Karfreitagsgottesdienst am 29.03.2024 in der EMK Adliswil
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Leidensankündigung
danach erklärte Jesus seinen Jüngern zum ersten Mal, was Gott mit ihm vorhatte: »Der Menschensohn wird viel leiden müssen. Die Ratsältesten, die führenden Priester und die Schriftgelehrten werden ihn als Verbrecher behandeln. Sie werden ihn hinrichten lassen, aber nach drei Tagen wird er vom Tod auferstehen.« Das sagte er ihnen ganz offen. Da nahm Petrus ihn zur Seite und fing an, ihm das auszureden. Aber Jesus drehte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus streng zurecht. (Mk 8,31–33a
“Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“
Ich verstehe Petrus gut: Jesus darf den Weg nicht so gehen, wie er es hier – schon weit im Voraus – ankündigt. Das wäre mehr als eine Niederlage. Das bedeutete die Kapitulation. Das ist ein Nogo. Man darf die Mächte des Bösen nicht gewähren lassen! Man muss doch für das Gute kämpfen. Man muss sich wehren und falschen Tendenzen Einhalt gebieten. Dass Jesus stirbt, das darf nicht sein. – Es ist wirklich so: Auf die Idee, das Böse und alle Schuld der Welt in der Niederlage, auf einem Weg des Leidens und Sterbens zu besiegen … auf diese Idee wäre kein Mensch je gekommen. Das ist kein menschlicher, sondern ein göttlicher Gedanke. Es ist, wie schon im AT ein Prophet im Namen Gottes formulierte: “Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege!” – Mehr als für alles andere gilt das für den Weg, den Jesus in seiner Passion zur Erlösung der Vielen ging. Ich hätte wie Petrus auch versucht, Jesus die Idee auszureden und wäre überzeugt gewesen, dass er falsch liegt … und hätte mich gerade darin schuldig gemacht.
Für unsere Schuld, um die Folgen der Sünde zu überwinden, ist Christus gestorben. Wenn wir darüber nachdenken, worin unser Anteil an der Schuld besteht, denken wir in der Regel wohl zuerst an Fehler und Schwächen wie: Lügen; Streit; Wutausbrücke; Verletzungen, die wir einander zugefügt haben; Eigensinn und Egoismus; Lieblosigkeiten; einander im Stich lassen … Das ist auch richtig: All das gehört dazu. Keiner von uns hat eine reine Weste. Jeder und jede hat so genug Gründe dazu beigetragen, dass Jesus den Weg ans Kreuz ging.
Doch das Nachdenken über die kurze Szene, von der wir gerade gelesen haben, lässt mich noch anderes entdecken … eine Schuld, für die vielleicht gläubige, fromme Menschen besonders anfällig sind. Man fragt sich beim Lesen ja unwillkürlich: Wer ist hier eigentlich der Boss? Wer zeigt, sagt denn, wo der Weg entlang gehen soll? –Petrus reagiert – sicher mit den besten Absichten – als wäre er Chef. Als hätte Petrus Jesus etwas beizubringen über die Befreiung Israels, als könnte er für sich beanspruchen, Jesus über den Willen Gottes zu belehren.
Und ich? Gleiche ich Petrus nicht gerade darin? Lasse ich mich wirklich ganz auf Gott ein und auf seine Idee, wie mein Weg verlaufen soll? Ich erlebe mich selbst und erlebe auch andere immer wieder als gefährdet, Jesus, Gott den eigenen Vorstellungen und Wünschen anzupassen. Doch was mir logisch und ‘fromm’ scheint, muss ja deswegen noch nicht Gottes Willen entsprechen. Vielleicht will er etwas ganz anderes, vielleicht gerade das Gegenteil von dem, was ich meine.
Auch das ist Teil meiner/unserer Schuld: Manchmal verwechsle ich Gottes Willen mit meinen eigenen Wünschen. Manchmal masse ich mir an, meine Ideen als Gottes Willen zu verkaufen. Manchmal versuche ich, Gottes Willen mit menschlichen Mitteln umzusetzen. Dann haue ich im Namen Gottes auf den Tisch. Dann lasse ich mich auf Machtspiele ein … im Namen Gottes. Dann wehre ich mich und kämpfe mit harten Bandagen – und vergesse, dass Jesus mir etwas ganz anderes vorgelebt hat. Dann will ich – wie Petrus – einfach nicht wahrhaben und nicht zulassen, was Gott mir gezeigt hat, weil es mir so gegen den Strich geht.
Meine Gedanken sind noch lange nicht Gottes Gedanken. Seine Wege verlaufen oft ganz anders als ich sie planen würde. Jesu Weg durch seine Passion ist der schlagendste Beweis dafür. Ich muss immer wieder umdenken, neu denken, neu lernen, was Gottes Wille ist. Und bin darauf auf seine Hilfe angewiesen. – Kurt Marti formulierte so: Manchmal kennen wir Gottes Willen, manchmal kennen wir nichts. Erleuchte uns, Herr, wenn die Fragen kommen.
Judas
Als Jesus das gesagt hatte, war er im Innersten tief erschüttert. Er erklärte ihnen: »Amen, amen, das sage ich euch: Einer von euch wird mich den jüdischen Behörden ausliefern.« Da sahen sich die Jünger ratlos an und fragten sich: »Von wem spricht er?« Einer von seinen Jüngern, den Jesus besonders liebte, lag bei Tisch an der rechten Seite von Jesus. Ihm gab Simon Petrus ein Zeichen. Er sollte fragen, von wem Jesus wohl gesprochen hatte. Der Jünger lehnte sich zu Jesus hinüber und fragte ihn direkt: »Herr, wer ist es?« Jesus antwortete: »Es ist der, für den ich ein Stück Brot in die Schüssel tauche und dem ich es gebe.« Er nahm ein Stück Brot, tauchte es ein und gab es Judas, dem Sohn von Simon Iskariot. (Johannes 14,26–31).
“Verrat“
Um das Verhalten der Jünger, auch das des Judas, während Jesu Passion zu verstehen, muss man sich das Wechselbad der Gefühle vergegenwärtigen, dem sie in diesen Tagen ausgesetzt waren: Noch am Palmsonntag war alles in bester Ordnung: Jesus zog in Jerusalem ein, umjubelt von einer grossen Menge Menschen. Er hatte zahllose Fans, die ihn zum König machen wollten. Er hatte das Volk hinter sich. Es lief genauso, wie sie alle erhofft und erträumt hatten. Jesus als der Messias war im Begriff, die Macht zu übernehmen.
Wenige Tage später war alles anders. Das Volk hatte ihn fallen lassen wie eine heisse Kartoffel. Weil er nicht der Star sein wollte, nicht der Machthaber, dem sie gerne gehuldigt hätten, nicht ein Kriegsherr im Triumphzug … Jesus war schlicht nicht, was die Menschen vom Messias erwarteten. Mit der Politik hatte er nichts am Hut, die Römer wollte er auch nicht vertreiben und er war schon gar nicht ein Revolutionär. Er wollte die Verhältnisse nicht umstürzen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie es der ‘Mann von der Strasse’ gerne gehabt hätte. Und so verlor Jesus nicht nur sehr schnell eine Unterstützung, die er gar nicht gesucht hatte. Sondern die ihm eben noch zugejubelt hatten, machten eine 180-Grad-Wendung und wurden seine Gegner. Am Karfreitag verlangten sie vom römischen Gouverneur Pilatus: “Kreuzige ihn!‘
Es scheint nicht gerade weit her zu sein mit menschlicher Treue. Und ich frage mich dann immer mal wieder: Bin ich auch so? Bin ich auch so schnell bereit, Jesus fallen zu lassen, wenn er mir nicht gibt, was ich verlange? Suche ich dann gleich andere Mittel und Wege … oder bin ich bereit, mich hinterfragen zu lassen? Wenn Jesus mir nicht gibt, was ich verlange, könnte das ja auch heissen, dass ich das Falsche will bzw. dass mir nicht gut tun würde, was ich erbitte. Bin ich bereit, selbst meine (un)heimlichen Wünsche, Sehnsüchte und Träume von Jesus korrigieren zu lassen?
In diesem Zusammenhang bleibe ich immer wieder an der Figur des Judas Ischarioth hängen. Christen neigen dazu, ihn zum gemeinen Verräter zu stempeln und kein gutes Haar an ihm zu lassen. Doch damit tun wir ihm wohl Unrecht.
Judas war einer der zwölf Jünger Jesu. Er wäre nie zu diesem Kreis dazugestossen, wenn er nicht von Jesus begeistert und überzeugt gewesen wäre. Er liebte seinen Meister. Er glaubte an ihn. Und er hoffte mit jeder Faser seines Lebens, dass Jesus sich endlich öffentlich als Messias Israels erweisen würde. Denn damit würde endlich das Friedensreich anbrechen, auf das Gottes Volk schon viel zu lange warten musste.
Ich bin überzeugt, dass Judas Jesus nicht ’schaden’ wollte. Er begriff aber nicht, dass Jesus in anderen als in politischen Dimensionen dachte. Und er konnte sich (wie übrigens die anderen Jünger auch) nicht vorstellen, dass es um die ganze Welt ging und nicht ‘bloss’ um Israel. Dass Jesus den Aufstand gegen die Römer nicht ausrief, war in Judas’ Augen ein Zögern, das er als Angst vor dem eigenen Mut deutete. Judas war überzeugt, dass es ohne den Aufstand gegen die Römer nicht gehen würde. Und wenn Jesus noch zögerte, dann musste man halt nachhelfen.
Judas lieferte Jesus an seine Gegner aus in der Hoffnung, dass der sich dann wehren würde und so der Aufstand beginnen könnte … Er wollte Jesus ‘auf die Sprünge helfen. Doch das ging dann ja, wie wir wissen, mehr als nur schief. Es kam nicht zum Aufstand der Anhänger Jesu … weil Jesus gar keinen Aufstand wollte. Und was als Start zur Befreiung Israels gedacht war, wurde zum Verrat an Jesus und Judas wurde der, der Jesus gewissermassen ins Grab gebracht hatte. Es war so gründlich schief gegangen, dass Judas seinem Leben kurz nach Jesu Kreuzigung ein Ende setze. Die Auferstehung erlebte er nicht mehr ….
Judas hatte nur das Beste gewollt … und daraus war (in seiner Sicht) das denkbar Schlechteste geworden. Es ist unendlich tragisch, aber so verdreht kann menschliche Sichtweise sein. Gut gemeint ist noch lange nicht gut, sondern bisweilen gerade das Gegenteil.
Die Figur des Judas ist wie ein Warnschild für mich, das mir sagt: “Pass auf, wenn Du den Eindruck hast, Jesus auf die Sprünge helfen zu müssen. Er muss die Richtung bestimmen, nicht du! Er muss Dich korrigieren, nicht umgekehrt. Lass Dir von Jesus den Weg zeigen und geh seinen Weg mit. Nicht der Nachfolger gibt die Richtung an, sondern der Meister.”
Petrus
Jesus und seine Jünger sangen die Dankpsalmen. Dann gingen sie hinaus zum Ölberg. Jesus sagt das Versagen von Petrus voraus Jesus sagte zu seinen Jüngern: »Ihr werdet euch alle von mir abwenden, wie es in den Heiligen Schriften steht: ›Ich werde den Hirten töten, und die Schafe werden auseinanderlaufen.‹ Aber nach meiner Auferstehung vom Tod werde ich euch nach Galiläa vorausgehen.« Aber Petrus widersprach ihm: »Auch wenn sie sich alle von dir abwenden – ich nicht.« Jesus antwortete ihm: »Amen, das sage ich dir: Heute, in dieser Nacht, noch bevor der Hahn zweimal kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.« Aber Petrus behauptete noch fester: »Sogar wenn ich mit dir sterben muss – ich werde nie abstreiten, dich zu kennen.« Das Gleiche sagten auch alle anderen.
Petrus war noch immer unten im Hof. Da kam ein Dienstmädchen des Obersten Priesters dazu. Sie sah Petrus, der sich am Feuer wärmte, und betrachtete ihn genauer. Dann sagte sie: »Du warst doch auch mit diesem Jesus von Nazaret zusammen!« Petrus stritt das ab und sagte: »Ich habe keine Ahnung, wovon du da sprichst.« Und er ging hinaus auf den Vorhof des Palastes. In dem Moment krähte der Hahn. Als ihn das Dienstmädchen dort wieder sah, fing sie noch einmal damit an und sagte zu denen, die dabeistanden: »Der gehört auch zu ihnen.« Aber Petrus stritt es wieder ab. Kurz darauf sagten dann auch die anderen, die dabei waren, zu Petrus: »Natürlich gehörst du zu denen! Du bist doch auch aus Galiläa.« Da legte Petrus einen Schwur ab: »Gott soll mich strafen, wenn ich lüge! Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet.« In demselben Moment krähte der Hahn zum zweiten Mal. Da erinnerte sich Petrus an das, was Jesus zu ihm gesagt hatte: »Noch bevor der Hahn zweimal kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.« Und er fing an zu weinen. (Markus 14,26–31.66–72)
Input: “Den Mund zu voll genommen“
Die Wahrheit kann wehmachen, sehr sogar … erst recht, wenn es die Wahrheit über sich selbst ist, der man sich plötzlich nicht mehr entziehen kann. Ich glaube, Petrus meinte es 100% ehrlich, als er versprach, Jesus bis in den Tod folgen zu wollen. Er liebte seinen Herrn. Er lebte für ihn – ganz und gar. Er war voller Leidenschaft, war Feuer und Flamme für Jesus. In seiner Begeisterung nimmt er den Mund zu voll: Sogar wenn ich mit dir sterben muss – ich werde nie abstreiten, dich zu kennen.
Wie viele grosse, ehrlich und echt gemeinte Worte halten der Wirklichkeit dann eben doch nicht stand! Theoretisch alles für Jesus tun und hingeben zu wollen ist das eine. Im heiklen Moment dann konkret zuzugeben: “Ja, ich gehöre zu diesem Jesus!” … das ist etwas ganz anderes. Petrus hatte sich zu viel vorgenommen, hatte sich überfordert … und musste kapitulieren, als er von der Magd angemacht wurde. Die Angst vor den Konsequenzen war zu gross, war grösser als die besten und ehrlichsten Absichten. Und das Verrückte ist: Er merkte es nicht einmal sofort. Erst als Jesus ihm in die Augen sah, fuhr es ihm in die Knochen: “Ich habe viel zu viel versprochen. Ich habe mein Versprechen gebrochen. Und ich habe so den, der mir am wichtigsten und liebsten ist, im Stich gelassen.” Jesu Blick ist hier wie ein Spiegel, in dem Petrus voll Schrecken erkennt: “Was! So einer bin ich! Untreu. Ein Angsthase. Ein Wortbrüchiger …. Ich bin (wie er schon bei der ersten Begegnung zu Jesus sagte) ein sündiger Mensch.“
Vielleicht haben wir den Mund nicht so voll genommen und haben Jesus weniger versprochen. Doch das würde uns auch nicht treuer machen. Petrus hat es immerhin versucht. So oder so: Wir sind und bleiben sündige Menschen. Wir sind schuldig und auf Christi Vergebung angewiesen.
Wir hören noch einmal ein Musikstück. Das gibt vielleicht schon die Gelegenheit, im persönlichen Gebet zu bekennen: “Herr, da bin ich untreu geworden.” Oder “Herr, da habe ich nicht gehalten, was ich Dir versprochen habe. Es tut mir leid. Vergib mir!” — Ich werde das dann nach dem Musikstück in einem Gebet für alle zu formulieren versuchen.
Gebet: Barmherziger Gott, in Petrus erkennen wir uns selbst. Wir geben es zu: Auch wir haben versagt und sind schuldig geworden. In Gedanken, Worten und Werken haben wir uns Deinem Willen in den Weg gestellt. Und wir haben nicht gehalten, was wir Dir versprochen haben. Wir haben dich nicht von ganzem Herzen geliebt, wir haben unsere Nächsten nicht wie uns selbst geliebt. Im Namen Deines Sohnes Jesus Christus bitten wir: Erbarme Dich über uns. Vergib uns, erneuere uns und leite uns durch deinen Heiligen Geist, damit wir Deinen Willen leben und auf Deinen Wegen gehen. Amen
Input: “für mich, für uns“
Wie schon zu Beginn mit dem Jesaja-Wort gesagt: Für all das ist Christus gestorben. Alles das, was wir ihm jetzt betend bekannt haben, hat er am Kreuz überwunden. All unsere Besserwisserei, alle Überheblichkeit, alle gebrochenen Versprechen, all unsere Niederlagen, unsere Untreue – Gott und Menschen gegenüber … wirklich alles, was wir uns an Schuld aufgeladen haben – davon liess sich Jesus betreffen, verletzen, krank machen, damit wir heil und ganz werden können. Noch einmal Jes 55,4f: “In Wahrheit aber hat er die Krankheiten auf sich genommen, die für uns bestimmt waren, und die Schmerzen erlitten, die wir verdient hatten. … wegen unserer Schuld wurde er gequält und wegen unseres Ungehorsams geschlagen. Die Strafe für unsere Schuld traf ihn und wir sind gerettet. Er wurde verwundet und wir sind heil geworden.”