Begnadet

Lukas 1,26–38

Gehal­ten am 17.12.2023 (3. Advent) in der EMK Adliswil

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Liebe Gemeinde,

am ver­gan­genen Son­ntag wur­den anlässlich der ‚Sports awards‘ die Schweiz­er Sport­lerIn­nen des Jahres gekürt. Gewon­nen haben mit Lara Gut-Behra­mi und Mar­co Oder­matt zwei beg­nadete Ski­fahrerIn­nen. ‚Beg­nadet‘! Sportre­porter brauchen das Wort gerne. Von Roger Fed­er­er las ich ein­mal, dass er ein ‚beg­nadetes‘ Händ­chen habe. Auch Fuss­bal­lerIn­nen wer­den immer wieder als ‚beg­nadet‘ beze­ich­net. Lionel Mes­si sei ein beg­nade­ter Drib­bler, Erling Håland ein beg­nade­ter Mit­tel­stürmer, Yann Som­mer ein beg­nade­ter Torhüter. Auch im Blick auf Kul­turelles wird der Begriff häu­fig gebraucht. Wir lesen oder hören von beg­nade­ten Schaus­pielerin­nen, Regis­seuren oder Musik­erIn­nen. Aus allen musikalis­chen Sparten und Stilen. Zulet­zt habe ich von Tay­lor Swift, der zur Zeit wohl alle anderen über­strahlen­den Pop-Kün­st­lerin gele­sen: Sie sei eine beg­nadete Musik­erin und – vielle­icht sog­ar noch wichtiger — eine beg­nadete Kommunikatorin.

Ob all denen, die das Wort ‚beg­nadet‘ brauchen, bewusst ist, dass es ein bib­lis­ch­er Begriff ist? Z.B. in der Vor­wei­h­nachts­geschichte des Lukas kommt es vor. Ich lese Lukas 1,26–38:

Die Ankündi­gung der Geburt Jesu
Und im sech­sten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu ein­er Jungfrau, die ver­traut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Beg­nadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefun­den. Siehe, du wirst schwanger wer­den und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höch­sten genan­nt wer­den; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zuge­hen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kom­men, und die Kraft des Höch­sten wird dich über­schat­ten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genan­nt wer­den. Und siehe, Elis­a­beth, deine Ver­wandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jet­zt im sech­sten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfrucht­bar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Her­rn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

„Sei gegrüsst, du Beg­nadete. Der Herr ist mit dir!“: Ein selt­samer Gruss. Was bedeutet er wohl? – Ein Blick auf die bib­lis­che Ursprache legt eine wichtige Spur: Im Griechis­chen klin­gen Gnade und Freude sehr ähn­lich. Darum kann man diesen Engels­gruss auch über­tra­gen mit: „Freue dich. Der Herr ist mit Dir!“ Also haben ‚Beg­nadete‘ Grund zur Freude, weil Gott mit ihnen ist.

Das ist in der Geschichte, die Lk erzählt, freilich nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Abge­se­hen vom Zus­pruch Gottes an ihrer Seite eröffnet die Ver­heis­sung Gabriels eher uner­freuliche Per­spek­tiv­en für Maria. Als noch unver­heiratetes Mäd­chen in der dama­li­gen Gesellschaft mit ein­er unklaren Schwanger­schaft zu leben führte weniger zu Freude als zu mas­siv­en Prob­le­men. –Für heutige Leser oder HörerIn­nen ist wom­öglich auch eher ärg­er­lich als erfreulich: Die Sache mit der ‚Jungfrauenge­burt‘. Jeden­falls sind davon viele irri­tiert. Viele wen­den sich sog­ar von Bibel und Kirche ab mit der Begrün­dung: „Wenn ich da meinen Ver­stand abgeben muss, ist das nichts für mich!“

Was ist heute die Botschaft dieser Geschichte? Was daran kann und soll uns Freude machen? Wie kann sie helfen, in unser­er Zeit den Glauben zu bewahren und Hoff­nung weit­erzu­tra­gen? Inwiefern sind wir heute beg­nadet, haben wir Grund zur Freude? — Um dem allem auf die Spur zu kom­men lohnt es sich, zunächst ein paar ver­meintlich neben­säch­liche Äusser­lichkeit­en der Geschichte zu beachten:

