Gehen — Sehen — Loben

Lukas 2,1–20

Gehal­ten am 25.12.2023 (Wei­h­nacht­en) in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,

die Engel sin­gen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Men­schen“. Das ist so ein Moment, in dem alles stimmt. Gott ist nicht hin­ter­fragt. Er bekommt die Ehre, die ihm zuste­ht. Und das bewirkt min­destens eine friedliche Stim­mung, wenn nicht sog­ar mehr bei denen, die zuhören, unten auf der Erde. Doch solche per­fek­ten Momente sind flüchtig. Der näch­ste Satz in der Wei­h­nachts­geschichte begin­nt mit: “Als die Engel von ihnen fort in den Him­mel gegan­gen waren …” Und das ist dann der Augen­blick, den wir immer wieder fürcht­en: Die Sekunde, die Stunde, der Tag danach … wenn alles vor­bei ist! Die Engel sind weg! Der Traum platzt! Das Fest ist vor­bei! Man schlägt hart wieder auf dem Boden der Wirk­lichkeit auf. Der All­t­ag hat einen wieder und ist so grau wie eh und je, wenn nicht gar noch etwas düster­er. Jeden­falls ist keine nach­haltige Verän­derung zum Besseren greifbar.

Auf das Fest fol­gt Ernüchterung, manch­mal ein regel­rechter Kater! Auch nach Wei­h­nacht­en: Zer­ris­senes Geschenkpa­pi­er liegt herum, Ver­pack­un­gen stapeln sich und die Krümel auf dem Tisch sind auch nicht mehr Haute Cui­sine. Schon wieder sollte man aufräu­men. Das erin­nert an den All­t­ag, in dem man nie fer­tig wird mit aufräu­men. Er wird uns bald wieder haben. Es gibt kein Ent­fliehen. Die Fest­stim­mung wird ver­fliegen. Die Nor­mal­ität, vielle­icht auch der nor­male Wahnsinn wird uns ein­holen. Zurück bleibt besten­falls die Erin­nerung an einige Stun­den, in denen wir kurz aussteigen kon­nten.
So wird es jeden­falls sein, wenn wir Wei­h­nacht­en in erster Lin­ie als Gele­gen­heit zur Flucht aus/vor dem All­t­ag nützen oder wahrnehmen. Damit wäre aber der Sinn von Wei­h­nacht­en ver­fehlt und eine Chance ver­passt. Denn Wei­h­nacht­en will uns doch aus­rüsten für die Her­aus­forderun­gen des täglichen Lebens. Die Far­ben und Lichter, die das Fest gener­iert, sollen unseren All­t­ag bunter machen. Das Wei­h­nacht­slicht soll weit­er leucht­en, damit Lebenslust und Freude an Gott uns beleben.
Das Wei­h­nachts­fest muss nicht mit der resig­nierten und erschöpften Frage: “Was? Schon wieder alles vor­bei?” aufhören. Am Beispiel der Hirten, auf die ich mich heute konzen­triere, wird das deut­lich. Lassen Sie uns dem nach­spüren, was damals in den düsteren All­t­ag der Hirten ein­brach und ihr Leben dauer­haft far­big wer­den liess. Ich bin sich­er: Von dem, was damals die Hirten mitriss, kann auch für uns heute etwas abfall­en. Lassen wir uns ansteck­en von der Freude, die sie in Schwung brachte und von da an in Bewe­gung hielt.

I. GEHEN: Sich in Bewe­gung brin­gen lassen

Zwar fehlt dem Schluss der Wei­h­nachts­geschichte der Glanz der Engels­botschaft. Und es scheint ernüchternd, dass nicht mehr Engel, son­dern nun arm­selige Hirten die Wei­h­nachts­botschaft weit­er­tra­gen. Für die Hirten freilich war der Rück­zug der Engel aber wed­er ernüchternd noch gar deprim­ierend. Son­dern es war für sie der Anlass, aufzubrechen und — für den Moment wenig­stens — alles ste­hen und liegen zu lassen. “Lasst uns doch gle­ich nach Beth­le­hem gehen und das Gotteswort sehen!”, so sagen sie zueinan­der. Sie hat­ten dem Engel zuge­hört, sorgfältig darauf geachtet, was Gott ihnen zu sagen hat­te. Und diese Botschaft brachte sie in Bewe­gung. Sie macht­en sich auf, ihren Hei­land und Ret­ter zu suchen.
Die Hirten sind in der Wei­h­nachts­geschichte diejeni­gen, mit denen wir uns am leicht­esten iden­ti­fizieren kön­nen. Sie sind schlichte, gewöhn­liche Leute, gehören gesellschaftlich sog­ar zur Unter­schicht. Sie müssen hart arbeit­en, um (über)leben zu kön­nen. So roman­tisch, wie uns Bilder weis­machen wollen, war der Hirten­beruf näm­lich nicht. Ihr All­t­ag war ein­tönig. Viel herumwarten weit weg von den Orten, an denen das Leben pulsiert. Dazu der Kampf, die Herde zu schützen vor Raubtieren und Räu­bern. Und immer wieder weit­er ziehen zu müssen zur näch­sten Wei­de. Wie anstren­gend, bei der Arbeit per­ma­nent unter­wegs zu sein, auch wenn man vielle­icht gar nicht mag. Dabei zwar Zeit zu haben zum Träu­men. Aber auch wis­sen, dass der Traum von einem besseren, reicheren Leben immer ein Traum bleiben wird.
Diese Hirten lassen sich ansprechen von der Botschaft der Engel. Und so gerät All­t­agstrott ins Wanken. Bewe­gung kommt in ihr Leben. Sie find­en Zuver­sicht, dass der Him­mel auch für sie schon auf Erden begin­nen kön­nte. Und diese Zuver­sicht lässt sie auf­brechen. Die Hirten begeben sich auf die Suche nach ihrem Gott.

II: SEHEN: Zeichen wahrnehmen und zum Glauben finden

Wohin führt sie diese Suche? Was find­en sie? Ein neuge­borenes Kind, in Windeln gewick­elt, dass seine Eltern man­gels Alter­na­tiv­en in eine Fut­terkrippe gelegt haben. Sie find­en, was der Engel voraus­ge­sagt hat: Eine Fut­terkrippe und Windeln als Zeichen für die Geburt des Retters.

a) Ein Zeichen, das der Deu­tung bedarf

Ein selt­sames Zeichen ist das ja schon! Gewöhn­lich­er — um nicht zu sagen: arm­seliger — kön­nte die Geburt des Ret­ters kaum vor sich gegan­gen sein! Welch­es Kind wird denn nach der Geburt nicht in Windeln gewick­elt? Und auch die Krippe ist längst nicht so aussergewöhn­lich, wie uns scheinen will: In ein­er Zeit, als es dur­chaus noch üblich war, dass Men­schen und Tiere im sel­ben Raum über­nachteten, war die Fut­terkrippe der Ort, an dem ein kleines Kind am besten vor den Hufen der Tiere geschützt war.
Die Hirten find­en also ein junges Paar, das sein erstes Kind bekom­men hat. Die Mut­ter ist noch erschöpft von der Anstren­gung der Geburt, der Vater in der Aufre­gung noch etwas hil­f­los. Wie alle anderen Eltern in ihrer Sit­u­a­tion es auch getan hät­ten, haben sie das Kind in Windeln gewick­elt und in die Fut­terkrippe gelegt. Dieses Kinde ist genau­so zur Welt gekom­men wie viele andere vor ihm und nach ihn auch. Nichts fällt auf, was diese Geburt beson­ders zu erwäh­nen recht­fer­tigte. Was ist das Zeichen­hafte an dieser ganzen Geschichte?
Erstaunlicher­weise sind die Hirten ob diesem Zeichen nicht ent­täuscht. Sie find­en, was sie gesucht haben und ihre Ent­deck­ung führt sie zum Lobpreis Gottes!
Nun ist ja die Pointe der Wei­h­nachts­geschichte ger­ade darin zu sehen: Der allmächtige Gott kommt als hil­flos­es, in jed­er Hin­sicht bedürftiges Kind zur Welt. Er beg­ibt sich in sein­er Geburt und später in seinem Ster­ben in die Sit­u­a­tio­nen, in denen Men­schen am hil­flos­es­ten und bedürftig­sten sind. So ganz und gar ist Gott Men­sch gewor­den. Das ist Lukas über alles andere hin­aus wichtig, dass der “Sohn des Höch­sten” als nor­maler Men­sch geboren wird und nur in solch­er Nor­mal­ität zu find­en ist.

