Osterpredigt am 31.03.2024 in der EMK Adliswil

Copyright: Phill Dane on unsplash.com
sie hätten es wissen können … und waren doch überhaupt nicht darauf gefasst. Jesus hatte seinen JüngerInnen seine Auferstehung angekündigt. Dennoch konnten sie die Osterbotschaft nicht fassen. Die Begegnung mit Engeln und die Nachricht, dass Jesus am Leben sei, hat sie erst einmal zu Tode erschreckt. Mindestens verwirrt, eher sogar verstört und panisch reagierten sie auf diese Situation, die sie nicht einordnen konnten. Deutliche Spuren dieses Schreckens zeigt der wohl älteste Osterbericht in den Evangelien in Markus 16,1–8:
In seiner ursprünglichen Fassung endete das Mk-Ev an dieser Stelle, mit der Feststellung: „Sie hatten Angst!“ In den ältesten Handschriften des Evangeliums fehlen nämlich die V.9–20 mit den Berichten von Erscheinungen des Auferstandenen und seiner Himmelfahrt. Man hat das später nachgetragen (in Angleichung an die anderen Evangelien), wohl weil sich der Eindruck durchsetzte: Ein Evangelium (= gute Nachricht; Froh-Botschaft) kann nicht aufhören mit ‘Denn sie fürchteten sich!’ (V.8 nach Luther). Markus sah das anders. Er hat sein Evangelium wohl ganz bewusst so rätselhaft enden lassen.
Die Gefühlslage der drei Frauen nach der Begegnung mit dem Engel kann ich nachempfinden. Die Auferstehung ist aus menschlicher Weltwahrnehmung ja nicht nachvollziehbar. So dominiert der Schock, wegen dem verschwunden Leichnam nicht einmal Abschied nehmen, abschliessen zu können. Wie soll da Freude aufkommen? Die beiden Marien und Salome sind paralysiert, im Schock und verstört. Mit noch mehr Fragen als zuvor „fliehen“ sie vom Grab. Und sind zunächst, entgegen dem Auftrag des rätselhaften jungen Mannes, nicht in der Lage, mit jemandem darüber zu sprechen. So endete das Mk-Ev ursprünglich mit einem Fragezeichen, das man sich gar nicht gross genug vorstellen kann.
Und nun? Was ist jetzt? Wie geht es jetzt weiter? – Das ist die Frage, die Mk mit seinem Bericht auslösen will. Wer ihn hört oder liest, soll sich fragen, damals wie heute: Und nun? Was ist denn nun mit diesem Toten, der nicht mehr im Grab ist? Was hat das alles zu bedeuten? Und: Wo ist er denn nun? Wo sollen wir ihn suchen? Was bedeutet die Botschaft des Jünglings: “Er geht euch voran?” – Mk ist Evangelist. Er fordert zur Entscheidung heraus. Sein Ziel ist, dass wir selber Stellung nehmen, was wir davon halten. – Was hältst Du vom leeren Grab?
I. Schauen wir uns noch genauer an, was Mk berichtet: Drei Frauen wollen ihrem verstorbenen Rabbi einen letzten Liebesdienst erweisen. Und sie wollten Abschied nehmen. Sie gehörten zum engsten Kreis derer, die Jesus um sich geschart hatte. So hatten sie ihn bestimmt auch von seiner Auferstehung reden hören. Doch sie hatte wie alle nichts damit anzufangen gewusst. Wie soll man denn das Unvorstellbare im Vorausbegreifen können? In ihrer Trauer und ihrem Schmerz nach Karfreitag waren sie nicht darauf gefasst, ein leeres Grab vorzufinden.
Sie waren gekommen, um der Tradition und dem Gesetz Genüge zu tun. Jesus sollte wenigsten ein ehrenvolles Begräbnis erhalten. Darum sollte sein Leichnam mit wohlriechenden Ölen gesalbt werden. Sie kamen zum Grab, um bewusst und endgültig von Jesus Abschied zu nehmen. Dabei würden sie alle die Hoffnungen begraben, die sie auf ihn gesetzt hatten. Ihr Kommen zu Grab bedeutete einen Schritt auf dem Weg, sich der Realität zu stellen. Das ist vorbildlich und erstaunlich. Schon nach drei Tagen ( eigentlich nur 36 Stunden) sind sie so weit, nicht mehr verdrängen zu wollen. Sie wollen loszulassen beginnen. Den Tod Jesu verarbeiten und akzeptieren.
Schon von der Haltung, in der die Frauen zum Grab gehen, kann man viel lernen. Und ich denke dabei nicht nur an den Abschied von lieben Verstorbenen. Wir kommen immer wieder in Situationen, in denen wir uns trennen müssen von Gewohntem und Vertrautem, von Menschen, vom Arbeitsplatz, von Plänen, von Hoffnungen… Solche Situationen übersteht man nur, wenn man bereit ist, der Realität ins Auge zu blicken, so wie die beiden Marien und Salome bereit waren, Abschied zu nehmen. Denn nur wer Abschied nimmt, wird bereit für Neues. Solange wir noch am Vergangenen hängen, wird es nicht weitergehen (vgl. Lk 9,62: “Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes’). Der bewusste Abschied von Jesus würde für die drei Frauen einen Schritt auf dem Weg in eine neue Zukunft bedeuten.
II. An alles hatten sie allerdings dann doch nicht gedacht. Vor lauter innerer Vorbereitung auf den Abschied hatten sie den Stein vor dem Grab ganz vergessen. Erst auf dem Weg kam er ihnen in den Sinn und machte ihnen Sorgen: Wie sollten sie bloss ins Grab ankommen?
Fort angekommen, finden sie den Stein aber weggewälzt. Und im Grab fehlt Jesu Leichnam. Dafür sitzt da ein junger Mann in einem weissen Gewand. Das macht ihnen Angst. Schon wieder läuft alles anders als geplant und erhofft. Wie soll man da noch Haltung bewahren? Sie verlieren den Boden unter den Füssen. Die Situation entgleitet ihnen. Es ist alles anders als es sein sollte. Gar nichts passt zu menschlicher Weltwahrnehmung und ‑erfahrung. Das macht Angst. – Dagegen kommt auch die gute Nachricht zunächst nicht an: “Er ist nicht hier. Gott hat ihn vom Tod auferweckt.” Wie sollte man das glauben können? Noch dazu von einem völlig Unbekannten. Der könnte ja auch von Gegnern geschickt sein, um die Frauen in ihrer Trauer noch mehr zu quälen.
Ausserdem: Die Botschaft ist reine Information. Es gibt keine Erklärung. Keine Begründung. Nur das Unbeweisbare: „Gott hat ihn auferweckt!“ Da hätte man doch gerne etwas mehr Sicherheit.
Aber es gibt nicht mehr für die Frauen. Nur diese Behauptung eines Wildfremden. Das mag bis heute immer wieder herausfordern: Jesu Kreuzigung und Tod wird in den Evangelien ausführlichstens beschrieben. Über die Auferstehung hingegen gibt es keine anschaulichen Berichte. Sie wurde von keinem Menschen beobachtet. Das Ereignis entzieht sich unserer Vorstellung und Erfahrung. Es steht quer zu unserem Weltbild und unserer Welterfahrung. Es gibt nicht ein einziges Naturgesetz, das die Auferstehung plausibel machen würde. Sie ist nicht beweisbar (Immerhin: Auch nicht widerlegbar). — Die Bibel beschreibt deshalb auch gar nicht, was genau passiert ist, sondern beschränkt sich auf die Verkündigung des Ergebnisses: Er ist auferstanden, er ist auferweckt, er lebt.
Dieses unfassbare, unbeschreibbare Ereignis ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens. Damit, was wir von der Auferstehung halten, steht oder fällt unser Glaube: Für die einen ist es die beste Nachricht überhaupt: Das Leben hat über den Tod gesiegt. Gottes Kraft ist stärker als die bösen und zerstörerischen Kräfte, von denen Menschen sich gefangen nehmen lassen. Gottes Liebe ist stärker als jede Verstrickung in Schuld, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Gott hat Jesus von den Toten auferweckt und ihm ein neues, unvergängliches Leben geschenkt. Und alle, die sich ihm anvertrauen, haben teil an diesem Leben, an der Gemeinschaft mit Gott. Das macht Mut und gibt Kraft und Hoffnung für heute. – Für andere ist die Osterbotschaft aber der Stolperstein, der sie schliesslich doch vom Glauben abhält: Sie wollen ihr Leben nicht auf etwas gründen, für das es weder Beweise noch parallele Beispiele gibt und das im modernen Weltbild schlicht nicht vorgesehen ist. Darum suchen sie andere Erklärungen. Wie die römischen und jüdischen Führungspersönlichkeiten damals, die das leere Grab so zu erklären versuchten, dass sie behaupteten: Die Jünger haben den Leichnam Jesu gestohlen und versteckt. Das konnten sie zwar auch nicht beweisen, aber eigentlich klingt es doch glaubwürdiger als die Behauptung, Jesus sei auferstanden. — Die Auferstehung Jesu ist nicht beweisbar! Aber ist sie deswegen unwirklich, unwahr?
Der junge Mann am Grab erklärt den Frauen nichts. Er beweist auch nichts, er sagt nur: “Habt keine Angst. Sagt seinen Jüngern und vor allem Petrus: Er geht euch nach Galiläa voraus, Dort werdet ihr ihn sehen, genau wie er es euch gesagt hat.”
III. Das bedeutet, die Frauen werden zurück in ihren Alltag geschickt. Aus Galiläa stammten ja die meisten von Jesu Freunden und Freundinnen. Dort haben sie gelebt, dort haben sie Jesus kennengelernt. Viele von ihnen sind ihm auf die letzte Wegstrecke nach Jerusalem gefolgt. Jetzt werden sie zurückgeschickt in ihren Alltag. Bzw.: Sie sollen an ihrem Leben vorher anknüpfen. Aber sie werden nicht einfach sich selbst überlassen, sondern bekommen eine Perspektive: “Er geht euch voraus, dort werdet ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.” – Ohne den Auferstandenen gesehen zu haben, sollen sie zurück in ihr altes Leben und darauf vertrauen, dass Jesus lebt?
Die Frauen trauen dieser Botschaft zunächst nicht. Zu erschreckend ist sie. Sie laufen weg und sagen niemandem etwas. Und doch hat die Botschaft von der Auferstehung Kreise gezogen. Sonst wären wir heute nicht hier. Noch andere haben das leere Grab gefunden. Und vor allem: Der Auferstandene ist den Jüngern und Jüngerinnen begegnet. Sie haben ihn zwar nicht immer sofort erkannt, schliesslich aber doch gemerkt: Er ist es! Er lebt! Er lässt uns nicht allein!
Die Jünger und Jüngerinnen damals haben erlebt: Jesus ist immer noch da. Wir heute können das nicht mehr auf dieselbe Art und Weise erleben. Jesus ist nicht mehr sichtbar gegenwärtig. Und doch kommt er auch uns ganz nahe, kennt unsere Situation und begegnet uns. Schon damals – die Schlusskapitel der Evangelien erzählen davon – ist der Auferstandene unterschiedlichen Menschen ganz verschieden begegnet, je so, wie sie es nötig hatten. Und diese Begegnung hat dann ihr Leben verändert, hat ihnen neuen Mut und neue Hoffnung gegeben. Gerade dem Petrus zum Beispiel, der Jesus vor seinem Tod dreimal verleugnet hatte, sollten die Frauen die Botschaft von der Auferstehung bringen. Und im Jh-Ev wird dann über dieses Gespräch zwischen Jesus und Petrus berichtet und gezeigt, wie Vergebung, Versöhnung und ein neuer Anfang möglich wurden.
Festhalten konnten die JüngerInnen den Auferstandenen nicht, noch weniger als vor Ostern. Ihre Begegnungen mit ihm waren kurz. Dennoch wuchs in ihnen eine tiefe Überzeugung. Ab Pfingsten hat sich diese dann als gewisse und freudige Botschaft wie ein Lauffeuer ausgebreitet: Jesus lebt und geht mit uns. In ihm ist Gott uns nah. Er ist es, der unseren Hunger und Durst nach Leben wirklich stillt. Und das gilt bis heute: Jesu Gegenwart ist nicht beweisbar, nicht fassbar – aber erfahrbar: Wenn wir ihn suchen und offen für ihn sind, gibt er sich zu erkennen und begegnet uns dort wo wir sind: Hier im Gottesdienst, zu Hause, am Arbeitsplatz, unterwegs, in Begegnungen mit Menschen – mitten im Leben, im Alltag (dafür steht ‘Galiläa’).
Ostern bedeutet die Einladung an uns, dieser unbeweisbaren Botschaft Vertrauen zu schenken! Wir dürfen uns darauf verlassen, dass Jesus Christus lebt. Wenn wir uns ihm anvertrauen, seine Nähe, seine Hilfe und seine Vergebung in Anspruch nehmen, wird seine Kraft an uns wirksam werden und unsere Gewissheit wachsen: Tatsächlich, er lebt! Er ist da! Ganz nahe bei mir!
So macht die Osterbotschaft Mut zum Leben. Sie bedeutet die Einladung nicht zurück, sondern nach vorne zu schauen: Der Auferstandene geht uns voraus. Ihm nachzufolgen heisst: Sich nicht festklammern an dem, was einmal war, an dem was ich einmal hatte und konnte, an dem, was einst Sitte und Tradition war. Sondern offen sein für seine Gegenwart und die neuen Wege, die er eröffnet. Dem Auferstandenen nachzufolgen bedeutet in Bewegung zu bleiben, nach neuen Lebensmöglichkeiten und ‑aufgaben Ausschau zu halten. Die Osterbotschaft macht Mut, Schritte in die Zukunft zu wagen. Wir brauchen nicht vergangenen goldenen Zeiten nachtrauern, sondern können vorwärtsgehen in der Gewissheit: Der Auferstandene geht voran. Ich gehe nicht ins Leere, nicht ins Ungewisse. Er gibt meinem Leben Zukunft und Hoffnung.
Ostern ermutigt uns, optimistisch und zuversichtlich zu leben. Der Auferstandene ist gegenwärtig und wirksam. Diese Welt mag in vielen Beziehungen von Leid, Not und Hass geprägt sein. Doch Christus lebt und wirkt in ihr. Er ist da. Auch in meiner kleinen Welt. Das Leben ist stärker als der Tod und die Liebe ist mächtiger als der Hass. Christus ist da.
Der Gottesdienst, den wir miteinander feiern, die Begegnungen, die wir heute erleben, die mit aller Macht neu erwachende Natur. Das alles hilft zur Erfahrung: Er lebt!
Wir sind eingeladen und aufgefordert, selbst die Antwort zu geben auf den rätselhaften ursprünglichen Schluss des Mk-Ev. Indem wir uns einladen lassen: Glaube an das Leben, glaube an die Auferstehung und nimm dieses Vertrauen mit in deinen Alltag. Du wirst entdecken, dass es dein Leben prägt und verändert. Denn Jesus Christus, der Auferstandene, geht dir voraus. Amen