Predigt am 19.05.2024 (Pfingsten) in der EMK Adliswil
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Liebe Gemeinde,
Anders, als geplant! – Die Geschichte von Jesus verlief nie so, wie sie Menschen geplant hätten: Der Retter als armes Kind in einer Krippe statt als König im Triumphzug. Der erwartete Messias kein Kriegsheld, sondern ein Wanderprediger. Überwindung von Schuld und Not durch Leiden…. Es war und lief alles anders, als es die Hüter von Tradition und Glaube erwartet, geplant hatten. Und so ging es weiter: Der Tod nur als Durchgangsstation. Die Auferstehung. Und dann Pfingsten. Auch dieser Tag war ganz anders als geplant …
Das Pfingstgeschehen ist nicht planbar. Was in Jerusalem geschah, liess sich damals nicht und lässt sich heute nicht managen. Man kann nur offen sein für das Wehen des Geistes. Und mutig zuzulassen versuchen, was dann geschieht. Sich bewusst bleiben, dass die Kraft des Geistes weht, wann und wo sie will. – Für alle Aktivitäten und Planungen in Kirchen und Gemeinden gilt: Es ist wichtig, Nachzudenken, Prozesse zu planen, Strategien zu entwickeln, zu beten. Dennoch ist eine ‘Erweckung’ weder plan- noch womöglich gar machbar. Der entscheidende Faktor bleibt das Wirken und Wehen des Geistes Gottes. Dazu muss kommen: Dass Menschen sich dafür öffnen.
Wenn beides zusammenkommt, für Gott offene Herzen von Menschen und das Wehen seines Geistes … , dann werden Dinge möglich, die man kaum zu träumen gewagt hätte. Das zeigt die Pfingstgeschichte. Man stelle sich das vor: Alle verstehen einander – trotz unterschiedlichster Muttersprachen. Von den Kulturen gar nicht erst zu reden. Das ist, wie GC- und FCZ-Fans zusammen feiern statt einander zu jagen. Wie wenn Hauseigentümer und Mieter zusammen ein Fest machen. Wie wenn alle ChristInnen zusammen Abendmahl feiern …
Gottes Geist bewirkt, dass alle zusammen «die grossen Taten Gottes verkünden.» Dass ist der Inhalt dieses Geschehens. Wenn das kein Wunder ist! Erstaunlich ist darüber hinaus: Dass überhaupt VerkündigerInnen da waren. Dass es Menschen gab, die sich so kurz nach der Kreuzigung als Anhänger Jesu von Nazareth outeten. Bisher hatten sich die JüngerInnen ja versteckt, um nicht selbst in Gefahr zu geraten. Petrus, der Hauptredner an Pfingsten, hatte noch vor wenigen Wochen öffentlich bestritten, ein Anhänger des Mannes aus Nazareth zu sein … Jetzt aber steht dieser Petrus, offenbar ganz erneuert, vor einer grossen Menschenmenge. Er outet sich als Jünger des Nazareners, der als Verbrecher gekreuzigt wurde. Petrus bezeugt: Jesus sei nicht im Grab geblieben, sondern habe den Tod überwunden und lebe. Er sei der Christus. Er habe die Vollmacht von Gott, aus Schuld und Tod zu retten. Das ist das Pfingstzeugnis des Petrus: An Christus zu glauben, öffnet die Tür zu Gott und zum wahren Leben.
Petrus hatte sich seit Karfreitag mit seinen FreundInnen versteckt gehalten. An Pfingsten steht er als ganz neuer Mensch da. Alle Angst, sein Zögern, alle Wenn und Aber sind wie weggewischt! Er hat nur noch ein Ziel: Von Jesus Christus erzählen, zum Glauben an ihn führen — koste es, was es wolle.
An dieser Geschichte ist gar nichts normal. Wenn es ‘normal’ gegangen wäre, dann hätten sich Petrus und seine Freunde an diesem Pfingstsonntag in einem Haus getroffen. An vielen Tagen später auch. Sie hätten Gemeinschaft gepflegt und Erinnerungen an die aufregende Zeit mit Jesus ausgetauscht. Sie hätten sorgfältig das Andenken Jesu zu bewahren versucht. Sie hätten miteinander gesungen und gebetet. Vermutlich hätte sie auch zusammen gegessen. Doch passiert wäre nichts Besonderes. Es wäre gewesen wie so oft, wenn ChristInnen sich treffen. Irgendwann wären sie wieder heimgegangen, getröstet durch die Gemeinschaft. Zugleich wäre etwas Wehmut aufgekommen, weil die aufregenden Zeiten nur noch Erinnerungen waren. Die tollen Erfahrungen wären von Sonntag zu Sonntag etwas blasser geworden. So wäre es vielleicht gekommen am Pfingsttag, wenn es ’normal’ gegangen wäre. So sonntäglich. So kirchlich. So gewöhnlich.
Nichts wäre los gewesen, aber das hätte auch keinen gestört. Schliesslich stört Menschen oft eher die Bewegung, die Veränderung, das Neue. Es gefällt nicht allen, wenn die Post abgeht. Lieber bleibt man doch in der Komfortzone. Schliesslich: wenn der Sturm etwas losreisst oder wenn das Feuer etwas anzündet, dann könnte es ungemütlich werden.
Doch es lief eben nicht normal am ersten christlichen Pfingsten. Die Sicherungen brannten durch. Gottes Geist brach sich Bahn. Und dann gab es kein Halten mehr. Schliesslich musste die ganze Menschheit mit Gott versöhnt werden. Damit muss man einmal anfangen. Und so stellten sie sich ins Rampenlicht — unvorbereitet. Und sie fingen an zu erzählen: vom auferstandenen Christus; von seiner Liebe; von seiner Befreiung; von der Kraft, die ihnen aus dem Glauben an ihn zuströmte.… Das blieb nicht ohne Wirkung: Ihr Erzählen steckte Menschen an. Viele kamen zum Glauben und liessen sich mitreissen von der Bewegung des Geistes.
Irgendwie schon erstaunlich, dass Pfingsten ein christlicher Feiertag geworden ist. Die Kirchen wurden im Lauf der Jahrhunderte so oft zum Bollwerk der Tradition gegen Veränderung und Erneuerung geworden sind. Und doch feiern ausgerechnet sie, dass der Heilige Geist alles auf den Kopf stellt. Wir, die wir uns so gern ans Bewährte halten, machen ein Fest, weil die Dinge nicht so bleiben können wie sie sind… Das wundert mich manchmal.
Es stimmt mich aber auch dankbar und hoffnungsvoll, dass die Kirchen Pfingsten feiern. Denn solange wir dieses Fest feiern, geht nicht vergessen, dass Gott und nicht der Mensch die Richtung bestimmt. Pfingsten steht dafür, dass Gott unsere besten Pläne und Gedanken durchkreuzt. Dass er sich nicht in unsere Vorstellungen und Systeme einfassen (und womöglich einfangen) lässt. Der Heilige Geist bewahrt und bremst nicht, sondern er bringt in Bewegung. Er ver-rückt die Verhältnisse und wenn er damit anfängt, dann ist etwas los. Pfingsten heisst: Jetzt geht’s los! Jetzt weht ein frischer Wind. Jetzt fängt die Veränderung an.
Und dann stelle ich mir vor, dass jede Gebetsstunde (als Gebetsstunde fing Pfingsten nämlich an) und jeder Gottesdienst so aufhört. Das letzte Lied oder das Ausgangsspiel ist kein Abschluss, sondern ein Doppelpunkt in unserem Leben, der bedeutet: “Jetzt geht’s los!” oder auch: “Jetzt geht es weiter!” Gottes Geist, der da ist, wenn wir miteinander singen und beten und feiern, bringt uns in Bewegung. Stellen Sie sich vor, was sich damit ändert, zuerst bei uns selbst: Wir kommen aus dem Gottesdienst und machen nicht mehr alles so, wie es schon immer war. Neue Ideen wagen wir nicht nur zu denken, sondern auch auszusprechen. Und es wächst uns der Mut zu, das Neue auszuprobieren. Im Vertrauen auf die Kraft Gottes setzen wir uns selbst aufs Spiel und riskieren es, das der eine oder andere Beobachter zu spotten beginnt, uns für verrückt oder betrunken erklärt und sich abwendet.
Ganz falsch würden BeobachterInnen damit nicht gar nicht liegen. Vom Geist Gottes bewegte Menschen sind so anders, dass sie tatsächlich ver-rückt wirken können. Sie sind ganz ver-rückt vor Liebe zu Gott und den Menschen. Sie reden nicht nur stundenlang über das Wetter. Sie verstärken nicht das Lamento über ‘die da oben’ und nicht ins weit verbreitete Nörgeln über alles und jedes einstimmen. Sondern sie erzählen, wie sie Christus und seinen Geist erleben. Sie bezeugen, dass und wie er das Leben verändern, erneuern, verbessern kann. Sie beschreiben die Bewegung, die Gottes Geist auslöst. Und sie sind so ‘ver-rückt’, andere einzuladen zum Mitmachen. Sie bringen Menschen dazu, in den Zug einzusteigen, der an Pfingsten in Jerusalem losgefahren ist. So könnten vom Geist bewegte Menschen sein.
