Gehalten am 25.12.2023 (Weihnachten) in der EMK Adliswil
Liebe Gemeinde,
die Engel singen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen“. Das ist so ein Moment, in dem alles stimmt. Gott ist nicht hinterfragt. Er bekommt die Ehre, die ihm zusteht. Und das bewirkt mindestens eine friedliche Stimmung, wenn nicht sogar mehr bei denen, die zuhören, unten auf der Erde. Doch solche perfekten Momente sind flüchtig. Der nächste Satz in der Weihnachtsgeschichte beginnt mit: “Als die Engel von ihnen fort in den Himmel gegangen waren …” Und das ist dann der Augenblick, den wir immer wieder fürchten: Die Sekunde, die Stunde, der Tag danach … wenn alles vorbei ist! Die Engel sind weg! Der Traum platzt! Das Fest ist vorbei! Man schlägt hart wieder auf dem Boden der Wirklichkeit auf. Der Alltag hat einen wieder und ist so grau wie eh und je, wenn nicht gar noch etwas düsterer. Jedenfalls ist keine nachhaltige Veränderung zum Besseren greifbar.
Auf das Fest folgt Ernüchterung, manchmal ein regelrechter Kater! Auch nach Weihnachten: Zerrissenes Geschenkpapier liegt herum, Verpackungen stapeln sich und die Krümel auf dem Tisch sind auch nicht mehr Haute Cuisine. Schon wieder sollte man aufräumen. Das erinnert an den Alltag, in dem man nie fertig wird mit aufräumen. Er wird uns bald wieder haben. Es gibt kein Entfliehen. Die Feststimmung wird verfliegen. Die Normalität, vielleicht auch der normale Wahnsinn wird uns einholen. Zurück bleibt bestenfalls die Erinnerung an einige Stunden, in denen wir kurz aussteigen konnten.
So wird es jedenfalls sein, wenn wir Weihnachten in erster Linie als Gelegenheit zur Flucht aus/vor dem Alltag nützen oder wahrnehmen. Damit wäre aber der Sinn von Weihnachten verfehlt und eine Chance verpasst. Denn Weihnachten will uns doch ausrüsten für die Herausforderungen des täglichen Lebens. Die Farben und Lichter, die das Fest generiert, sollen unseren Alltag bunter machen. Das Weihnachtslicht soll weiter leuchten, damit Lebenslust und Freude an Gott uns beleben.
Das Weihnachtsfest muss nicht mit der resignierten und erschöpften Frage: “Was? Schon wieder alles vorbei?” aufhören. Am Beispiel der Hirten, auf die ich mich heute konzentriere, wird das deutlich. Lassen Sie uns dem nachspüren, was damals in den düsteren Alltag der Hirten einbrach und ihr Leben dauerhaft farbig werden liess. Ich bin sicher: Von dem, was damals die Hirten mitriss, kann auch für uns heute etwas abfallen. Lassen wir uns anstecken von der Freude, die sie in Schwung brachte und von da an in Bewegung hielt.
I. GEHEN: Sich in Bewegung bringen lassen
Zwar fehlt dem Schluss der Weihnachtsgeschichte der Glanz der Engelsbotschaft. Und es scheint ernüchternd, dass nicht mehr Engel, sondern nun armselige Hirten die Weihnachtsbotschaft weitertragen. Für die Hirten freilich war der Rückzug der Engel aber weder ernüchternd noch gar deprimierend. Sondern es war für sie der Anlass, aufzubrechen und — für den Moment wenigstens — alles stehen und liegen zu lassen. “Lasst uns doch gleich nach Bethlehem gehen und das Gotteswort sehen!”, so sagen sie zueinander. Sie hatten dem Engel zugehört, sorgfältig darauf geachtet, was Gott ihnen zu sagen hatte. Und diese Botschaft brachte sie in Bewegung. Sie machten sich auf, ihren Heiland und Retter zu suchen.
