Jesus lieben — sonst nichts

Johannes 21,15–19

Predigt am 14.04.2024 in der EMK Adliswil und in der Regen­bo­genkirche

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„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ Die Jahres­lo­sung 2024 konzen­tri­ert Entschei­den­des in ganz weni­gen Worten. Es kommt darauf an, dass die Liebe wirk­sam wird. Paulus hat in 1.Kor 13, dem berühmten Hohe­lied der Liebe, aus­führlich­er so for­muliert: „Stellt euch vor: Ich kann die Sprachen der Men­schen sprechen und sog­ar die Sprachen der Engel. Wenn ich keine Liebe habe, bin ich wie ein dröh­nen­der Gong oder ein schep­pern­des Beck­en. Oder stellt euch vor: Ich kann reden wie ein Prophet, kenne alle Geheimnisse und habe jede Erken­nt­nis. Oder sog­ar: Ich besitze den stärk­sten Glauben –sodass ich Berge ver­set­zen kann. Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts. Stellt euch vor: Ich verteile meinen gesamten Besitz. Oder ich bin sog­ar bere­it, mich bei lebendi­gem Leib ver­bren­nen zu lassen. Wenn ich keine Liebe habe, nützt mir das gar nichts.“  Und dann am Schluss dieses Kapi­tels: „Was bleibt, sind Glaube, Hoff­nung, Liebe –diese drei. Doch am grössten von ihnen ist die Liebe.“

Die Liebe ist die Haupt­sache beim Leben und Glauben. Dem würde nie­mand wider­sprechen, der oder die sich an Chris­tus ori­en­tiert. Und doch ist es kom­pliziert: Weil schöne Worte über die Liebe nur das eine sind, diese Liebe im Leben konkret wer­den zu lassen aber etwas ganz anderes. Weil Liebe oft mit Ver­liebt­sein ver­wech­selt wird. Weil nicht Gefüh­le, son­dern ein entsch­iedenes Ja zum Mit­men­schen gemeint ist. Weil Liebe so etwas Gross­es ist, dass gut gemeinte fromme Worte der Real­ität kaum stand­hal­ten. Weil es zu ein­fach klin­gen will zu sagen: ‚Haupt­sache, du hast Jesus lieb. Son­st braucht es nichts!‘ (vgl. Themenformulierung).

Was hat es mit der Liebe zu Jesus auf sich? Der Jünger und Apos­tel Petrus bekam Nach­hil­fe zu dieser Frage. Das kam so:

Nach dem Tod Jesu waren die Jün­gerIn­nen nach Galiläa zurück­gekehrt in ihren alten Beruf: Sie gin­gen am See Genezareth fis­chen. Hin­ter ihnen lag eine tur­bu­lente Zeit. Sie waren mit Jesus übers Land gezo­gen. Alle Brück­en hat­ten sie hin­ter sich abge­brochen und waren ihm nachge­fol­gt. Dabei hat­ten sie Unglaublich­es erlebt: Wun­der­bare Heilun­gen; sog­ar Toten­er­weck­un­gen; tolle Predigten gehört; gese­hen, wie Men­schen dank Jesus wieder Ori­en­tierung, Trost und Mut zum Leben fan­den. Doch darauf fol­gte das Dra­ma in Jerusalem: Jesu Gefan­gen­nahme, Verurteilung und Tod. Damit waren all ihre Hoff­nun­gen, Wün­sche und Sehn­süchte gestorben.

Nun waren sie also wieder dort, woher sie gekom­men waren. In Galiläa auf dem See. Sie ver­sucht­en dort anzuknüpfen, wo sie vor Jesu Ruf aufge­hört hat­ten. Das ist der Ver­such der Flucht zurück ins Altver­traute. Doch daraus wird nichts. Der Neuan­fang scheit­ert. Allen Anstren­gun­gen zum Trotz fan­gen sie näm­lich nicht einen einzi­gen Fisch. – Plöt­zlich ste­ht ein Unbekan­nter am Ufer. Er rät ihnen, das Netz noch ein­mal auszuw­er­fen, auf der anderen Seite. Das tun sie. Und als sie es wieder ein­holen wollen, ist das Netz zum Zer­reis­sen voll mit Fischen.