  • Was Lk berichtet, geschieht in Galiläa. Das war eine kleine Prov­inz am nördlichen Rand der römis­chen Prov­inz Judäa. Die Gegend war abgele­gen und galt als hin­ter­wäld­lerisch. Läge Galiläa in der Schweiz, so hiesse es vielle­icht Appen­zell Inner­ho­den oder Bern­er Ober­land. Man war auf dem Land, hin­ter den Bergen. Die grossen Trends kamen nicht von da. Und die Welt­poli­tik spielte sich eben­falls ganz woan­ders ab. – Aus­gerech­net hier, ver­loren im Nir­gend­wo, besucht der Engel Gottes eine junge Frau oder genauer: Ein Mäd­chen, erst an der Schwelle zum Erwachsenwerden.
  • Sie ist in Nazareth zu Hause. Der kleine, schäbige Ort hat­te keinen guten Ruf. Sprich­wörtlich war die Frage: „Was kann aus Nazareth Gutes kom­men?“ Ein Ort, von dem nichts Pos­i­tives zu erwarten ist. ‘No-go-Areas’ nen­nen die Amerikan­er solche Gegen­den. Friedliche Bürg­erIn­nen ver­mei­den es bess­er, sich dahin zu verir­ren. „No-go-Area“ Nazareth also. Aus­gerech­net dahin geht der Engel Gottes.
  • Zu wem? Zu Maria. In der kirch­lichen Tra­di­tion wurde sie zur Heili­gen. Zur reinen, unbe­fleck­ten Magd. Madon­na, Mut­ter Gottes oder Him­mel­sköni­gin wurde sie später genan­nt? Von all dem weiss der lukanis­che Text aber nichts. Maria ist ein ein­fach­es, unbekan­ntes Mäd­chen aus ein­er hin­ter­wäld­lerischen Prov­inz. Noch sehr jung. Vielle­icht 12 oder 13jährig. Sein jüdis­ch­er Name lautet: „Mir­jam“. Der Name ste­ht für ‘Auflehnung’, für ‘Bit­terkeit’ und ‘Betrüb­nis’. Wenn man etwas wohlwol­lend über­set­zt, kann man sagen: Maria/Mirjam ist die ‘Wider­spen­stige’. — Aus­gerech­net zu ihr kommt der Engel Gottes.

In ein­er ‘No-go-Area’ begeg­net der Engel Gottes einem ein­fachen jüdis­chen Mäd­chen. Damit sind wir schon nahe am Kern der Wei­h­nachts­botschaft. Beim Wun­der näm­lich, dass Gott ganz ein­fach, im normalen/grauen All­t­ag, ja sog­ar am Rand der Gesellschaft zur Welt kommt und ein Men­sch wird.

Nun muss man wis­sen: Die antiken Reli­gio­nen wussten dur­chaus von vie­len Göt­tern zu erzählen, die Men­schen wur­den. Und doch waren das andere Geschicht­en. Denn diese Göt­ter erschienen oft als Kriegs-Helden. Laute Heroen auf irgendwelchen Schlacht­feldern. Das Lk-Ev erzählt hinge­gen eine ganz unherois­che Geschichte. Da ist kein Helden­tum erkennbar. Gott wird weit weg von den grossen Büh­nen der Welt im hin­ter­wäld­lerischen Galiläa, im anrüchi­gen Nazareth, als Men­sch greif­bar. Und zur Welt kommt er noch nicht ein­mal zu Hause, son­dern unter­wegs in ein­er Notun­terkun­ft. Nicht im prächti­gen Luxus­bett in einem königlichen Pracht­bau, son­dern in ein­er Fut­terkrippe, die nicht ein­mal min­i­male Hygiene-Stan­dards bieten kon­nte. Der Gott, von dem Lukas erzählt, wird nicht bei den Reichen und Schö­nen Men­sch, son­dern bei dank einem armen jüdis­chen Mäd­chen, das sich selb­st als „Magd“ bezeichnet.

