Anders als geplant

Apos­telgeschichte 2,1–18

Predigt am 19.05.2024 (Pfin­g­sten) in der EMK Adliswil

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Liebe Gemeinde,

Anders, als geplant! – Die Geschichte von Jesus ver­lief nie so, wie sie Men­schen geplant hät­ten: Der Ret­ter als armes Kind in ein­er Krippe statt als König im Tri­umphzug. Der erwartete Mes­sias kein Kriegsheld, son­dern ein Wan­der­predi­ger. Über­win­dung von Schuld und Not durch Lei­den…. Es war und lief alles anders, als es die Hüter von Tra­di­tion und Glaube erwartet, geplant hat­ten. Und so ging es weit­er: Der Tod nur als Durch­gangssta­tion. Die Aufer­ste­hung. Und dann Pfin­g­sten. Auch dieser Tag war ganz anders als geplant …

Das Pfin­gst­geschehen ist nicht plan­bar. Was in Jerusalem geschah, liess sich damals nicht und lässt sich heute nicht man­a­gen. Man kann nur offen sein für das Wehen des Geistes. Und mutig zuzu­lassen ver­suchen, was dann geschieht. Sich bewusst bleiben, dass die Kraft des Geistes weht, wann und wo sie will. – Für alle Aktiv­itäten und Pla­nun­gen in Kirchen und Gemein­den gilt: Es ist wichtig, Nachzu­denken, Prozesse zu pla­nen, Strate­gien zu entwick­eln, zu beten. Den­noch ist eine ‘Erweck­ung’ wed­er plan- noch wom­öglich gar mach­bar. Der entschei­dende Fak­tor bleibt das Wirken und Wehen des Geistes Gottes. Dazu muss kom­men: Dass Men­schen sich dafür öff­nen.
Wenn bei­des zusam­menkommt, für Gott offene Herzen von Men­schen und das Wehen seines Geistes … , dann wer­den Dinge möglich, die man kaum zu träu­men gewagt hätte. Das zeigt die Pfin­gst­geschichte. Man stelle sich das vor: Alle ver­ste­hen einan­der – trotz unter­schiedlich­ster Mut­ter­sprachen. Von den Kul­turen gar nicht erst zu reden. Das ist, wie GC- und FCZ-Fans zusam­men feiern statt einan­der zu jagen. Wie wenn Hau­seigen­tümer und Mieter zusam­men ein Fest machen. Wie wenn alle ChristIn­nen zusam­men Abendmahl feiern …
Gottes Geist bewirkt, dass alle zusam­men «die grossen Tat­en Gottes verkün­den.» Dass ist der Inhalt dieses Geschehens. Wenn das kein Wun­der ist! Erstaunlich ist darüber hin­aus: Dass über­haupt Verkündi­gerIn­nen da waren. Dass es Men­schen gab, die sich so kurz nach der Kreuzi­gung als Anhänger Jesu von Nazareth out­eten. Bish­er hat­ten sich die Jün­gerIn­nen ja ver­steckt, um nicht selb­st in Gefahr zu ger­at­en. Petrus, der Haup­tred­ner an Pfin­g­sten, hat­te noch vor weni­gen Wochen öffentlich bestrit­ten, ein Anhänger des Mannes aus Nazareth zu sein … Jet­zt aber ste­ht dieser Petrus, offen­bar ganz erneuert, vor ein­er grossen Men­schen­menge. Er out­et sich als Jünger des Nazaren­ers, der als Ver­brech­er gekreuzigt wurde. Petrus bezeugt: Jesus sei nicht im Grab geblieben, son­dern habe den Tod über­wun­den und lebe. Er sei der Chris­tus. Er habe die Voll­macht von Gott, aus Schuld und Tod zu ret­ten. Das ist das Pfin­gstzeug­nis des Petrus: An Chris­tus zu glauben, öffnet die Tür zu Gott und zum wahren Leben.
Petrus hat­te sich seit Kar­fre­itag mit seinen Fre­undIn­nen ver­steckt gehal­ten. An Pfin­g­sten ste­ht er als ganz neuer Men­sch da. Alle Angst, sein Zögern, alle Wenn und Aber sind wie weggewis­cht! Er hat nur noch ein Ziel: Von Jesus Chris­tus erzählen, zum Glauben an ihn führen — koste es, was es wolle.

