Der Auferstandene geht euch voraus

Markus 16,1–8

Oster­predigt am 31.03.2024 in der EMK Adliswil

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sie hät­ten es wis­sen kön­nen … und waren doch über­haupt nicht darauf gefasst. Jesus hat­te seinen Jün­gerIn­nen seine Aufer­ste­hung angekündigt. Den­noch kon­nten sie die Oster­botschaft nicht fassen. Die Begeg­nung mit Engeln und die Nachricht, dass Jesus am Leben sei, hat sie erst ein­mal zu Tode erschreckt. Min­destens ver­wirrt, eher sog­ar ver­stört und panisch reagierten sie auf diese Sit­u­a­tion, die sie nicht einord­nen kon­nten. Deut­liche Spuren dieses Schreck­ens zeigt der wohl älteste Oster­bericht in den Evan­gelien in Markus 16,1–8:

In sein­er ursprünglichen Fas­sung endete das Mk-Ev an dieser Stelle, mit der Fest­stel­lung: „Sie hat­ten Angst!“ In den ältesten Hand­schriften des Evan­geli­ums fehlen näm­lich die V.9–20 mit den Bericht­en von Erschei­n­un­gen des Aufer­stande­nen und sein­er Him­melfahrt. Man hat das später nachge­tra­gen (in Angle­ichung an die anderen Evan­gelien), wohl weil sich der Ein­druck durch­set­zte: Ein Evan­geli­um (= gute Nachricht; Froh-Botschaft) kann nicht aufhören mit ‘Denn sie fürchteten sich!’ (V.8 nach Luther). Markus sah das anders. Er hat sein Evan­geli­um wohl ganz bewusst so rät­sel­haft enden lassen.

Die Gefühlslage der drei Frauen nach der Begeg­nung mit dem Engel kann ich nachempfind­en. Die Aufer­ste­hung ist aus men­schlich­er Welt­wahrnehmung ja nicht nachvol­lziehbar. So dominiert der Schock, wegen dem ver­schwun­den Leich­nam nicht ein­mal Abschied nehmen, abschliessen zu kön­nen. Wie soll da Freude aufkom­men? Die bei­den Marien und Salome sind paralysiert, im Schock und ver­stört. Mit noch mehr Fra­gen als zuvor „fliehen“ sie vom Grab. Und sind zunächst, ent­ge­gen dem Auf­trag des rät­sel­haften jun­gen Mannes, nicht in der Lage, mit jeman­dem darüber zu sprechen. So endete das Mk-Ev ursprünglich mit einem Frageze­ichen, das man sich gar nicht gross genug vorstellen kann.

Und nun? Was ist jet­zt? Wie geht es jet­zt weit­er? – Das ist die Frage, die Mk mit seinem Bericht aus­lösen will. Wer ihn hört oder liest, soll sich fra­gen, damals wie heute: Und nun? Was ist denn nun mit diesem Toten, der nicht mehr im Grab ist? Was hat das alles zu bedeuten? Und: Wo ist er denn nun? Wo sollen wir ihn suchen? Was bedeutet die Botschaft des Jünglings: “Er geht euch voran?” – Mk ist Evan­ge­list. Er fordert zur Entschei­dung her­aus. Sein Ziel ist, dass wir sel­ber Stel­lung nehmen, was wir davon hal­ten. – Was hältst Du vom leeren Grab?

I. Schauen wir uns noch genauer an, was Mk berichtet: Drei Frauen wollen ihrem ver­stor­be­nen Rab­bi einen let­zten Liebes­di­enst erweisen. Und sie woll­ten Abschied nehmen. Sie gehörten zum eng­sten Kreis der­er, die Jesus um sich geschart hat­te. So hat­ten sie ihn bes­timmt auch von sein­er Aufer­ste­hung reden hören. Doch sie hat­te wie alle nichts damit anz­u­fan­gen gewusst. Wie soll man denn das Unvorstell­bare im Voraus­be­greifen kön­nen? In ihrer Trauer und ihrem Schmerz nach Kar­fre­itag waren sie nicht darauf gefasst, ein leeres Grab vorzufinden.

Sie waren gekom­men, um der Tra­di­tion und dem Gesetz Genüge zu tun. Jesus sollte wenig­sten ein ehren­volles Begräb­nis erhal­ten. Darum sollte sein Leich­nam mit wohlriechen­den Ölen gesalbt wer­den. Sie kamen zum Grab, um bewusst und endgültig von Jesus Abschied zu nehmen. Dabei wür­den sie alle die Hoff­nun­gen begraben, die sie auf ihn geset­zt hat­ten. Ihr Kom­men zu Grab bedeutete einen Schritt auf dem Weg, sich der Real­ität zu stellen. Das ist vor­bildlich und erstaunlich. Schon nach drei Tagen ( eigentlich nur 36 Stun­den) sind sie so weit, nicht mehr ver­drän­gen zu wollen. Sie wollen loszu­lassen begin­nen. Den Tod Jesu ver­ar­beit­en und akzeptieren.

Schon von der Hal­tung, in der die Frauen zum Grab gehen, kann man viel ler­nen. Und ich denke dabei nicht nur an den Abschied von lieben Ver­stor­be­nen. Wir kom­men immer wieder in Sit­u­a­tio­nen, in denen wir uns tren­nen müssen von Gewohn­tem und Ver­trautem, von Men­schen, vom Arbeit­splatz, von Plä­nen, von Hoff­nun­gen…  Solche Sit­u­a­tio­nen über­ste­ht man nur, wenn man bere­it ist, der Real­ität ins Auge zu blick­en, so wie die bei­den Marien und Salome bere­it waren, Abschied zu nehmen. Denn nur wer Abschied nimmt, wird bere­it für Neues. Solange wir noch am Ver­gan­genen hän­gen, wird es nicht weit­erge­hen (vgl. Lk 9,62: “Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes’). Der bewusste Abschied von Jesus würde für die drei Frauen einen Schritt auf dem Weg in eine neue Zukun­ft bedeuten.

II. An alles hat­ten sie allerd­ings dann doch nicht gedacht. Vor lauter inner­er Vor­bere­itung auf den Abschied hat­ten sie den Stein vor dem Grab ganz vergessen. Erst auf dem Weg kam er ihnen in den Sinn und machte ihnen Sor­gen: Wie soll­ten sie bloss ins Grab ankommen?

Fort angekom­men, find­en sie den Stein aber weggewälzt. Und im Grab fehlt Jesu Leich­nam. Dafür sitzt da ein junger Mann in einem weis­sen Gewand. Das macht ihnen Angst. Schon wieder läuft alles anders als geplant und erhofft. Wie soll man da noch Hal­tung bewahren? Sie ver­lieren den Boden unter den Füssen. Die Sit­u­a­tion ent­gleit­et ihnen. Es ist alles anders als es sein sollte. Gar nichts passt zu men­schlich­er Welt­wahrnehmung und ‑erfahrung. Das macht Angst. – Dage­gen kommt auch die gute Nachricht zunächst nicht an: “Er ist nicht hier. Gott hat ihn vom Tod aufer­weckt.” Wie sollte man das glauben kön­nen? Noch dazu von einem völ­lig Unbekan­nten. Der kön­nte ja auch von Geg­n­ern geschickt sein, um die Frauen in ihrer Trauer noch mehr zu quälen.

Ausser­dem: Die Botschaft ist reine Infor­ma­tion. Es gibt keine Erk­lärung. Keine Begrün­dung. Nur das Unbe­weis­bare: „Gott hat ihn aufer­weckt!“ Da hätte man doch gerne etwas mehr Sicherheit.

Aber es gibt nicht mehr für die Frauen. Nur diese Behaup­tung eines Wild­frem­den. Das mag bis heute immer wieder her­aus­fordern: Jesu Kreuzi­gung und Tod wird in den Evan­gelien aus­führlich­stens beschrieben. Über die Aufer­ste­hung hinge­gen gibt es keine anschaulichen Berichte. Sie wurde von keinem Men­schen beobachtet. Das Ereig­nis entzieht sich unser­er Vorstel­lung und Erfahrung. Es ste­ht quer zu unserem Welt­bild und unser­er Wel­ter­fahrung. Es gibt nicht ein einziges Naturge­setz, das die Aufer­ste­hung plau­si­bel machen würde. Sie ist nicht beweis­bar (Immer­hin: Auch nicht wider­leg­bar). — Die Bibel beschreibt deshalb auch gar nicht, was genau passiert ist, son­dern beschränkt sich auf die Verkündi­gung des Ergeb­niss­es: Er ist aufer­standen, er ist aufer­weckt, er lebt.

Dieses unfass­bare, unbeschreib­bare Ereig­nis ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens. Damit, was wir von der Aufer­ste­hung hal­ten, ste­ht oder fällt unser Glaube: Für die einen ist es die beste Nachricht über­haupt: Das Leben hat über den Tod gesiegt. Gottes Kraft ist stärk­er als die bösen und zer­störerischen Kräfte, von denen Men­schen sich gefan­gen nehmen lassen. Gottes Liebe ist stärk­er als jede Ver­strick­ung in Schuld, Trauer und Hoff­nungslosigkeit. Gott hat Jesus von den Toten aufer­weckt und ihm ein neues, unvergänglich­es Leben geschenkt. Und alle, die sich ihm anver­trauen, haben teil an diesem Leben, an der Gemein­schaft mit Gott. Das macht Mut und gibt Kraft und Hoff­nung für heute. – Für andere ist die Oster­botschaft aber der Stolper­stein, der sie schliesslich doch vom Glauben abhält: Sie wollen ihr Leben nicht auf etwas grün­den, für das es wed­er Beweise noch par­al­lele Beispiele gibt und das im mod­er­nen Welt­bild schlicht nicht vorge­se­hen ist. Darum suchen sie andere Erk­lärun­gen. Wie die römis­chen und jüdis­chen Führungsper­sön­lichkeit­en damals, die das leere Grab so zu erk­lären ver­sucht­en, dass sie behaupteten: Die Jünger haben den Leich­nam Jesu gestohlen und ver­steckt. Das kon­nten sie zwar auch nicht beweisen, aber eigentlich klingt es doch glaub­würdi­ger als die Behaup­tung, Jesus sei aufer­standen. — Die Aufer­ste­hung Jesu ist nicht beweis­bar! Aber ist sie deswe­gen unwirk­lich, unwahr?

Der junge Mann am Grab erk­lärt den Frauen nichts. Er beweist auch nichts, er sagt nur: “Habt keine Angst. Sagt seinen Jüngern und vor allem Petrus: Er geht euch nach Galiläa voraus, Dort werdet ihr ihn sehen, genau wie er es euch gesagt hat.”

III. Das bedeutet, die Frauen wer­den zurück in ihren All­t­ag geschickt. Aus Galiläa stammten ja die meis­ten von Jesu Fre­un­den und Fre­undin­nen. Dort haben sie gelebt, dort haben sie Jesus ken­nen­gel­ernt. Viele von ihnen sind ihm auf die let­zte Wegstrecke nach Jerusalem gefol­gt. Jet­zt wer­den sie zurück­geschickt in ihren All­t­ag. Bzw.: Sie sollen an ihrem Leben vorher anknüpfen. Aber sie wer­den nicht ein­fach sich selb­st über­lassen, son­dern bekom­men eine Per­spek­tive: “Er geht euch voraus, dort werdet ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.” – Ohne den Aufer­stande­nen gese­hen zu haben, sollen sie zurück in ihr altes Leben und darauf ver­trauen, dass Jesus lebt?

Die Frauen trauen dieser Botschaft zunächst nicht. Zu erschreck­end ist sie. Sie laufen weg und sagen nie­man­dem etwas. Und doch hat die Botschaft von der Aufer­ste­hung Kreise gezo­gen. Son­st wären wir heute nicht hier. Noch andere haben das leere Grab gefun­den. Und vor allem: Der Aufer­standene ist den Jüngern und Jün­gerin­nen begeg­net. Sie haben ihn zwar nicht immer sofort erkan­nt, schliesslich aber doch gemerkt: Er ist es! Er lebt! Er lässt uns nicht allein!

Die Jünger und Jün­gerin­nen damals haben erlebt: Jesus ist immer noch da. Wir heute kön­nen das nicht mehr auf dieselbe Art und Weise erleben. Jesus ist nicht mehr sicht­bar gegen­wär­tig. Und doch kommt er auch uns ganz nahe, ken­nt unsere Sit­u­a­tion und begeg­net uns. Schon damals – die Schlusskapi­tel der Evan­gelien erzählen davon – ist der Aufer­standene unter­schiedlichen Men­schen ganz ver­schieden begeg­net, je so, wie sie es nötig hat­ten. Und diese Begeg­nung hat dann ihr Leben verän­dert, hat ihnen neuen Mut und neue Hoff­nung gegeben. Ger­ade dem Petrus zum Beispiel, der Jesus vor seinem Tod dreimal ver­leugnet hat­te, soll­ten die Frauen die Botschaft von der Aufer­ste­hung brin­gen. Und im Jh-Ev wird dann über dieses Gespräch zwis­chen Jesus und Petrus berichtet und gezeigt, wie Verge­bung, Ver­söh­nung und ein neuer Anfang möglich wurden.

Fes­thal­ten kon­nten die Jün­gerIn­nen den Aufer­stande­nen nicht, noch weniger als vor Ostern. Ihre Begeg­nun­gen mit ihm waren kurz. Den­noch wuchs in ihnen eine tiefe Überzeu­gung. Ab Pfin­g­sten hat sich diese dann als gewisse und freudi­ge Botschaft wie ein Lauf­feuer aus­ge­bre­it­et: Jesus lebt und geht mit uns. In ihm ist Gott uns nah. Er ist es, der unseren Hunger und Durst nach Leben wirk­lich stillt. Und das gilt bis heute: Jesu Gegen­wart ist nicht beweis­bar, nicht fass­bar – aber erfahrbar: Wenn wir ihn suchen und offen für ihn sind, gibt er sich zu erken­nen und begeg­net uns dort wo wir sind: Hier im Gottes­di­enst, zu Hause, am Arbeit­splatz, unter­wegs, in Begeg­nun­gen mit Men­schen – mit­ten im Leben, im All­t­ag (dafür ste­ht ‘Galiläa’).

Ostern bedeutet die Ein­ladung an uns, dieser unbe­weis­baren Botschaft Ver­trauen zu schenken! Wir dür­fen uns darauf ver­lassen, dass Jesus Chris­tus lebt. Wenn wir uns ihm anver­trauen, seine Nähe, seine Hil­fe und seine Verge­bung in Anspruch nehmen, wird seine Kraft an uns wirk­sam wer­den und unsere Gewis­sheit wach­sen: Tat­säch­lich, er lebt! Er ist da! Ganz nahe bei mir!

So macht die Oster­botschaft Mut zum Leben. Sie bedeutet die Ein­ladung nicht zurück, son­dern nach vorne zu schauen: Der Aufer­standene geht uns voraus. Ihm nachzu­fol­gen heisst: Sich nicht fes­tk­lam­mern an dem, was ein­mal war, an dem was ich ein­mal hat­te und kon­nte, an dem, was einst Sitte und Tra­di­tion war. Son­dern offen sein für seine Gegen­wart und die neuen Wege, die er eröffnet. Dem Aufer­stande­nen nachzu­fol­gen bedeutet in Bewe­gung zu bleiben, nach neuen Lebens­möglichkeit­en und ‑auf­gaben Auss­chau zu hal­ten. Die Oster­botschaft macht Mut, Schritte in die Zukun­ft zu wagen. Wir brauchen nicht ver­gan­genen gold­e­nen Zeit­en nach­trauern, son­dern kön­nen vor­wärts­ge­hen in der Gewis­sheit: Der Aufer­standene geht voran. Ich gehe nicht ins Leere, nicht ins Ungewisse. Er gibt meinem Leben Zukun­ft und Hoffnung.

Ostern ermutigt uns, opti­mistisch und zuver­sichtlich zu leben. Der Aufer­standene ist gegen­wär­tig und wirk­sam. Diese Welt mag in vie­len Beziehun­gen von Leid, Not und Hass geprägt sein. Doch Chris­tus lebt und wirkt in ihr. Er ist da. Auch in mein­er kleinen Welt. Das Leben ist stärk­er als der Tod und die Liebe ist mächtiger als der Hass. Chris­tus ist da.

Der Gottes­di­enst, den wir miteinan­der feiern, die Begeg­nun­gen, die wir heute erleben, die mit aller Macht neu erwachende Natur. Das alles hil­ft zur Erfahrung: Er lebt!

Wir sind ein­ge­laden und aufge­fordert, selb­st die Antwort zu geben auf den rät­sel­haften ursprünglichen Schluss des Mk-Ev. Indem wir uns ein­laden lassen: Glaube an das Leben, glaube an die Aufer­ste­hung und nimm dieses Ver­trauen mit in deinen All­t­ag. Du wirst ent­deck­en, dass es dein Leben prägt und verän­dert. Denn Jesus Chris­tus, der Aufer­standene, geht dir voraus.   Amen

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