Das macht Wei­h­nacht­en zu einem Wun­der: Der grosse und heilige Gott ist sich nicht zu schade, in unsere kleinen und schäbi­gen Wel­ten zu kom­men. Er schreckt nicht zurück davor, sich die Hände (und wom­öglich viel mehr) schmutzig zu machen. Der Höch­ste sucht sich für sein Kom­men aus­gerech­net die „No-go-Areas“ dieser Welt aus. Das fasse, wer kann. Galiläa, Nazareth, später: Stall und Krippe, geboren von ein­er ein­fachen Magd. Und dann auf der Flucht nach Ägypten – erst auf diesem Hin­ter­grund kommt das Wun­der von Wei­h­nacht­en wirk­lich zum Strahlen.

Um dieses Wun­der zu unter­stre­ichen, greift Lk in die erzäh­lerische Werkzeugk­iste. Er packt die Geschichte von Gottes Men­schw­er­dung ein in ein zweites Wun­der. Noch etwas Uner­hörtes, ja ger­adezu Anstös­siges umschliesst das Wei­h­nachtswun­der. Er erzählt von der Jungfrauenge­burt. Zu Hil­fe kam Lk dabei eine alte Ver­heis­sung aus der Bibel. In Jes 7,14 ste­ht: „Eine junge Frau wird schwanger wer­den und einen Sohn zur Welt brin­gen. Den wird sie Immanuel, ›Gott mit uns‹, nen­nen.“ Diese alte Zusage baut Lk fast wörtlich in seine Geschichte ein. Als tiefgläu­biger Mann ist er sich sich­er, dass sich in diesem Jesus wirk­lich die Ver­heis­sung des Mes­sias erfüllen wird. – Allerd­ings, ist es Ihnen aufge­fall­en? – Bei Jesa­ja ste­ht ‘eine junge Frau’. Lukas aber schreibt von ein­er ‘Jungfrau’.

Ist das ein Tipp- bzw. Abschreibfehler? Oder ein selt­sames Wort­spiel? Ist die Phan­tasie mit ihm durchge­gan­gen? – Lk war nicht nur ein gläu­biger, son­dern auch ein gut gebilde­ter Mann. Die Tra­di­tion sagt, er sei Arzt von Beruf gewe­sen. Er wird sich also wohl etwas über­legt haben. Und was später andere für Lehren daraus entwick­eln wür­den, wie z.B. von ein­er unbe­fleck­ten Empfäng­nis, das kon­nte er ja kaum abse­hen. – Den­noch: Was will er mit der Geschichte von der ‘Jungfrauenge­burt’?

Um das zu ver­ste­hen, hil­ft es, fol­gende Zusam­men­hänge zu ken­nen: In der Antike, z.B. in Ägypten war es nicht ungewöhn­lich, ein neuge­borenes Königskind als „von ein­er Jungfrau geboren“ zu beze­ich­nen. Das sollte die Beson­der­heit eines solchen Kindes zum Aus­druck brin­gen. Nun hat sich Lk mit seinem Evan­geli­um ja genau das­selbe vorgenom­men: Er will die Beson­der­heit, ja das Wun­der des Kom­mens Gottes in seine Welt verkündi­gen. Und dafür greift er zu einem erzäh­lerischen Mit­tel, das seine Zeitgenossen ver­standen: Sie hörten von der Jungfrauenge­burt und begreifen sofort: Das Kind in der Krippe muss ein geboren­er König sein. Sich­er ein ganz ander­er König als die in den Palästen Ägyptens. Den­noch ein König. Und: Was heißt denn ‘ein’  König? ‘Der’ König schlechthin: „Er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“

Ich muss die Geschichte von der Jungfrauenge­burt also nicht biol­o­gis­tisch ver­ste­hen. Und merke doch genau, was Lk mir verkündigt: Das Kind, das der Maria ver­heis­sen wird, ist ein ganz beson­deres Kind. In ihm lebt Gott selb­st. Er ist zur Welt gekom­men und ein­er von uns geworden.

