Kraft in der Schwachheit (aus dem Vollen schöpfen III)

Predigt zu 2. Korinther 12,9 in der EMK Adliswil am 23.03.2025

Copy­right Yok­sel Zok on unsplash.com

Liebe Gemeinde,

‚Lass dir an mein­er Gnade genü­gen, denn meine Kraft ist im Schwachen mächtig‘ Paulus hat das geschrieben. Ver­mut­lich con­tre Coeur. Denn auch Paulus wün­schte sich sich­er nicht, schwach zu sein. Das wün­scht sich nie­mand. Nein! Men­schen wollen stark sein, nicht schwach. Sie wollen gewin­nen und nicht knapp am Siegerpodest vor­beis­chram­men. Sie wollen selb­st­bes­timmt und unab­hängig entschei­den kön­nen. Sie wollen den Schwachen helfen. Sie wollen nicht selb­st schwach, hil­fs­bedürftig und abhängig sein. Den­noch ken­nen alle auch Erfahrun­gen und Momente der Schwäche. Ich meine jet­zt nicht die Erschöp­fung, wenn man ein Ziel erre­icht hat. Dann ist man bei aller Müdigkeit auch zufrieden und dankbar. Son­dern ich meine: K.o. sein, wenn man alles gegeben und doch nichts erre­icht hat. Wie sich ein Burnout anfühlt: Die Kraft ist weg. Und sie bleibt weg. Wom­it auch Zuver­sicht, Ideen, Moti­va­tion fehlen. So geht es einem Fuss­baller im Moment, da das Spiel um den Lig­aer­halt ver­loren und der Abstieg unver­mei­d­bar gewor­den ist. Von solch­er Schwäche schreibt Paulus.

Per­sön­lich erlebte ich Schwach­heit in den ver­gan­genen Wochen so: Ich hat­te eine für meine Ver­hält­nisse heftige Erkäl­tung. Sie ging zwar vorüber. Aber die Energie kam nicht zurück. Über­haupt nicht. Ich fühlte mich aus­ge­laugt, tod­müde. Ständig war da der inten­sive Wun­sch, mich in ein­er Ecke zusam­men­zurollen und die Augen zu schliessen. So auch nur einen Tag durchzuste­hen ist ziem­lich anstren­gend. Gott sei Dank ging es dann doch vor­bei. Nach gut zwei Wochen begann die Erschöp­fung nachzu­lassen. Die Schwäche löste sich wieder auf. Jet­zt füh­le ich mich wieder gesund. Und bewun­dere und bedauere umso mehr Men­schen, die z.B. nach Coro­na wochen- monate- oder gar jahre­lang mit ein­er solchen Schwäche zu kämpfen hatten.

Gibt es auch im Glauben solche Erfahrun­gen der Schwäche? – Ich denke schon. Wenn z.B. trotz inten­sivem Gebet sich eine Sit­u­a­tion nicht verän­dert. Wenn in der Kirche der Druck wächst, sich zu erneuern. Dieser Druck aber eher lähmt und Ideen im Keim erstickt. Wenn eine Gemeinde ehrlich über ihre Wirkung nach­denkt und zugeben muss: Trotz viel Engage­ment, zahlre­ich­er Pro­gramme und toller Gottes­di­en­ste gelingt es kaum, neue Leute für Chris­tus zu gewin­nen. Nicht erst seit Neustem. Son­dern seit Jahren, ja vielle­icht sog­ar Jahrzehn­ten.
Welche Optio­nen haben wir in der Schwäche? – Schauen wir bei Paulus. Er umschreibt eine Schwäche bildlich so: ‚Ein Engel des Satans darf mich schla­gen!‘ Und dann? Hören sie aus 2. Korinther 12,7b-10 (jet­zt nach der Basis Bibel):

Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schla­gen,
damit ich nicht über­he­blich werde.
8Dreimal habe ich deswe­gen zum Her­rn gebetet,
dass er ihn weg­n­immt.
9Aber der Herr hat zu mir gesagt:
»Du brauchst nicht mehr als meine Gnade.
Denn meine Kraft
kommt ger­ade in der Schwäche voll zur Gel­tung.«
Ich will also gern stolz auf meine Schwäche sein.
Dann kann sich an mir
die Kraft von Chris­tus zeigen.
10Deshalb freue ich mich über meine Schwäche –
über Mis­shand­lung, Not, Ver­fol­gung und Verzwei­flung.
Ich erlei­de das alles gern wegen Chris­tus.
Denn nur wenn ich schwach bin, bin ich wirk­lich stark.                                                                           2. Korinther 12,7b-10

Man weiss nicht genau, welche Erfahrung hin­ter dem ‚Engel des Satans‘ steckt. Die meis­ten Ausleger:innen gehen von ein­er Krankheit aus: Eine Augenkrankheit wird ver­mutet oder depres­sive Episo­den. Auch eine Trigemi­nus­neu­ral­gie kön­nte es gewe­sen sein, wie neuerd­ings vorgeschla­gen wird. Doch eine sichere Diag­nose lässt sich nicht stellen. Sich­er ist: Es war etwas, das Paulus in sein­er Leben­squal­ität und Tatkraft mas­siv ein­schränk­te, ihn wirk­lich schwach machte. Es scheint ihm mehr Mühe gemacht zu haben als viele andere schwache Momente seines Lebens. Immer wieder war er doch aus­geliefert und hil­f­los, z.B.: Paulus wurde immer wieder ver­fol­gt und geri­et in Lebens­ge­fahr: Als man ihn nachts aus Damaskus schmuggeln musste oder als in Eph­esus ein Volk­sauf­s­tand in Lynchjus­tiz zu kip­pen dro­hte. Auch von innen wurde seine Kraft eingeschränkt: Wenn andere Mis­sion­are zu Geg­n­ern wur­den oder wenn er ver­leumdet wurde. Weit­er geri­et er mehrfach ins Gefäng­nis.
Paulus hat oft Schwäche erlit­ten. Er hat auch immer wieder dage­gen ange­betet. Ganz beson­ders wegen der Krankheit, die ihn plagte. – Wie hat Paulus seine Schwach­heit über­wun­den? — Gar nicht! Son­dern die Lösung war offen­bar: Schwäche und Gren­zen akzep­tieren. Gott machen lassen. Chris­tus alles zutrauen.
Diese Lösung, so schreibt Paulus, hat ihm Chris­tus selb­st offen­bart. Wörtlich schreibt er: „Aber der Herr hat zu mir gesagt: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt ger­ade in der Schwäche voll zur Gel­tung.« Oder wie Luther über­set­zt: Lass dir an mein­er Gnade genü­gen; denn meine Kraft vol­len­det sich in der Schwach­heit. — Schauen wir uns diesen Satz an: Wie hil­ft er in der Schwäche?

