Du sollst nicht begehren

Predigt zu Exo­dus 20,17 in der EMK Adliswil am Erntedank­fest vom28.09.2025;

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Liebe Gemeinde,

„Die Schweiz­erin­nen und Schweiz­er sind Welt­meis­ter im Kla­gen, ohne zu lei­den!“ Das war schon vor bald 30 Jahren im Tages-Anzeiger zu lesen (F. Höpflinger, 29.12.1997). Ich fürchte, diesen Welt­meis­ter­ti­tel tra­gen wir immer noch.
Die Schlagzeilen lassen es jeden­falls klin­gen, als stün­den die Sozial­w­erke kurz vor dem Bankrott, als gäbe es bald keine Arbeit mehr, als fehle es allen am Nötig­sten oder als näh­men Ver­brechen über­hand.
Doch die Fak­ten sehen anders aus: Die Arbeit­slosigkeit ist im inter­na­tionalen Ver­gle­ich nach wie vor tief. Beim Pro-Kopf-Ver­mö­gen lässt die Schweiz weit­er­hin alle anderen Län­der hin­ter sich. Und laut Krim­i­nal­sta­tis­tik wächst die Zahl der Straftat­en nicht stärk­er als die Bevölkerung – mit Aus­nahme der dig­i­tal­en Delik­te.
Im inter­na­tionalen Ver­gle­ich geht es der Schweiz also benei­denswert gut. Den­noch wird weit­er geklagt und gejam­mert. Warum nur?

Ein­er­seits wohl, weil die Ver­lustäng­ste wach­sen, je mehr wir besitzen. Wer viel hat, kann auch viel ver­lieren. Ander­er­seits, weil unsere Wirtschaft davon lebt, dass wir immer noch mehr wollen. So fühlen wir das ver­meintlich Fehlende stärk­er als das, was wir haben. Es entste­ht der Ein­druck ein­er Krise – und schon wird kräftig weit­er gejam­mert.
Natür­lich ist aller­hand schwierig und kri­tisch in unser­er Zeit. Und ja, es gibt grosse Her­aus­forderun­gen. Den­noch frage ich mich manch­mal, ob wir nicht vor allem in ein­er Dankbarkeits- oder Zufrieden­heit­skrise steck­en. Ein­er Krise, die wir mit unserem eige­nen Gejam­mer und Selb­st­mitleid selb­st her­auf­beschwören.
Das Erntedank­fest ist da ein pro­bates Gegen­mit­tel. Heute schauen wir nicht auf das, was fehlt, son­dern auf das, was da ist. Nicht auf das ver­meintlich Ver­di­ente, son­dern auf das Geschenk­te. Die Bibel mah­nt uns immer wieder zur Dankbarkeit, aus guten Grün­den: Sehr Vieles im Leben ist Geschenk ist. Dankbarkeit macht zufrieden. Ist gesün­der als Kla­gen. Und Dankbarkeit macht glück­lich. In unserem Wohn­mo­bil hängt seit Jahren der Spruch: „Nicht der Glück­liche ist dankbar, son­dern der Dankbare ist glück­lich.“ (woher er stammt, weiss ich nicht mehr)
Darum feiern wir Erntedank. Darum gilt: Seid dankbar! Oder, wie es in den Zehn Geboten heißt: „Begehre nicht, was deinem Mit­men­schen gehört!“ Das ist das Ver­bot, dass zum Dankbarkeits­ge­bot … oder zur Ein­ladung zur Dankbarkeit passt.

„Begehre nicht das Haus deines Mit­men­schen, nicht seine Frau, seinen Knecht oder seine Magd, wed­er Rind noch Esel, noch irgen­det­was anderes, was ihm gehört.“ Exo­dus 20,17

„Das ist nicht fair!“ – so reagieren Kinder oft. Aber auch wir Erwach­sene ken­nen diesen Satz nur zu gut. Wann haben Sie ihn zulet­zt gedacht? Als ein ander­er den Job bekom­men hat? Als Sie an der Kasse wieder in der langsam­sten Schlange standen? Oder als der Polizist Sie anhielt, weil sie aus­gerech­net beim Blitzer für einen kurzen Moment ein Mü zu schnell unter­wegs waren?
„Das ist nicht fair! Anderen geht es bess­er. Sie haben mehr Glück, mehr Geld, mehr Erfolg … – Ver­gle­iche mit anderen nähren die Angst, zu kurz zu kom­men. Aus dieser Angst wächst Neid, der in der alten Kirche als eine der sieben Tod­sün­den ange­se­hen wurde.
Aber es ist ja kom­pliziert: Unser Wirtschaftssys­tem lebt zu einem großen Teil davon, dass wir haben wollen, was andere haben. Es funk­tion­iert, solange wir immer mehr wollen. Gle­ichzeit­ig aber macht uns dieses „Begehren“ unglück­lich und vergiftet unser Leben – und nicht sel­ten auch unser Zusam­men­leben.
Darum mah­nt die Bibel: „Du sollst nicht begehren …“ – Worum geht es dabei? Nicht um jede Form von Begehren. Die Bibel ist voller Men­schen, die begehren – Häuser, Besitz, Beziehun­gen. Begehren an sich ist nichts Schlecht­es. Es wird erst zum Prob­lem, wenn es auf das zielt, was anderen gehört. Dieses Gebot ist mehr als eine Zusam­men­fas­sung der anderen – es ist ein Beziehungs­ge­bot. Ein glück­lich­er Men­sch kann unglück­lich wer­den, wenn er ständig auf das schielt, was andere besitzen.

