Woche weltweit Kirchen und öffentliche Gebäude rot. Zugle­ich hat die weltweite Evan­ge­lis­che Allianz aufgerufen, ver­gan­genen Son­ntag oder heute einen ‚Son­ntag der ver­fol­gten Kirche‘ zu bege­hen. – Uns hier begleit­et das The­ma in den näch­sten bei­den Wochen weit­er. In den Räu­men der EMK (aber die AGAP lädt im ganzen Sihltal dazu ein) wird ab Di täglich zu Bürozeit­en eine Ausstel­lung zum The­ma ‚ver­folge Chris­ten‘ zu sehen sein.

Warum das alles? Haben wir nicht schon genug schlechte Nachricht­en? – Ein­er­seits brauchen Chris­ten unter Druck und Ver­fol­gung unsere Sol­i­dar­ität und unsere Für­bitte. Ander­er­seits kön­nten wir von ihnen sich­er einiges ler­nen. Ihr Beispiel kön­nte uns sog­ar Mut schöpfen lassen, damit wir unter gün­sti­gen Bedin­gun­gen mutiger zum Glauben ste­hen und ihn ausleben.

Die Begeg­nun­gen am ver­gan­genen Mittwoch haben mir gezeigt: Es ist dur­chaus nicht nur deprim­ierend ist, von Chris­ten im Gegen­wind zu hören. Son­dern es ist auch inspiri­erend und ermuti­gend. Wir hat­ten zwei Gäste:

  • Daniel Nuss­baumer, EMK-Pfar­rer im Ruh­e­s­tand: Er war als Dis­trik­tsvorste­her lange zuständi­ge für die kirch­liche Arbeit in Nordafri­ka und hat bis heute gute Verbindun­gen dahin. Erst im Okto­ber war er wieder vor Ort. Aus Alge­rien hat er erzählt: Kirchen und Chris­ten ste­hen mas­siv im Gegen­wind. Der Staat will den Ein­fluss der Islamis­ten in Schach hal­ten und fördert deshalb selb­st die mus­lim­is­che Bevölkerungsmehrheit auf Kosten ander­er Reli­gio­nen. Für Chris­ten in Alge­rien bedeutet das: Kirchen aller Kon­fes­sio­nen z.B. sind bis auf wenige Aus­nah­men geschlossen. Pas­toren und engagierte Laien wer­den u.a. juris­tisch ver­fol­gt. Es wer­den viele Gefäng­nis­strafen ver­hängt. Da ist kaum ein engagiert­er Christ, der nicht unter dem Damok­less­chw­ert ein­er an höhere Instanzen weit­erge­zo­ge­nen und hängi­gen Verurteilung lebt. ABER: Gelebte Ökumene wird wichtiger. Alle Kon­fes­sio­nen ken­nen und unter­stützen einan­der. Und die Chris­ten tre­f­fen sich munter weit­er, halt in Pri­vathäusern und nur in kleinen Grup­pen. Es kom­men auch immer wieder Men­schen neu zum christlichen Glauben, auch gegen Wider­stände aus ihren eige­nen Familien.
  • In Tune­sien ist die Sit­u­a­tion ganz anders. Doch staatlichen Druck gibt es auch da. Er ist hier jedoch gegen alle Reli­gio­nen gerichtet. Das Regime ist näm­lich athe­is­tisch ori­en­tiert. In sein­er Sicht ist Reli­gion Gift für das für das Volk. Erstaunlicher­weise sind aber in diesem antire­ligiösen Kli­ma ger­ade rund um die Haupt­stadt Tunis in den let­zten Jahren etliche christliche Gemein­den ent­standen. Sie tre­f­fen sich offen­bar nicht im Ver­bor­ge­nen. Und ganz klein sind sie auch nicht. Daniel Nuss­baumer hat von 60–100 Per­so­n­en pro Gemeinde gesprochen.
  • Unser zweit­er Gast am ver­gan­genen Mittwoch stammte aus Eritrea. Sul­tan erzählte uns von der Mil­i­tarisierung der Gesellschaft dort. Nichts, was die Autorität des Staates auch nur ansatzweise in Frage stellt, wird geduldet. Entsprechend darf Reli­gion keinen Platz haben. Gläu­bige (oder auch nur eines Glaubens Verdächtigte) wer­den für beson­ders lange Dien­stzeit­en von der Armee einge­zo­gen. Ein ein­fach­es Rezept. So hat man sie näm­lich unter Kon­trolle.      Sul­tan, der sich zum katholis­chen Priestern aus­bilden lassen wollte, ist irgend­wann angesichts immer neuen Dien­stver­längerun­gen geflüchtet. Auf aben­teuer­liche Weise ist er schliesslich in die CH gekom­men, wo er seit 9 Jahren lebt. Das Studi­um katholis­ch­er The­olo­gie hat er aufgegeben, aber im Engage­ment in ein­er heilpäd­a­gogis­chen Schule eine neue Beru­fung gefun­den. – Er stand vor uns als ein Mann mit gross­er Ausstrahlung: fre­undlich, san­ft, ohne Hass und tiefgläu­big. – Eine Anfrage an CH-Chris­ten stellt sein Zeug­nis allerd­ings schon. Er erzählte uns: In sein­er Heimat sei es trotz Benachteiligung/Verfolgung selb­stver­ständlich gewe­sen, jeden Son­ntag zur Kirche zu gehen. Dort waren alle Gen­er­a­tio­nen vertreten. Für Sul­tan bestand der grösste Kul­turschock in der CH in der Wahrnehmung: Wenn er hier einen Gottes­di­enst besucht, find­et er dort nur wenige Leute. Und alle sind viel älter als er. Fre­undlich lächel­nd sehr er dann in die Runde und fragte nur: Warum?