b) Glauben und Vertrauen

Die Hirten find­en das ver­heis­sene Zeichen. Allerd­ings ist das Zeichen ja alles andere als ein­deutig. Dafür, dass in dieser Krippe wirk­lich Gott zu find­en ist, gibt es keinen äusseren Beweis. Windeln und Krippe strahlen keinen göt­tlichen Glanz aus. Eigentlich ver­hüllt das ‘Zeichen’ mehr als es offen­bart.
Doch die Hirten ver­trauen der Botschaft des Engels. Und das führt sie vom Sehen des Zeichens zum Glauben. Und darin — so finde ich — beste­ht das Aufre­gend­ste dieser Geschichte: Im Ver­trauen der Hirten in das Wort des Engels. Sie kön­nen glauben, dass im Gewöhn­lichen und Nor­malen eines neuge­bore­nen Kindes das Aussergewöhn­lich­ste, näm­lich Gott, zu find­en ist. Hier begin­nt schon, was die From­men auch später an Jesus so ärg­ern wird: Gott kommt nicht als allmächtiger und unschlag­bar­er König, son­dern als hil­flos­es Kind in diese Welt. Nicht Gewalt, son­dern Schwäche und nicht Macht, son­dern Demut und San­ft­mut sind die her­vorstechend­sten Eigen­schaften Gottes im Kind in der Krippe. — Diejeni­gen, die das Geschehen im Stall miter­lebt hat­ten, haben das wahrgenom­men und began­nen zu Staunen.

III: LOBEN: Im Weit­erge­hen andere Glauben find­en lassen

In diesem Stall sind Men­schen Gott begeg­net. Sie haben erfahren, dass Gott Men­sch gewor­den, ihnen zum Brud­er gewor­den ist. Nun ist er in ihrem All­t­ag anwe­send. An ihrer Seite, und sei das Leben noch so grau und trist. Wie kann der Men­sch auf diese grösste aller Ent­deck­un­gen reagieren? Die Wei­h­nachts­geschichte deutet zwei Aspek­te men­schlich­er Antwort an, die unbe­d­ingt zusammengehören.

a) Sich prä­gen lassen und geprägt bleiben ( Maria)

Von Maria heisst es: “Sie bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.” Sie hat zuge­hört und sich von dem Geschehen berühren, prä­gen lassen. Im bib­lis­chen Ver­ständ­nis ist das Herz nicht nur Sitz der Gefüh­le, son­dern Zen­trum der ganzen Per­son mit ihrem Denken, Wollen und Fühlen. Auf die Begeg­nung mit Gott, dem Ret­ter, antworten — d.h. glauben — bedeutet also, sich die Botschaft des Engels und das Zeug­nis der Hirten zu Herzen gehen, sich von ihnen bleibend prä­gen zu lassen. Gottes Worte im Herzen bewe­gen, d.h. sich in seinem ganzen Denken, Wollen und Fühlen davon bes­tim­men zu lassen, das heisst glauben. Maria ist das Beispiel ein­er Glauben­den. “Sie bewahrte alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.”

b) Andere durch den Lobpreis Gottes prä­gen ( Hirten)

Den anderen Aspekt der Antwort auf die Gottes­begeg­nung machen die Hirten mit ihrer Reak­tion deut­lich: Sie gehen weit­er — d.h. zurück zu ihren Her­den. Sie die gewohnte All­t­agsar­beit wieder auf. Und doch hat sich etwas geän­dert. Die Unter­brechung hat Fol­gen. Nun krampfen die Hirten nicht mehr mit zusam­menge­bis­se­nen Zäh­nen. Son­dern es heisst: “Die Hirten priesen und lobten Gott für alles, was sie gese­hen und gehört hat­ten.” Gottes Licht lässt im All­t­ag alle Far­ben leucht­en. Die Arbeit ist wohl die Gle­iche geblieben. Aber die Hirten haben sich durch die Begeg­nung mit ihrem Hei­land und Ret­ter verän­dert. So kann der Lobpreis Gottes in ihrem All­t­ag zum Klin­gen kom­men. Lobpreis Gottes, das bedeutet: Gott danken und vor anderen bezeu­gen, was er an uns getan hat. Lobpreis Gottes ist nicht an sakrale Räume gebun­den und schon gar nicht auf bes­timmte For­men fix­iert. Ein Lied kann ihn genau­so aus­drück­en wie ein gutes Wort an einen Mit­men­schen oder ein prak­tis­ches Leben, das stimmt ( ‘glaub­würdig Christ­sein’).
“Die Hirten aber kehrten zurück und priesen und lobten Gott!” Wei­h­nacht­en ist die Begeg­nung mit unserem Hei­land und Ret­ter an der Krippe. Das Wei­h­nachts­fest will uns Schwung und Kraft geben, damit wir tagtäglich im Leben das Lob Gottes zum Klin­gen brin­gen kön­nen. Die Hirten sind uns Vor­bild darin. Wir dür­fen ihnen nacheifern.
Wei­h­nacht­en will zum Lobpreis Gottes führen! Das heisst für mich, dass ich diese Predigt nicht mit dem üblichen ‘Amen’ kann. Son­dern ich finde, dass sie in ein gemein­sam gesun­ge­nes Loblied mün­den muss. Wir sin­gen: Freue dich Welt, der Herr ist da.

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