Predigt am 12.05.2024 in der EMK Adliswil
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„In jener Zeit kam es nur noch selten vor, dass der Herr zu einem Menschen sprach und ihm etwas offenbarte.“ So stellt das 1. Samuelbuch fest: Gott zog sich zurück. Er schwieg. Und vielen fiel das nicht einmal auf. Sie wussten nichts mehr davon, wie wichtig Gottes Reden für das Gelingen ihres Lebens gewesen wäre.
Und heute? Wir hören viele Stimmen. Auch viele laute und gewaltige Stimmen. Und Gottes Stimme? Er scheint oft zu schweigen. Oder seine Stimme wird übertönt, weil er leise redet. Dabei wäre es doch so wichtig, dass Gott gehört wird! Auf ihn selbst, nicht auf sein Bodenpersonal. Müsste er uns nicht den Weg weisen können zu einem besseren Mit- und Füreinander? Hätte er nicht sehr viel zu sagen zu Krisen und Konflikten, zu Katastrophen und zum Siegeszug des Egoismus? Doch Gottes Stimme ist kaum zu hören. Auch in Kirchen und Gemeinden ist es seltener, als wir uns wünschen. – So kommt es, dass unter Christen immer wieder ‚‘hörendes Gebet‘ gefordert, propagiert und gefördert wird. Es sei wichtig, mehr, intensiver, engagierter auf Gott zu hören.
Das sehe ich auch so. Auf Gott hören ist wichtig und kommt oft zu kurz. Dennoch habe ich auch meine Fragen, wenn ‚hörendes Gebet‘ oder ein bestimmtes Vorgehen beim ‚hörenden Gebet‘ zur Methode erhoben wird. Es klingt mir zu einfach, zu sehr nach Rezept. Schliesslich kann niemand mit Zuhören Gott zum Reden zwingen. Und wenn er schweigt, sagt auch das etwas.
Wie wäre das, Gottes Stimme einmal ganz klar, unverfälscht, eindeutig zu hören? Dann müssten wir doch wissen, woran wir sind und was genau jetzt dran ist.
Stimmt das? Oder ist es nur ein frommer Wunsch? Sind nicht unsere Erfahrungen mit Gottes Stimme – wenn wir denn solche machen – mehrdeutig? Damit sind sie immer hinterfragbar. Ich meine Erfahrungen wie: Beim Lesen in der Bibel oder beim Hören einer Predigt springt uns ein Wort oder ein Satz an. Oder wir beten zusammen und erleben uns als geborgen und getragen. Oder in unseren Gedanken drängt sich uns ein Mensch oder eine Aufgabe auf. Wir werden das nicht mehr los, bis wir uns darum gekümmert haben. Oder ein Traum lässt eine Situation in ganz neuem Licht erscheinen. – Solche Erfahrungen lassen zwar etwas vom Reden Gottes zu uns ahnen. Aber können wir so davon erzählen, dass wir sagen: ‚Gott hat zu mir gesprochen!‘? — Wohl eher nicht. Eine klare Stimme haben wir ja doch nicht gehört. Selbst wenn wir im Nachhinein überzeugt sind, Gott gehört zu haben. Beweisen lässt sich das nicht.
Und wenn sich der Beweis führen liesse: Was wäre damit gewonnen? — Ein Beispiel: Kurz bevor Pia ihren Arm brach, habe ich auf ihr Handgelenk geschaut und fand es sehr dünn und zerbrechlich. Und fragte: War Dein Arm schon immer so dünn? – Seltsam, oder! War das eine Vorahnung? Kam sie von Gott? Wer weiss! Da ich damit nichts anfangen konnte, spielt es aber wohl keine grosse Rolle.
Wie kann man auf Gottes Stimme hören lernen? Was hilft uns dabei? – Wir wollen ja nicht die Stimme anderer Menschen oder die Stimme der eigenen Wünsche mit der Stimme Gottes verwechseln.