Die Hirten sind in der Weihnachtsgeschichte diejenigen, mit denen wir uns am leichtesten identifizieren können. Sie sind schlichte, gewöhnliche Leute, gehören gesellschaftlich sogar zur Unterschicht. Sie müssen hart arbeiten, um (über)leben zu können. So romantisch, wie uns Bilder weismachen wollen, war der Hirtenberuf nämlich nicht. Ihr Alltag war eintönig. Viel herumwarten weit weg von den Orten, an denen das Leben pulsiert. Dazu der Kampf, die Herde zu schützen vor Raubtieren und Räubern. Und immer wieder weiter ziehen zu müssen zur nächsten Weide. Wie anstrengend, bei der Arbeit permanent unterwegs zu sein, auch wenn man vielleicht gar nicht mag. Dabei zwar Zeit zu haben zum Träumen. Aber auch wissen, dass der Traum von einem besseren, reicheren Leben immer ein Traum bleiben wird.
Diese Hirten lassen sich ansprechen von der Botschaft der Engel. Und so gerät Alltagstrott ins Wanken. Bewegung kommt in ihr Leben. Sie finden Zuversicht, dass der Himmel auch für sie schon auf Erden beginnen könnte. Und diese Zuversicht lässt sie aufbrechen. Die Hirten begeben sich auf die Suche nach ihrem Gott.
II: SEHEN: Zeichen wahrnehmen und zum Glauben finden
Wohin führt sie diese Suche? Was finden sie? Ein neugeborenes Kind, in Windeln gewickelt, dass seine Eltern mangels Alternativen in eine Futterkrippe gelegt haben. Sie finden, was der Engel vorausgesagt hat: Eine Futterkrippe und Windeln als Zeichen für die Geburt des Retters.
a) Ein Zeichen, das der Deutung bedarf
Ein seltsames Zeichen ist das ja schon! Gewöhnlicher — um nicht zu sagen: armseliger — könnte die Geburt des Retters kaum vor sich gegangen sein! Welches Kind wird denn nach der Geburt nicht in Windeln gewickelt? Und auch die Krippe ist längst nicht so aussergewöhnlich, wie uns scheinen will: In einer Zeit, als es durchaus noch üblich war, dass Menschen und Tiere im selben Raum übernachteten, war die Futterkrippe der Ort, an dem ein kleines Kind am besten vor den Hufen der Tiere geschützt war.
Die Hirten finden also ein junges Paar, das sein erstes Kind bekommen hat. Die Mutter ist noch erschöpft von der Anstrengung der Geburt, der Vater in der Aufregung noch etwas hilflos. Wie alle anderen Eltern in ihrer Situation es auch getan hätten, haben sie das Kind in Windeln gewickelt und in die Futterkrippe gelegt. Dieses Kinde ist genauso zur Welt gekommen wie viele andere vor ihm und nach ihn auch. Nichts fällt auf, was diese Geburt besonders zu erwähnen rechtfertigte. Was ist das Zeichenhafte an dieser ganzen Geschichte?
Erstaunlicherweise sind die Hirten ob diesem Zeichen nicht enttäuscht. Sie finden, was sie gesucht haben und ihre Entdeckung führt sie zum Lobpreis Gottes!
Nun ist ja die Pointe der Weihnachtsgeschichte gerade darin zu sehen: Der allmächtige Gott kommt als hilfloses, in jeder Hinsicht bedürftiges Kind zur Welt. Er begibt sich in seiner Geburt und später in seinem Sterben in die Situationen, in denen Menschen am hilflosesten und bedürftigsten sind. So ganz und gar ist Gott Mensch geworden. Das ist Lukas über alles andere hinaus wichtig, dass der “Sohn des Höchsten” als normaler Mensch geboren wird und nur in solcher Normalität zu finden ist.
b) Glauben und Vertrauen
Die Hirten finden das verheissene Zeichen. Allerdings ist das Zeichen ja alles andere als eindeutig. Dafür, dass in dieser Krippe wirklich Gott zu finden ist, gibt es keinen äusseren Beweis. Windeln und Krippe strahlen keinen göttlichen Glanz aus. Eigentlich verhüllt das ‘Zeichen’ mehr als es offenbart.
