Rede, Herr, dein Knecht hört

1. Samuel 3,1–11a

Predigt am 12.05.2024 in der EMK Adliswil

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„In jen­er Zeit kam es nur noch sel­ten vor, dass der Herr zu einem Men­schen sprach und ihm etwas offen­barte.“ So stellt das 1. Samuel­buch fest: Gott zog sich zurück. Er schwieg. Und vie­len fiel das nicht ein­mal auf. Sie wussten nichts mehr davon, wie wichtig Gottes Reden für das Gelin­gen ihres Lebens gewe­sen wäre.

Und heute? Wir hören viele Stim­men. Auch viele laute und gewaltige Stim­men. Und Gottes Stimme? Er scheint oft zu schweigen. Oder seine Stimme wird übertönt, weil er leise redet. Dabei wäre es doch so wichtig, dass Gott gehört wird! Auf ihn selb­st, nicht auf sein Boden­per­son­al. Müsste er uns nicht den Weg weisen kön­nen zu einem besseren Mit- und Füreinan­der? Hätte er nicht sehr viel zu sagen zu Krisen und Kon­flik­ten, zu Katas­tro­phen und zum Siegeszug des Ego­is­mus? Doch Gottes Stimme ist kaum zu hören. Auch in Kirchen und Gemein­den ist es sel­tener, als wir uns wün­schen. – So kommt es, dass unter Chris­ten immer wieder ‚‘hören­des Gebet‘ gefordert, propagiert und gefördert wird. Es sei wichtig, mehr, inten­siv­er, engagiert­er auf Gott zu hören.

Das sehe ich auch so. Auf Gott hören ist wichtig und kommt oft zu kurz. Den­noch habe ich auch meine Fra­gen, wenn ‚hören­des Gebet‘ oder ein bes­timmtes Vorge­hen beim ‚hören­den Gebet‘ zur Meth­ode erhoben wird. Es klingt mir zu ein­fach, zu sehr nach Rezept. Schliesslich kann nie­mand mit Zuhören Gott zum Reden zwin­gen. Und wenn er schweigt, sagt auch das etwas.

Wie wäre das, Gottes Stimme ein­mal ganz klar, unver­fälscht, ein­deutig zu hören? Dann müssten wir doch wis­sen, woran wir sind und was genau jet­zt dran ist.
Stimmt das? Oder ist es nur ein from­mer Wun­sch? Sind nicht unsere Erfahrun­gen mit Gottes Stimme – wenn wir denn solche machen – mehrdeutig? Damit sind sie immer hin­ter­frag­bar. Ich meine Erfahrun­gen wie: Beim Lesen in der Bibel oder beim Hören ein­er Predigt springt uns ein Wort oder ein Satz an. Oder wir beten zusam­men und erleben uns als gebor­gen und getra­gen. Oder in unseren Gedanken drängt sich uns ein Men­sch oder eine Auf­gabe auf. Wir wer­den das nicht mehr los, bis wir uns darum geküm­mert haben. Oder ein Traum lässt eine Sit­u­a­tion in ganz neuem Licht erscheinen. – Solche Erfahrun­gen lassen zwar etwas vom Reden Gottes zu uns ahnen. Aber kön­nen wir so davon erzählen, dass wir sagen: ‚Gott hat zu mir gesprochen!‘? — Wohl eher nicht. Eine klare Stimme haben wir ja doch nicht gehört. Selb­st wenn wir im Nach­hinein überzeugt sind, Gott gehört zu haben. Beweisen lässt sich das nicht.

Und wenn sich der Beweis führen liesse: Was wäre damit gewon­nen? — Ein Beispiel: Kurz bevor Pia ihren Arm brach, habe ich auf ihr Handge­lenk geschaut und fand es sehr dünn und zer­brech­lich. Und fragte: War Dein Arm schon immer so dünn? – Selt­sam, oder! War das eine Vorah­nung? Kam sie von Gott? Wer weiss! Da ich damit nichts anfan­gen kon­nte, spielt es aber wohl keine grosse Rolle.

