Gehalten am 31.12.2023 in der EMK Adliswil
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Liebe Gemeinde,
in seinem Jahresrückblick zählt der Tagesanzeiger 20 Dinge auf, die 2023 zum ersten Mal passiert sind. Darunter gibt es Positives. Aber hängen bleiben vor allem die Katastrophenschlagzeilen: Wetterrekorde, die zeigen, dass der Klimawandel in vollem Gang ist. Und das kaum gebremst. Der Zusammenbruch der CH-Superbank Credit Suisse. Der demographische Wandel: Erstmals gibt es mehr als 100‘000 65-jährige in der CH. Und das sind 14‘500 mehr als 20jährige. Der Vormarsch von Rechtspopulisten in der westlichen Welt. Die KI hat den Sprung in den Alltag geschafft, was womöglich grosse Risiken birgt ….
Dazu kommen viele weitere schlechte Nachrichten: Kriege. Naturkatastrophen. Signale, dass die Gesellschaft am Auseinanderbrechen sein könnte. Wer sich das alles bewusst macht, braucht Kraft, es auszuhalten. Zuversicht wird zur Herausforderung. Gesucht sind Quellen der Hoffnung. Dabei flüchten sich manche in verklärende Nostalgie. Sie schwärmen dann vor guten alten, vermeintlich besseren Zeit. Andere flüchten in die Zukunft. Sie heben geradezu ab und verlieren sich in Visionen z.B. über die Eroberung neuer Lebensräume im Weltraum. Dazwischen suchen manche, u.a. Christen, Hoffnung zu wecken und zu begründen. Das ist schliesslich eine Hauptaufgabe von ChristInnen/Kirchen: Wir sind ExpertInnen der Hoffnung. Dazu sind wir nicht nur ausgesandt, sondern auch begabt. – Aber das ist schwierig heute. Wer anderen Hoffnung machen will, braucht zuerst eine gute Verwurzelung der eigenen Zuversicht. Muss selbst Hoffnung haben! Aber wie und woher? Was lässt uns angesichts von lauter Katastrophen und Problemen hoffen?
Christliche Hoffnung wurzelt im Immanuel, im ‚Gott mit uns‘. Die atl. Schriftlesung hat uns ein Bild dazu vor Augen gemalt: Gott, der in Wolken- bzw. Feuersäule sein Volk auf der Wüstenwanderung nicht nur begleitet, sondern führt und schützt. Die ntl. Schriftlesung hat uns erinnert: Gott und sein Wort, greifbar geworden in Jesus Christus, ist Ursprung und Ziel aller Dinge und Wesen. Darauf ist Verlass. Jesus Christus, das Wort Gottes, ist der Boden, in dem Hoffnung Wurzeln schlagen kann.
Im Schlusskapitel des Hebräerbriefes gibt es Sätze, die auf derselben Linie sind. Ich lese Hebr 13,8f:
Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in alle Ewigkeit!
Lasst euch nicht durch alle möglichen fremden Lehren verführen. Gottes Gnade wird euch innerlich fest machen. Speisen können das nicht bewirken. Sie haben denen nichts genützt, die sich mit ihnen befassten. Hebr 13,8f (GNB)
Jesus Christus –gestern und heute und auch derselbe in alle Ewigkeit Gar nicht so selten kann man diesen Satz in alten Kapellen/Kirche sehen. Vorne an die Wand geschrieben. Damit sich PredigtbesucherInnen mit der Zeit dieser Satz ins Herz prägen konnte. Schliesslich fasst er, wie schon der pietistische Theologe Johann Albrecht Bengel (1687–1752) meinte, worum es im Evangelium (wörtlich: Hebr 13,8 sei die ‚Summe des Evangeliums‘) geht. Gemeint ist es als Trost: Jesus Christus ist der unerschütterliche Fels in Brandung und Stürmen. Das bzw. derjenige, der bleibt. Der Stabilität und festen Boden gibt. Christus war, ist und bleibt.
Diesen Trost verknüpft Hebr mit einer Mahnung. Man solle sich nicht von anderen Lehren (z.B. Speisegeboten) verwirren oder verführen lassen. Behaltet Euren Fokus auf Jesus Christus. Unbeirrt. Haltet Euch an ihn. Er ist der Experte für die Zukunft.
ExpertInnen sind total in heutzutage. Einerseits wird zu allem und jedem jemand gebeten, eine Expertise abzugeben. Andererseits kämpft ein Heer von ExpertInnen um Aufmerksamkeit. So entsteht eine wahre Flut von Tipps zur Lebensoptimierung. Jeden Tag neue Lehren, was gesund bleiben oder alt werden lässt. Genauso oft Warnungen vor angeblichen Risiken und Gefahren. Die meisten dieser Ratschläge haben allerdings eine kurze Halbwertszeit: Was sich gestern als neuster Trend ankündigte und heute als Nonplusultra gilt, kann morgen schon für toxisch erklärt werden. Z.B. Kaffee: Von den einen schon fast als Lebenselixier gepriesen, von anderen als Schlankmacher beworben, wird er von den dritten verteufelt, als Suchtmittel gebrandmarkt und soll für allerlei Übel verantwortlich sein. Die Tipps, Ratschläge und Gebote auf dem Feld der Ernährung sind heute noch viele zahlreicher und irritierender. Doch schon damals erinnerte Hebr: Speisen können euch innerlich nicht festmachen …. Auch andere Versuche der Lebensoptimierung können das nicht. Sondern nur «Jesus Christus … Gottes Gnade wird euch innerlich festmachen.
Darum rät Hebr: Verlasst Euch nicht auf welche ExpertInnen auch immer. Haltet Euch an Jesus Christus. Er war, ist und bleibt derselbe.
Damit bin ich sehr einverstanden. Und doch befremdet mich das Wort ‘derselbe’ ein wenig. Es klingt sicher zunächst tröstlich, dass Christus derselbe ist und bleibt. Beim Nachdenken erwachen aber auch Fragen: Ist das eine gute Nachricht, dass Christus immer gleich bleibt. In unserer Zeit muss immer alles neu und besser sein. Das mag übertrieben sein. Aber immer dasselbe oder derselbe? Klingt doch langweilig? Und nach fehlender Bewegung? Wo bleibt das Leben, wenn sich nichts verändert? Veränderung gehört doch zum Leben dazu! — Hören Wachstum und Entwicklung bei Gott auf? Geht es im Himmel nicht mehr weiter? Gemäss der hedonistischen Tretmühle (d.h. der Beobachtung, dass dem Menschen jedes Glück langweilig wird, wenn nichts mehr Neues dazukommt) müsste der Himmel ziemlich langweilig sein. Falls es stimmt, dass nahe bei Gott alles unveränderlich gleich bleibt ….
Der Hebr redet von Christus als dem Unveränderlichen. Zugleich ist Christus für das NT aber auch der Lebendige, ja das Leben selbst. Das scheint sich zu widersprechen. — Ich versuche deshalb zu umschreiben, was der Hebr meint. Unveränderlich bleibt Gottes Liebe in Christus zu den Menschen. Das Ja Gottes zur Schöpfung und zu den Menschen steht fest. Wie ein Fels in der Brandung. Dieses Ja kann nicht aufgehoben werden. Ob dieser Umstand aber mit ‘unveränderlich’ treffend beschrieben ist? Ich würde treu, zuverlässig oder wahrhaftig vorziehen. Also: Egal was kommt. Christus garantiert dafür, dass Gott treu an meiner/unserer Seite bleibt. Auf seine Gnade ist immer Verlass. Es wird sich nicht ändern, er uns gnädig und liebevoll anschaut und beurteilt.
Die Situationen und das Leben selbst aber verändern sich. Christus begegnet mir immer wieder neu, und auch immer wieder anders. Viel Überraschendes kann und darf ich mit ihm erleben. Und darin stets neu und doch immer gleich mich darauf verlassen, dass er zu mir steht. Christus war, ist und bleibt unerschütterlich und unterstützend an deiner Seite! Er ist wahrhaftig treu. So würde ich gerne formulieren, was Hebr meint mit: «Jesus Christus, gestern und heute und auch derselbe in alle Ewigkeit!»
Gott ist treu in seiner liebevollen Zuwendung zu uns. So war es schon gestern. Davon zeugen viele Worte und Geschichten der Bibel. Davon zeugt die Geschichte der Christenheit und der Kirchen seither. Wohl gab es viel Verirrungen und Irritationen. Aber Gott hat nicht zugelassen, dass die Botschaft seiner Liebe verloren und vergessen geht. Franz von Assisi, Martin Luther, John Wesley, die pietistischen Theologe, Dietrich Bonhoeffer, Dorothe Sölle und viele andere haben Christen immer wieder zurückgeführt zur Einsicht: Gott ist für die Menschen da. Er will, dass es seinen Menschen gut geht. Er wendet sich gerade und vor allem den Schwächsten zu. Denn seine Gnade gilt.
Aus der Erinnerung an das gestern können wir Vertrauen und Hoffnung tanken. Auch aus der Erinnerung an selbst Erlebtes: Haben wir nicht im vergangenen Jahr allerlei Bewahrung erlebt? Und gespürt, dass Gott da war, gerade wenn es schwierig und traurig wurde? Und dass er im Kleinen wie im Grossen viel schenkte? – Solche Momente, in denen uns das bewusst wurde, haben wir vom SLI-Prozess her begonnen, Himmelreichsmomente zu nennen. Dabei geht es nicht, wie ich gerne unterstreiche, weder um fromme Worte noch um einen verklärten, womöglich schwärmerischen Blick auf die eigenen Erlebnisse. Sondern es geht darum, bewusst Zeichen von Gottes Nähe im Alltag zu suchen und wahrzunehmen. Um sich darin zu bestärken, fest zu machen: Seine Gnade gilt und wirkt. Sein Reich wächst. Hier. Mitten unter uns. Vielleicht unauffällig. Aber konkret.
Jesus Christus war gestern treu. Sich an entsprechende Momente zu erinnern – im eigenen Leben, in der Geschichte, in der Bibel – das ist wichtig, um zuversichtlich zu bleiben, um Hoffnung und Vertrauen zu tanken. Christus hat sich immer wieder, oft überraschend, als treu, als wahrhaftig und als wirksam gezeigt.
Das betrifft aber nicht nur das Gestern. Es hat auch mit dem Heute zu tun. Durch seinen Geist lebt Christus nicht nur bei, sondern in uns. Ist immer dabei. Es gibt keinen Ort, an dem er uns nicht schon mit offenen Armen empfangen würde. Es gibt keine Situation, die wir ohne ihn aushalten und bewältigen müssten. Seine Liebe gilt und wirkt heute genauso wie gestern.
Das ist eine tolle Zusage. Und zugleich ist es für Menschen eine grosse Herausforderung. Denn es bedeutet: Wir sollten lernen, überall und jederzeit nicht nur auf Gottes Anwesenheit zu zählen, sondern mit seinem wirksamen Eingreifen zu rechnen. Wir dürfen, ja sollen offen sein und bleiben für überraschende Wendungen zum Besseren dank Christus.
Schliesslich das Morgen: Auch in der Zukunft wirkt Gott. Es ist uns versprochen, dass er alles zum Guten wenden wird. – Viele Menschen beschäftigen sich gerne mit der Zukunft. Sie erstellen Statistiken, analysieren Geschichte und Nachrichten. Daraus leiten sie Prognosen ab. Die leider oft und gerne zu Unkenrufen werden. Und dann sieht die Zukunft bedrohlich, beängstigend, gefährlich aus.
Solcher Sicht dürfen wir Gottes Verheissungen entgegenhalten. Daran festhalten, dass er seine guten Ziele mit uns und der ganzen Schöpfung nicht nur nachdrücklich verfolgt, sondern sie auch erreichen wird. Die Zukunft lässt sich – Gott sei Dank – nicht auf die logische Konsequenz vergangener und aktueller Katastrophen reduzieren. Sondern die Zukunft ist Zeit und Raum, die Gott schafft und eröffnet. Darauf zu vertrauen sind wir auch im neuen Jahr eingeladen.
Jesus Christus, bleibend treu und wahrhaftig gestern, heute und morgen. Vielleicht ist ihnen aufgefallen, dass ich zuletzt vom Bibeltext abgewichen bin. das Wörtchen ‘morgen’ kommt darin nämlich nicht vor. Das macht Sinn. Denn morgen wird übermorgen auch schon gestern sein. Deshalb formuliert Hebr nicht ‘morgen’, sondern für immer bzw. in alle Ewigkeit.
Und bestärkt uns im Glauben: Im stetigen Wandel bleibt Christus die zuverlässige Konstante, auf die wir uns immer und überall verlassen können. Es mag sich alles ändern. Es mag die ganze Welt zusammenbrechen. Es mögen sich sogar die Vorstellungen von Gott, vom Himmel und von der Ewigkeit verändern. Eines bleibt: Die Gnade und Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus. Sein JA zu jedem einzelnen von uns ist nicht ins Wanken zu bringen, sondern gilt für immer.
Darauf bauen wir unsere Hoffnung, mit der wir andere Menschen anzustecken hoffen. Darum können wir am Ende eines Jahres, das in vielerlei Hinsicht ein Katastrophenjahr war, dennoch zuversichtlich ins 2024 starten und auf Gottes Segen zählen. Weil gilt: Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in alle Ewigkeit. Amen