Gehalten am 04.02.2024 in der EMK Adliswil

Liebe Gemeinde,
Mutig vorwärts gehen heisst heute das Thema. Wenn wir in einer Turnhalle wären, wenn wir unsere Muskeln aufgewärmt hätten, könnten wir das Thema spielerisch angehen: Sich mit geschlossenen Augen in die Arme anderer fallen lassen, die Kletterstange hoch gehen (davor hatte ich lange grosse Angst), vom Trampolin über ein Hindernis auf eine Matte springen …
Das schenken wir uns. Aber ganz ohne Mutprobe geht es nicht heute. Sie sehen es am Mikrophon in meiner Hand. Ich will ein paar Stimmen einfangen zu den Fragen:
- Wie mutig bist du?
- Was lässt dich mutig sein?
- Was bremst deinen Mut?
Schon zum vierten Mal in diesem Jahr beschäftigen wir uns im Gottesdienst mit ‚Werten‘. D.h. wir gehen der Frage nach: Wie wollen, können, sollen wir Gemeinde sein? So beschäftigen wir uns allerdings stark mit uns selber. Man könnte fragen, ob das denn richtig sei. Oder ob wir so nicht Gefahr laufen, uns irgendwann zu sehr um uns selbst zu drehen?
Wir wünschen uns – davon gehe ich jedenfalls aus – dass das Reich Gottes wachsen kann. Dass die Welt so verändert wird, dass in ihr Gottes guter Wille Wirklichkeit wird. Dafür beten wir. Dafür engagieren wir uns. ChristInnen sind im besten Sinne WeltverbessererInnen. Oder möchten es jedenfalls sein.
Die ganze Welt kann aber niemand von uns retten oder auch nur verbessern. Wir können nur in unseren kleinen persönlichen Welten Veränderungen anstossen. Mit anderen zusammen vielleicht auch etwas mehr. Veränderungen beginnen aber immer wieder damit, dass sich bei uns selbst etwas ändert. Was wir ändern können, das sind wir selbst. Wenn wir selbst uns mit Gottes Hilfe im Sinne Christi verändern, dann wirkt sich das aus. Dann beginnt sich die Welt zu ändern, zu verbessern. Vielleicht nur ganz klein und unscheinbar…. aber vergessen wir die Verheissung des Senfkorns nicht: Was klein beginnt, kann gross werden!
Veränderungen beginnen bei uns selbst. Darum bin ich überzeugt: Es ist auch in der Intensität, wie es in dieser Predigtreihe geschieht, sinnvoll, sich (als Gemeinde) mit sich selbst zu beschäftigen. Solange es mit dem Ziel geschieht, dass Gottes Reich wachsen, dass sein Wille sich verwirklichen kann.
Darum also heute eine vierte Predigt zu den Werten. In einer Woche folgt dann zum Abschluss noch eine Predigt zur Vision. Bisher hatten wir:
- Inklusion (= Einschliesslichkeit): Wir wünschen uns eine Gemeinde, die sich nicht abgrenzt oder Menschen ausschliesst. Wir wünschen uns eine einladende und integrierende Gemeinschaft.
- Dreieiniger Gott als Mittel- und Ausgangspunkt: Er ist das Fundament der Gemeinde. An ihm orientieren wir uns. Auf ihn stellen wir ab, was wir tun und sagen.
- Tragende, grosszügige und befähigende Gemeinschaft: Wir halten zueinander und beten füreinander. Wir sind eine bunte Gemeinschaft. Und wir helfen einander, so gut wie nur möglich als Kinder Gottes zu leben.
Heute nun: Mutig vorwärts gehen. Darin steckt zweierlei. Einerseits ist es eine Konzession an die Wirklichkeit: Alles ändert sich. Ständig. Es ist nur logisch, dass auch eine Gemeinde sich immer wieder ändern muss. Vorwärts gehen (zu müssen) gehört zum Leben. Auch zum Leben einer Gemeinde. Wer nicht vorwärts geht, bleibt auf der Strecke und geht verloren.
Andererseits steckt im Wert, so wie wir ihn formuliert haben, ein Wunsch: Mutig wollen wir vorwärts gehen. Wir möchten proaktiv, gestaltend unterwegs sein. Schliesslich: Wenn man sich von Veränderungen ringsum nur treiben und hetzen lässt, wenn man nur reagiert, dann entstehen schlechte Gefühle. Daraus möglicherweise Konflikte. Und falls Letzteres vermieden werden kann, ist man doch überall zu spät dran und entsprechend gestresst.
