Predigt zu 2. Korinther 12,9 in der EMK Adliswil am 23.03.2025

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Liebe Gemeinde,
‚Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist im Schwachen mächtig‘ Paulus hat das geschrieben. Vermutlich contre Coeur. Denn auch Paulus wünschte sich sicher nicht, schwach zu sein. Das wünscht sich niemand. Nein! Menschen wollen stark sein, nicht schwach. Sie wollen gewinnen und nicht knapp am Siegerpodest vorbeischrammen. Sie wollen selbstbestimmt und unabhängig entscheiden können. Sie wollen den Schwachen helfen. Sie wollen nicht selbst schwach, hilfsbedürftig und abhängig sein. Dennoch kennen alle auch Erfahrungen und Momente der Schwäche. Ich meine jetzt nicht die Erschöpfung, wenn man ein Ziel erreicht hat. Dann ist man bei aller Müdigkeit auch zufrieden und dankbar. Sondern ich meine: K.o. sein, wenn man alles gegeben und doch nichts erreicht hat. Wie sich ein Burnout anfühlt: Die Kraft ist weg. Und sie bleibt weg. Womit auch Zuversicht, Ideen, Motivation fehlen. So geht es einem Fussballer im Moment, da das Spiel um den Ligaerhalt verloren und der Abstieg unvermeidbar geworden ist. Von solcher Schwäche schreibt Paulus.
Persönlich erlebte ich Schwachheit in den vergangenen Wochen so: Ich hatte eine für meine Verhältnisse heftige Erkältung. Sie ging zwar vorüber. Aber die Energie kam nicht zurück. Überhaupt nicht. Ich fühlte mich ausgelaugt, todmüde. Ständig war da der intensive Wunsch, mich in einer Ecke zusammenzurollen und die Augen zu schliessen. So auch nur einen Tag durchzustehen ist ziemlich anstrengend. Gott sei Dank ging es dann doch vorbei. Nach gut zwei Wochen begann die Erschöpfung nachzulassen. Die Schwäche löste sich wieder auf. Jetzt fühle ich mich wieder gesund. Und bewundere und bedauere umso mehr Menschen, die z.B. nach Corona wochen- monate- oder gar jahrelang mit einer solchen Schwäche zu kämpfen hatten.
Gibt es auch im Glauben solche Erfahrungen der Schwäche? – Ich denke schon. Wenn z.B. trotz intensivem Gebet sich eine Situation nicht verändert. Wenn in der Kirche der Druck wächst, sich zu erneuern. Dieser Druck aber eher lähmt und Ideen im Keim erstickt. Wenn eine Gemeinde ehrlich über ihre Wirkung nachdenkt und zugeben muss: Trotz viel Engagement, zahlreicher Programme und toller Gottesdienste gelingt es kaum, neue Leute für Christus zu gewinnen. Nicht erst seit Neustem. Sondern seit Jahren, ja vielleicht sogar Jahrzehnten.
Welche Optionen haben wir in der Schwäche? – Schauen wir bei Paulus. Er umschreibt eine Schwäche bildlich so: ‚Ein Engel des Satans darf mich schlagen!‘ Und dann? Hören sie aus 2. Korinther 12,7b-10 (jetzt nach der Basis Bibel):
Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen,
damit ich nicht überheblich werde.
8Dreimal habe ich deswegen zum Herrn gebetet,
dass er ihn wegnimmt.
9Aber der Herr hat zu mir gesagt:
»Du brauchst nicht mehr als meine Gnade.
Denn meine Kraft
kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.«
Ich will also gern stolz auf meine Schwäche sein.
Dann kann sich an mir
die Kraft von Christus zeigen.
10Deshalb freue ich mich über meine Schwäche –
über Misshandlung, Not, Verfolgung und Verzweiflung.
Ich erleide das alles gern wegen Christus.
Denn nur wenn ich schwach bin, bin ich wirklich stark. 2. Korinther 12,7b-10
Man weiss nicht genau, welche Erfahrung hinter dem ‚Engel des Satans‘ steckt. Die meisten Ausleger:innen gehen von einer Krankheit aus: Eine Augenkrankheit wird vermutet oder depressive Episoden. Auch eine Trigeminusneuralgie könnte es gewesen sein, wie neuerdings vorgeschlagen wird. Doch eine sichere Diagnose lässt sich nicht stellen. Sicher ist: Es war etwas, das Paulus in seiner Lebensqualität und Tatkraft massiv einschränkte, ihn wirklich schwach machte. Es scheint ihm mehr Mühe gemacht zu haben als viele andere schwache Momente seines Lebens. Immer wieder war er doch ausgeliefert und hilflos, z.B.: Paulus wurde immer wieder verfolgt und geriet in Lebensgefahr: Als man ihn nachts aus Damaskus schmuggeln musste oder als in Ephesus ein Volksaufstand in Lynchjustiz zu kippen drohte. Auch von innen wurde seine Kraft eingeschränkt: Wenn andere Missionare zu Gegnern wurden oder wenn er verleumdet wurde. Weiter geriet er mehrfach ins Gefängnis.