Diese Erfahrung ken­nen sie. Mit Jesus haben sie es mehrfach erlebt: Die plöt­zliche Fülle nach verge­blich­er Mühe. Mass­los­er Über­fluss aus dem Man­gel her­aus. Ein Geschenk, wie aus dem Nichts. – Darum braucht es jet­zt keinen weit­eren Beweis. Keine Klärung. Es ist klar. Chris­tus lebt und ist da. Und alle ver­ste­hen, was es heisst, dass Jesus Brot und Fisch nimmt und an sie austeilt. Während sie ums Feuer sitzen und essen, spricht nie­mand. – Und dann kommt die besagte Nach­hil­fe-Lek­tion für Petrus. Ich lese Johannes 21,15–19:

Als sie gegessen hat­ten, sagte Jesus zu Simon Petrus: »Simon, Sohn des Johannes, lieb­st du mich mehr als irgen­dein ander­er hier?« Er antwortete ihm: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.« Da sagte Jesus zu ihm: »Führe meine Läm­mer zur Wei­de!« Dann fragte er ihn ein zweites Mal: »Simon, Sohn des Johannes, lieb­st du mich?« Petrus antwortete: »Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe! «Da sagte Jesus zu ihm: »Hüte meine Schafe!« Zum drit­ten Mal fragte er ihn: »Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?« Da wurde Petrus trau­rig, weil er ihn zum drit­ten Mal gefragt hat­te:» Hast du mich lieb?« Er sagte zu Jesus: »Herr, du weißt alles! Du weißt, dass ich dich lieb habe!« Da sagte Jesus zu ihm: »Führe meine Schafe zur Wei­de! Amen, amen, das sage ich dir: Als du jung warst, hast du dir selb­st den Gür­tel umge­bun­den. Du bist dahin gegan­gen, wohin du woll­test. Aber wenn du alt bist, wirst du deine Hände ausstreck­en. Dann wird ein ander­er dir den Gür­tel umbinden. Er wird dich dahin führen, wohin du nicht willst.« Mit diesen Worten deutete Jesus an, wie Petrus ster­ben und dadurch die Her­rlichkeit Gottes sicht­bar machen würde. Dann sagte Jesus zu Petrus: »Folge mir!«                                     Johannes 21,15–19 (Basis Bibel)

Mit den elek­tro­n­is­chen Möglichkeit­en der Kom­mu­nika­tion – SMS, What­sapp, Social Media – haben sich viele Abkürzun­gen einge­bürg­ert. Sie sparen Platz und Zeit: MfG z.B für ‘mit fre­undlichen Grüßen’. Oder, noch kürz­er, aber auch per­sön­lich­er, LG ‘liebe Grüsse’. Wer zum Angeschriebe­nen eine beson­dere Beziehung hat, fügt vielle­icht an: HDG für ‘Ha di gärn’. Oder sog­ar: HDGFG für ‘Ha di ganz fes­cht gärn’.
Allerd­ings, wie es halt ist: Worte und Aus­sagen, die sehr leicht über die Lip­pen oder die Tas­ten gehen, ver­lieren an Wert. Ein ‘ha di gärn’, das für eine beson­dere Beziehung zwis­chen Men­schen stand, kann so zur hohlen Phrase wer­den. Eine Floskel, zwar nett gemeint, aber ohne Bedeu­tung und Tiefe. Hin­ter Floskeln kön­nen die wirk­lichen Gefüh­le füreinan­der ver­schwinden. Vielle­icht ist das manch­mal sog­ar willkom­men und beabsichtigt.

Jesus fragt Simon Petrus: «Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber als die anderen?» Und er antwortet: «Ja, Herr, hdgfg, ha di ganz fes­cht gärn.». – Doch so leicht lässt Jesus seinen Jünger nicht davon gekom­men. Immer­hin geht es um die Beziehung zweier Men­schen, die ein­mal alles miteinan­der geteilt haben. Nun ist die Beziehung in ihren Grund­festen erschüt­tert. Das lässt sich nicht schnell und ein­fach mit ‘hdgfg’ lösen.
Jesus knüpft mit Petrus dort an, wo ihre Beziehung mit der Ver­leug­nung steck­en geblieben war. Zugle­ich führt er ihn zurück in die Sit­u­a­tion, die Simon bei sein­er Beru­fung zum Men­schen­fis­ch­er schon erlebt hat­te. Vor­würfe macht Jesus dem Jünger dabei nicht. Aber er macht er ihre beson­dere Fre­und­schaft zum The­ma des Gesprächs: «Hast du mich lieber, als mich diese haben?»
Petrus hat­te unter den Zwölf eine beson­dere Stel­lung gehabt. Er war der ‘Mach­er’. Er war aber auch der, der mit sein­er vorschnellen Art manch­mal Schiff­bruch erlit­ten hat: Er ging übers Wass­er – und sank. Er bekan­nte Jesus als Mes­sias – und musste sich gle­ich darauf gefall­en lassen, von ihm als ‘Satan’ beze­ich­net zu wer­den. Er wollte für seinen Jesus kämpfen und mit ihm ster­ben – und leugnete doch, ihn zu ken­nen. Die Fre­und­schaft zwis­chen Petrus und Jesus ver­lief tur­bu­lent. Sie war voller Gefühlss­chwankun­gen, mal inten­siv und mal eher ober­fläch­lich, mal mutig und mal feige. Nun wollte Jesus genau wis­sen, wie es um ihre Beziehung stand. Dazu genügt eben eine Abkürzung, ein ‘hdgfg  ha di ganz fes­cht gärn’ nicht.

«Hast du mich lieb?» Dreimal muss sich Simon die Frage gefall­en lassen. Und es wird ihm aufge­fall­en sein, dass Jesus ihn als Simon, nicht als Petrus ansprach. Er war offen­bar nicht „Petrus, der Fels“, an dem sich alle aufricht­en kön­nen. Wenig­stens in dieser Sit­u­a­tion nicht. Simon war wohl selb­st unsich­er, wo er stand und welche Rolle er nach der Ver­leug­nung im Jüngerkreis noch spie­len sollte – und konnte.

«Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?» Zwei Mal ver­wen­det Jesus das Wort ‘aga­pao’ für ‘lieben’. Es umschreibt die bedin­gungslose Liebe Gottes zu den Men­schen. Simon aber braucht in sein­er Antwort ein anderes Wort: ‘fileo‘. Das ist etwas unverbindlich­er. ‘fileo‘ beze­ich­net geschwis­ter­liche Liebe oder fre­und­schaftliche Zunei­gung. Zweimal also: Göt­tliche Liebe gegenüber geschwis­ter­lich­er Zunei­gung. Zweimal verbindliche, rück­halt­lose Annahme und uneingeschränk­tes „Ja“ gegenüber fre­und­schaftlich­er Sym­pa­thie. Dann fragt Jesus ein drittes Mal: «Hast du mich lieb?» Und nun braucht auch er das Wort ‘fileo‘. Jesus kommt hinab auf die Stufe des Simon Petrus. Er kommt ihm ent­ge­gen – auf Augen­höhe. Und wieder antwortet Petrus: «Ja, ich habe dich lieb.» Wieder spricht er von der geschwis­ter­lichen Liebe. Denn so zu lieben, wie er von Jesus geliebt wird, das kann er nicht ver­sprechen. Er hat während der Pas­sion erken­nen müssen: Wenn es wirk­lich eng wird, wenn es hart auf hart kommt, kann ich nicht für mich garantieren. So zu lieben, wie er von Jesus geliebt wird, das will – das kann er für sich nicht in Anspruch nehmen.
Und wie ist das bei uns? Was wäre die Antwort, wenn Jesus uns fra­gen würde: «Hast du mich lieb?» Was wür­den wir sagen kön­nen, sagen wollen? – Schnell, schnell: ‘Hdg.  Ha di gärn.’ – Oder eher: ‘Ich weiss nicht recht. Wart schnell. Bin ger­ade beschäftigt.’ – Oder vielle­icht: ‘Ich bin leer. Meine Hoff­nun­gen haben sich zer­schla­gen.’. — Oder: ‘Wie willst du mich lieben? Erwartun­gen, die ich wecke, kann ich oft nicht erfüllen. Im entschei­den­den Moment ver­sage ich leicht’. – Petrus hätte jede dieser Antworten geben kön­nen. Er hätte gute Gründe gehabt, Jesus abzuwehren. Doch er lässt sich ein­mal mehr hinein­nehmen in die Liebe Jesu. Und so sagt er: «Ja, Herr, du weisst, dass ich dich liebe. Komm in mein Leben. Ich brauche dich, ich brauche deine Kraft in mein­er Schwäche.»
Die Treue Gottes gilt: Petrus. Mir. Uns allen. Jesus kam nicht für die die Edlen und Per­fek­ten in die Welt. Son­dern für Leute wie Petrus, wie mich, wie uns. Er ist gekom­men für Men­schen, die schuldig wer­den und die mit sich selb­st nicht mehr im Reinen sind. Paulus schreibt: „Gott beweist seine Liebe zu uns darin, dass Chris­tus für uns gestor­ben ist, als wir noch Sün­der waren.“ (Röm 5,8)

Zwis­chen der Ver­leug­nung und der Begeg­nung am See Genezareth ste­ht das Kreuz. Es bedeutet: «Simon, ich liebe (aga­pao) dich! Deine Schuld ist nicht das Ende unser­er Beziehung. Es gibt die Chance für einen neuen Anfang. Es gibt Verge­bung. Sie wurzelt in Gottes Kraft, neues Leben zu schaf­fen. Du wirst noch gebraucht.»
Die Beziehung bleibt beste­hen dank Chris­tus. Darum ste­ht am Schluss nicht ein Rah­men­ver­trag für die Beziehung. Son­dern am Schluss ste­ht ein Auf­trag. Weil Verge­bung nach vorne weist und in Dienst nimmt.
Jesus sagt: «Wei­de meine Schafe!» Er traut Simon Petrus eine neue Auf­gabe zu! Petrus wird wieder in Dienst genom­men. Das ist bemerkenswert: Jesus beruft nicht neue Jünger anstelle von Ges­trauchel­ten. Son­dern Chris­tus baut seine Kirche mit Men­schen, die Fehler gemacht haben. Men­schen, denen wie Simon Petrus vergeben ist. Darum sind auch wir alle erwün­scht und befähigt, wenn es darum geht, Christi Reich zu bauen. Die Fehler, die wir uns schon haben zuschulden kom­men lassen, spie­len keine Rolle. Wichtig ist nur, wie wir mit unser­er Schuld umge­hen. Ob wir zulassen, dass Chris­tus sie vergibt. Die aller­meis­ten Men­schen in Gottes Team, von denen die Bibel erzählt, haben (min­destens) einen Knick in der Biografie. Das gilt für Abra­ham, Jakob, Mose, Gideon, David, Elia, Jona, Petrus, Paulus …. Fehler, Irrtümer und Schuld haben sie geprägt. Doch sie kehrten um. Und aus Umkehr und Verge­bung wuchs ihnen neue Kraft zu.
«Wei­de meine Schafe!» So heisst der alte und neue Auf­trag Jesu für Simon Petrus. Das wichtige Detail dabei: Es heisst nicht ‘deine Schafe’, son­dern ‘meine Schafe’. Petrus wird kein selb­st­ständi­ger Unternehmer. Er soll nicht eine eigene Gemein­schaft grün­den und erhal­ten. Jesus ist und bleibt der Hirte der Schafe, bleibt der Herr von Kirche und Gemeinde. Aber Petrus ist sein Mitar­beit­er. Dankbar. Demütig. Nicht mehr hochmütig und über­he­blich. Er hat erfahren: Aus eigen­er Kraft ist er in die Sack­gasse gelaufen. Jet­zt aber kann er sich ganz auf Jesus ver­lassen. Der führt ihn weiter.

Von Jesus beauf­tragt sein – was heisst das? Nicht alle Chris­ten sind Hirten. Aber alle haben Anteil am Auf­trag, dass seine Liebe zum Aus­druck und zur Gel­tung kom­men soll. Ich sage es mal so: Wir Chris­ten sind heute oft die einzige Bibel, welche die Men­schen noch lesen. An uns soll abzule­sen sein, was es mit der Liebe Gottes auf sich hat. Dabei spielt keine Rolle, ob wir ein Amt/eine Funk­tion in der Gemeinde ausüben oder nicht. Wichtig ist, dass unser Leben etwas von Jesu Worten und Wirken wider­spiegelt. Das gilt für unser Miteinan­der-Gemeinde-Sein. Und es gilt dafür, wie wir als einzelne mit unseren Mit­men­schen, Nach­barn, Arbeit­skol­le­gen umge­hen. Im All­t­ag wird und muss sich zeigen, dass wir im Auf­trag des Hirten Jesus Chris­tus leben und unter­wegs sind. Ganz konkret muss spür­bar wer­den, dass die Liebe Gottes auf uns abfärbt. Dass wir wenig­stens ver­suchen, die Liebe Christi zu leben. — Ver­mut­lich wer­den wir lange nicht immer Gottes Agape voll umset­zen und ausleben kön­nen. Aber hof­fentlich der geschwis­ter­lichen Liebe immer wieder Gestalt geben kön­nen. Also ‘fil­ia‘ leben. Und darauf ver­trauen, dass Gottes Segen viel mehr daraus machen kann.
Jesus lieben (und die Men­schen, in denen er uns begeg­net) – son­st nichts. Darum geht es. Oder eben, wie die Jahres­lo­sung sagt: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!» Amen

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