So ver­ste­he ich auch, dass es im Glaubens­beken­nt­nis heisst: „geboren von der Jungfrau Maria“. Das ist  — ger­ade weil es schw­er fass­bar ist — ein heil­samer Stolper­stein. Es bewahrt mich davor, das Wei­h­nachtswun­der zu ver­harm­losen. Es auf eine roman­tis­che, stim­mungsvolle Tra­di­tion zu reduzieren. Was uns Lk erzählt, ist unglaublich, kaum fass­bar … und den­noch echt. Konkret: Gott wird Men­sch. Begeg­net uns auf Augen­höhe. Erlebt und erlei­det, was das Leben mit uns macht. Geht uns nach. Sucht die Begeg­nung mit uns. Obwohl grosse Teile der Welt bzw. der Men­schheit davon kaum etwas wis­sen wollen. Sucht den­noch hart­näck­ig weit­er und find­et immer wieder Menschen.

Selb­st ein ratio­naler und ziem­lich nüchtern­er Typ kann ich so im Glaubens­beken­nt­nis den Satz ‘geboren von der Jungfrau Maria’ mit­sprechen. Nicht, weil ich das im biol­o­gis­chen Sinn für die Wahrheit halte. Son­dern weil ich es Sig­nal für die alles men­schlich-ratio­nale Ver­ste­hen über­steigende Liebe Gottes deute. Es ist und bleibt ein unbe­grei­flich­es, nicht in den Griff zu bek­om­mendes und doch reales Geschehen: Der grosse Gott will es – o Wun­der – aus­gerech­net mit uns zu tun haben, die wir in ein­er zer­ris­se­nen Welt leben (für deren Zer­ris­senheit wir weit­ge­hend ver­ant­wortlich sind).

Es geht bei der Jungfrauenge­burt nicht um eine biol­o­gis­che Absur­dität. Es geht nicht darum, wider besseres Wis­sen etwas Unver­ständlich­es, um nicht zu sagen Unmöglich­es zu behaupten. Son­dern es geht darum, darüber zu staunen und sich darüber zu freuen: Bei und dank Gott wird Unmöglich­es möglich. Er ist Men­sch gewor­den und in diese Welt gekom­men. Auch vor den Schat­ten­seit­en der Welt hat der nicht Halt gemacht. Wo immer wir uns hier bewe­gen: In und dank Chris­tus kön­nen wir Gott von Men­sch zu Men­sch begegnen.

Die Her­aus­forderung beste­ht darin, sich auf diese Begeg­nung einzu­lassen. Das Wei­h­nachtswun­der im eige­nen Leben zuzu­lassen. So wie Maria, die schliesslich sagt: „Siehe, ich bin des Her­rn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Nicht ver­ste­hen und bis ins Let­zte erk­lären kön­nen müssen wir Gott. Son­dern zulassen, dass er an uns und durch uns wirkt. Darin ist uns Maria Vorbild.

Und solande ich wieder bei den Beg­nade­ten. Maria hat die Gnade, nicht alles zu hin­ter­fra­gen. Sie hat die Gnade, sich als Gottes Werkzeug brauchen zu lassen. Und auch wenn es alles andere als leicht war, die Mut­ter dieses Jesus von Nazareth zu sein, auch wenn es viel Sor­gen und Lei­den bedeutete, es war doch zulet­zt eine grosse Freude. Denn er führte sie und er führte viele andere zur Begeg­nung mit dem lebendi­gen Gott. So fan­den sie Leben, das wirk­lich Leben ist. Die ‚Freude am Her­rn‘ wurde zu ihrer Stärke. Und der Engel hat­te Recht. Maria und viele andere wur­den dank Jesus von Nazareth zu Begnadeten.

Auch wir sind Beg­nadete. Wir haben allen Grund zur Freude, weil Gott ins unsere Welt kommt. Wir dür­fen die Gnade find­en, uns von Gott als Werkzeug brauchen zu lassen, selb­st wenn wir oft Manch­es nicht verstehen.

So lädt uns diese Geschichte von Lukas ein, als Beg­nadete Wei­h­nacht­en zu feiern. Uns zu freuen über Gottes Kom­men. Davon anderen zu erzählen. Und uns immer wieder einzu­lassen auf die Wege, die er führt. Und uns so brauchen zu lassen, wie es ihm gefällt.      Amen

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