Ich nenne vier Punk­te, warum das Begehren dessen, was andere haben, unser­er Leben­squal­ität abträglich ist:

1. Wer begehrt, ist nicht zufrieden.
Es gibt unendlich viele Gele­gen­heit­en, sich über das zu freuen, was man hat – oder sich über das zu ärg­ern, was man nicht hat. Wer Let­zteres wählt, gerät in einen zer­störerischen Kreis­lauf: ständi­ge Unzufrieden­heit, Leere, Min­der­w­er­tigkeits­ge­füh­le. Und nicht sel­ten steigert man sich hinein.
Beobacht­en Sie sich ein­mal: Wenn Sie sehn­süchtig auf etwas schauen, das anderen gehört – macht es Sie wirk­lich glücklicher?

2. Wer begehrt, ver­passt das Leben.
Wer ständig ver­gle­icht, macht sich kaputt. Denn es wird immer jeman­den geben, der schön­er, reich­er, erfol­gre­ich­er oder beliebter ist. Wer darauf wartet, „irgend­wann“ anzukom­men – wenn die Kinder aus­ge­zo­gen sind, wenn das Haus abbezahlt ist, wenn der Ruh­e­s­tand begin­nt – der ver­passt sein Leben.
Das 10. Gebot lädt uns ein, nach dem zu fra­gen, was wir jet­zt haben und kön­nen – nicht nach dem, was uns fehlt.

3. Wer begehrt, liebt nicht.
Neid block­iert die Liebe. Statt dem anderen etwas zu gön­nen, ziehen wir ihn ins Lächer­liche oder ver­acht­en ihn. Doch wahre Näch­sten­liebe freut sich am Glück des anderen.
Stellen Sie sich vor, Ihr Nach­bar baut einen Win­ter­garten – genau das, worauf Sie verzichtet haben. Anstatt zu denken „Das will ich auch!“ kön­nten Sie ihm gön­nen, dass er darin Glück find­et. Wer liebt, kann sich freuen – auch am Glück der anderen.

4. Wer begehrt, ver­traut Gott nicht.
Wer begehrt, was andere haben, traut Gott nicht zu, für ihn zu sor­gen. Wer aber im Ver­trauen auf Gott lebt, weiß: Mein Leben hängt nicht von Besitz und Sta­tus ab, son­dern von Gottes Zus­pruch. Darum kann er sog­ar Ungerechtigkeit­en ertra­gen. Er weiß: Gott schenkt genug.

Darum passt das 10. Gebot gut zum heuti­gen Erntedank­fest. Denn heute danken wir Gott für das, was wir haben – anstatt nach mehr zu ver­lan­gen. Schön wäre es, wenn wir dazu gar kein Fest bräucht­en. Doch vielle­icht ist es gut, daran erin­nert zu wer­den: Das 10. Gebot zu erfüllen bleibt leicht, wenn wir jeden Tag zu einem „Lebens­dank­fest“ machen.
Es gibt so vieles, wofür wir dankbar sein kön­nen. Undankbarkeit belei­digt Gottes Güte. Das 10. Gebot zeigt uns den tief­er­en Sinn: Wer lernt, sein Leben von Herzen zu schätzen, erfährt Erneuerung.
Die Antwort auf das Begehren ist also nicht bloß Verzicht, son­dern wach­sende Zufrieden­heit und Dankbarkeit. Das heißt nicht, dass wir keine Ziele oder Träume haben sollen – im Gegen­teil! Aber wir dür­fen sie schon heute leben und nicht ständig im „Wartez­im­mer“ sitzen.
Darum: Fan­gen wir bei uns selb­st an. Fra­gen wir nach dem, was wir haben. Vergessen wir nicht zu leben. Gön­nen wir anderen ihr Glück. Ent­deck­en wir die Kraft der Dankbarkeit. men

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