An dieser Geschichte ist gar nichts nor­mal. Wenn es ‘nor­mal’ gegan­gen wäre, dann hät­ten sich Petrus und seine Fre­unde an diesem Pfin­gst­son­ntag in einem Haus getrof­fen. An vie­len Tagen später auch. Sie hät­ten Gemein­schaft gepflegt und Erin­nerun­gen an die aufre­gende Zeit mit Jesus aus­ge­tauscht. Sie hät­ten sorgfältig das Andenken Jesu zu bewahren ver­sucht. Sie hät­ten miteinan­der gesun­gen und gebetet. Ver­mut­lich hätte sie auch zusam­men gegessen. Doch passiert wäre nichts Beson­deres. Es wäre gewe­sen wie so oft, wenn ChristIn­nen sich tre­f­fen. Irgend­wann wären sie wieder heimge­gan­gen, getröstet durch die Gemein­schaft. Zugle­ich wäre etwas Wehmut aufgekom­men, weil die aufre­gen­den Zeit­en nur noch Erin­nerun­gen waren. Die tollen Erfahrun­gen wären von Son­ntag zu Son­ntag etwas blass­er gewor­den. So wäre es vielle­icht gekom­men am Pfin­gst­tag, wenn es ’nor­mal’ gegan­gen wäre. So son­ntäglich. So kirch­lich. So gewöhn­lich.
Nichts wäre los gewe­sen, aber das hätte auch keinen gestört. Schliesslich stört Men­schen oft eher die Bewe­gung, die Verän­derung, das Neue. Es gefällt nicht allen, wenn die Post abge­ht. Lieber bleibt man doch in der Kom­fort­zone. Schliesslich: wenn der Sturm etwas los­reisst oder wenn das Feuer etwas anzün­det, dann kön­nte es ungemütlich werden.

Doch es lief eben nicht nor­mal am ersten christlichen Pfin­g­sten. Die Sicherun­gen bran­nten durch. Gottes Geist brach sich Bahn. Und dann gab es kein Hal­ten mehr. Schliesslich musste die ganze Men­schheit mit Gott ver­söh­nt wer­den. Damit muss man ein­mal anfan­gen. Und so stell­ten sie sich ins Ram­p­en­licht — unvor­bere­it­et. Und sie fin­gen an zu erzählen: vom aufer­stande­nen Chris­tus; von sein­er Liebe; von sein­er Befreiung; von der Kraft, die ihnen aus dem Glauben an ihn zus­trömte.… Das blieb nicht ohne Wirkung: Ihr Erzählen steck­te Men­schen an. Viele kamen zum Glauben und liessen sich mitreis­sen von der Bewe­gung des Geistes.

Irgend­wie schon erstaunlich, dass Pfin­g­sten ein christlich­er Feiertag gewor­den ist. Die Kirchen wur­den im Lauf der Jahrhun­derte so oft zum Boll­w­erk der Tra­di­tion gegen Verän­derung und Erneuerung gewor­den sind. Und doch feiern aus­gerech­net sie, dass der Heilige Geist alles auf den Kopf stellt. Wir, die wir uns so gern ans Bewährte hal­ten, machen ein Fest, weil die Dinge nicht so bleiben kön­nen wie sie sind… Das wun­dert mich manchmal.

