Vertraut den neuen Wegen

Predigt in der EMK Adliswil am 02.11.2025, diverse bib­lis­che Bezüge, u.a. Matthäus 18,1–3

Liebe Gemeinde,

es braucht Ver­trauen, um aufzubrechen. Ohne Ver­trauen bleibt man ste­hen. Oder macht sog­ar Rückschritte. Wenn Sor­gen und Angst gewin­nen, ist der Rück­zug wahrschein­lich. Wenn dage­gen Ver­trauen den Ton angibt, kann zum Auf­bruch geblasen wer­den. – Was nährt solch­es Ver­trauen? Bib­lis­che Bilder kön­nen helfen: Zum Beispiel die WOLKEN- BZW. FEUERSÄULE, die den Israeliten in der Wüste vor­ange­ht. Darin wird anschaulich, was wir ger­ade gesun­gen haben: Gott geht nicht nur mit, son­dern voraus auf unseren Wegen. Wir sind nicht allein oder ori­en­tierungs­los. Son­dern geführt, begleit­et, geleit­et und wenn nötig, getra­gen. Gott ist da. Darum kön­nen wir den Wegen ver­trauen, auf die er uns weist. Sog­ar wenn sie ganz neu und anders sein sollten.

Ein anderes solch­es Bild aus der Bibel ist der REGENBOGEN. Kür­zlich war ich vor einem Gespräch, dem ich mit etwas Zagen und Zit­tern ent­ge­gen­sah, noch eine kurze Runde spazieren. Auf der Wacht­brücke sah ich einen Regen­bo­gen, der in der Sihl stand. Gottes Bun­desze­ichen. «Solange die Erde beste­ht, gilt mein Bund!» Mir hat das gut getan und Mut gemacht. So fiel es leichter, dem Weg in das Gespräch zu trauen… Das Gespräch übri­gens war her­aus­fordernd, im Rück­blick gese­hen aber auch sehr gut.

Ver­traut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist. Der Satz aus dem Lied ist heute das Predigt­the­ma. Das Lied wurde allerd­ings ursprünglich zu ein­er anderen Melodie, geschrieben, näm­lich der­jeni­gen von ‘Du, meine Seele, singe’. Ver­suchen wir die erste Stro­phe ein­mal so. Oder es wurde auch schon nach der Melodie von ‘Befiehl du deine Wege’ gesun­gen. Ver­suchen wir die zweite Stro­phe doch so.
Die jet­zige Melodie, jene von ‘Lob Gott get­rost mit Sin­gen’ bekam das Lied Mitte der 1990er Jahre. In let­zter Minute, schon nach Redak­tion­ss­chluss, wurde es noch in das neue Gesang­buch der EKD aufgenom­men. Die Gesang­buchkom­mis­sion entsch­ied, dass es kün­ftig mit dieser Melodie gesun­gen wer­den solle. Übri­gens ursprünglich die Melodie eines weltlichen Herb­stliedes. Im 16. Jh erschien dieses u.a. in einem Lieder­buch mit dem Titel ‘Gassen­hauer’. Sin­gen wir abschliessend die dritte Stro­phe wieder nach der ver­traut­en Melodie.

Das Lied wurde ursprünglich für eine Trau­ung geschrieben. Das Braut­paar hat sich 1.Mose 12,1f als Trautext aus­ge­sucht. Den bei­den schien, Abra­hams Beispiel passe für ihren gemein­samen Auf­bruch ins Neue, Unbekan­nte. Und sie wün­scht­en sich, dass Gott auch sie seg­nen werde und sie für andere zum Segen set­zen kön­nte. Mich spricht das Lied schon deshalb an, weil es ziem­lich genau ent­stand, als auch Pia und ich heirateten. Darüber hin­aus bringt es sehr viel davon zum Aus­druck, was mir wichtig ist, wenn ich über den Segen des Auf­bruchs rede:

  • Es macht den Bezug zu Abra­ham, der 75jährig aus sein­er Heimat Haran in ein unbekan­ntes, ver­heis­senes Land aufbrach.
  • Es verknüpft die Abra­hamsver­heis­sung mit dem Noahbund.
  • Es beschreibt, dass Leben Wan­dern heisst. Dass wir unter­wegs sind. Immer wieder auf­brechen müssen.
  • Es spricht vom Ver­trauen in die Wege, die Gott weist.
  • Es besingt, dass wir ein Segen für die Erde und die Men­schen wer­den können.
  • Es öffnet den Hor­i­zont für die neue, gute Welt, die Gott schaf­fen wird. Damit schafft es Hoff­nung in ver­wor­re­nen Zeit­en mit der Zusage: ‘Gott selb­st kommt uns ent­ge­gen. Die Zukun­ft ist sein Land.’