Gut unterwegs ist man als Einzelner genauso wie als Gemeinschaft, wenn man mutig vorwärts geht. Dann lässt sich etwas gestalten.
Nun bin ich selbst allerdings nicht sehr mutig. Ich habe in der Schule immer zu den jüngsten in der Klasse gehört. Darum war ich, obwohl früh recht gross, im Blick auf die körperliche Leistungsfähigkeit, lange im Nachteil. Auf ein Kräftemessen habe ich mich kaum je eingelassen. Vielmehr habe ich mir angeeignet, vorausschauend unterwegs zu sein und möglichen Schwierigkeiten auszuweichen. Mutig war ich nie. Oft aber ängstlich. Und immer vorsichtig, Schwierigkeiten vermeidend. Ich habe es z.B. geschafft, meiner Frau den Heiratsantrag so vorsichtig zu machen, dass sie sich gar nicht mehr daran erinnern kann. Sie sagt heute: Irgendwann war es einfach klar und ich weiss nicht recht, wie es dazu gekommen ist.
Ich ziehe es vor, ganz sicher zu sein, bevor ich auch nur einen kleinen Schritt mache. Darum kann ich Gideon, von dem wir in der Schriftlesung gehört haben, so gut verstehen. Lieber zwei oder drei Zeichen als gar keines! Mein Eindruck ist, dass wir in der Gemeinde/Kirche oft auch in diese Richtung tendieren. Und wer weiss, vielleicht haben wir schon die eine oder andere gute Chance verpasst, weil wir zu vorsichtig und zu wenig mutig waren.
Zuzugestehen ist allerdings schon. Es gibt auch gute Gründe gegen – oder vielleicht besser gesagt: wirksame Bremsen für unseren Mut: In unserer Weltregion stehen Kirchen stark im Gegenwind. Viele gute und sehr gute Ideen sind gescheitert. Die Zunahme der Konfessionslosigkeit konnte bisher durch nichts gebremst werden. Das macht vorsichtig. Und führt dazu, dass mutige Schritte vorwärts definitiv ausserhalb der Komfortzone liegen. Zudem lässt die allgemeine Nachrichtenlage auch nicht gerade mutiger werden. So viele Krisen, Katastrophen und Kriege. Dazu will sich der Eindruck aufdrängen, es werde schlimmer, nicht besser. Da möchte man sich lieber ins Schneckenloch zurückziehen als sich zu exponieren. Weiter kühlt die Angst vor dem möglichen Scheitern den Mut oft nachhaltig. Es könnte peinlich werden. Oder schmerzhaft. Und das mag niemand.
Macht es denn so gesehen überhaupt Sinn, Mut als Wert einer Kirche oder Gemeinde zu benennen? Mutig vorwärts gehen? Es ging doch auch: Umsichtig vorwärts gehen. Oder sogar: Vorsichtig vorwärts gehen.
Die Crux ist allerdings: In der Wirklichkeit verhindert Vorsicht das Vorwärtsgehen oft ganz. Das ist schade. Denn wenn ein erster Versuch gescheitert ist, muss es ja im zweiten oder dritten Versuch nicht auch so sein. Vielleicht bräuchte es nur mehr Anläufe …. Das meiste, was wir können, haben wir nicht auf Anhieb geschafft. Zum Lernen und Weiterkommen gehören Fehlversuche.
Mutig ist darum nicht, wem alles auf Anhieb gelingt. Sondern eher, wer einen zweiten Anlauf wagt. Aus dem Scheitern die nötigen Schlussfolgerungen zieht. Und es noch einmal versucht. Mutig ist, wer Angst und Bedenken überwindet. Nicht wer sie gar nicht hat. – Wer nämlich weder Angst noch Bedenken kennt, wird eher fahrlässig, womöglich sogar leichtsinnig. Mut besteht nicht in der Abwesenheit von Angst. Sondern Mutige können konstruktiv mit ihrer Angst umgehen.
Darüber hinaus gehört zum Mut Vertrauen. Nachdem Moses gestorben war, stand Josua als junger Mann an der Grenze zum Land Kanaan. Er sollte das Volk ins gelobte Land führen. Dabei wusste er um die Wehrhaftigkeit der Kanaaniter. Eine einschüchternde Situation. Mir kommen viele Wenn und Aber in den Sinn, die ihn in diesem Moment gebremst haben, seinen Mut gekühlt gaben könnten. Deshalb wendet sich Gott direkt an Josua und sagt zu ihm „Ich habe dir doch gesagt, dass du stark und mutig sein sollst! Fürchte dich nicht und schrecke vor nichts zurück! Denn der Herr, dein Gott, ist mit dir bei allem, was du unternimmst!“ (Josua 1,9) – Ob der Appell an den Mut alleine wirksam wäre, wage ich zwar zu bezweifeln. Aber mit dieser Begründung sieht es anders aus. Sie ist bemerkenswert: Josua kann mutig sein, weil Gott mit ihm ist. Weil er sich auf Gott verlassen kann. Der Mut, von dem Gott hier spricht, wurzelt im Vertrauen auf Gott. Mit und dank Gott ist es möglich, mutige Schritte vorwärts zu gehen.
Es geht also darum, Vertrauen auf Gott zu entwickeln. Daraus gewinnen wir den Mut, Schritte zu riskieren, die nicht schon im Voraus zu kalkulieren sind. Wenn wir als Wert ‚mutig vorwärts gehen‘ formuliert haben, geht es im Kern um Gottvertrauen. Dieser Mut ist etwas ganz anderes als das, wozu sich Menschen in sogenannten Mutproben bisweilen herausfordern. Es geht nicht um Wagemut, auch nicht um Frechheit. Sondern es geht eben um Vertrauen.
Interessanterweise kommt das Wort Mut (oder mutig) in der Bibel gar nicht so häufig vor. Vielleicht, weil Verwegenheit zu riskant ist. Oder weil mutige Helden schnell gefährdet sind, sich den Erfolg selbst zuzuschreiben. Obwohl doch nicht menschlicher Wagemut, sondern Gottvertrauen der Erfolgsfaktor ist. – Im AT gibt es einige Vorbilder betreffend Mut. Abraham bei seinem Aufbruch in unbekanntes Land zum Beispiel. Oder David gegenüber Goliath. Oder Elia im Wettstreit mit den Baalspropheten. Immer aber betont die Bibel das Gottvertrauen. Und dass Gott das Gelingen geschenkt hat.
Im NT kommt das Wort ‚mutig‘ fast gar nicht vor. Aber in der Apg, z.B. im Abschnitt, den wir in der ntl Schriftlesung aus Apg 4 gehört haben, erscheint das Wort Freimut (oder freimütig). Es beschreibt, wie die Apostel von jeder Angst befreit mutig von Christus Zeugnis ablegen konnten. Das geht so weit, dass Petrus und Johannes vor dem Gericht sagen: „Wir können’s ja gar nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben!“ (Apg 4,20) Da geht es auch um Begeisterung und um Inspiration. Der Mut, zu glauben bzw. zu Jesus zu stehen wächst als Geschenk aus dem Vertrauen zu Gott.
Im Vertrauen auf Gott wollen wir mutig vorwärts gehen! Ich bin überzeugt, dass dieser Wert ein wichtiger Charakterzug jeder christlichen Gemeinde ist. Mir ist aber auch bewusst, dass es nicht einfach ist. Sondern sehr herausfordernd sein kann.
Aber werden wir konkret! Wo, wie können oder sollen wir mutig sein?
- Baufragen: Seit längerem beschäftigen wir uns mit Baufragen. Es ist vor allem beim Gebäude in Wollishofen wichtig, dass wir die Sache jetzt angehen. Die Grösse der Aufgabe allerdings, die Höhe der Kosten, die Kompliziertheit z.B. in Anbetracht von Heimat- und Brandschutz könnten Angst machen und uns zögern lassen. Sollen, können wir es wagen? Andererseits: Zu warten, bis eine grosse Wasserleitung platzt oder eine alte Elektroleitung einen Brand verursacht, ist keine Option. – Mutig vorwärts gehen heisst hier: Sich den Fragen stellen. Miteinander darüber reden und beten. Und dann im Vertrauen auf Gott die Argumente abwägen, entscheiden und weitergehen. In diesem Sinne: Herzliche Einladung auf den 09. März 2024, 10.00 h in der EMK Adliswil. Dann wird die Baukommission über ihre Arbeit bis hierher berichten.
- Weiterbildung: Sie haben wohl alle mitbekommen, dass ich im Sommer eine längere Weiterbildung plane. Ich werde dabei zu Fuss von Chiasso nach Basel unterwegs sein. Mir Gedanken machen über meine Aufgabe, meinen Dienst. Und die Nähe Gottes suchen. Ich bin überzeugt, dass das nötig und wichtig ist.– Ich freue mich sehr, dass mein Antrag von der Kirche angenommen wurde und das Projekt auch finanziell unterstützt wird. Ich freue mich auf das Unterwegssein. Aber es gibt auch Tage, an denen ich Angst vor dem eigenen Mut kriege. Dann frage ich mich: Was habe ich mir da bloss vorgenommen und aufgeladen? Schaffe ich das wirklich? Nur schon physisch? Und ich merke, dass ich das ‚Mutig-vorwärts-gehen‘ dann ganz praktisch und konkret werde trainieren können und müssen. Es wird auch eine Vertrauensübung sein. Und ich will mich darauf verlassen, dass es im Vertrauen auf Gott nicht nur für mich gelingt, sondern auch für meinen Dienst und für den Gemeindebezirk fruchtbar wird.
- SLI: Im SLI suchen wir nach neuen Wegen und Möglichkeiten. Uns ist bewusst, dass neue Leute zur Gemeinde stossen müssen, wenn es sie in zehn Jahren noch geben soll. Also müssen wir das eine oder andere neu ausprobieren. Garantien, dass es klappt, gibt es nicht. Und frühere Erfahrungen des Scheiterns sind noch präsent. Dennoch: Mutig vorwärts gehen! Wir reden im SLI von ‚Experimenten‘. Das sind Projekte, die man ausprobieren kann. Und ausbauen, wenn sie funktionieren. Oder wieder sein lassen, wenn es nicht klappt. Sowohl für die Regenbogenkirche als auch für Adliswil entwickeln wir ein erstes Experiment. Beide haben mit gemeinsam Essen zu tun. In Adliswil läuft es unter dem Arbeitstitel ‚Zäme ässe‘. Einmal im Monat drinnen Spaghetti oder draussen Fladenbrot essen. Gemeinschaft geniessen. Freunde und Nachbarn mitbringen. Und nach dem Essen im Gespräch bleiben, oder Still werden, oder Spiele machen …. Sie werden sicher bald mehr davon hören. Und eingeladen werden. Wir wollen es noch vor den Sommerferien ein erstes, vielleicht auch ein zweites Mal versuchen. Es ist ein Versuch. Eben ein Experiment. Das Motto lautet: ‚Probiere goht über Studiere!‘ Wir sind ziemlich begeistert und wollen den Versuch wagen.
Wie finden wir den Mut, vorwärts zu gehen? Mir fällt etwas aus der EMK Stäfa ein: In der Kapelle gab es ein rundes, farbiges Fenster. Darauf das Gesicht Jesu. Eine ziemlich kitschige Darstellung übrigens, wie ich damals als junger Erwachsener fand. Aber der Gemeinde war das Fenster wichtig. Als der Kirchenraum renoviert und die alten Fenster ersetzt werden mussten, hat sie das Fenster ‚gerettet‘. Und es dann in eine Glaswand vorne im Saal eingebaut. Dahinter eine Lampe. Sie wurde immer angezündet, wenn eine Veranstaltung oder ein Gottesdienst stattfand. Damit man Jesus sehen konnte. Auf der Glaswand stand darum herum: ‚Lasst uns aufsehen zu Jesus!‘ Leider habe ich kein brauchbares Bild davon.
Warum mir das gerade jetzt einfällt? Erinnern Sie sich noch an den Vers, den Petra ganz zu Beginn gelesen hat? Aus Hebräer 12:“Lasst uns den Blick auf Jesus richten!… Dann werden wir nicht müde werden und den Mut nicht verlieren!“
Genau das ist immer wieder die Antwort auf die Frage: Wie finden wir den Mut, vorwärts zu gehen? – Lasst uns auf Jesus sehen. Dann werden wir den Mut nicht verlieren! Amen
„Ist Gott mit uns, wer kann wider uns sein?“ Römer 8,31
Mein Konfirmationsspruch kam mir zu dieser Predigt in den Sinn.
Schon oft durfte ich in meinem Leben erfahren, dass, wenn Mut und Gottvertrauen von mir abverlangt wurden, dieser Bibelvers Realität wurde!