Wenn wir das voll und ganz ausleben könnten … stellen Sie sich einmal vor, was sich alles zu verändern begänne: bei uns selbst; bei unseren Mitmenschen, in unserer Stadt, in unserem Land, ja auf der ganzen Welt. Es würden Menschen gepackt, ergriffen von Christus. Gottes Liebe bewegte sie. Die Verhältnisse würden sie zu verändern beginnen, grundlegend, von der Wurzel her. Selbst Dinge, die noch gar nie hinterfragt wurden, könnten in Bewegung geraten. Die Bewegung des Geistes, der Liebe würde immer weitere Kreise ziehen. Die Erinnerung an Jesus von Nazareth würde die Kraft des Geistes wecken und die Wahrheit verbreiten. Gottes Verheissungen würden sich verwirklichen und das Resultat wäre: Menschen jubeln und singen und feiern und lachen — gerade die Menschen, die sonst nichts zu feiern und zu jubeln und zu lachen haben. Menschen, die litten unter dem Eindruck, von Gott und/oder vom Glück vergessen zu sein, lebten auf und schöpften neue Hoffnung.
Ich habe mir lange überlegt, ob ich die letzten Sätze im Indikativ oder im Konjunktiv formulieren soll. Ich habe mich schliesslich für Letzteres, für die ‘würde-Form’ entschieden. Es könnte nach Bluff klingen, wenn ich z.B. sagen würde: Weil wir uns von Gottes Geist bewegen lassen, verändern sich die Menschen um uns herum, wird unser Tal erneuert. Ausserdem möchte ich vermeiden, dass der Eindruck entsteht, als wären wir schon am Ziel und könnten Pfingsten bereits abhaken. Dem ist nicht so. Der Heilige Geist hat bei uns noch nicht den Wirkungsgrad, den er am ersten Pfingstfest hatte.
Doch das andere darf auch gesagt werden: Ein guter Anfang ist ganz bestimmt gemacht. Es gibt Offenheit für das Wirken des Geistes und von ihm initiierte Bewegung bei uns. Wir üben uns darin, den Glauben konkret und verantwortlich zu leben. Wir bemühen uns, das Gebet zu beleben. Wir wagen Neues, z.B. mit ‘Zäme am Tisch’. In Adliswil kennt man, auch dank der guten Ökumene, die Methodisten…
Ein Anfang ist gewiss gemacht. Aber es darf weitergehen. Lassen wir uns weiter vom Geist Christi bewegen lassen, die “grossen Taten Gottes bekannt zu machen”. Ich bin überzeugt: Es wird noch viel mehr in gute Bewegung kommen. Wenn wir uns nicht zurücklehnen, sondern dran bleiben, neue Ideen entwickeln und umsetzen und mit noch mehr Leuten reden und sie einladen. Wir sind (immer wieder) erst am Anfang. Ich bin gespannt, was noch alles kommen wird und womit uns Gott noch überraschen wird. Denn das ist sicher: Wir werden noch einiges zu Staunen haben, wenn wir die Bewegung des Geistes aufnehmen. – Wichtig dabei wird sein, dass wir in gewissem Sinne jeden Sonntag ein wenig Pfingsten feiern. Dass wir uns Woche für Woche neu motivieren lassen, unsere Mitmenschen für Christus zu begeistern.
Natürlich darf, ja muss man realistisch bleiben dabei. Wenn wir uns vom Geist Gottes bewegen lassen, bricht nicht gleich das Paradies auf Erden aus. Die Welt bleibt auch am Tag nach Pfingsten gefährdet. Und doch: Wenn einmal einer, der eigentlich nichts zu lachen hat, von Herzen lacht, dann bleibt die Welt vielleicht noch die alte. Aber der Geist dieser Welt hat eine Niederlage erlitten. Und genau das ist passiert, zum ersten Mal damals in Jerusalem und immer mal wieder seither. Deshalb ist Pfingsten wirklich ein Festtag, weil der Geist dieser Welt dem Geist Gottes weichen muss. Genau das wird hoffentlich wieder und wieder geschehen, hier, mitten unter uns.
Darum: Nicht nur heute, sondern jeden Sonntag soll ein wenig Pfingsten sein. Machen wir weiter, treu und mit der Phantasie des Geistes, horchend auf Christus und mit der Bitte, dass wir bewahrt werden vor Stürmen und Feuer, die alles Leben zerstören. Vor allem aber seien wir darauf gefasst (und freuen wir uns darauf), dass das Wehen des Geistes stärker wird. Es wird nicht nur uns, sondern die Stadt, unser Tal und die ganze Welt festmachen in der Hoffnung, dass sie — selbst wenn sie untergehen — in Gott das (ewige) Leben haben. Amen