Der Lied­text stammt aus der Fed­er von Klaus-Peter Hertzsch (1930–2015). Er war von 1968 bis zur Emer­i­tierung 1995 Pro­fes­sor für Prak­tis­che The­olo­gie an der Uni­ver­sität von Jena. Dort hat er u.a. den Unter­gang der DDR und die deutsche Wiedervere­ini­gung erlebt. Er selb­st schreibt über die Entstehung:

«Das Lied ent­stand 1989, also im Jahr der soge­nan­nten Wende in der DDR. Der Anlass war eine Hochzeit. Eine mein­er Paten­töchter heiratete. Ihr Vater, evan­ge­lis­ch­er Pfar­rer von Beruf und ein­er mein­er Fre­unde, bat mich, für diese Trau­ung ein Lied zu schreiben, das wir gemein­sam sin­gen kön­nten. Auch die Melodie hat­te er vorgegeben, näm­lich: ‘Du, meine Seele, singe.’
Der Braut­vater holte den Text am Abend vor der Hochzeit in unserem Eise­nach­er Hotel ab, um ihn mit der ein­fachen Pfar­rbüro-Tech­nik zu vervielfälti­gen, bei der die let­zten Exem­plare immer blass­er, aber in der Regel ger­ade noch les­bar waren (→ Wer erin­nert sich noch an ‘Schnaps­ma­trizen’?). Wir feierten diese Trau­ung Anfang August 1989 und san­gen das Lied zum ersten Mal, damals also noch auf eine andere Weise.
Die Gemeinde war ziem­lich gross. Die jun­gen Leute hat­ten viele Fre­unde. Dazu kamen Leute aus dem West­en. Eise­nach war ja nahe an der Gren­ze und in den let­zten Jahren der DDR war diese Gren­ze schon durch­läs­siger gewor­den… Das ist dann der Weg gewe­sen, wie das Lied zu vie­len Gemein­den in Deutsch­land kam. Es ist an vie­len Orten schon im Jahr 1989 gesun­gen wor­den, weil es eben nicht nur dem Trautext entsprach, son­dern zugle­ich dem Lebens- und Zeit­ge­fühl, das uns in jen­em bewegten Jahr der Wende beherrschte.
In Jena, wo ich als The­olo­giepro­fes­sor arbeit­et, san­gen wir es zum ersten Mal im Novem­ber 1989 am Buss- und Bet­tag, der in den Kirchen der DDR als Tag für den Abschlussgottes­di­enst der alljährlichen öku­menis­chen Friedens­dekade ein beson­deres Gewicht hatte.

Ich träume davon, dass ‘Ver­traut den neuen Wegen’ für uns als EMK-Bezirk eine Art Hymne wer­den kön­nte. Auf- und Umbrüche hal­ten uns in Atem, in Gemeinde/Kirche, aber auch ausser­halb. Sie wer­den uns noch länger beschäfti­gen. Wir wer­den Mut brauchen für neue Wege. Ori­en­tierung im Unüber­sichtlichen. Da wün­sche ich uns allen, dass wir den neuen Wegen trauen kön­nen. Wir wollen am Ver­trauen auf Gott fes­thal­ten. Davon aus­ge­hen, dass er uns leit­et und begleit­et, ja voraus­ge­ht. Das Lied ‘Ver­traut den neuen Wegen’ kann uns dabei helfen.

DEN NEUEN WEGEN VERTRAUEN. — Welch­er Bibel­text passt  zum The­ma? Es kam mir Vieles in den Sinn. Aber es schien mir alles zu erwart­bar, zu nor­mal. Schliesslich bin ich bei Matthäus 18,1–3 gelandet. Wir haben ihn schon als Schriftle­sung gehört. In seinem Zen­trum ste­ht die Auf­forderung: ‘Werdet wie die Kinder!’
Was ist so vor­bildlich an Kindern? Sie machen uns vor allem in den ersten Leben­s­jahren (sofern sie in sta­bilen Ver­hält­nis­sen aufwach­sen) vor, wie neue Dinge und Wege in Angriff genom­men wer­den kön­nen: Neugierig, mutig, auch etwas sor­g­los und voll Ver­trauen, dass sie aufge­fan­gen wer­den, wenn es nicht auf Anhieb klappt. Bei seinen  ersten Schrit­ten ste­ht ein Kind auf wack­li­gen Beinen. Es braucht viel Mut. Aber auch Neugi­er und Begeis­terung …. vor allem, wenn es dann gelingt. Ausser­dem es ist ja jemand da im Not­fall. Eben: ‘Ver­traut den neuen Wegen, auf die der Herr uns stellt!’
Es ist immer wieder Neues zu wagen. Christi­na Brud­ereck schreibt dazu: „Es kommt im All­t­ag immer wieder zu Neuan­fän­gen. Es gibt neue Her­aus­forderun­gen. Wir lösen uns aus ein­er Auf­gabe, ein­er fest­gelegten Rolle, ein­er Erwartung und begin­nen etwas Neues. „Werdet wie die Kinder“, sagt Jesus ein­ladend. Wir kön­nen immer wieder zu Kindern wer­den, klein anfan­gen. Die Bibel ist voller Geschicht­en von Auf­brüchen und vom Neube­ginn, und das Kind ist oft das Zeichen des Neuan­fangs. „Uns ist ein Kind geboren“, sagt der Prophet Jesa­ja. Und das bedeutet Zukun­ft. Mit jed­er Geburt hat die Hoff­nung wieder gewon­nen, bekommt das Ver­trauen in das Leben Recht. Neuan­fang ist frisch und unver­braucht, gle­ichzeit­ig unsich­er und unge­wohnt, ver­bun­den mit der Angst, es nicht zu schaf­fen, und mit Abschied vom Ver­traut­en. Neugi­er und Sehn­sucht brin­gen uns ins Neue. Gut, dass es Men­schen gab, immer wieder, die sich nicht abge­fun­den haben, son­dern die weit­er­sucht­en, die über Gewohntes hin­aus­ge­gan­gen sind.
Die Ein­ladung des Glaubens heisst, immer wieder zu Anfänger:innen zu wer­den. Das ist übri­gens das genaue Gegen­teil von Besserwisser:in, von abgek­lärt, von zynisch. Neuge­borene sind nicht zynisch.“
Ver­traut den neuen Wegen! Werdet wieder wie Kinder!

NEUE WEGE. AUFBRUCH. Diese Stich­worte haben mich in let­zter Zeit stark beschäftigt und her­aus­ge­fordert. Vielle­icht ist Ihnen ja aufge­fall­en, dass ich in den Auf­bruchs-Predigten auch stark zu mir sel­ber gere­det habe. Das war heute vor ein­er Woche ganz beson­ders der Fall.
Und jet­zt erzäh­le ich ganz per­sön­lich. Wobei es wichtig ist, die Geschichte bis zum Ende zu hören! – Also: Ich habe mir viele Gedanken gemacht über meinen Dienst als Pfar­rer auf dem Bezirk Adliswil-Zürich 2. Da war Unsicher­heit, ob ich genug bewirken kön­nte. Es gab Zweifel, ob ich der richtige sei für die Auf­gabe hier. Also habe ich im Sep­tem­ber beim Stan­dort- und Förderge­spräch (StuFG) zum Dis­trik­tsvorste­her (DV) gesagt: «Ich kann mir vorstellen, bis zur Pen­sion­ierung in Adliswil zu bleiben. Aber wenn Du mir ein anderes Ange­bot hättest, würde ich ern­sthaft darüber nach­denken.»
Ich rech­nete nicht wirk­lich mit einem Ange­bot. Zurück aus den Herb­st­fe­rien fand ich aber ein Mail des DV’s. Er bat um ein Gespräch und schrieb dazu, er hätte eine Idee, die er mit mir in Ruhe anschauen wolle. Er brauche meine Antwort vor der näch­sten Kabi­nettssitzung. Ja nach dem solle dann die Umset­zung in die Wege geleit­et wer­den kön­nen. Mich freute diese Nachricht, weil sie mir zeigte, dass er mir gut zuge­hört hat­te. Zugle­ich machte sie mich ziem­lich nervös.
Am Fre­itag vor ein­er Woche war der DV dann bei mir und hat mir seine Idee erk­lärt. Sie war attrak­tiv und die Aus­sicht, noch ein­mal etwas Neues zu ver­suchen, reizte mich. Ich hat­te fünf Tage, also bis spätestens let­zten Mittwoch Zeit, um eine Antwort zu geben.
Es wur­den inten­sive Tage und Stun­den. Zuerst malte ich mir aus, welche Chan­cen die neue Möglichkeit bieten würde. Mit der Zeit kamen mir aber auch Argu­mente gegen einen Wech­sel und Gründe, warum ich hier bleiben möchte in den Sinn. Gestern vor ein­er Woche war ich sehr hin- und herg­eris­sen. Meine Ten­denz wech­selte wohl fast stündlich. Gespräche zuerst mit Pia, dann mit mein­er Tochter und mein­er Schwest­er am Tele­fon, bracht­en mich darauf: Jet­zt ist es Zeit, eine Pro/­Con­tra-Liste zu schreiben. Das tat ich gründlich … und staunte über das Ergeb­nis: Sie enthielt sehr viele Argu­mente für das Bleiben hier und auch eine Menge gegen das Wegge­hen. Die Spal­ten gegen das Bleiben und für das Wegge­hen waren dage­gen nur dürftig gefüllt. Ziem­lich ein­deutig eigentlich. Aber noch fragte ich mich, ob ich mein­er Auf­stel­lung trauen dürfe.
Schliesslich fiel mir auf, dass Manch­es, was am Neuen Ort lock­te, genau­so in Adliswil umge­set­zt wer­den kön­nte. Entwick­elte sich wom­öglich eine erneuerte/veränderte Dien­stzuweisung nach Adliswil? So etwas erlebte ich in Flaach schon ein­mal. Dort verän­derte sich die Sit­u­a­tion nach 7 Jahren so stark, dass ich ohne umzuziehen zwei ver­schiedene Dien­stzuweisun­gen hat­te (anders wäre ich wohl auch nicht auf die 15 Jahre dort gekom­men). Hier auf dem Bezirk verän­dert sich ger­ade so viel, dass es wieder ähn­lich sein kön­nte.
Am let­zten Son­ntag habe ich mit den anwe­senden BeVo-Mit­gliedern und mit Judith, die beim StuFG dabei war, je unter vier Augen gesprochen. Diese Gespräche bestätigten die Ten­denz, die sich schon abzuze­ich­nen begonnen hat­te. Und schliesslich sagte auch Pia, dass sie froh sei, wenn ich mich für das Bleiben entschei­den könne. Damit war es klar. Am ver­gan­genen Son­ntagabend haben Pia und ich zusam­men auf die neue Dien­stzuweisung nach Adliswil angestossen. Dem DV habe ich es auch mit­geteilt und er fand meine Über­legun­gen überzeu­gend. Also: Der lan­gen Rede kurz­er Sinn: Nach men­schlichem Ermessen werde ich bis zum Ruh­e­s­tand 2030 Pfar­rer auf dem Bezirk Adliswil-Zürich 2 sein.

A pro­pos: ‘Ver­traut den neuen Wegen!’ – Ist das jet­zt ein neuer Weg? Mein, unser Empfind­en ist: Ja. Weil ein neues Ja zur Auf­gabe hier gewach­sen ist und wir neue Moti­va­tion spüren. Neu ist der Weg auch deshalb, weil wir am Anfang des Prozess­es eher erwartet haben, dass die Nadel auf Wech­sel auss­chlägt. Ausser­dem wer­den wir  uns immer bewusster, wie viel wir (als ganze Gemeinde) zusam­men neu denken und ange­hen müssen in den näch­sten Monat­en. Ziel allerd­ings bleibt: Miteinan­der Wege find­en wie wir alle und vielle­icht sog­ar neue Leute Gottes Liebe erfahren und leben kön­nen.
Ganz wichtig bleibt uns die dritte Stro­phe des Liedes: ‘Ver­traut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt. Er selb­st kommt uns ent­ge­gen. Die Zukun­ft ist sein Land. Wer auf­bricht, der kann hof­fen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore ste­hen offen. Das Land ist hell und weit. Amen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert