Gehalten am 26.11.2023 (Ewigkeitssonntag) in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
der Kontrast ist gross am Ewigkeitssonntag: Auf der einen Seite sind die Trauer und der Schmerz in der Erinnerung an jene, die nicht mehr unter uns sind. Auf der anderen Seite sind Hoffnung und Vorfreude auf die Vollendung, auf die Ewigkeit. Wie bringen wir beides zusammen?
Pfr. R.Seitz bringt beides in einem Text mit dem Titel ‘Vorfreude’ zusammen. Er klingt so:
Ich freu mich
auf den Augenblick,
wo dank der Initiative
des Himmels eine gesegnete
Arbeitslosigkeit ausbricht:
Wenn Militärs in allen Ländern
ihre ordensgeschmückten Uniformen
an den Nagel hängen,
weil es keine Kriege
und keine Soldaten mehr gibt,
wenn bei Waffenfabriken
keine Bestellungen mehr eingehen
und Gefängnisaufseher
vergeblich nach Kunden
Ausschau halten.
Wenn Millionäre
keine Anwälte mehr brauchen,
weil das vermögen
unter die Armen verteilt ist,
wen Grenzwächter Blumen pflanzen
und sie dem Gast
aus dem fernen Land
ins Knopfloch stecken,
wenn Polizisten die Auflösung
ihres Berufsstandes beschliessen
und ihre Mützen den Kindern
verschenken,
wenn Geheimdienste
nichts anderes mehr zu tun haben
als das Geheimnis
der Liebe Gottes auszuplaudern.
Wenn Hilfswerke
überholte Institutionen sind
und die unzähligen Kirchen und
Gemeinschaften untergehen
in der geschwisterlichen Ökumene
des kommenden Gottesreiches.
Und am meisten freue ich mich
auf den Augenblick, wo Pfarrer
das Allerüberflüssigste sind,
weil Gott selber inmitten
der Menschen wohnt.
Dann werden wir sein
wie Träumende.
aus: R.Seitz, Spuren deiner Nähe finden, S.76ff
Freude angesichts und trotz Not, Elend und Sterben in der Welt. R.Seitz bleibt in seinem Text eng an biblischen Vorbildern: Texte, die vollmundig, in ungebremster Zuversicht und bewusst gegen die Erfahrung die Herrlichkeit im kommenden Reich Gottes formulieren.
Sie zu lesen ist oft herausfordernd. Denn unsere Wahrnehmung der Welt lässt uns zurückfragen: Stimmt das? Das wirkt doch übertrieben, abgehoben. Was gibt uns Gewissheit, dass wir uns auf biblische Visionen der Vollendung verlassen können?
Einer dieser Bibeltexte ist heute mein Predigttext: Jesaja 65 ist eine Verheissung im Namen des ‚wahrhaftigen Gottes‘ (→ Luther). Hinter dieser Gottesbezeichnung steckt in der biblischen Ursprache das Wort ‚Amen‘. Es spricht also der ‚Gott Amen‘. Der also, der seine Versprechen hält. Der Gott, der seinem Ja das ‚Amen‘ folgen lässt. Wenn er sagt ‚es werde Licht‘, dann wird es hell (→ 1. Schöpfungstag).
Also: Der ‚Gott Amen‘ sagt in Jesaja 65
‘Heaven ist a wonderfull place!’ d.h.: Der Himmel ist ein herrlicher Ort. So heisst es in einem Gospel, der mir nachläuft, seit ich den Predigttext gelesen habe. Davon spricht Jesaja hier. Davon, wie herrlich es ist im Himmel. Wobei der Prophet genau genommen ja nicht den neuen Himmel, sondern die neue Erde beschreibt. Eine Welt, der die unsere viel zu wenig gleicht:
- Die Kindersterblichkeit ist zwar massiv zurückgegangen. Aber es gibt sie noch. Und – auch wenn wir kaum darüber reden – manche Kinder sterben schon, bevor sie zur Welt kommen.
- Die Lebenserwartung ist gestiegen. Doch 100 zu werden, ist auch heute noch eine Ausnahme.
- Die Erde lässt so viel wachsen, dass man alle ernähren könnte. Aber mit der Verteilung klappt es bis heute nicht. Und mit der Klimaveränderung werden Missernten häufiger.
- Ein Friede, in dem selbst Raubtiere zu Vegetariern werden, klingt vollends utopisch. Kriegsnachrichten sind so häufig geworden, dass wir schon fast daran gewöhnt haben und abstumpfen. Gottes Shalom scheint in unserer Welt unerreichbar weit weg zu sein.
Kurz gesagt: Gottes Ja und Amen zu seinen Verheissungen fehlt (noch?). Und die Frage drängt: Kommt das noch? Ja, geht’s das überhaupt? – Zu Gegenargumenten aus der Erfahrung gesellen sich Einsichten christlicher Lehre: Auch gläubige Menschen bleiben Sünder und tragen viel vom alten Adam in sich.
Darum braucht es eine neue Schöpfung. So wie die Welt ist, funktioniert es nicht. „Ein bisschen Frieden“ reicht nicht. Jesaja wird klar: Ein neuer Himmel, eine neue Erde müssen her. Gott muss sie schaffen. Der Text braucht übrigens genau das Wort בָּרָ֣א (= ‚schaffen‘) aus den Schöpfungsberichten. Die Bibel hat es reserviert für Gottes Schaffen des Neuen aus dem Nichts heraus.
Jesaja sieht also, realistisch und verheissungsvoll zugleich: Mit dieser Welt ist das Ziel nicht zu erreichen. Darum schafft Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und seine Menschen werden daran teilhaben.
Im Formulieren seiner gewaltigen Vision bleibt der Prophet durchaus vorsichtig. Zwar schreibt er von der neuen Erde und dem neuen Himmel. Aber er beschreibt nur die neue Erde. Für den Himmel fehlen ihm Bilder und Worte. – Einige hundert Jahre später hat der Seher in der Johannesoffenbarung auch den neuen Himmel beschrieben. Wobei auch er bewahrt das atl. Tabu bewahrt, wonach der Mensch nicht in den Himmel sehen kann. Deshalb kommt in der Offb der Himmel ( → das neue Jerusalem) auf die Erde herunter und Gott nimmt dort darin Wohnung (vgl. Offb. 21,5). Dennoch: Wo Gott wohnt, da ist der Himmel. In Gottes Gegenwart gibt es kein Leid und keinen Tod mehr. Da werden die Menschen nicht bloß uralt wie bei Jesaja, für den ein Hundertjähriger noch ein Kind ist, wenn er stirbt. In der Sicht der Jh-Offb leben die Menschen ewig.
Jesaja ist vorsichtiger. Er malt nur die ideale neue Erde aus, die Gott schaffen wird. Ewiges Leben gibt es in seiner Vision noch nicht. Aber das Leben ist erfüllt. Für niemanden mehr zu kurz. Missernten wird es nicht mehr geben. Vertreibungen auch nicht. Das Fressen und Gefressen werden wird vorbei sein.
Aber eben: Selbst diese ‚sparsamen‘ Verheissungen sind in unserer Welt nicht eingelöst. Was ist denn nun mit Gottes ‚Ja und Amen‘?
Der Alttestamentler Walther Zimmerli unterstrich, dass noch nicht alle atl. Verheissungen erfüllt sind. Er sprach deshalb trotz des Kommens Jesu von einem Verheissungs-Überschuss des AT. Damit hat er recht.
Es darf aber auch festgehalten werden: In Jesus ist ein Teil oder ein Vorgeschmack der neuen Wirklichkeit, der Vollendung schon einmal aufgetaucht. Vielleicht war es erst die Spitze eines Eisberges oder die Schwanzflosse eines Wals, was wir vom Reich Gottes zu sehen bekamen. Doch immerhin!
Es sind noch nicht alle Krankheiten besiegt. Aber es gab und gibt Heilungen einzelner im Namen Jesu Christi. Das Sterben geht noch weiter. Aber in der Auferstehung hat der Tod den entscheidenden Kampf schon verloren.
Für einige Sekunden wird die Schwanzflosse eines Wales sichtbar, bevor er nach dem Atem holen wieder abtaucht. Der ganze Wal bleibt unsichtbar. Aber die Flosse zeigt mir, dass es ihn gibt und ich weiss, dass er wieder auftauchen wird.
Das mit dem Wal haben wir in Kalifornien erlebt. Wir sassen an der Küste vor unserem Wohnmobil, tranken Kaffee und schauten auf das Meer hinaus. Plötzlich hörten wir etwas, das klang, wie wenn ein Zug die Bremsen entlüftet. Wir schauten in die Richtung und sahen einen Grauwal verschwinden. Er kam sogar noch ein paar Mal, so dass ich ihn schliesslich auch auf der Kamera hatte. Vorher hatten wir am Strassenrand (für amerikanische Werbung typisch) vollmundige Versprechungen gelesen: Eine Walsichtung wird garantiert, wenn man eine teure Whale-Watching-Tour bucht. Wir hatten der Werbung nicht getraut und uns das Geld gespart. Dennoch hatte sich das Versprechen für uns erfüllt.
Wenn wir uns daran festhalten, dass die biblischen Verheissungen erfüllen werden. Wenn wir dem Gott trauen, der Amen heisst und treu ist, dann tun wir dies, weil der Wal im Kommen, Leben, Sterben und Auferstehen Christi schon, wenn auch nur kurz, sichtbar geworden ist. Wir haben gewissermassen schon die Schwanzflosse des Reiches Gottes gesehen. Seither ist Jesus wieder „abgetaucht“ aus der Sichtbarkeit. Zwar nicht ins tiefe Meer, sondern zurück in den Himmel. Doch er wird wieder ‚auftauchen‘.
Ich würde gerne einmal einen ganzen Wal sehen. Das blieb uns damals in Kalifornien verwehrt. Ein wenig Rücken mit einem Luftloch. Ein Schwanz. Der Rest blieb unter Wasser. Das erinnert mich an den ‚Verheissungs-Überschuss‘ des AT. Doch versprochen — dick unterstrichen, um nicht zu sagen: garantiert — ist im NT: Der Wal wird wieder auftauchen. Und dann wird er ganz zu sehen sein.
Damit leben ChristInnen in dieser Welt seit Christi Himmelfahrt. Es bleibt die Gewissheit, Christus erlebt und gesehen zu haben, auch nach der Auferstehung. Und es bleibt die Hoffnung, dass er wieder kommen wird.
Jesajas Generation fand in Palästina keine blühenden Landschaften, als sie tatsächlich aus Babylon zurückkehrten. Doch das Exil war vorbei. Sie hatten sozusagen die Flosse des Wals gesehen und wussten: Gott vergisst die Seinen nicht.
Jesu Zeitgenossen erlebten weder das Ende des Todes noch die Überwindung aller Krankheiten. Aber sie sahen Krankenheilungen und den auferstandenen Jesus. Sie sahen die Schwanzflosse und kamen zur Hoffnung, irgendwann den ganzen Wal zu sehen.
Auch das Kommen Gottes in diese Welt im Weihnachtsgeschehen ist wie das Auftauchen eines Wals zum Luftholen. Vieles von Gott ist noch verborgen. Und doch wurde klar. Spätestens mit der Auferstehung Christi hat Gott angefangen, den neuen Himmel und die neue Erde zu schaffen.
Gott hat Ja gesagt zu seiner Welt, zu seinen Menschen. Er sagt immer wieder Ja in Momenten, in denen etwas vom Reich Gottes aufblitzt. Wenn in einer Versöhnung, in einer Heilung, in einem vom Himmel geschenkten Glücksmoment … einen kurzen Moment mehr sichtbar wird als normalerweise. Und er wird sein Amen sprechen. Der neue Himmel und die neue Erde werden kommen.
Im Zeichen dieser Zuversicht steht auch unsere Erinnerung an jene, von denen wir in dieser Welt Abschied nehmen mussten. Wir halten uns daran fest, dass sie jetzt schon viel näher bei Gott sind als wir uns vorstellen können. Und wir hoffen auf den neuen Himmel und die neue Erde, die Gott schaffen wird. Da werden wir uns wieder begegnen. Und da wird alles gut, wird Gott alles in allem sein. Amen.