Paulus hat oft Schwäche erlitten. Er hat auch immer wieder dagegen angebetet. Ganz besonders wegen der Krankheit, die ihn plagte. – Wie hat Paulus seine Schwachheit überwunden? — Gar nicht! Sondern die Lösung war offenbar: Schwäche und Grenzen akzeptieren. Gott machen lassen. Christus alles zutrauen.
Diese Lösung, so schreibt Paulus, hat ihm Christus selbst offenbart. Wörtlich schreibt er: „Aber der Herr hat zu mir gesagt: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Denn meine Kraft kommt gerade in der Schwäche voll zur Geltung.« Oder wie Luther übersetzt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. — Schauen wir uns diesen Satz an: Wie hilft er in der Schwäche?
- Power hat dieser Satz für Paulus zunächst, weil er ein Wort Christi, d.h. ein Wort Gottes ist. Schon für das AT ist Gottes Reden ein wirkmächtiges Geschehen. Dort heisst es immer wieder, dass ‚Gottes Wort zum Propheten geschah …‘ Das sind dann nicht belanglose Worte. Da gibt nicht Gott zur Überfülle von Worten auch noch seinen Senf dazu. Sondern wenn er spricht, geschieht etwas, verändert sich etwas. Wenn Gott in eine Situation hineinspricht, ist die Wende schon unumkehrbar eingeleitet. Gottes Wort ist eine Macht. Psalm 33,9 bekennt: „Wenn er spricht, so geschiehts; wenn er gebietet, so stehts da.“ – Genau diese Vollmacht traut das ganze NT dem Reden Christi zu. Er spricht das Wort in die Situation, das alles ändert, das weiterführt. So ist es auch in 2. Kor 12. Zwar bleibt Paulus schwach. Aber ihm wird gezeigt, dass dadurch Gottes Werk nicht behindert wird. Im Gegenteil: Gerade Paulus‘ Schwäche lässt Gottes Kraft sich entfalten. Statt sich eigene Stärke zu wünschen, soll und darf er auf Gottes unbegrenzte Möglichkeiten vertrauen. Das ist zwar nicht die Lösung, die sich Paulus wünschte. Aber es ist die Lösung, die trägt und weiterführt.
- Das griechische Wort für Kraft lautet ‚Dynamis‘. Das klingt nach Dynamik, nach kraftvoller Bewegung. Genau darum geht es: Dass Bewegung in eine Sache hineinkommt. Gottes Kraft ist nicht die unwiderstehliche Gewalt, die alles platt macht, was sich ihr in den Weg stellt. Sondern sie bewegt, was erstarrt ist und belebt, was abgestorben war. Dabei ist sie sehr kreativ und zeigt sich unterschiedlich. Mal grösser, mal kleiner, mal eher im Hintergrund, mal verwischt, dann wieder mit klaren Konturen und offensichtlich. Die einzigartige Kraft Gottes kann nicht auf eine einzige Form reduziert werden. Wo sie wirkt, wird viel Gutes möglich, auf unterschiedlichste Art und Weise. So erweist sich Gottes Kraft als unerschöpflich und verlässlich. Sie bringt Dynamik selbst in solche Situationen, in denen Bewegung schon längst ein Fremdwort geworden ist.
- Christus mahnt Paulus: Du brauchst nicht eigene Kraft. Du bist nur auf die Gnade angewiesen. Damit ist die unerschütterliche Zuwendung Christi zu seinen Diener:innen gemeint. Sie liess doch Paulus nicht einmal fallen, als er noch Christ:innen verfolgte. Vermehr machte sie Umkehr möglich. Und Christi Gnade machte aus dem Verfolger ein besonders begabtes Werkzeug ihres Wirkens. — D.h. nicht mehr und nicht weniger als: Die Gnade Christi ist alles, was Du zum Leben und Dienst brauchst. Sie ist genug. Mehr als genug. Denn in ihr liegt die Kraft von Gottes Ja, das er in Christus gesprochen hat. Das trägt das Leben, gerade wenn selbst gebastelte Stützen brechen. Es ist die Kraft der Liebe, die zum Dienst befähigt, auch wenn die eigene Kraft nicht reicht.
- Es geht um ‚Kraft für Schwache‘. Viele Angebote in unserer Welt versprechen genau dies: Fitness-Center; Sprachkurse; Kleinkredite; Kurse zur Selbstoptimierung; Mentales Training; Coachings; Beratungsangebote aller Art … unausgesprochen bleibt dabei: Auf dem Markt der Möglichkeiten unserer Welt gilt: Wer schwach bleibt, ist selber schuld. Und: Schwäche ist auszumerzen.
Zwar bietet auch Christus Kraft für Schwache, jedenfalls wenn wir der Luther-Übersetzung vertrauen: ‚Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!‘ Doch Schwäche ist für ihn nicht ein Problem, sondern bietet Chancen. Das unterscheidet Christi Angebot von allen anderen auf dem Markt. — Man muss da genau lesen. Jesus sagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“. Er sagt nicht: „Meine Kraft macht die Schwachen mächtig.“ D.h. Seine Kraft kommt auch und gerade in Situationen von Schwachheit zum Ziel. Dass die Kraft ihre Wirkung entfalten kann, ist nicht von unserem Training, von unserer Leistung abhängig. Sondern er sorgt dafür, dass es weiter geht. Christus spricht uns zu: Auch und gerade da, wo Menschen nur Schwäche und Grenzen wahrnehmen, kommt Gottes Kraft zur Geltung. Er braucht keine glänzenden Ausnahmefiguren. Er braucht überhaupt keine prominenten Aushängeschilder, um für sich Werbung zu machen und so zu seinem Ziel zu kommen.
Als Christ:innen verbinden wir unsere Geschichte mit der Geschichte von Jesus von Nazareth. Jesus selbst bot für menschliche Augen immer wieder ein Bild der Schwachheit. Ganz besonders, als er am Kreuz hing und elend und ohnmächtig starb. Gott hat ihn jedoch mit seiner Schöpfer- und Lebenskraft am dritten Tage auferweckt. Darum leben wir als Christ:innen uns mit der Hoffnung und mit der Erfahrung: Gott Kraft wird gerade in Situationen von menschlicher Schwäche besonders wirksam.
Es ist keine leichte Lektion, die uns Paulus in 2. Korinther 12 hält. Denn wir müssen schlucken, dass wir womöglich schwach bleiben, uns jedenfalls weiterhin schwach fühlen, wenn seine Kraft wirkt. So sehr wir davon träumen mögen, zu geistlichen Riesen oder Superhelden zu werden: Gott braucht die Schwachen bzw. die Geringen. Das sind in der Sprache der Bibel diejenigen, die am besten wissen: Nur Gott, nur seine Kraft kann und muss es richten. – Das griechische Wort dahinter wird in den meisten Bibeln oft nicht mit schwach/gering übersetzt, sondern z.B. mit ‚sanftmütig‘. Jesus sagt von sich selbst: ‚Lernt von mir, denn ich bin von Herzen sanftmütig!‘ (Mt 11,29) Und in den Seligpreisungen heisst es: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!“ (Mt 5,5). Um diese Sanftmut, die Jesus selig preist und die wir von ihm lernen geht es. Wer sanftmütig (bzw. gering/schwach) ist, kann sagen: Die Gnade ist genug für mich. Ich lasse Christi Kraft ihre Kraft (→ Dynamik) entfalten. Gott muss, kann und wird es richten.
Entscheidend ist also das Vertrauen auf Gott. Nichts gegen meine eigene Kraft, mein Knowhow, meine Bildung, meine Ideen und meine Kraft …, wenn ich sie denn habe. Doch das alles muss Christi Kraft dienen. Weil nur sie die gute Dynamik bringt, die hilfreiche Bewegung. D.h. Christi Kraft wirkt dann am besten, wenn wir sie nicht durch eigene vermeintliche Stärke in den Hintergrund drängen.
Im Leben kann das kompliziert sein. Schliesslich: Niemand von uns hat nur Schwachheiten und keine Stärke. Niemand von uns hat nur Stärke und keine Schwachheiten. Wie leben wir damit? Und wie leben wir mit den Schwachheiten und Stärken der Anderen?
Paulus macht seine Schwachheit wohl gerade darum zu schaffen, weil er es gewohnt ist, in einer Position der Stärke aufzutreten. Was er im weiteren Zusammenhang von 2. Korinther 12,9 schreibt, lässt etwas davon erahnen. Er, gerade er, hat lernen müssen, dass seine Schwachheit für Christus kein Hindernis ist, weil da etwas ist, über das er, Paulus, nicht verfügt: Gnade.
Im Blick auf unsere eigenen Schwachheiten und Stärken und im Blick auf die Schwachheiten und Stärken anderer lohnt es sich, immer wieder, den ganzen Wortlaut der Zusage von Christus an Paulus zu lesen: „Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ – Das heisst wohl auch immer wieder: Hoffen und glauben, wo nichts mehr oder noch nichts zu sehen ist. Oder wie Jesus zu Thomas sagte: «Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!» (Jh 20, 29). Amen