Mit dem Red Wednes­day und mit der Ausstel­lung ab mor­gen wollen wir an ver­fol­gte Chris­ten erin­nern. Wir ermuntern dafür, für sie zu beten. Sie zu unter­stützen. Und von ihnen zu ler­nen. – Einge­bet­tet ist dieses Anliegen in das Engage­ment für Reli­gions­frei­heit über­haupt. Es sind ja nicht nur Chris­ten, die ver­fol­gt wer­den. Juden­hass und Anti­semitismus grassieren ja ger­ade wieder in Wes­teu­ropa. Mus­lime wer­den in Indi­en von radikalen Hin­dus ‚gejagt‘…. Die Frei­heit, dass alle Men­schen ihren Glauben ohne Angst leben und gestal­ten kön­nen, ist ein ganz hohes und wichtiges Gut. Und let­ztlich ist es der Kampf für die Men­schen­rechte über­haupt, der den Rah­men bilden muss (Am 08.12. wird dann ja wieder inter­na­tion­al der Tag der Men­schen­rechte begangen).

Jesus nen­nt das alles in der Berg­predigt Engage­ment für das Reich Gottes und für seine Gerechtigkeit. Denen, die sich dafür ein­set­zen, wid­met er eine, d.h. genau genom­men sog­ar zwei ziem­lich spezielle Selig­preisun­gen in Matthäus 5,10–12. Gedanken dazu bilden jet­zt den zweit­en Teil mein­er Predigt. Doch zunächst lese ich, was Jesus da sagt:

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen ver­fol­gt wer­den; denn ihrer ist das Him­mel­re­ich. Selig seid ihr, wenn euch die Men­schen um meinetwillen schmähen und ver­fol­gen und aller­lei Bös­es gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröh­lich und jubelt; es wird euch im Him­mel reich­lich belohnt wer­den. Denn eben­so haben sie ver­fol­gt die Propheten, die vor euch gewe­sen sind.                           Matthäus 5,10–12

Das Wort ‚selig‘ lässt sich umschreiben mit ‚glück­lich‘, ‚grossar­tig‘ oder ‚benei­denswert‘. Dem­nach ist benei­denswert, wer ver­fol­gt, aus­gelacht und ver­leumdet wird. Das klingt min­destens fremd und irri­tierend, eigentlich sog­ar grausam. Was soll daran gut sein, wenn Men­schen um Christi willen ver­fol­gt wer­den?
Zum Ver­ständ­nis wichtig ist fol­gen­der Hin­weis: Jesus spricht in den Selig­preisun­gen nicht zulet­zt von seinem eige­nen Weg und Leben in dieser Welt. Wer ihm nach­fol­gt, hat eben teil an seinem Weg, bleibt bei ihm, und kann (muss?) ver­gle­ich­bare Erfahrun­gen wie er machen. Doch nicht dieser Gegen­wind, son­dern die unau­flös­liche Beziehung darin zu Chris­tus ist das Wertvolle. Noch im grössten Sturm von ihm begleit­et, gehal­ten und getra­gen zu sein, das ist der Mehrw­ert der Nach­folge. Und darum sind, die zu ihm gehören, noch in schwierig­sten Sit­u­a­tio­nen und Umstän­den den­noch glück­lich zu preisen.

I. Wie Jesus, so auch wir: Jesus nachzu­fol­gen heisst, Anteil zu haben an allem, was ihn aus­macht. Also ein­er­seits: Gren­zen­los geliebt und vom himm­lis­chen Vater angenom­men zu sein. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen — und wir sind es auch.“ (1.Joh.3,1) Ander­er­seits aber auch: Auf Wider­stand und Wider­spruch zu stossen, wom­öglich ange­fein­det, ver­fol­gt zu wer­den. Von Geburt an wurde Jesus ver­fol­gt. Schon König Herodes stellte ihm nach, wollte das Kleinkind umbrin­gen. Seine ersten Leben­s­jahre ver­brachte Jesus deshalb als Flüchtling in Ägypten. Als Erwach­sen­er Mann wurde er dann von Herodes’ Sohn Antipas bedro­ht. Aber auch Phar­isäer, sad­duzäis­che Priester und die römis­che Besatzungs­macht stell­ten Jesus nach. Beschimp­fung, Ein­schüchterung und Feind­schaft begleit­eten ihn auf seinem Weg. Schliesslich wurde Jesus als Aufrührer angeklagt, verurteilt und hin­gerichtet. – Warum eigentlich? Um der Gerechtigkeit willen! – Seine Geg­n­er und Feinde wehrten sich gegen ein Ver­ständ­nis von Gottes Gerechtigkeit, in dem Gnade und Umkehr die entschei­den­den Begriffe sind. Sie hiel­ten Jesus, der eine ganz andere Gerechtigkeit vor­lebte, der einen liebevollen und gnädi­gen Gott verkündigte, nicht aus. Sie eli­m­inierte ihn, weil er nicht mit ihrem Sys­tem kom­pat­i­bel war.
So kann es auch seinen Nach­fol­gerIn­nen gehen. Jesus und die Apos­tel erk­lären immer wieder: Wun­dert euch nicht, wenn es euch geht wie eurem Her­rn. Ger­ade im Lei­den seid ihr speziell mit ihm ver­bun­den.
Wir hier in der CH sind in der benei­denswerten Sit­u­a­tion, dass christlich­er Glaube wie jede Reli­gion vom Staat geschützt ist. Darum ist das Lei­den unter Wider­stand als Teil der Nach­folge Christi in den Hin­ter­grund ger­at­en. Gesellschaftlich allerd­ings wird der Wind eher rauher. Wer sich zu Kirche und Chris­tus beken­nt, bekommt auch hierzu­lande leicht Gegen­wind zu spüren.

2. Weil Jesus, darum auch wir: Dieser Gegen­wind, so erk­lärt Jesus, ist um seinetwillen da. Der Wider­stand richtet sich gegen ihn selb­st. In der Ver­suchungs­geschichte und auch bei Jesu Rin­gen im Garten Geth­se­mane wird der Wider­stand per­son­ifiziert im Satan. Das Reich Gottes und seine Werte angreifende Kräfte zie­len auf Chris­tus selb­st. Doch seine Jün­gerIn­nen repräsen­tieren ihn. Wir sollen das Gesicht, die Hände und Füsse Jesu für Welt und Men­schen sein. Also richtet sich der Wider­stand auch gegen uns. Schliesslich bezeu­gen wir durch unser Reden und Han­deln die Werte und die Kraft von Christi Reich.
Darum kön­nen Jesu Nach­fol­gerIn­nen in Lei­den ger­at­en, geschmäht und ver­fol­gt wer­den. Darum wird schlecht über sie gere­det. Darum wer­den sie ver­leumdet. Das alles soll Chris­tus, sein­er Botschaft und seinem Reich direkt schaden.
Der Umkehrschluss hinge­gen – in evan­ge­likalen Kreisen gerne vorschnell betont – scheint mir nicht zuläs­sig. Wenn Chris­ten nicht ver­fol­gt wür­den, heisst es dann, sei das ein Zeichen dafür, dass sie lau seien, nicht entsch­ieden genug, untreu wom­öglich, kle­ingläu­big etc. … Ich glaube das nicht und finde es umgekehrt sog­ar gefährlich, Wider­stände als Beweis für die eigene Recht­gläu­bigkeit zu hal­ten. Ich glaube aber, dass es ein Geschenk der Gnade Gottes ist, wenn wir Phasen und Zeit­en ohne Gegen­wind erleben dür­fen. Und es ist ein Zeichen dafür, dass Jesus Recht hat­te, als er bei ander­er Gele­gen­heit sagte: »Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äusseren Anze­ichen erken­nen kann. Man wird auch nicht sagen: ›Schau her, hier ist es!‹, oder: ›Dort ist es! ‹Nein, das Reich Gottes ist schon da –mit­ten unter euch.!«

3. Wo Jesus, da auch wir: Jesus zeigt in sein­er Selig­preisung der Ver­fol­gten aber auch das Ziel der Nach­folge durch den Gegen­wind hin­durch: sein vol­len­detes Reich im Him­mel. Dort, wohin er uns voraus­ge­gan­gen ist, gehören auch seine Nach­fol­gerIn­nen hin. Schon jet­zt haben wir, wie Paulus ein­mal schreibt „Bürg­er­recht im Him­mel“ (Phil 3,20). Und wir glauben daran, dass Jesus dort Woh­nun­gen für uns vor­bere­it­et. Diese Gewis­sheit darf sich hier und heute in unserem Leben auswirken! Sein Reich ist mit­ten unter uns. Das  Ver­sprechen ‚Ich bin alle Tage bei euch!‘ gilt. In seinen Hän­den sind und bleiben wir gebor­gen.
Jesu Selig­preisung der ‚ver­fol­gten Gläu­bi­gen‘ ist Zus­pruch auch für uns, die wir Gegen­wind – im weltweit­en Ver­gle­ich – doch eher als laue Lüftchen erleben. Den er preist alle selig, die mit ihm ver­bun­den sind und bleiben.
Hof­fentlich ist es uns darüber hin­aus auch Moti­va­tion, die Gun­st unser­er Sit­u­a­tion und Zeit zu nützen und den Glauben unge­niert zu leben und zu bezeu­gen. Es wäre mehr als schade, wenn wir die sich uns bietenden Chan­cen nicht nützen wür­den.
Hof­fentlich sind diese Selig­preisun­gen aber vor allem Gläu­bi­gen in Alge­rien, Tune­sien und Eritrea, im Nord­ko­rea, im Iran, Im Sudan, in Afghanistan, in Kuba …. und wo immer Chris­ten ver­fol­gt wer­den, eine grosse Ermu­ti­gung. Und hof­fentlich erin­nern sie uns daran, unseren ver­fol­gten Geschwis­tern in Für­bitte, im Engage­ment für Men­schen­rechte und Reli­gions­frei­heit und in finanzieller Unter­stützung beizuste­hen. – Ich lade Sie ein zur Fürbitte:

Gebet:
Höch­ster, allmächtiger, gütiger Gott, durch Dein Leben, Lei­den und Ster­ben in Deinem Sohn Jesus Chris­tus, hast Du der Welt gezeigt, dass Du die Liebe bist,      durch Deine Aufer­ste­hung hast Du deut­lich gemacht,  dass am Ende das Gute, Deine Liebe siegt.
Heute schauen wir beson­ders auf die ver­fol­gten Chris­ten, die lei­den, weil sie aus der Liebe zu Dir leben und Deine Botschaft der Liebe allen Men­schen weit­ergeben.
Sei Du mit ihnen und schenke ihnen immer wieder neu die Erfahrung. Dein­er Nähe und die Hoff­nung, dass sie auch über dieses Leben hin­aus in der Ewigkeit mit Dir ver­bun­den sein wer­den.
Jenen, die sie ver­fol­gen, schenke die Ein­sicht der Wider­sin­nigkeit ihres Han­delns, dass sie Men­schen has­sen, die nur Liebe leben und schenken wollen.
Uns, die wir in einem sicheren Land leben, lass dafür dankbar sein und lass uns unsere ver­fol­gten Mitchris­ten  nicht vergessen. Hilf uns, dass ihr Zeug­nis uns zu ein­er  tief­er­en Liebe zu Dir und einem uner­schrock­e­nen Beken­nt­nis unseres Glaubens führt. Darum bit­ten wir Dich, durch Chris­tus, unsern Her­rn. Amen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert