Predigt am 14.04.2024 in der EMK Adliswil und in der Regenbogenkirche
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„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ Die Jahreslosung 2024 konzentriert Entscheidendes in ganz wenigen Worten. Es kommt darauf an, dass die Liebe wirksam wird. Paulus hat in 1.Kor 13, dem berühmten Hohelied der Liebe, ausführlicher so formuliert: „Stellt euch vor: Ich kann die Sprachen der Menschen sprechen und sogar die Sprachen der Engel. Wenn ich keine Liebe habe, bin ich wie ein dröhnender Gong oder ein schepperndes Becken. Oder stellt euch vor: Ich kann reden wie ein Prophet, kenne alle Geheimnisse und habe jede Erkenntnis. Oder sogar: Ich besitze den stärksten Glauben –sodass ich Berge versetzen kann. Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts. Stellt euch vor: Ich verteile meinen gesamten Besitz. Oder ich bin sogar bereit, mich bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen. Wenn ich keine Liebe habe, nützt mir das gar nichts.“ Und dann am Schluss dieses Kapitels: „Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe –diese drei. Doch am grössten von ihnen ist die Liebe.“
Die Liebe ist die Hauptsache beim Leben und Glauben. Dem würde niemand widersprechen, der oder die sich an Christus orientiert. Und doch ist es kompliziert: Weil schöne Worte über die Liebe nur das eine sind, diese Liebe im Leben konkret werden zu lassen aber etwas ganz anderes. Weil Liebe oft mit Verliebtsein verwechselt wird. Weil nicht Gefühle, sondern ein entschiedenes Ja zum Mitmenschen gemeint ist. Weil Liebe so etwas Grosses ist, dass gut gemeinte fromme Worte der Realität kaum standhalten. Weil es zu einfach klingen will zu sagen: ‚Hauptsache, du hast Jesus lieb. Sonst braucht es nichts!‘ (vgl. Themenformulierung).
Was hat es mit der Liebe zu Jesus auf sich? Der Jünger und Apostel Petrus bekam Nachhilfe zu dieser Frage. Das kam so:
Nach dem Tod Jesu waren die JüngerInnen nach Galiläa zurückgekehrt in ihren alten Beruf: Sie gingen am See Genezareth fischen. Hinter ihnen lag eine turbulente Zeit. Sie waren mit Jesus übers Land gezogen. Alle Brücken hatten sie hinter sich abgebrochen und waren ihm nachgefolgt. Dabei hatten sie Unglaubliches erlebt: Wunderbare Heilungen; sogar Totenerweckungen; tolle Predigten gehört; gesehen, wie Menschen dank Jesus wieder Orientierung, Trost und Mut zum Leben fanden. Doch darauf folgte das Drama in Jerusalem: Jesu Gefangennahme, Verurteilung und Tod. Damit waren all ihre Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte gestorben.
Nun waren sie also wieder dort, woher sie gekommen waren. In Galiläa auf dem See. Sie versuchten dort anzuknüpfen, wo sie vor Jesu Ruf aufgehört hatten. Das ist der Versuch der Flucht zurück ins Altvertraute. Doch daraus wird nichts. Der Neuanfang scheitert. Allen Anstrengungen zum Trotz fangen sie nämlich nicht einen einzigen Fisch. – Plötzlich steht ein Unbekannter am Ufer. Er rät ihnen, das Netz noch einmal auszuwerfen, auf der anderen Seite. Das tun sie. Und als sie es wieder einholen wollen, ist das Netz zum Zerreissen voll mit Fischen.
Diese Erfahrung kennen sie. Mit Jesus haben sie es mehrfach erlebt: Die plötzliche Fülle nach vergeblicher Mühe. Massloser Überfluss aus dem Mangel heraus. Ein Geschenk, wie aus dem Nichts. – Darum braucht es jetzt keinen weiteren Beweis. Keine Klärung. Es ist klar. Christus lebt und ist da. Und alle verstehen, was es heisst, dass Jesus Brot und Fisch nimmt und an sie austeilt. Während sie ums Feuer sitzen und essen, spricht niemand. – Und dann kommt die besagte Nachhilfe-Lektion für Petrus. Ich lese Johannes 21,15–19:
Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als irgendein anderer hier?« Er antwortete ihm: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.« Da sagte Jesus zu ihm: »Führe meine Lämmer zur Weide!« Dann fragte er ihn ein zweites Mal: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« Petrus antwortete: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe! «Da sagte Jesus zu ihm: »Hüte meine Schafe!« Zum dritten Mal fragte er ihn: »Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?« Da wurde Petrus traurig, weil er ihn zum dritten Mal gefragt hatte:» Hast du mich lieb?« Er sagte zu Jesus: »Herr, du weißt alles! Du weißt, dass ich dich lieb habe!« Da sagte Jesus zu ihm: »Führe meine Schafe zur Weide! Amen, amen, das sage ich dir: Als du jung warst, hast du dir selbst den Gürtel umgebunden. Du bist dahin gegangen, wohin du wolltest. Aber wenn du alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken. Dann wird ein anderer dir den Gürtel umbinden. Er wird dich dahin führen, wohin du nicht willst.« Mit diesen Worten deutete Jesus an, wie Petrus sterben und dadurch die Herrlichkeit Gottes sichtbar machen würde. Dann sagte Jesus zu Petrus: »Folge mir!« Johannes 21,15–19 (Basis Bibel)
Mit den elektronischen Möglichkeiten der Kommunikation – SMS, Whatsapp, Social Media – haben sich viele Abkürzungen eingebürgert. Sie sparen Platz und Zeit: MfG z.B für ‘mit freundlichen Grüßen’. Oder, noch kürzer, aber auch persönlicher, LG ‘liebe Grüsse’. Wer zum Angeschriebenen eine besondere Beziehung hat, fügt vielleicht an: HDG für ‘Ha di gärn’. Oder sogar: HDGFG für ‘Ha di ganz fescht gärn’.
Allerdings, wie es halt ist: Worte und Aussagen, die sehr leicht über die Lippen oder die Tasten gehen, verlieren an Wert. Ein ‘ha di gärn’, das für eine besondere Beziehung zwischen Menschen stand, kann so zur hohlen Phrase werden. Eine Floskel, zwar nett gemeint, aber ohne Bedeutung und Tiefe. Hinter Floskeln können die wirklichen Gefühle füreinander verschwinden. Vielleicht ist das manchmal sogar willkommen und beabsichtigt.
Jesus fragt Simon Petrus: «Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber als die anderen?» Und er antwortet: «Ja, Herr, hdgfg, ha di ganz fescht gärn.». – Doch so leicht lässt Jesus seinen Jünger nicht davon gekommen. Immerhin geht es um die Beziehung zweier Menschen, die einmal alles miteinander geteilt haben. Nun ist die Beziehung in ihren Grundfesten erschüttert. Das lässt sich nicht schnell und einfach mit ‘hdgfg’ lösen.
Jesus knüpft mit Petrus dort an, wo ihre Beziehung mit der Verleugnung stecken geblieben war. Zugleich führt er ihn zurück in die Situation, die Simon bei seiner Berufung zum Menschenfischer schon erlebt hatte. Vorwürfe macht Jesus dem Jünger dabei nicht. Aber er macht er ihre besondere Freundschaft zum Thema des Gesprächs: «Hast du mich lieber, als mich diese haben?»
Petrus hatte unter den Zwölf eine besondere Stellung gehabt. Er war der ‘Macher’. Er war aber auch der, der mit seiner vorschnellen Art manchmal Schiffbruch erlitten hat: Er ging übers Wasser – und sank. Er bekannte Jesus als Messias – und musste sich gleich darauf gefallen lassen, von ihm als ‘Satan’ bezeichnet zu werden. Er wollte für seinen Jesus kämpfen und mit ihm sterben – und leugnete doch, ihn zu kennen. Die Freundschaft zwischen Petrus und Jesus verlief turbulent. Sie war voller Gefühlsschwankungen, mal intensiv und mal eher oberflächlich, mal mutig und mal feige. Nun wollte Jesus genau wissen, wie es um ihre Beziehung stand. Dazu genügt eben eine Abkürzung, ein ‘hdgfg ha di ganz fescht gärn’ nicht.
«Hast du mich lieb?» Dreimal muss sich Simon die Frage gefallen lassen. Und es wird ihm aufgefallen sein, dass Jesus ihn als Simon, nicht als Petrus ansprach. Er war offenbar nicht „Petrus, der Fels“, an dem sich alle aufrichten können. Wenigstens in dieser Situation nicht. Simon war wohl selbst unsicher, wo er stand und welche Rolle er nach der Verleugnung im Jüngerkreis noch spielen sollte – und konnte.
«Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?» Zwei Mal verwendet Jesus das Wort ‘agapao’ für ‘lieben’. Es umschreibt die bedingungslose Liebe Gottes zu den Menschen. Simon aber braucht in seiner Antwort ein anderes Wort: ‘fileo‘. Das ist etwas unverbindlicher. ‘fileo‘ bezeichnet geschwisterliche Liebe oder freundschaftliche Zuneigung. Zweimal also: Göttliche Liebe gegenüber geschwisterlicher Zuneigung. Zweimal verbindliche, rückhaltlose Annahme und uneingeschränktes „Ja“ gegenüber freundschaftlicher Sympathie. Dann fragt Jesus ein drittes Mal: «Hast du mich lieb?» Und nun braucht auch er das Wort ‘fileo‘. Jesus kommt hinab auf die Stufe des Simon Petrus. Er kommt ihm entgegen – auf Augenhöhe. Und wieder antwortet Petrus: «Ja, ich habe dich lieb.» Wieder spricht er von der geschwisterlichen Liebe. Denn so zu lieben, wie er von Jesus geliebt wird, das kann er nicht versprechen. Er hat während der Passion erkennen müssen: Wenn es wirklich eng wird, wenn es hart auf hart kommt, kann ich nicht für mich garantieren. So zu lieben, wie er von Jesus geliebt wird, das will – das kann er für sich nicht in Anspruch nehmen.
Und wie ist das bei uns? Was wäre die Antwort, wenn Jesus uns fragen würde: «Hast du mich lieb?» Was würden wir sagen können, sagen wollen? – Schnell, schnell: ‘Hdg. Ha di gärn.’ – Oder eher: ‘Ich weiss nicht recht. Wart schnell. Bin gerade beschäftigt.’ – Oder vielleicht: ‘Ich bin leer. Meine Hoffnungen haben sich zerschlagen.’. — Oder: ‘Wie willst du mich lieben? Erwartungen, die ich wecke, kann ich oft nicht erfüllen. Im entscheidenden Moment versage ich leicht’. – Petrus hätte jede dieser Antworten geben können. Er hätte gute Gründe gehabt, Jesus abzuwehren. Doch er lässt sich einmal mehr hineinnehmen in die Liebe Jesu. Und so sagt er: «Ja, Herr, du weisst, dass ich dich liebe. Komm in mein Leben. Ich brauche dich, ich brauche deine Kraft in meiner Schwäche.»
Die Treue Gottes gilt: Petrus. Mir. Uns allen. Jesus kam nicht für die die Edlen und Perfekten in die Welt. Sondern für Leute wie Petrus, wie mich, wie uns. Er ist gekommen für Menschen, die schuldig werden und die mit sich selbst nicht mehr im Reinen sind. Paulus schreibt: „Gott beweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Röm 5,8)
Zwischen der Verleugnung und der Begegnung am See Genezareth steht das Kreuz. Es bedeutet: «Simon, ich liebe (agapao) dich! Deine Schuld ist nicht das Ende unserer Beziehung. Es gibt die Chance für einen neuen Anfang. Es gibt Vergebung. Sie wurzelt in Gottes Kraft, neues Leben zu schaffen. Du wirst noch gebraucht.»
Die Beziehung bleibt bestehen dank Christus. Darum steht am Schluss nicht ein Rahmenvertrag für die Beziehung. Sondern am Schluss steht ein Auftrag. Weil Vergebung nach vorne weist und in Dienst nimmt.
Jesus sagt: «Weide meine Schafe!» Er traut Simon Petrus eine neue Aufgabe zu! Petrus wird wieder in Dienst genommen. Das ist bemerkenswert: Jesus beruft nicht neue Jünger anstelle von Gestrauchelten. Sondern Christus baut seine Kirche mit Menschen, die Fehler gemacht haben. Menschen, denen wie Simon Petrus vergeben ist. Darum sind auch wir alle erwünscht und befähigt, wenn es darum geht, Christi Reich zu bauen. Die Fehler, die wir uns schon haben zuschulden kommen lassen, spielen keine Rolle. Wichtig ist nur, wie wir mit unserer Schuld umgehen. Ob wir zulassen, dass Christus sie vergibt. Die allermeisten Menschen in Gottes Team, von denen die Bibel erzählt, haben (mindestens) einen Knick in der Biografie. Das gilt für Abraham, Jakob, Mose, Gideon, David, Elia, Jona, Petrus, Paulus …. Fehler, Irrtümer und Schuld haben sie geprägt. Doch sie kehrten um. Und aus Umkehr und Vergebung wuchs ihnen neue Kraft zu.
«Weide meine Schafe!» So heisst der alte und neue Auftrag Jesu für Simon Petrus. Das wichtige Detail dabei: Es heisst nicht ‘deine Schafe’, sondern ‘meine Schafe’. Petrus wird kein selbstständiger Unternehmer. Er soll nicht eine eigene Gemeinschaft gründen und erhalten. Jesus ist und bleibt der Hirte der Schafe, bleibt der Herr von Kirche und Gemeinde. Aber Petrus ist sein Mitarbeiter. Dankbar. Demütig. Nicht mehr hochmütig und überheblich. Er hat erfahren: Aus eigener Kraft ist er in die Sackgasse gelaufen. Jetzt aber kann er sich ganz auf Jesus verlassen. Der führt ihn weiter.
Von Jesus beauftragt sein – was heisst das? Nicht alle Christen sind Hirten. Aber alle haben Anteil am Auftrag, dass seine Liebe zum Ausdruck und zur Geltung kommen soll. Ich sage es mal so: Wir Christen sind heute oft die einzige Bibel, welche die Menschen noch lesen. An uns soll abzulesen sein, was es mit der Liebe Gottes auf sich hat. Dabei spielt keine Rolle, ob wir ein Amt/eine Funktion in der Gemeinde ausüben oder nicht. Wichtig ist, dass unser Leben etwas von Jesu Worten und Wirken widerspiegelt. Das gilt für unser Miteinander-Gemeinde-Sein. Und es gilt dafür, wie wir als einzelne mit unseren Mitmenschen, Nachbarn, Arbeitskollegen umgehen. Im Alltag wird und muss sich zeigen, dass wir im Auftrag des Hirten Jesus Christus leben und unterwegs sind. Ganz konkret muss spürbar werden, dass die Liebe Gottes auf uns abfärbt. Dass wir wenigstens versuchen, die Liebe Christi zu leben. — Vermutlich werden wir lange nicht immer Gottes Agape voll umsetzen und ausleben können. Aber hoffentlich der geschwisterlichen Liebe immer wieder Gestalt geben können. Also ‘filia‘ leben. Und darauf vertrauen, dass Gottes Segen viel mehr daraus machen kann.
Jesus lieben (und die Menschen, in denen er uns begegnet) – sonst nichts. Darum geht es. Oder eben, wie die Jahreslosung sagt: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!» Amen