Doch die Hirten vertrauen der Botschaft des Engels. Und das führt sie vom Sehen des Zeichens zum Glauben. Und darin — so finde ich — besteht das Aufregendste dieser Geschichte: Im Vertrauen der Hirten in das Wort des Engels. Sie können glauben, dass im Gewöhnlichen und Normalen eines neugeborenen Kindes das Aussergewöhnlichste, nämlich Gott, zu finden ist. Hier beginnt schon, was die Frommen auch später an Jesus so ärgern wird: Gott kommt nicht als allmächtiger und unschlagbarer König, sondern als hilfloses Kind in diese Welt. Nicht Gewalt, sondern Schwäche und nicht Macht, sondern Demut und Sanftmut sind die hervorstechendsten Eigenschaften Gottes im Kind in der Krippe. — Diejenigen, die das Geschehen im Stall miterlebt hatten, haben das wahrgenommen und begannen zu Staunen.
III: LOBEN: Im Weitergehen andere Glauben finden lassen
In diesem Stall sind Menschen Gott begegnet. Sie haben erfahren, dass Gott Mensch geworden, ihnen zum Bruder geworden ist. Nun ist er in ihrem Alltag anwesend. An ihrer Seite, und sei das Leben noch so grau und trist. Wie kann der Mensch auf diese grösste aller Entdeckungen reagieren? Die Weihnachtsgeschichte deutet zwei Aspekte menschlicher Antwort an, die unbedingt zusammengehören.
a) Sich prägen lassen und geprägt bleiben ( Maria)
Von Maria heisst es: “Sie bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.” Sie hat zugehört und sich von dem Geschehen berühren, prägen lassen. Im biblischen Verständnis ist das Herz nicht nur Sitz der Gefühle, sondern Zentrum der ganzen Person mit ihrem Denken, Wollen und Fühlen. Auf die Begegnung mit Gott, dem Retter, antworten — d.h. glauben — bedeutet also, sich die Botschaft des Engels und das Zeugnis der Hirten zu Herzen gehen, sich von ihnen bleibend prägen zu lassen. Gottes Worte im Herzen bewegen, d.h. sich in seinem ganzen Denken, Wollen und Fühlen davon bestimmen zu lassen, das heisst glauben. Maria ist das Beispiel einer Glaubenden. “Sie bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.”
b) Andere durch den Lobpreis Gottes prägen ( Hirten)
Den anderen Aspekt der Antwort auf die Gottesbegegnung machen die Hirten mit ihrer Reaktion deutlich: Sie gehen weiter — d.h. zurück zu ihren Herden. Sie die gewohnte Alltagsarbeit wieder auf. Und doch hat sich etwas geändert. Die Unterbrechung hat Folgen. Nun krampfen die Hirten nicht mehr mit zusammengebissenen Zähnen. Sondern es heisst: “Die Hirten priesen und lobten Gott für alles, was sie gesehen und gehört hatten.” Gottes Licht lässt im Alltag alle Farben leuchten. Die Arbeit ist wohl die Gleiche geblieben. Aber die Hirten haben sich durch die Begegnung mit ihrem Heiland und Retter verändert. So kann der Lobpreis Gottes in ihrem Alltag zum Klingen kommen. Lobpreis Gottes, das bedeutet: Gott danken und vor anderen bezeugen, was er an uns getan hat. Lobpreis Gottes ist nicht an sakrale Räume gebunden und schon gar nicht auf bestimmte Formen fixiert. Ein Lied kann ihn genauso ausdrücken wie ein gutes Wort an einen Mitmenschen oder ein praktisches Leben, das stimmt ( ‘glaubwürdig Christsein’).
“Die Hirten aber kehrten zurück und priesen und lobten Gott!” Weihnachten ist die Begegnung mit unserem Heiland und Retter an der Krippe. Das Weihnachtsfest will uns Schwung und Kraft geben, damit wir tagtäglich im Leben das Lob Gottes zum Klingen bringen können. Die Hirten sind uns Vorbild darin. Wir dürfen ihnen nacheifern.
Weihnachten will zum Lobpreis Gottes führen! Das heisst für mich, dass ich diese Predigt nicht mit dem üblichen ‘Amen’ kann. Sondern ich finde, dass sie in ein gemeinsam gesungenes Loblied münden muss. Wir singen: Freue dich Welt, der Herr ist da.