Wie kann man auf Gottes Stimme hören ler­nen? Was hil­ft uns dabei? – Wir wollen ja nicht die Stimme ander­er Men­schen oder die Stimme der eige­nen Wün­sche mit der Stimme Gottes ver­wech­seln.
Vielle­icht kann uns ein Mann helfen, der sein­er Zeit als Gottes Sprachrohr galt: Der Seher und Prophet Samuel. Er war noch ein Knabe, als er die Stimme Gottes erst­mals hörte. Das war vor ca. 3’000 Jahren. Samuel war Tem­pel­diener am alten Heilig­tum in Silo. Es heisst, dass er bei Gott und den Men­schen sehr beliebt war. Eines Tages, bess­er gesagt: eines Nachts sprach Gott Samuel direkt an. Samuel war in dieser Nacht allein mit dem alten und beina­he erblind­e­ten Priester Eli in Silo. Früh­mor­gens vor Anbruch der Däm­merung bran­nte im Heilig­tum noch die soge­nan­nte Lampe Gottes (siebe­n­armiger Leuchter; vgl. Ex 27.20f; Lev 24,1ff).
Der siebe­n­armige Leuchter wurde jew­eils abends mit soviel Öl gefüllt, dass es bis zum Mor­gen reichte. Sein Licht sollte daran erin­nern, dass Gott nicht schläft und auch zum Aus­druck brin­gen, dass der Gottes­di­enst der Men­schen durch die Nacht keine Unter­brechung erfährt. Im Raum, der neben dem Leuchter auch noch die Bun­deslade (ein zweites starkes Sym­bol für Gottes Gegen­wart) beherbergte, schlief der Knabe Samuel. Der Priester Eli ruhte in einem Neben­raum. Hören Sie, wie 1. Sam 3 erzählt: 1. Samuel 3,1–11a .

Vor sehr langer Zeit ist das passiert. Und doch gibt es, wie schon angedeutet, eine Par­al­lele zu unser­er Zeit. Auch heute ist die Erfahrung: „Zu dieser Zeit kam es nur noch sel­ten vor, dass der Herr ein Wort mit­teilte. Weit und bre­it gab es auch keine Vision mehr.“ — Wie oft kommt denn Gott in unser­er Zeit über­haupt zu Wort? Und wird nicht, was er zu sagen hat, immer wieder über­flutet? Wortschwälle, ja ‑law­inen von allen Seit­en. Unzäh­lige Ver­laut­barun­gen, State­ments und Äusserun­gen, die alle welt­be­we­gend sein wollen. Jed­er und jede haben so viel zu sagen, zu erzählen, zu behaupten. Von den Belan­glosigkeit­en haben wir dann noch gar nicht gere­det. Was da alles gesagt, geschrieben, gepostet wird. So viel gut und manch­mal auch weniger gut Gemeintes ist im Umlauf. Sog­ar in Kirchen und Gemein­den: Eine wahre Flut von guten Ideen, schö­nen Gedanken und from­men Worten verdeckt oft mehr von Gottes Wort als sie offen­bart.
Ja, wenn es uns gut geht und wir in Fahrt kom­men, dann reden wir drau­f­los. Wir reden von unseren Ideen, haben ‘Ein­drücke’ und ‘Einge­bun­gen’, wagen vielle­icht sog­ar von ‘Visio­nen’ zu reden .… Manch­mal denke ich, dass wir zu wenig Hem­mungen haben, grosse Worte in den Mund zu nehmen. Das kann zu ein­er Infla­tion, ein­er Entwer­tung der Worte führen. Die macht nicht ein­mal vor der Sprache des Glaubens halt. Und so wird es für das ursprüngliche, authen­tis­che Wort Gottes bisweilen schw­er, sich Gehör zu ver­schaf­fen. Gut möglich, dass wir viel Wesentlich­es ver­passen, das Gott uns sagen möchte.
Das ist nicht nur ein Prob­lem unser­er Zeit. Son­dern es liegt irgend­wie in der Natur des Men­schen, dass seine Antenne für Gottes Wort verküm­mern kann. Samuel hörte damals zwar Gottes Stimme sofort. Aber er kon­nte sie nicht einord­nen. Erkan­nte sie nicht als das, was es war. Dabei war er zu diesem Zeit­punkt schon etliche Jahre Tem­pel­diener in Silo, dem wichtig­sten Tem­pel damals. Seine Mut­ter hat­te ihn schon ganz früh dor­thin gebracht, zum Dank dafür, dass Gott ihr über­haupt ein Kind geschenkt hat­te. So lebte der kleine Samuel eigentlich seit je im Tem­pel. Er wusste Bescheid, kan­nte jeden Brauch und alle Gebete. Selb­st die grössten Dinge und Ideen war ihm ver­traut. Er hat­te sich an Gottes Nähe gewöh­nt — so sehr, dass er seine Stimme nicht erkan­nte, als sie ihn eines mor­gens anders als son­st — ganz direkt näm­lich — ansprach.
Selb­st Samuel kon­nte es also passieren, dass er Gottes Stimme nicht erkan­nte. Das tröstet mich ein wenig, wenn ich sel­ber mal wieder ein­fach nicht darauf komme, was Gott mir als näch­stes sagen möchte. Und es zeigt mir ausser­dem: Bei Gott darf/muss man auf Über­raschun­gen gefasst sein. Er spricht uns an, wann, wo und wie er es will. Vielle­icht dort, wo wir darauf warten, z.B. im Gottes­di­enst, in der Stillen Zeit oder im Gebet. Vielle­icht aber auch ganz über­raschend, an einem Ort und zu einem Zeit­punkt, da wir nicht mit ihm gerech­net hätten.

Gott hat später noch oft zu Samuel gesprochen. Es wurde sein Beruf, auf Gott zu hören und in seinem Namen zu reden. Samuel hat viel mit ihm erfahren. Und ich bin sich­er, er hat im Laufe seines Lebens ver­standen, warum er damals beim ersten Mal Gottes Stimme nicht erkan­nte. Am lieb­sten würde ich Samuel selb­st jet­zt reden lassen. Ich stelle mir vor, wie er als alter Mann auf sein Leben zurück­blickt und von seinen Erfahrun­gen als Sprachrohr Gottes erzählt.

Wenn wir ihn heute hier haben kön­nten, so stelle ich mir vor, würde Samuel zunächst beto­nen, dass Gottes Stimme tat­säch­lich sel­ten zu hören sei. Gottes Wort ist ein seltenes, und deshalb umso wertvolleres Ereig­nis. Nicht jed­er gute Gedanke und lange nicht jede fromme Phan­tasie ist gle­ich eine Offen­barung Gottes. Darum gilt es gründlich zu prüfen, was wir hören, sehen oder fühlen. Das soll keine Auf­forderung zum Unglauben sein. Aber es wäre gefährlich, das Denken auszuschal­ten, sobald jemand vorgibt, im Namen Gottes zu reden. Nicht immer steckt Gott dahin­ter, wenn mit grossem Pathos schöne und fromme Worte gemacht wer­den. Ich werde den Ein­druck nicht los, dass ger­ade in freikirch­lichen Kreisen manch­mal leicht­fer­tig von Visio­nen und Ein­drück­en gere­det wird. Da wäre manch­mal mehr Demut anger­at­en. Wenn wir so genau sagen und zu wis­sen glauben, was Gott will.
Der Seher Samuel würde uns zu Respekt im Umgang mit Gottes Offen­barung und im Zitieren von Gottes Stimme rat­en. Er würde uns zu ehrlichen For­mulierun­gen ein­laden — dass wir nicht zu wis­sen vorgeben, was wir doch höch­stens ahnen. Er würde uns mah­nen, keine Antworten zu geben wo wir selb­st noch danach suchen.. Das — glaube ich — würde Samuel uns gründlich hin­ter die Ohren schreiben, dass Respekt und Demut wichtige Tugen­den sind im Umgang mit dem Wort Gottes.
Doch nach dieser War­nung würde er umso mehr ein­laden, sich anzus­tren­gen und auf Gottes Stimme zu horchen. Denn dass Gott etwas zu sagen hat, auch heute, dass weiss kein­er bess­er als er, der ein Leben lang Gottes Sprachrohr für das Volk Israel war.
Bei allem Respekt ist es ander­er­seits wichtig, immer und über­all damit zu rech­nen, dass Gott uns anspricht. Schliesslich hat­te Samuel selb­st als Kind Gottes Stimme nicht erkan­nt. Er hat­te halt nicht erwartet, direkt ange­sprochen zu wer­den. Weil Gott doch son­st immer zu den Priestern und den Propheten sprach. Dem­nach hätte er Eli ansprechen müssen und nicht den jun­gen Tem­pel­diener. Doch Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Diese Lek­tion hat Samuel damals gel­ernt. Es ist mir, als hörte ich ihn sagen: ‘Gott hält sich nicht an Dienst­wege und Hier­ar­chien. Er spricht, wann er will, zu wem er will und wie immer er will.‘
Wer Gottes Stimme hören will, muss auf aller­hand gefasst sein. Das zeigt ein kurz­er Blick auf die Bibel: Bileam hörte Gott durch seinen Esel reden (4.Mose 22, 28) und Elia nahm ihn erst war, als es ganz still und leise wurde (1.Kö 19,12f). Jesu Jünger ver­nah­men Gottes Stimme ein­mal in einem Don­ner­schlag (Jh 12,29) und zu Paulus redete er u.a. durch einen Traum (Apg 16,9f). Wie auch immer, Haupt­sache ist, dass der Men­sch auf Emp­fang geschal­tet hat: Das hat Samuel von dem alten Eli gel­ernt. Er solle sagen: ‘Rede Herr, dein Knecht hört!‘
Man muss auf Emp­fang schal­ten, sozusagen den Hör­er abheben, damit Gott weit­er­spricht. Denn Gott spricht nicht weit­er, wenn kein­er antwortet. Nur wo er offene Ohren und Herzen find­et, nur da sagt er, was er zu sagen hat. Man muss Gott also hören wollen, son­st bleibt er stumm. Man muss auf Emp­fang schal­ten … Und dazu sind in unser­er Welt beson­ders rare Güter nötig, näm­lich Ruhe und Zeit. Es kann zu lär­mig sein und man kann zu beschäftigt sein, um Gott zu vernehmen. Erst wenn man sich ganz auf ihn konzen­tri­ert, begin­nt Gott zu reden…

… und dann, fährt Samuel fort, dann passiert etwas. Wo Gott Men­schen direkt anspricht, da passiert etwas Ein­schnei­den­des. Das ist vielle­icht das sich­er­ste Erken­nungsze­ichen von Gottes Wort. Wenn Gott spricht, dann kommt Bewe­gung in eine Sit­u­a­tion, dann kann nicht mehr alles bleiben, wie es vorher war. Gottes Stimme bringt einen auf Trab. Man muss gewohnte Bah­nen ver­lassen und Abschied nehmen von guten Gewohn­heit­en und aus­ge­trete­nen Pfaden. Wenn Gott redet, dann beschränkt er sich nicht auf schöne Worte und fromme Belan­glosigkeit­en. Er stellt den Bezug zu unserem tagtäglichen Leben her, das sich ändern (erneuern) soll. Gott beansprucht uns. Gottes Stimme ruft uns in den Dienst für sein Reich. Wenn wir sie nicht hören, kön­nte es vielle­icht auch daran liegen, dass wir zu bequem sind, uns beanspruchen zu lassen, dass wir lieber sitzen bleiben als uns auf Trab brin­gen lassen … Vielle­icht gle­ichen wir manch­mal dem Kind, dass sich bei der Mut­ter für sein Weg­bleiben entschuldigt, weil es sie erst beim drit­ten Mal haben rufen hören.

Wie klingt Gottes Stimme? Woran ist sie zu erken­nen? So lautete die Aus­gangs­frage. Von Samuel kön­nen wir ler­nen, dass zunächst wichtig ist, dass wir auf Emp­fang schal­ten, d.h. uns Freiraum schaf­fen, in dem wir uns ganz auf Gott konzen­tri­eren kön­nen. Und auch wenn es ein seltenes Ereig­nis ist, dass Gott hör­bar zu einem Men­schen spricht. Wo wir Zeit und Ruhe haben, wer­den wir merken, wie Gott mit uns spricht, wenn wir in der Bibel lesen oder wenn in der Stille das Wort eines Freundes/einer Fre­undin plöt­zlich eine ganz neue Dimen­sion erhält. Wir wer­den merken, dass Gott mit uns redet, wenn bib­lis­che Geschicht­en sich direkt in unsere Erfahrun­gen und Gedanken ein­mis­chen. Ausser­dem wer­den wir immer wieder erfahren und zu akzep­tieren ler­nen müssen, dass Gottes Reden unser Leben verän­dert. Denn soviel ist sich­er: Gott spricht nicht, um unser Leben so lassen, wie es ist. Son­dern er will es verän­dern, verbessern, so dass es ihm dienen und uns gefall­en kann.

Eine Bedi­enungsan­leitung zum Hören und Erken­nen von Gottes Stimme gibt es nicht. Rezepte gibt es nicht. Man kann aber Erfahrun­gen aus­tauschen und sich darin üben, auf Gott zu hören. – Das Entschei­dende wird immer wieder sein, ganz aufmerk­sam hinzuhören, den Hör­er nicht gle­ich wieder aufzule­gen, wenn wir (noch?) nichts zu hören meinen. Oder anders gesagt: Es wird immer wieder wichtig sein, zu beten: “Rede, Herr, Dein Knecht bzw. deine Magd hört!  Amen

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