Es stimmt mich aber auch dankbar und hoff­nungsvoll, dass die Kirchen Pfin­g­sten feiern. Denn solange wir dieses Fest feiern, geht nicht vergessen, dass Gott und nicht der Men­sch die Rich­tung bes­timmt. Pfin­g­sten ste­ht dafür, dass Gott unsere besten Pläne und Gedanken durchkreuzt. Dass er sich nicht in unsere Vorstel­lun­gen und Sys­teme ein­fassen (und wom­öglich ein­fan­gen) lässt. Der Heilige Geist bewahrt und bremst nicht, son­dern er bringt in Bewe­gung. Er ver-rückt die Ver­hält­nisse und wenn er damit anfängt, dann ist etwas los. Pfin­g­sten heisst: Jet­zt geht’s los! Jet­zt weht ein frisch­er Wind. Jet­zt fängt die Verän­derung an.

Und dann stelle ich mir vor, dass jede Gebetsstunde (als Gebetsstunde fing Pfin­g­sten näm­lich an) und jed­er Gottes­di­enst so aufhört. Das let­zte Lied oder das Aus­gangsspiel ist kein Abschluss, son­dern ein Dop­pelpunkt in unserem Leben, der bedeutet: “Jet­zt geht’s los!” oder auch: “Jet­zt geht es weit­er!” Gottes Geist, der da ist, wenn wir miteinan­der sin­gen und beten und feiern, bringt uns in Bewe­gung. Stellen Sie sich vor, was sich damit ändert, zuerst bei uns selb­st: Wir kom­men aus dem Gottes­di­enst und machen nicht mehr alles so, wie es schon immer war. Neue Ideen wagen wir nicht nur zu denken, son­dern auch auszus­prechen. Und es wächst uns der Mut zu, das Neue auszupro­bieren. Im Ver­trauen auf die Kraft Gottes set­zen wir uns selb­st aufs Spiel und riskieren es, das der eine oder andere Beobachter zu spot­ten begin­nt, uns für ver­rückt oder betrunk­en erk­lärt und sich abwen­det.
Ganz falsch wür­den Beobach­terIn­nen damit nicht gar nicht liegen. Vom Geist Gottes bewegte Men­schen sind so anders, dass sie tat­säch­lich ver-rückt wirken kön­nen. Sie sind ganz ver-rückt vor Liebe zu Gott und den Men­schen. Sie reden nicht nur stun­den­lang über das Wet­ter. Sie ver­stärken nicht das Lamen­to über ‘die da oben’ und nicht ins weit ver­bre­it­ete Nörgeln über alles und jedes ein­stim­men. Son­dern sie erzählen, wie sie Chris­tus und seinen Geist erleben. Sie bezeu­gen, dass und wie er das Leben verän­dern, erneuern, verbessern kann. Sie beschreiben die Bewe­gung, die Gottes Geist aus­löst. Und sie sind so ‘ver-rückt’, andere einzu­laden zum Mit­machen. Sie brin­gen Men­schen dazu, in den Zug einzusteigen, der an Pfin­g­sten in Jerusalem los­ge­fahren ist. So kön­nten vom Geist bewegte Men­schen sein.

Wenn wir das voll und ganz ausleben kön­nten … stellen Sie sich ein­mal vor, was sich alles zu verän­dern begänne: bei uns selb­st; bei unseren Mit­men­schen, in unser­er Stadt, in unserem Land, ja auf der ganzen Welt. Es wür­den Men­schen gepackt, ergrif­f­en von Chris­tus. Gottes Liebe bewegte sie. Die Ver­hält­nisse wür­den sie zu verän­dern begin­nen, grundle­gend, von der Wurzel her. Selb­st Dinge, die noch gar nie hin­ter­fragt wur­den, kön­nten in Bewe­gung ger­at­en. Die Bewe­gung des Geistes, der Liebe würde immer weit­ere Kreise ziehen. Die Erin­nerung an Jesus von Nazareth würde die Kraft des Geistes weck­en und die Wahrheit ver­bre­it­en. Gottes Ver­heis­sun­gen wür­den sich ver­wirk­lichen und das Resul­tat wäre: Men­schen jubeln und sin­gen und feiern und lachen — ger­ade die Men­schen, die son­st nichts zu feiern und zu jubeln und zu lachen haben. Men­schen, die lit­ten unter dem Ein­druck, von Gott und/oder vom Glück vergessen zu sein, lebten auf und schöpften neue Hoffnung.

Ich habe mir lange über­legt, ob ich die let­zten Sätze im Indika­tiv oder im Kon­junk­tiv for­mulieren soll. Ich habe mich schliesslich für Let­zteres, für die ‘würde-Form’ entsch­ieden. Es kön­nte nach Bluff klin­gen, wenn ich z.B. sagen würde: Weil wir uns von Gottes Geist bewe­gen lassen, verän­dern sich die Men­schen um uns herum, wird unser Tal erneuert. Ausser­dem möchte ich ver­mei­den, dass der Ein­druck entste­ht, als wären wir schon am Ziel und kön­nten Pfin­g­sten bere­its abhak­en. Dem ist nicht so. Der Heilige Geist hat bei uns noch nicht den Wirkungs­grad, den er am ersten Pfin­gst­fest hat­te.
Doch das andere darf auch gesagt wer­den: Ein guter Anfang ist ganz bes­timmt gemacht. Es gibt Offen­heit für das Wirken des Geistes und von ihm ini­ti­ierte Bewe­gung bei uns. Wir üben uns darin, den Glauben konkret und ver­ant­wortlich zu leben. Wir bemühen uns, das Gebet zu beleben. Wir wagen Neues, z.B. mit ‘Zäme am Tisch’. In Adliswil ken­nt man, auch dank der guten Ökumene, die Methodis­ten…
Ein Anfang ist gewiss gemacht. Aber es darf weit­erge­hen. Lassen wir uns weit­er vom Geist Christi bewe­gen lassen, die “grossen Tat­en Gottes bekan­nt zu machen”. Ich bin überzeugt: Es wird noch viel mehr in gute Bewe­gung kom­men. Wenn wir uns nicht zurück­lehnen, son­dern dran bleiben, neue Ideen entwick­eln und umset­zen und mit noch mehr Leuten reden und sie ein­laden. Wir sind (immer wieder) erst am Anfang. Ich bin ges­pan­nt, was noch alles kom­men wird und wom­it uns Gott noch über­raschen wird. Denn das ist sich­er: Wir wer­den noch einiges zu Staunen haben, wenn wir die Bewe­gung des Geistes aufnehmen. – Wichtig dabei wird sein, dass wir in gewis­sem Sinne jeden Son­ntag ein wenig Pfin­g­sten feiern. Dass wir uns Woche für Woche neu motivieren lassen, unsere Mit­men­schen für Chris­tus zu begeistern.

Natür­lich darf, ja muss man real­is­tisch bleiben dabei. Wenn wir uns vom Geist Gottes bewe­gen lassen, bricht nicht gle­ich das Paradies auf Erden aus. Die Welt bleibt auch am Tag nach Pfin­g­sten gefährdet. Und doch: Wenn ein­mal ein­er, der eigentlich nichts zu lachen hat, von Herzen lacht, dann bleibt die Welt vielle­icht noch die alte. Aber der Geist dieser Welt hat eine Nieder­lage erlit­ten. Und genau das ist passiert, zum ersten Mal damals in Jerusalem und immer mal wieder sei­ther. Deshalb ist Pfin­g­sten wirk­lich ein Fest­tag, weil der Geist dieser Welt dem Geist Gottes weichen muss. Genau das wird hof­fentlich wieder und wieder geschehen, hier, mit­ten unter uns.
Darum: Nicht nur heute, son­dern jeden Son­ntag soll ein wenig Pfin­g­sten sein. Machen wir weit­er, treu und mit der Phan­tasie des Geistes, horchend auf Chris­tus und mit der Bitte, dass wir bewahrt wer­den vor Stür­men und Feuer, die alles Leben zer­stören. Vor allem aber seien wir darauf gefasst (und freuen wir uns darauf), dass das Wehen des Geistes stärk­er wird. Es wird nicht nur uns, son­dern die Stadt, unser Tal und die ganze Welt fest­machen in der Hoff­nung, dass sie — selb­st wenn sie unterge­hen — in Gott das (ewige) Leben haben. Amen

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