  1. Pow­er hat dieser Satz für Paulus zunächst, weil er ein Wort Christi, d.h. ein Wort Gottes ist. Schon für das AT ist Gottes Reden ein wirk­mächtiges Geschehen. Dort heisst es immer wieder, dass ‚Gottes Wort zum Propheten geschah …‘ Das sind dann nicht belan­glose Worte. Da gibt nicht Gott zur Über­fülle von Worten auch noch seinen Senf dazu. Son­dern wenn er spricht, geschieht etwas, verän­dert sich etwas. Wenn Gott in eine Sit­u­a­tion hinein­spricht, ist die Wende schon unumkehrbar ein­geleit­et. Gottes Wort ist eine Macht. Psalm 33,9 beken­nt: „Wenn er spricht, so geschiehts; wenn er gebi­etet, so ste­hts da.“ – Genau diese Voll­macht traut das ganze NT dem Reden Christi zu. Er spricht das Wort in die Sit­u­a­tion, das alles ändert, das weit­er­führt. So ist es auch in 2. Kor 12. Zwar bleibt Paulus schwach. Aber ihm wird gezeigt, dass dadurch Gottes Werk nicht behin­dert wird. Im Gegen­teil: Ger­ade Paulus‘ Schwäche lässt Gottes Kraft sich ent­fal­ten. Statt sich eigene Stärke zu wün­schen, soll und darf er auf Gottes unbe­gren­zte Möglichkeit­en ver­trauen. Das ist zwar nicht die Lösung, die sich Paulus wün­schte. Aber es ist die Lösung, die trägt und weiterführt.
  2. Das griechis­che Wort für Kraft lautet ‚Dynamis‘. Das klingt nach Dynamik, nach kraftvoller Bewe­gung. Genau darum geht es: Dass Bewe­gung in eine Sache hineinkommt. Gottes Kraft ist nicht die unwider­stehliche Gewalt, die alles platt macht, was sich ihr in den Weg stellt. Son­dern sie bewegt, was erstar­rt ist und belebt, was abgestor­ben war. Dabei ist sie sehr kreativ und zeigt sich unter­schiedlich. Mal gröss­er, mal klein­er, mal eher im Hin­ter­grund, mal ver­wis­cht, dann wieder mit klaren Kon­turen und offen­sichtlich. Die einzi­gar­tige Kraft Gottes kann nicht auf eine einzige Form reduziert wer­den. Wo sie wirkt, wird viel Gutes möglich, auf unter­schiedlich­ste Art und Weise. So erweist sich Gottes Kraft als uner­schöpflich und ver­lässlich. Sie bringt Dynamik selb­st in solche Sit­u­a­tio­nen, in denen Bewe­gung schon längst ein Fremd­wort gewor­den ist.
  3. Chris­tus mah­nt Paulus: Du brauchst nicht eigene Kraft. Du bist nur auf die Gnade angewiesen. Damit ist die uner­schüt­ter­liche Zuwen­dung Christi zu seinen Diener:innen gemeint. Sie liess doch Paulus nicht ein­mal fall­en, als er noch Christ:innen ver­fol­gte. Ver­mehr machte sie Umkehr möglich. Und Christi Gnade machte aus dem Ver­fol­ger ein beson­ders begabtes Werkzeug ihres Wirkens. — D.h. nicht mehr und nicht weniger als: Die Gnade Christi ist alles, was Du zum Leben und Dienst brauchst. Sie ist genug. Mehr als genug. Denn in ihr liegt die Kraft von Gottes Ja, das er in Chris­tus gesprochen hat. Das trägt das Leben, ger­ade wenn selb­st gebastelte Stützen brechen. Es ist die Kraft der Liebe, die zum Dienst befähigt, auch wenn die eigene Kraft nicht reicht.
  4. Es geht um ‚Kraft für Schwache‘. Viele Ange­bote in unser­er Welt ver­sprechen genau dies: Fit­ness-Cen­ter; Sprachkurse; Kleinkred­ite; Kurse zur Selb­stop­ti­mierung; Men­tales Train­ing; Coach­ings; Beratungsange­bote aller Art … unaus­ge­sprochen bleibt dabei: Auf dem Markt der Möglichkeit­en unser­er Welt gilt: Wer schwach bleibt, ist sel­ber schuld. Und: Schwäche ist auszumerzen.
    Zwar bietet auch Chris­tus Kraft für Schwache, jeden­falls wenn wir der Luther-Über­set­zung ver­trauen: ‚Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!‘ Doch Schwäche ist für ihn nicht ein Prob­lem, son­dern bietet Chan­cen. Das unter­schei­det Christi Ange­bot von allen anderen auf dem Markt. — Man muss da genau lesen. Jesus sagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“. Er sagt nicht: „Meine Kraft macht die Schwachen mächtig.“ D.h. Seine Kraft kommt auch und ger­ade in Sit­u­a­tio­nen von Schwach­heit zum Ziel. Dass die Kraft ihre Wirkung ent­fal­ten kann, ist nicht von unserem Train­ing, von unser­er Leis­tung abhängig. Son­dern er sorgt dafür, dass es weit­er geht. Chris­tus spricht uns zu: Auch und ger­ade da, wo Men­schen nur Schwäche und Gren­zen wahrnehmen, kommt Gottes Kraft zur Gel­tung. Er braucht keine glänzen­den Aus­nah­me­fig­uren. Er braucht über­haupt keine promi­nen­ten Aushängeschilder, um für sich Wer­bung zu machen und so zu seinem Ziel zu kom­men.
    Als Christ:innen verbinden wir unsere Geschichte mit der Geschichte von Jesus von Nazareth. Jesus selb­st bot für men­schliche Augen immer wieder ein Bild der Schwach­heit. Ganz beson­ders, als er am Kreuz hing und elend und ohn­mächtig starb. Gott hat ihn jedoch mit sein­er Schöpfer- und Leben­skraft am drit­ten Tage aufer­weckt. Darum leben wir als Christ:innen uns mit der Hoff­nung und mit der Erfahrung: Gott Kraft wird ger­ade in Sit­u­a­tio­nen von men­schlich­er Schwäche beson­ders wirksam.

Es ist keine leichte Lek­tion, die uns Paulus in 2. Korinther 12 hält. Denn wir müssen schluck­en, dass wir wom­öglich schwach bleiben, uns jeden­falls weit­er­hin schwach fühlen, wenn seine Kraft wirkt. So sehr wir davon träu­men mögen, zu geistlichen Riesen oder Super­helden zu wer­den: Gott braucht die Schwachen bzw. die Gerin­gen. Das sind in der Sprache der Bibel diejeni­gen, die am besten wis­sen: Nur Gott, nur seine Kraft kann und muss es richt­en. – Das griechis­che Wort dahin­ter wird in den meis­ten Bibeln oft nicht mit schwach/gering über­set­zt, son­dern z.B. mit ‚san­ft­mütig‘. Jesus sagt von sich selb­st: ‚Lernt von mir, denn ich bin von Herzen san­ft­mütig!‘ (Mt 11,29) Und in den Selig­preisun­gen heisst es: „Selig sind die San­ft­müti­gen, denn sie wer­den das Erdre­ich besitzen!“ (Mt 5,5). Um diese San­ft­mut, die Jesus selig preist und die wir von ihm ler­nen geht es. Wer san­ft­mütig (bzw. gering/schwach) ist, kann sagen: Die Gnade ist genug für mich. Ich lasse Christi Kraft ihre Kraft (→ Dynamik) ent­fal­ten. Gott muss, kann und wird es richt­en.
Entschei­dend ist also das Ver­trauen auf Gott. Nichts gegen meine eigene Kraft, mein Knowhow, meine Bil­dung, meine Ideen und meine Kraft …, wenn ich sie denn habe. Doch das alles muss Christi Kraft dienen. Weil nur sie die gute Dynamik bringt, die hil­fre­iche Bewe­gung. D.h. Christi Kraft wirkt dann am besten, wenn wir sie nicht durch eigene ver­meintliche Stärke in den Hin­ter­grund drängen.

Im Leben kann das kom­pliziert sein. Schliesslich: Nie­mand von uns hat nur Schwach­heit­en und keine Stärke. Nie­mand von uns hat nur Stärke und keine Schwach­heit­en. Wie leben wir damit? Und wie leben wir mit den Schwach­heit­en und Stärken der Anderen?
Paulus macht seine Schwach­heit wohl ger­ade darum zu schaf­fen, weil er es gewohnt ist, in ein­er Posi­tion der Stärke aufzutreten. Was er im weit­eren Zusam­men­hang von 2. Korinther 12,9 schreibt, lässt etwas davon erah­nen. Er, ger­ade er, hat ler­nen müssen, dass seine Schwach­heit für Chris­tus kein Hin­der­nis ist, weil da etwas ist, über das er, Paulus, nicht ver­fügt: Gnade.
Im Blick auf unsere eige­nen Schwach­heit­en und Stärken und im Blick auf die Schwach­heit­en und Stärken ander­er lohnt es sich, immer wieder, den ganzen Wort­laut der Zusage von Chris­tus an Paulus zu lesen: „Lass dir an mein­er Gnade genü­gen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ – Das heisst wohl auch immer wieder: Hof­fen und glauben, wo nichts mehr oder noch nichts zu sehen ist. Oder wie Jesus zu Thomas sagte: «Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!» (Jh 20, 29). Amen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert