Predigt zu Jesaja 2,1–5 in der Regenbogenkirche am Sonntag 10.08.2025;

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Liebe Gemeinde,
vor 80 Jahren wurden auf Hiroshima und Nagasaki Atombomben abgeworfen. Vergangene Woche fanden Gedenkfeiern statt. Dabei wurde eindringlich appelliert, dem Frieden eine Chance zu geben. Ein dringend nötiger Appell! Denn der Trend geht in die andere Richtung. Wer Macht hat, nutzt diese wieder hemmungslos aus. Kriegstreiber:innen treiben hemmungslos und ganz öffentlich ihre bösen Spiele treiben. Sogar in Japan ist eine atomare Bewaffnung nicht mehr tabu. Vorbei der Traum, dass sich Friede weltweit ausbreiten könnte! Wir sind in den letzten Jahren brutal daraus aufgeschreckt worden.
Mir fällt eine Anekdote von Samuil Jakowlewitsch Marschak (1887–1964) ein: Der russische Kinderbuchautor hat oft und lange Kindern bei ihren Spielen zugesehen. Einmal waren diese Spiele besonders wild. Da hat Marschak sich eingemischt und die Kinder gefragt: “Was spielt ihr da eigentlich?” Die Antwort, nicht überraschend, lautete: “Wir spielen Krieg!” (® ‚Räuber und Polizist‘; ‚Indianerle‘). Der Schriftsteller entsetzte sich: “Wie kann man nur Krieg spielen! Ihr wisst doch sicher, wie schlimm Krieg ist. Ihr solltet Frieden spielen!” Die Kinder waren begeistert von der Idee. Sie steckten die Köpfe zusammen, um ein Friedensspiel zu erfinden. Doch sie wurden immer ratloser und schwiegen schliesslich betroffen. Dann kamen sie zurück zu Marschak und fragten: “Wie spielt man denn Frieden?“
Es ist so typisch für menschliches Denken: Wieviel Kraft und Kreativität vergeuden Menschen für Kriegsplanspiele! Welch grosse technologischen Fortschritte wurden ausgerechnet in Kriegszeiten gemacht! Frieden dagegen halten viele nur für möglich, wenn er durch militärische Stärke und Waffenarsenale abgesichert wird. Von wegen Schwerter zu Pflugscharen. Unser Denken, Fühlen und Wollen ist kriegerisch. So kriegerisch, dass selbst Kindern zum Frieden kaum etwas einfällt. Es stimmt schon, was in der Friedensbewegung gilt: „Frieden ist erst dann, wenn Kindern beim Wort ‚Krieg‘ nichts mehr einfällt!“
Ist es aussichtslos, dass die Welt je so weit kommt? Dass Gerechtigkeit wichtiger wird als Erfolg? Teilen wichtiger als Besitz? Dienen wichtiger als Macht? Dass Miteinander mehr zählt als persönliche Erfolge? – Realistisch scheint es ja wirklich nicht. Die grossen Apostel der Gewaltlosigkeit leben nicht mehr: Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Erzbischof Romero oder Nelson Mandela. Nachfolger:innen scheinen keine in Sicht. Und selbst in den stabilsten Gesellschaften (die CH gehört dazu) grassiert Gewalt: Häusliche Gewalt; Risse zwischen Gesellschaftsschichten gehen auf; Mobbing; Gewaltverbrechen; gewalttätige Sport-Fans; Hassbotschaften in den Medien; Hasskommentare im Internet…. Wer auf Frieden hofft, scheint im besten Fall ein hoffnungsloser Träumer zu sein. Oder muss sich Realiätsverweigerung vorwerfen lassen.
Doch Halt! Als Christ:innen glauben wir, dass Gott eine neue und gute Welt schaffen wird. Wir glauben an den, der aus dem Nichts Leben schafft. Wir vertrauen dem, der mit Liebe und Gnade alles überwindet. – Wer, wenn nicht wir Christ:innen, sollte für die Welt auf Frieden hoffen? Wer, wenn nicht wir Christ:innen, sollte in dieser Welt Frieden schaffen? Immer wieder. Vielleicht nur ganz klein. Aber echt und wirksam. Womöglich müssten wir aber zuerst aufhören, uns über Gewalttäter zu empören und über Kriegstreiber zu schimpfen. Hinter Kirchenmauern über die böse Welt zu jammern hilft nichts. Wir müssen raus. Hoffnungszeichen setzen. Uns einbringen. Versöhnen. Vergeben. Und wir müssen immer wieder neu anfangen.
Dazu brauchen wir eine Vision. Wir finden sie z.B. in Jesaja 2,1–5 (fast wörtlich gleich auch in Micha 4,1–5):
Der Berg Zion wird zum Ort des Friedens für alle Völker
In einer Vision sah Jesaja, der Sohn des Amoz, wie es Juda und Jerusalem ergehen wird: Es werden Tage kommen, da steht der Berg mit dem Haus des Herrn felsenfest. Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel. Dann werden alle Völker zu ihm strömen. Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen: »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns seine Wege lehren. Dann können wir seinen Pfaden folgen.« Denn von Zion her kommt Weisung, das Wort des Herrn geht von Jerusalem aus. Er sorgt für Recht unter den Völkern. Er schlichtet Streit zwischen mächtigen Staaten. Dann werden sie Pflugscharen schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter. Und sie werden Winzermesser herstellen aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen. Dann wird es kein einziges Volk mehr geben, das sein Schwert gegen ein anderes richtet. Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet. Auf, ihr Nachkommen Jakobs, lasst uns schon jetzt im Licht des Herrn leben! Jesaja 2,1–5 (Basis Bibel)
Ein schöner Text! Eine tolle Vision! Menschliche Träume in ein Bild gefasst: Aus Waffen werden Werkzeuge, die der Ernährung dienen. Kein Krieg! Kein Hass! Kein Streit mehr! Weltweit. Gott wird global von allen anerkannt und respektiert Instanz. Er spricht Recht auf dem Zion. Er sorgt für Gerechtigkeit, damit neue Konflikte gar nicht erst aufkommen können.
Diese Vision inspiriert. So sehr, dass vor dem UN-Gebäude in New York eine Skulptur zeigt, wie einer sein Schwert umschmiedet. Ausgerechnet in den USA, dem weltweit grössten Waffenproduzenten. Ausgerechnet dort, wo derzeit Gerechtigkeit in vielerlei Hinsicht mit Füssen getreten wird. — Der Kontrast zeigt deutlich, wie weit die Welt von Jesaja 2 weg ist. Die Versuchung ist gross, ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ als Luftschloss abzutun. Es mag ja ein schöner Traum sein. Aber unrealistisch!
Vermutlich würde Jesaja solchen Bedenken sogar zustimmen. Solange die Welt ist, wie sie ist, bleibt ein umfassender Friede unrealistisch. Die Welt muss sich vorher verändern! Genau darum geht es Jesaja. Als Prophet ist ihm Umkehr, d.h.die Hinwendung zu Gott das grösste Anliegen. Der Slogan ‘Schwerter zu Pflugscharen’ steht gar nicht im Zentrum seiner Vision. Abrüstung wäre vielmehr die Folge tiefgreifender Erneuerung der Welt und der Menschen. Wenn Gott anerkannt wird, wenn seine Gerechtigkeit respektiert wird, nur dann kann gelingen, was er hofft. Alle Völker müssen zu Gott umkehren. Nur daraus kann letztlich Friede wachsen. Wenn Gott, wenn seine Liebe, wenn sein guter Wille von allen und allem respektiert wird. Der Visionär sieht voraus auf den Moment, in dem dies Wirklichkeit sein wird.
Dabei ist seine Vision mehr als ein Traum. Sie ist Hoffnung, wo man noch nichts sieht. Hoffnung, die zum Handeln führt, weil man weiss, was hinter dem Horizont wartet: Der Friede Gottes, der alles menschliche Denken und Vorstellungsvermögen übersteigt. Es wird schliesslich und endlich gut kommen. Es kann gar nicht anders sein, als dass Gott alle seine Ziele erreicht. Und dann wird es sein, wie es Jesaja schon vor langer Zeit hat kommen sehen: «… von Zion her kommt Weisung, das Wort des Herrn geht von Jerusalem aus. Er sorgt für Recht unter den Völkern…. Dann werden sie Pflugscharen schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter…. Dann wird es kein einziges Volk mehr geben, das sein Schwert gegen ein anderes richtet. Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet.»
Jesajas Vision vom Frieden ist ein Wegweiser in die Zukunft. Das macht sie auch zur Herausforderung. Denn die Erwartung an uns ist, dass wir uns jetzt schon in unserem Denken und Handeln von ihr bestimmen lassen … und nicht von der aktuellen Wirklichkeit der Welt. Darum endet die Vision mit einem Aufruf: «Auf, lasst uns schon jetzt im Licht des Herrn leben!»
Glauben heisst also nicht nur: Darauf vertrauen und warten, dass Gott Frieden schafft. Glauben heisst: Sich hier und jetzt für Frieden engagieren. Wir sollen Friedensstifter sein. Womit wir bei Jesu Bergpredigt sind: „Selig sind, die Frieden stiften! Denn sie werden Gottes Kinder heissen!“ (Mt 5,9).
Frieden stiften also! Schwierig. Einen Krieg in 24 Stunden zu beenden, funktioniert ja nicht. Weder im Grossen noch im Kleinen. Beziehungen zu kitten ist schwierig. Man kann zwar leicht von Versöhnung, Nächstenliebe reden. Das mag sogar gut klingen. Es aber Wirklichkeit werden zu lassen, Hass und Misstrauen zu überwinden, sich zu versöhnen und einander die Hände zu reichen…. das ist schwierig. In der Geschichte der TV-Sendung ‘Wetten dass …’ gab es nur ganz wenige Saalwetten, die nicht eingelöst werden konnten. Eine davon verlangte, dass zehn in Prozesse verwickelte Nachbarn erscheinen und vor laufender Kamera ihren Streit beenden sollten. Das klappte bezeichnenderweise nicht.
Frieden zu stiften ist anspruchsvoll. Weil die Gründe für einen Konflikt kompliziert sind. Gewalt ist nur ein Symptom für die Tiefe des Konflikts. Gewalt ist kaum je das eigentliche Problem. Zwar muss zuerst ein Waffenstillstand=Gewaltverzicht erreicht werden. Doch damit beginnt die Arbeit erst richtig. Die Eindämmung von Gewalt ist nur der erste Schritt von Friedensstifter:innen. Wer sich darauf beschränkt, bekämpft nicht mehr als Symptome.
Das zeigt Jesajas Vision, indem Abrüstung erst das Zweite, die Folge eines anderen Geschehens ist. Die Umschmiedung der Waffen wurzelt in der Hinwendung zu Gott. Die Völker lassen sich zuerst von Gott unterweisen. Dann gehen sie nach Hause und recyclen ihre Waffen. D.h. dass Friedensbemühungen oberflächlich bleiben, solange das Verhältnis zwischen Gott und Mensch aussen vor bleibt.
Darum ist Jesajas Vision eigentlich ein Ruf zur Umkehr. Wieder zurück zu den Wurzeln. Zum Ursprung. Zu Gott. Das ist die Voraussetzung, dass nachhaltig Frieden werden kann.
Ist es vermessen, das Entstehen und Wachsen von Kirchen zu verstehen als Anfang der Verwirklichung von Jesajas Vision? Ich glaube nicht. Kirche ist genauso gedacht: Als eine wachsende Gemeinschaft von Menschen, die sich von Gott unterweisen lässt und so lernt, Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen. Sollte die kirchlichen Wirklichkeit dem nicht entsprechen, dann müssten wir dringend die Kirche erneuern. Damit vom zu Golgatha gewordenen Berg Zion sich Frieden in alle Welt ausdehnen kann.
Noch einmal zurück zur konkreten Friedens- und Versöhnungsarbeit: Konflikte haben damit zu tun, dass Menschen aneinander schuldig werden. Schuldig werden wir, wo wir einander nicht gerecht werden. Wenn wir einander gerecht werden, wenn wir nicht nur ‘menschlichen Gesetzen‘ genügen, sondern Gottes Willen entsprechen, dann kann Frieden beginnen.
Jesaja ist überzeugt, dass nur auf der Grundlage von Gottes Recht Frieden wachsen kann. Aber er denkt dabei nicht an Paragraphen. Sondern an Gottes Liebe und Gnade. Daran sind Worte und Taten zu messen. Daraus entsteht (Gottes) Weisung, die wachsenden Frieden begründet. Frieden wird, wenn Menschen von Gott zu lernen bereit sind, wenn sie ihm so sehr vertrauen, dass sie seiner Botschaft glauben.
Dafür können und sollen wir uns einsetzen. Für Gerechtigkeit. Für gegenseitigen Respekt. Und für Liebe. Dafür, dass Gott anerkannt wird, dass ihm vertraut wird. Im Glauben, dass er uns unterstützt und segnet. Und im Wissen: Gott ist noch viel grösser, als wir uns vorstellen können. Er ist in der Lage, jeden und jede, noch den Hintersten und die Letzte, in seine Gnade einzuschliessen und allen gerecht zu werden.
Die Kraft zu diesem Engagement schöpfen wir aus dem Glauben, dass Gott die Welt in seinen Händen hat und behält. Selbst wenn wir wenig davon sehen. Karl Barth sagt kurz vor seinem Tod zu einem Freund: “Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn — es wird regiert!” Das mag Hoffnung gegen den Augenschein sein. Aber es ist und bleibt wahr. Aus dieser Hoffnung schöpfen wir die Kraft, in die Richtung zu gehen, die Jesajas Vision beschreibt.
Das Engagement für Frieden ist nicht nur unser Auftrag. Es ist Teil der Identität von Christ:innen. Sei es in zwischenmenschlichen Beziehungen, sei es in Beruf und Wirtschaft, sei es auf politischer Ebene. Wo immer sich Christen für Frieden und Gerechtigkeit, für Verständigung engagieren, tun sie es als Nachfolger des Mannes von Nazareth und in der Gewissheit, dass es für die Welt und die Menschen nichts Besseres geben kann, als die ‘Weisung des Herrn’. Kinder Gottes engagieren sich, wo immer sie können, für Frieden und Gerechtigkeit. Wie Jesus sagte: ‘Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen Gottes Kinder heissen.’ Amen
