Predigt zu Apostelgeschichte 19,1–7 in der EMK Adliswil am Pfingstsonntag 08.06.2025

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Liebe Gemeinde,
Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Sein Geburtstag, wenn man so will. Wobei diese Analogie nicht ganz passt. Schliesslich erhält normalerweise das Geburtstagskind Geschenke. Der Heilige Geist aber nimmt nicht Geschenke in Empfang, sondern teilt Geschenke = Gaben aus.
Überhaupt ist es kompliziert mit dem Heiligen Geist. Nicht nur, dass umstritten ist, ob er männlich oder weiblich, als heilige Geistkraft zu denken ist. Geist = Pneuma (griech.) = Ruach (hebr.) ist überhaupt schwer begreif- und fassbar. Die Kirche braucht fast 400 Jahre, bis nur definitiv geklärt war: Der Heilige Geist ist eine eigene göttliche Person. Er (oder: Sie?) steht auf derselben Stufe wie der Vater und der Sohn. Zusammen sind sie die heilige Dreifaltigkeit. Ein Gott in drei Personen. Allerdings spielte der Heilige Geist auch nach 381 (Konzil von Konstantinopel, das die Entwicklung der Trinitätslehre abschloss) in der Volksfrömmigkeit (nicht aber in der Theologie) sehr lange nur eine bescheidene Rolle. Das hat sich erst mit den Aufbrüchen, aus denen Pfingstkirchen und charismatische Bewegung entstanden, geändert.
Pfingsten heisst: Wir feiern, dass es den Heiligen Geist gibt. Wir feiern, dass in ihm Gott in Leben und Welt wirksam ist. Und wir sind dankbar, für seine Gaben. Womit es auch schon wieder schwierig wird: Wie halten wir es denn mit den Gaben = Geschenken des Heiligen Geistes? Geschieht dasselbe, was uns mit vielen Geschenken passiert: Wir vergessen sie wieder? Wir leben ja in einer Überflussgesellschaft. Es ist schwierig, uns etwas zu schenken, was wir auch wirklich brauchen. Darum schätzen wir zwar die Symbolik, wenn wir etwas geschenkt erhalten. Aber ganz ehrlich: Wie vielen Geschenken begegnen wir doch nur beim Abstauben, weil wir sie nicht wirklich brauchen? Oder sie sind sogar längst in den Tiefen eines Schrankes vergessen gegangen.
Ist es etwas auch mit den Geschenken = Gaben des Heiligen Geistes so? Die Bibel sagt: Wer zum Glauben kommt, wird mit dem Heiligen Geist beschenkt. Jesus Christus ins Leben aufnehmen bedeutet: dem Heiligen Geist Raum geben. Geschenkt wird uns Vergebung und Gottes Liebe. Und darüber hinaus ganz viel, was zum Leben nach Gottes Willen befähigt: Freude am Leben, Liebe zu Gott und den Mitmenschen und individuell verschiedene Gaben und Fähigkeiten. Über deren Benennung/Abgrenzung man theologisch auch wieder ausführlich streiten kann: Zungenrede; Prophetie; Erkenntnis; Unterscheidung der Geister; Heilung; Glauben … Es sind unter Christ:innen Kataloge im Umlauf, die sehr genau definieren und abgrenzen, was Gaben des Geistes sind und was nicht. Was ‚nur‘ natürliche Gaben sein sollen. Damit will ich mich nicht weiter aufhalten. Mich interessiert mehr: Was machen wir mit den Geistesgaben? Packen wir das Geschenk überhaupt aus? Falls ja: Haben wir es nachher in einem Schrank versorgt? Stellen wir es auf einem Regal aus und stauben es regelmässig ab? Oder nützen wir Geistesgaben zum Leben nach Gottes Willen und in seinem Auftrag?
Die Geistesgaben sind nämlich wichtig, wenn ein Leben im Sinne Gottes gelingen soll. Wer auf sie zu verzichten können meint, verpasst Entscheidendes. Eine eigenartige Geschichte aus der Bibel macht dies sehr deutlich:
Während Apollos in Korinth war, kam Paulus auf dem Weg über das kleinasiatische Hochland nach Ephesus. Er traf dort einige Jünger und fragte sie: “Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr zum Glauben gekommen seid?” Sie antworteten: “Nein. Wir haben noch nicht einmal gehört, dass es so etwas wie einen Heiligen Geist gibt.” “Was für eine Taufe habt ihr denn empfangen?” “Die Taufe, die auf Johannes zurückgeht”, sagten sie. Daraufhin erklärte ihnen Paulus: “Johannes hat das Volk zur Umkehr aufgefordert; seine Taufe war das Siegel auf die Bereitschaft, ein neues Leben anzufangen. Doch sagte er allen, sie müssten, um gerettet zu werden, ihr Vertrauen auf den setzen, der nach ihm komme: auf Jesus.” Als sie das hörten, liessen sie sich im Namen von Jesus, dem Herrn, taufen, zur Übereignung an ihn. Dann legte Paulus ihnen die Hände auf, und der Heilige Geist kam auf sie herab. Sie redeten in unbekannten Sprachen und mit prophetischen Worten. Es waren etwa zwölf Männer. Apostelgeschichte 19,1–7
Eine doch recht befremdliche Geschichte! Auch, weil sie gerade mal zwei Gaben des Geistes erwähnt. Und das sind ausgerechnet Zungenrede und Prophetie. Vor allem mit ersterer haben nüchterne Schweizer Methodist:innen wohl ihre liebe Mühe. Doch keine Bange! Biblische Aufzählungen von Geistesgaben sind immer exemplarisch zu verstehen. Es gibt keine zwingende Gabe, die als Echtheits-Test für das Wirken des Geistes taugen würde. Abgesehen davon ist uns die Prophetie durchaus vertraut. Sie bedeutet biblische verstanden nichts anderes als die Bezeugung des Evangeliums in der konkreten Situation. Streng genommen ist z.B. jede gelungene Predigt Prophetie. – Es geht also nicht um die Frage: Welche Geistesgabe habe ich bzw. ‚kann‘ ich. Sondern um die Zusage: Gottes Geist begabt damit, was in der konkreten Situation hilft, das Evangelium zur Geltung zu bringen.
Doch zurück zur Geschichte, die uns Lukas berichtet. Sie setzt voraus: Apollos, ein hochgelehrter Jude aus Alexandria, wirkte schon länger in Ephesus. Er erzählte von Jesus, von seinem Leben, Leiden und Sterben und gründete eine kleine Gemeinde. Es scheint aber, dass er die Geschichte Jesu ausschliesslich in der Vergangenheit erzählte. In Apollos Predigten blieben es Geschichten von früher. Jesus war zwar ein Vorbild wie andere geschichtliche Persönlichkeiten auch. Doch Apollos Zuhörern fehlte die Erfahrung, dass Jesus im heiligen Geist lebendig wurde, dass er in ihrer Zeit und Situation am Wirken war. Sie erlebten nichts von seiner Kraft.
Apollos war gerade abwesend, als Paulus nach Ephesus kam. Der besuchte diese kleine Christengruppe und merkte schnell: Diesen Leuten fehlt etwas. Sie kannten sich zwar bestens in den Heiligen Schriften aus. Sie wussten über das Leben Jesu Bescheid und lebten nach seiner Lehre. Doch es fehlt die Begeisterung. Es fehlte die Freude. Als wäre das Evangelium in ihren Köpfen stecken geblieben und hätte das Herz nicht erreicht. Gottes Geist war noch nicht eingezogen. Diese Leute steckten irgendwo zwischen Ostern und Pfingsten fest.
Das erinnert John Wesley (1703–1791), den methodistischen Kirchenvater, der zu Beginn der Industrialisierung in England lebte. Er war in einer Pfarrfamilie aufgewachsen, war getauft und wurde christlich erzogen. Er studierte schliesslich Theologie und wurde nicht nur Pfarrer, sondern auch Theologiedozent an einem renommierten College in Oxford. Er nannte sich nicht nur Christ, sondern befolgte die Gebote Gottes konsequent. Er übte Nächstenliebe, wo er nur konnte. Wesley reiste sogar in die neue Welt Amerika, um dort Indianer zu missionieren. Doch bei allem plagte ihn das Empfinden, nicht aus dem Gericht Gottes errettet zu sein. Er hatte Angst vor Gott und seiner Strafe, er empfand keine Freude bei seinen Aufgaben und sah nur sehr wenig Früchte seiner Arbeit. Er war schon 35jährig, als endlich in einem Gottesdienst – zu dem er eigentlich gar nicht hatte gehen wollen – der Glaube sein Herz erreichte, das sich plötzlich “seltsam erwärmt” anfühlte. Und von da an packte er seine Aufgaben ganz anders, mit viel Begeisterung und Herz, erfüllt vom Heiligen Geist an.
Wir können diese Linie weiterziehen bis heute. Wie viele Menschen sind getauft und in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Sie nennen sich Christen und sind, wenigstens an den Feiertagen in der Kirche anzutreffen. Sie setzen sich ein für Mitmenschen, auch ehrenamtlich. Aber sie klagen darüber, dass es ihnen kaum Freude macht, sondern zur Last wird. Sie erzählen von einer Leere im Herzen und von Angst vor dem Sterben. Christus ist wie ein Lehrbuch in ihrem Büchergestell, aber er füllt sie nicht in ihrem Innersten aus. Jesus Christus wohnt nicht in ihnen. Sie stecken vor Pfingsten fest.
Was Lukas uns aus Ephesus berichtet, ist nicht bloss eine Geschichte von früher. Sondern es zeigt etwas, das uns bis heute begegnet. Es gibt Glauben an Christus, der Jesus nur aus dem Abstand kennt – wie ein nicht ausgepacktes oder längst wieder vergessenes Geschenk. Doch Gott will uns lebendigen Glauben schenken! Er will unser Herz bewegen, uns mitreissen und uns zu Pfingstmenschen machen. Das hat John Wesley erlebt. Und so wurde es auch den Christen geschenkt, denen Paulus damals in Ephesus begegnete. Es geht nämlich nicht nur um Vergebung. Es geht um mehr. Es geht darum, dass Jesus durch seinen Geist in den Herzen den Menschen wohnt. Er überwindet nicht nur die Trennung von Gott (® ‘Sünde’), sondern wirkt als aktive Kraft in unserem Leben und beginnt einen umfassenden Umbau unseres Lebenshauses. So wird erfahrbare Wirklichkeit, was Paulus den Korinthern schrieb: “Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden” (2.Ko 5,17)
Wollen sie es noch genauer wissen: Was passiert mit mir, wenn ich mich Gottes Geist erfüllt? Was verändert sich, wenn ich mein Pfingstgeschenk erstmals auspacke oder auch, wenn ich es ausgrabe, abstaube und neu in Gebrauch nehme? Was tut der Heilige Geist? – Die folgende, wie ich finde hilfreiche, Zusammenfassung habe ich aus den Alphalivekursen behalten:
- Zuallererst ist der Heilige Geist lebendige Verbindung zu Jesus Christus. Er macht uns Gottes Liebe bewusst und bestätigt uns, dass uns vergeben ist und wir zu Gott gehören. Der Heilige Geist macht uns zu Kinder Gottes. Er verbindet uns mit unserem himmlischen Vater.
- Dann ist der Heilige Geist ist Kraft zum Leben hier und heute. Er gibt uns die Fähigkeit und den Willen, so zu leben, wie es Gott gefällt. Er lässt Gottes Kraft in uns wachsen und wirken. Wir werden deshalb nicht allmächtig, bleiben schwach und anfällig für Fehler. Und doch erleben wir, wie Gottes Kraft in uns Schwachen mächtig wird (vgl. 2.Ko 12,9). Dazu verhilft uns Gottes Geist.
- Der Heilige Geist stiftet Gemeinschaft zwischen Menschen. Er macht alle, die als Kinder zu Gott gehören, zu Geschwistern. Er gründet die Gemeinde und hält sie zusammen. Er verschweisst ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Vorlieben und Vorgeschichten zu einer Familie, zu Gottes Familie.
- Der Heilige Geist unterstützt unser geistliches Wachstum. Er motiviert uns und zeigt uns Ziele, auf die wir hinarbeiten können. Das können Aufträge an anderen Menschen sein (® ‘Nackte kleiden, Hungrige speisen etc. ’ nach Mt 25), aber auch Reifeprozesse unseres Charakters oder das Erleben, dass uns neue Gaben geschenkt werden.
- Der Heilige Geist erhält unseren Glauben lebendig. Er bewahrt uns davor, den christlichen Glauben als Weltanschauung und starres Lehrgebäude misszuverstehen. Der Heilige Geist zielt auf die Praxis des Lebens. Er hilft uns, die Beziehung zu Jesus Christus zu pflegen und von da her Entscheidungen für unser Leben in seinem Sinne zu treffen.
Diese Zusammenfassung zeigt hoffentlich: Dem Glauben ohne Pfingsten ganz Entscheidendes. Darum lasst uns offen bleiben oder werden für das Wirken des Geistes und ihm in unserem Leben immer neu Raum geben. Es geht überhaupt nicht um sensationelle Wunder. Sondern es geht darum, dass unser Glaube lebendig ist und bleibt, dass er unser tagtägliches Leben prägt. Das geht nicht ohne den Hl. Geist. Es geht darum, dass unser Gebet bleibt, was wir heute schon gesungen haben: “Erwecke und belebe uns, du Geist der Freiheit!” Amen
Danke für die tolle Predigt, Daniel!! Für mich ist der Heilige Geist etwas ganz Persönliches! Ja die 3. Person der göttlichen Dreifaltigkeit. Ob der Heilige Geist nun männlich oder weiblich ist, spielt für mich keine Rolle. Schade finde ich, dass in neueren Übersetzungen aufgrund der feministischen Theologie nur noch von” die Heilige Geistkraft” die Rede ist. Haben wir Frauen das nötig, wegen einem “der oder die” den Heiligen Geist abzuwerten? Für mich sind die beiden Begriffe nicht dasselbe! Jeder Guru spricht von der Heiligen Geistkraft, ich höre noch heute den verstorbenen Wahrsager Mike Shiva über die Heilige Geistkraft sprechen. Leider habe ich nie herausgefunden welche Geistkraft er meint! Den christlichen Heiligen Geist jedenfalls nicht. Der Heilige Geist ist für mich Tröster, Beistand, Helfer, Führer und noch viel mehr, was keine “Kraft” zu sein vermag, sondern nur die durch Gott Jesus Christus eingesetzte Person.
Besonders gefreut hat mich die öffentliche Aussage von Pfarrer Christoph Schluep in der Regenbogenkirche, dass er Mühe hat mit dem Begriff Heilige Geistkraft und dass ihm das nicht über die Lippen kommt. Da bin ich in guter Gesellschaft. Selbstverständlich akzeptiere ich aber andere Meinungen und kann gut damit leben, auch in der Regenbogenkirche. Aber manchmal braucht es etwas Mut und Rückgrat zu seiner eigenen Meinung zu stehen und auch anderen Meinungen respektvoll zu begegnen.
Mit “Heilige Geistkraft” als Gebetsanrede werde ich auch nicht so richtig warm. Das Anliegen, das dahinter steckt, finde ich aber sehr wichtig. Allerdings fehlt mir bisher ein wirklich überzeugender Alternativ-Vorschlag … vielleicht: ‘Ruach’ als weiblichen Namen bzw. Anrede brauchen? Besser wäre aber etwas, das man im Deutschen nicht zuerst erklären muss.