Gehalten am 19.11.2023 in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
starker Wind, wie wir ihn diese Tage erlebt haben, kann Spass machen: Man kann Drachen steigen lassen. Oder man kann sich auf freiem Feld gegen den Wind lehnen und ein wenig das Gefühl vom Fliegen erahnen. Stürme können aber auch gefährlich sein. Und es kostet viel Kraft, macht müde, lange Zeit gegen den Wind zu kämpfen. Dauernd im Gegenwind zu stehen, auch im übertragenen Sinn, das wünscht sich niemand. – Heute geht es um Gläubige, die im Gegenwind stehen.
Vergangene Woche waren in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag alle Kirchen in Adliswil und Langnau a.A. rot beleuchtet. Damit wollten wir an jene Christen rund um den Globus erinnern, die wegen ihres Glaubens Nachteile, Diskriminierung und nicht selten sogar veritable Verfolgung erleben und erleiden. Wir haben uns damit als AGAP der Initiative ‚Red Week‘ des katholisches Hilfswerks Kirche in Not angeschlossen. Dafür leuchteten in dieser Woche weltweit Kirchen und öffentliche Gebäude rot. Zugleich hat die weltweite Evangelische Allianz aufgerufen, vergangenen Sonntag oder heute einen ‚Sonntag der verfolgten Kirche‘ zu begehen. – Uns hier begleitet das Thema in den nächsten beiden Wochen weiter. In den Räumen der EMK (aber die AGAP lädt im ganzen Sihltal dazu ein) wird ab Di täglich zu Bürozeiten eine Ausstellung zum Thema ‚verfolge Christen‘ zu sehen sein.
Warum das alles? Haben wir nicht schon genug schlechte Nachrichten? – Einerseits brauchen Christen unter Druck und Verfolgung unsere Solidarität und unsere Fürbitte. Andererseits könnten wir von ihnen sicher einiges lernen. Ihr Beispiel könnte uns sogar Mut schöpfen lassen, damit wir unter günstigen Bedingungen mutiger zum Glauben stehen und ihn ausleben.
Die Begegnungen am vergangenen Mittwoch haben mir gezeigt: Es ist durchaus nicht nur deprimierend ist, von Christen im Gegenwind zu hören. Sondern es ist auch inspirierend und ermutigend. Wir hatten zwei Gäste:
- Daniel Nussbaumer, EMK-Pfarrer im Ruhestand: Er war als Distriktsvorsteher lange zuständige für die kirchliche Arbeit in Nordafrika und hat bis heute gute Verbindungen dahin. Erst im Oktober war er wieder vor Ort. Aus Algerien hat er erzählt: Kirchen und Christen stehen massiv im Gegenwind. Der Staat will den Einfluss der Islamisten in Schach halten und fördert deshalb selbst die muslimische Bevölkerungsmehrheit auf Kosten anderer Religionen. Für Christen in Algerien bedeutet das: Kirchen aller Konfessionen z.B. sind bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. Pastoren und engagierte Laien werden u.a. juristisch verfolgt. Es werden viele Gefängnisstrafen verhängt. Da ist kaum ein engagierter Christ, der nicht unter dem Damoklesschwert einer an höhere Instanzen weitergezogenen und hängigen Verurteilung lebt. ABER: Gelebte Ökumene wird wichtiger. Alle Konfessionen kennen und unterstützen einander. Und die Christen treffen sich munter weiter, halt in Privathäusern und nur in kleinen Gruppen. Es kommen auch immer wieder Menschen neu zum christlichen Glauben, auch gegen Widerstände aus ihren eigenen Familien.
- In Tunesien ist die Situation ganz anders. Doch staatlichen Druck gibt es auch da. Er ist hier jedoch gegen alle Religionen gerichtet. Das Regime ist nämlich atheistisch orientiert. In seiner Sicht ist Religion Gift für das für das Volk. Erstaunlicherweise sind aber in diesem antireligiösen Klima gerade rund um die Hauptstadt Tunis in den letzten Jahren etliche christliche Gemeinden entstanden. Sie treffen sich offenbar nicht im Verborgenen. Und ganz klein sind sie auch nicht. Daniel Nussbaumer hat von 60–100 Personen pro Gemeinde gesprochen.
- Unser zweiter Gast am vergangenen Mittwoch stammte aus Eritrea. Sultan erzählte uns von der Militarisierung der Gesellschaft dort. Nichts, was die Autorität des Staates auch nur ansatzweise in Frage stellt, wird geduldet. Entsprechend darf Religion keinen Platz haben. Gläubige (oder auch nur eines Glaubens Verdächtigte) werden für besonders lange Dienstzeiten von der Armee eingezogen. Ein einfaches Rezept. So hat man sie nämlich unter Kontrolle. Sultan, der sich zum katholischen Priestern ausbilden lassen wollte, ist irgendwann angesichts immer neuen Dienstverlängerungen geflüchtet. Auf abenteuerliche Weise ist er schliesslich in die CH gekommen, wo er seit 9 Jahren lebt. Das Studium katholischer Theologie hat er aufgegeben, aber im Engagement in einer heilpädagogischen Schule eine neue Berufung gefunden. – Er stand vor uns als ein Mann mit grosser Ausstrahlung: freundlich, sanft, ohne Hass und tiefgläubig. – Eine Anfrage an CH-Christen stellt sein Zeugnis allerdings schon. Er erzählte uns: In seiner Heimat sei es trotz Benachteiligung/Verfolgung selbstverständlich gewesen, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen. Dort waren alle Generationen vertreten. Für Sultan bestand der grösste Kulturschock in der CH in der Wahrnehmung: Wenn er hier einen Gottesdienst besucht, findet er dort nur wenige Leute. Und alle sind viel älter als er. Freundlich lächelnd sehr er dann in die Runde und fragte nur: Warum?
Mit dem Red Wednesday und mit der Ausstellung ab morgen wollen wir an verfolgte Christen erinnern. Wir ermuntern dafür, für sie zu beten. Sie zu unterstützen. Und von ihnen zu lernen. – Eingebettet ist dieses Anliegen in das Engagement für Religionsfreiheit überhaupt. Es sind ja nicht nur Christen, die verfolgt werden. Judenhass und Antisemitismus grassieren ja gerade wieder in Westeuropa. Muslime werden in Indien von radikalen Hindus ‚gejagt‘…. Die Freiheit, dass alle Menschen ihren Glauben ohne Angst leben und gestalten können, ist ein ganz hohes und wichtiges Gut. Und letztlich ist es der Kampf für die Menschenrechte überhaupt, der den Rahmen bilden muss (Am 08.12. wird dann ja wieder international der Tag der Menschenrechte begangen).
Jesus nennt das alles in der Bergpredigt Engagement für das Reich Gottes und für seine Gerechtigkeit. Denen, die sich dafür einsetzen, widmet er eine, d.h. genau genommen sogar zwei ziemlich spezielle Seligpreisungen in Matthäus 5,10–12. Gedanken dazu bilden jetzt den zweiten Teil meiner Predigt. Doch zunächst lese ich, was Jesus da sagt:
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind. Matthäus 5,10–12
Das Wort ‚selig‘ lässt sich umschreiben mit ‚glücklich‘, ‚grossartig‘ oder ‚beneidenswert‘. Demnach ist beneidenswert, wer verfolgt, ausgelacht und verleumdet wird. Das klingt mindestens fremd und irritierend, eigentlich sogar grausam. Was soll daran gut sein, wenn Menschen um Christi willen verfolgt werden?
Zum Verständnis wichtig ist folgender Hinweis: Jesus spricht in den Seligpreisungen nicht zuletzt von seinem eigenen Weg und Leben in dieser Welt. Wer ihm nachfolgt, hat eben teil an seinem Weg, bleibt bei ihm, und kann (muss?) vergleichbare Erfahrungen wie er machen. Doch nicht dieser Gegenwind, sondern die unauflösliche Beziehung darin zu Christus ist das Wertvolle. Noch im grössten Sturm von ihm begleitet, gehalten und getragen zu sein, das ist der Mehrwert der Nachfolge. Und darum sind, die zu ihm gehören, noch in schwierigsten Situationen und Umständen dennoch glücklich zu preisen.
I. Wie Jesus, so auch wir: Jesus nachzufolgen heisst, Anteil zu haben an allem, was ihn ausmacht. Also einerseits: Grenzenlos geliebt und vom himmlischen Vater angenommen zu sein. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen — und wir sind es auch.“ (1.Joh.3,1) Andererseits aber auch: Auf Widerstand und Widerspruch zu stossen, womöglich angefeindet, verfolgt zu werden. Von Geburt an wurde Jesus verfolgt. Schon König Herodes stellte ihm nach, wollte das Kleinkind umbringen. Seine ersten Lebensjahre verbrachte Jesus deshalb als Flüchtling in Ägypten. Als Erwachsener Mann wurde er dann von Herodes’ Sohn Antipas bedroht. Aber auch Pharisäer, sadduzäische Priester und die römische Besatzungsmacht stellten Jesus nach. Beschimpfung, Einschüchterung und Feindschaft begleiteten ihn auf seinem Weg. Schliesslich wurde Jesus als Aufrührer angeklagt, verurteilt und hingerichtet. – Warum eigentlich? Um der Gerechtigkeit willen! – Seine Gegner und Feinde wehrten sich gegen ein Verständnis von Gottes Gerechtigkeit, in dem Gnade und Umkehr die entscheidenden Begriffe sind. Sie hielten Jesus, der eine ganz andere Gerechtigkeit vorlebte, der einen liebevollen und gnädigen Gott verkündigte, nicht aus. Sie eliminierte ihn, weil er nicht mit ihrem System kompatibel war.
So kann es auch seinen NachfolgerInnen gehen. Jesus und die Apostel erklären immer wieder: Wundert euch nicht, wenn es euch geht wie eurem Herrn. Gerade im Leiden seid ihr speziell mit ihm verbunden.
Wir hier in der CH sind in der beneidenswerten Situation, dass christlicher Glaube wie jede Religion vom Staat geschützt ist. Darum ist das Leiden unter Widerstand als Teil der Nachfolge Christi in den Hintergrund geraten. Gesellschaftlich allerdings wird der Wind eher rauher. Wer sich zu Kirche und Christus bekennt, bekommt auch hierzulande leicht Gegenwind zu spüren.
2. Weil Jesus, darum auch wir: Dieser Gegenwind, so erklärt Jesus, ist um seinetwillen da. Der Widerstand richtet sich gegen ihn selbst. In der Versuchungsgeschichte und auch bei Jesu Ringen im Garten Gethsemane wird der Widerstand personifiziert im Satan. Das Reich Gottes und seine Werte angreifende Kräfte zielen auf Christus selbst. Doch seine JüngerInnen repräsentieren ihn. Wir sollen das Gesicht, die Hände und Füsse Jesu für Welt und Menschen sein. Also richtet sich der Widerstand auch gegen uns. Schliesslich bezeugen wir durch unser Reden und Handeln die Werte und die Kraft von Christi Reich.
Darum können Jesu NachfolgerInnen in Leiden geraten, geschmäht und verfolgt werden. Darum wird schlecht über sie geredet. Darum werden sie verleumdet. Das alles soll Christus, seiner Botschaft und seinem Reich direkt schaden.
Der Umkehrschluss hingegen – in evangelikalen Kreisen gerne vorschnell betont – scheint mir nicht zulässig. Wenn Christen nicht verfolgt würden, heisst es dann, sei das ein Zeichen dafür, dass sie lau seien, nicht entschieden genug, untreu womöglich, kleingläubig etc. … Ich glaube das nicht und finde es umgekehrt sogar gefährlich, Widerstände als Beweis für die eigene Rechtgläubigkeit zu halten. Ich glaube aber, dass es ein Geschenk der Gnade Gottes ist, wenn wir Phasen und Zeiten ohne Gegenwind erleben dürfen. Und es ist ein Zeichen dafür, dass Jesus Recht hatte, als er bei anderer Gelegenheit sagte: »Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äusseren Anzeichen erkennen kann. Man wird auch nicht sagen: ›Schau her, hier ist es!‹, oder: ›Dort ist es! ‹Nein, das Reich Gottes ist schon da –mitten unter euch.!«
3. Wo Jesus, da auch wir: Jesus zeigt in seiner Seligpreisung der Verfolgten aber auch das Ziel der Nachfolge durch den Gegenwind hindurch: sein vollendetes Reich im Himmel. Dort, wohin er uns vorausgegangen ist, gehören auch seine NachfolgerInnen hin. Schon jetzt haben wir, wie Paulus einmal schreibt „Bürgerrecht im Himmel“ (Phil 3,20). Und wir glauben daran, dass Jesus dort Wohnungen für uns vorbereitet. Diese Gewissheit darf sich hier und heute in unserem Leben auswirken! Sein Reich ist mitten unter uns. Das Versprechen ‚Ich bin alle Tage bei euch!‘ gilt. In seinen Händen sind und bleiben wir geborgen.
Jesu Seligpreisung der ‚verfolgten Gläubigen‘ ist Zuspruch auch für uns, die wir Gegenwind – im weltweiten Vergleich – doch eher als laue Lüftchen erleben. Den er preist alle selig, die mit ihm verbunden sind und bleiben.
Hoffentlich ist es uns darüber hinaus auch Motivation, die Gunst unserer Situation und Zeit zu nützen und den Glauben ungeniert zu leben und zu bezeugen. Es wäre mehr als schade, wenn wir die sich uns bietenden Chancen nicht nützen würden.
Hoffentlich sind diese Seligpreisungen aber vor allem Gläubigen in Algerien, Tunesien und Eritrea, im Nordkorea, im Iran, Im Sudan, in Afghanistan, in Kuba …. und wo immer Christen verfolgt werden, eine grosse Ermutigung. Und hoffentlich erinnern sie uns daran, unseren verfolgten Geschwistern in Fürbitte, im Engagement für Menschenrechte und Religionsfreiheit und in finanzieller Unterstützung beizustehen. – Ich lade Sie ein zur Fürbitte:
Gebet:
Höchster, allmächtiger, gütiger Gott, durch Dein Leben, Leiden und Sterben in Deinem Sohn Jesus Christus, hast Du der Welt gezeigt, dass Du die Liebe bist, durch Deine Auferstehung hast Du deutlich gemacht, dass am Ende das Gute, Deine Liebe siegt.
Heute schauen wir besonders auf die verfolgten Christen, die leiden, weil sie aus der Liebe zu Dir leben und Deine Botschaft der Liebe allen Menschen weitergeben.
Sei Du mit ihnen und schenke ihnen immer wieder neu die Erfahrung. Deiner Nähe und die Hoffnung, dass sie auch über dieses Leben hinaus in der Ewigkeit mit Dir verbunden sein werden.
Jenen, die sie verfolgen, schenke die Einsicht der Widersinnigkeit ihres Handelns, dass sie Menschen hassen, die nur Liebe leben und schenken wollen.
Uns, die wir in einem sicheren Land leben, lass dafür dankbar sein und lass uns unsere verfolgten Mitchristen nicht vergessen. Hilf uns, dass ihr Zeugnis uns zu einer tieferen Liebe zu Dir und einem unerschrockenen Bekenntnis unseres Glaubens führt. Darum bitten wir Dich, durch Christus, unsern Herrn. Amen