Vielleicht kann uns ein Mann helfen, der seiner Zeit als Gottes Sprachrohr galt: Der Seher und Prophet Samuel. Er war noch ein Knabe, als er die Stimme Gottes erstmals hörte. Das war vor ca. 3’000 Jahren. Samuel war Tempeldiener am alten Heiligtum in Silo. Es heisst, dass er bei Gott und den Menschen sehr beliebt war. Eines Tages, besser gesagt: eines Nachts sprach Gott Samuel direkt an. Samuel war in dieser Nacht allein mit dem alten und beinahe erblindeten Priester Eli in Silo. Frühmorgens vor Anbruch der Dämmerung brannte im Heiligtum noch die sogenannte Lampe Gottes (siebenarmiger Leuchter; vgl. Ex 27.20f; Lev 24,1ff).
Der siebenarmige Leuchter wurde jeweils abends mit soviel Öl gefüllt, dass es bis zum Morgen reichte. Sein Licht sollte daran erinnern, dass Gott nicht schläft und auch zum Ausdruck bringen, dass der Gottesdienst der Menschen durch die Nacht keine Unterbrechung erfährt. Im Raum, der neben dem Leuchter auch noch die Bundeslade (ein zweites starkes Symbol für Gottes Gegenwart) beherbergte, schlief der Knabe Samuel. Der Priester Eli ruhte in einem Nebenraum. Hören Sie, wie 1. Sam 3 erzählt: 1. Samuel 3,1–11a .
Vor sehr langer Zeit ist das passiert. Und doch gibt es, wie schon angedeutet, eine Parallele zu unserer Zeit. Auch heute ist die Erfahrung: „Zu dieser Zeit kam es nur noch selten vor, dass der Herr ein Wort mitteilte. Weit und breit gab es auch keine Vision mehr.“ — Wie oft kommt denn Gott in unserer Zeit überhaupt zu Wort? Und wird nicht, was er zu sagen hat, immer wieder überflutet? Wortschwälle, ja ‑lawinen von allen Seiten. Unzählige Verlautbarungen, Statements und Äusserungen, die alle weltbewegend sein wollen. Jeder und jede haben so viel zu sagen, zu erzählen, zu behaupten. Von den Belanglosigkeiten haben wir dann noch gar nicht geredet. Was da alles gesagt, geschrieben, gepostet wird. So viel gut und manchmal auch weniger gut Gemeintes ist im Umlauf. Sogar in Kirchen und Gemeinden: Eine wahre Flut von guten Ideen, schönen Gedanken und frommen Worten verdeckt oft mehr von Gottes Wort als sie offenbart.
Ja, wenn es uns gut geht und wir in Fahrt kommen, dann reden wir drauflos. Wir reden von unseren Ideen, haben ‘Eindrücke’ und ‘Eingebungen’, wagen vielleicht sogar von ‘Visionen’ zu reden .… Manchmal denke ich, dass wir zu wenig Hemmungen haben, grosse Worte in den Mund zu nehmen. Das kann zu einer Inflation, einer Entwertung der Worte führen. Die macht nicht einmal vor der Sprache des Glaubens halt. Und so wird es für das ursprüngliche, authentische Wort Gottes bisweilen schwer, sich Gehör zu verschaffen. Gut möglich, dass wir viel Wesentliches verpassen, das Gott uns sagen möchte.
Das ist nicht nur ein Problem unserer Zeit. Sondern es liegt irgendwie in der Natur des Menschen, dass seine Antenne für Gottes Wort verkümmern kann. Samuel hörte damals zwar Gottes Stimme sofort. Aber er konnte sie nicht einordnen. Erkannte sie nicht als das, was es war. Dabei war er zu diesem Zeitpunkt schon etliche Jahre Tempeldiener in Silo, dem wichtigsten Tempel damals. Seine Mutter hatte ihn schon ganz früh dorthin gebracht, zum Dank dafür, dass Gott ihr überhaupt ein Kind geschenkt hatte. So lebte der kleine Samuel eigentlich seit je im Tempel. Er wusste Bescheid, kannte jeden Brauch und alle Gebete. Selbst die grössten Dinge und Ideen war ihm vertraut. Er hatte sich an Gottes Nähe gewöhnt — so sehr, dass er seine Stimme nicht erkannte, als sie ihn eines morgens anders als sonst — ganz direkt nämlich — ansprach.
Selbst Samuel konnte es also passieren, dass er Gottes Stimme nicht erkannte. Das tröstet mich ein wenig, wenn ich selber mal wieder einfach nicht darauf komme, was Gott mir als nächstes sagen möchte. Und es zeigt mir ausserdem: Bei Gott darf/muss man auf Überraschungen gefasst sein. Er spricht uns an, wann, wo und wie er es will. Vielleicht dort, wo wir darauf warten, z.B. im Gottesdienst, in der Stillen Zeit oder im Gebet. Vielleicht aber auch ganz überraschend, an einem Ort und zu einem Zeitpunkt, da wir nicht mit ihm gerechnet hätten.
Gott hat später noch oft zu Samuel gesprochen. Es wurde sein Beruf, auf Gott zu hören und in seinem Namen zu reden. Samuel hat viel mit ihm erfahren. Und ich bin sicher, er hat im Laufe seines Lebens verstanden, warum er damals beim ersten Mal Gottes Stimme nicht erkannte. Am liebsten würde ich Samuel selbst jetzt reden lassen. Ich stelle mir vor, wie er als alter Mann auf sein Leben zurückblickt und von seinen Erfahrungen als Sprachrohr Gottes erzählt.
Wenn wir ihn heute hier haben könnten, so stelle ich mir vor, würde Samuel zunächst betonen, dass Gottes Stimme tatsächlich selten zu hören sei. Gottes Wort ist ein seltenes, und deshalb umso wertvolleres Ereignis. Nicht jeder gute Gedanke und lange nicht jede fromme Phantasie ist gleich eine Offenbarung Gottes. Darum gilt es gründlich zu prüfen, was wir hören, sehen oder fühlen. Das soll keine Aufforderung zum Unglauben sein. Aber es wäre gefährlich, das Denken auszuschalten, sobald jemand vorgibt, im Namen Gottes zu reden. Nicht immer steckt Gott dahinter, wenn mit grossem Pathos schöne und fromme Worte gemacht werden. Ich werde den Eindruck nicht los, dass gerade in freikirchlichen Kreisen manchmal leichtfertig von Visionen und Eindrücken geredet wird. Da wäre manchmal mehr Demut angeraten. Wenn wir so genau sagen und zu wissen glauben, was Gott will.
Der Seher Samuel würde uns zu Respekt im Umgang mit Gottes Offenbarung und im Zitieren von Gottes Stimme raten. Er würde uns zu ehrlichen Formulierungen einladen — dass wir nicht zu wissen vorgeben, was wir doch höchstens ahnen. Er würde uns mahnen, keine Antworten zu geben wo wir selbst noch danach suchen.. Das — glaube ich — würde Samuel uns gründlich hinter die Ohren schreiben, dass Respekt und Demut wichtige Tugenden sind im Umgang mit dem Wort Gottes.
Doch nach dieser Warnung würde er umso mehr einladen, sich anzustrengen und auf Gottes Stimme zu horchen. Denn dass Gott etwas zu sagen hat, auch heute, dass weiss keiner besser als er, der ein Leben lang Gottes Sprachrohr für das Volk Israel war.
Bei allem Respekt ist es andererseits wichtig, immer und überall damit zu rechnen, dass Gott uns anspricht. Schliesslich hatte Samuel selbst als Kind Gottes Stimme nicht erkannt. Er hatte halt nicht erwartet, direkt angesprochen zu werden. Weil Gott doch sonst immer zu den Priestern und den Propheten sprach. Demnach hätte er Eli ansprechen müssen und nicht den jungen Tempeldiener. Doch Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken. Diese Lektion hat Samuel damals gelernt. Es ist mir, als hörte ich ihn sagen: ‘Gott hält sich nicht an Dienstwege und Hierarchien. Er spricht, wann er will, zu wem er will und wie immer er will.‘
Wer Gottes Stimme hören will, muss auf allerhand gefasst sein. Das zeigt ein kurzer Blick auf die Bibel: Bileam hörte Gott durch seinen Esel reden (4.Mose 22, 28) und Elia nahm ihn erst war, als es ganz still und leise wurde (1.Kö 19,12f). Jesu Jünger vernahmen Gottes Stimme einmal in einem Donnerschlag (Jh 12,29) und zu Paulus redete er u.a. durch einen Traum (Apg 16,9f). Wie auch immer, Hauptsache ist, dass der Mensch auf Empfang geschaltet hat: Das hat Samuel von dem alten Eli gelernt. Er solle sagen: ‘Rede Herr, dein Knecht hört!‘
Man muss auf Empfang schalten, sozusagen den Hörer abheben, damit Gott weiterspricht. Denn Gott spricht nicht weiter, wenn keiner antwortet. Nur wo er offene Ohren und Herzen findet, nur da sagt er, was er zu sagen hat. Man muss Gott also hören wollen, sonst bleibt er stumm. Man muss auf Empfang schalten … Und dazu sind in unserer Welt besonders rare Güter nötig, nämlich Ruhe und Zeit. Es kann zu lärmig sein und man kann zu beschäftigt sein, um Gott zu vernehmen. Erst wenn man sich ganz auf ihn konzentriert, beginnt Gott zu reden…
… und dann, fährt Samuel fort, dann passiert etwas. Wo Gott Menschen direkt anspricht, da passiert etwas Einschneidendes. Das ist vielleicht das sicherste Erkennungszeichen von Gottes Wort. Wenn Gott spricht, dann kommt Bewegung in eine Situation, dann kann nicht mehr alles bleiben, wie es vorher war. Gottes Stimme bringt einen auf Trab. Man muss gewohnte Bahnen verlassen und Abschied nehmen von guten Gewohnheiten und ausgetretenen Pfaden. Wenn Gott redet, dann beschränkt er sich nicht auf schöne Worte und fromme Belanglosigkeiten. Er stellt den Bezug zu unserem tagtäglichen Leben her, das sich ändern (erneuern) soll. Gott beansprucht uns. Gottes Stimme ruft uns in den Dienst für sein Reich. Wenn wir sie nicht hören, könnte es vielleicht auch daran liegen, dass wir zu bequem sind, uns beanspruchen zu lassen, dass wir lieber sitzen bleiben als uns auf Trab bringen lassen … Vielleicht gleichen wir manchmal dem Kind, dass sich bei der Mutter für sein Wegbleiben entschuldigt, weil es sie erst beim dritten Mal haben rufen hören.
Wie klingt Gottes Stimme? Woran ist sie zu erkennen? So lautete die Ausgangsfrage. Von Samuel können wir lernen, dass zunächst wichtig ist, dass wir auf Empfang schalten, d.h. uns Freiraum schaffen, in dem wir uns ganz auf Gott konzentrieren können. Und auch wenn es ein seltenes Ereignis ist, dass Gott hörbar zu einem Menschen spricht. Wo wir Zeit und Ruhe haben, werden wir merken, wie Gott mit uns spricht, wenn wir in der Bibel lesen oder wenn in der Stille das Wort eines Freundes/einer Freundin plötzlich eine ganz neue Dimension erhält. Wir werden merken, dass Gott mit uns redet, wenn biblische Geschichten sich direkt in unsere Erfahrungen und Gedanken einmischen. Ausserdem werden wir immer wieder erfahren und zu akzeptieren lernen müssen, dass Gottes Reden unser Leben verändert. Denn soviel ist sicher: Gott spricht nicht, um unser Leben so lassen, wie es ist. Sondern er will es verändern, verbessern, so dass es ihm dienen und uns gefallen kann.
Eine Bedienungsanleitung zum Hören und Erkennen von Gottes Stimme gibt es nicht. Rezepte gibt es nicht. Man kann aber Erfahrungen austauschen und sich darin üben, auf Gott zu hören. – Das Entscheidende wird immer wieder sein, ganz aufmerksam hinzuhören, den Hörer nicht gleich wieder aufzulegen, wenn wir (noch?) nichts zu hören meinen. Oder anders gesagt: Es wird immer wieder wichtig sein, zu beten: “Rede, Herr, Dein Knecht bzw. deine Magd hört! Amen