Gott loben

Impuls zu Apos­telgeschichte 16,23–34 in der EMK Adliswil am 18.05.2025

Liebe Gemeinde,

in der Pfar­rerweit­er­bil­dung ver­gan­gene Woche beschäftigten wir uns mit dem Lob Gottes. Schw­er­punk­t­mäs­sig ging es ums Sin­gen. Wir haben Loblieder analysiert und fest­gestellt, dass viele nur einen kleinen Teil des Spek­trums des Chris­tus­glaubens abdeck­en. Wir haben über die Ein­bet­tung von Liedern im Gottes­di­enst nachgedacht. Wir haben gesun­gen. Neue Lieder pro­biert. Es war span­nend. Inspiri­erend. Wohltuend.
Nach­den­klich machte mich der Ein­stieg. Der Ref­er­ent fragte ganz harm­los: Warum sin­gen, warum loben wir eigentlich? – Im ersten Moment war da der Gedanke: ‚Was für eine Frage! Ist doch klar!‘ Dann aber ein leis­es Erschreck­en: ‚Ich kann es gar nicht so leicht for­mulieren!‘ Ist es Tra­di­tion? Ist es Pflicht? Schulden wir Gott wom­öglich Lob? Das würde ja etwas Erzwun­ge­nes in die Sache brin­gen, das nicht passen will. Gott loben hat doch mehr mit Feiern, mit Ver­trauen, mit Beziehung zu tun.
Warum loben wir Gott? Mir kam die Geschichte von Paulus und Silas in den Sinn, die mit­ten in der Nacht im Gefäng­nis Loblieder san­gen. Sie lobten Gott, weil sie inner­lich frei waren, trotz wider­lich­er äusser­er Umstände. Weil sie Gott ver­traut­en. Sie fan­den im Lob Gottes Frei­heit. Und kon­nten so vie­len anderen zumin­d­est eine Erfahrung von Befreiung ermöglichen.

Ich suche heute einen erzäh­lerischen Zugang zur Geschichte, wie sie Apg 16 erzählt. Dabei gehe ich von Philip­per 4,1–3 aus. Paulus grüsst dort Leute aus der Gemeinde in Philip­pi: «Also, meine lieben Brüder und Schwest­ern, nach denen ich mich sehne, meine Freude und mein Siegeskranz: Hal­tet uner­schüt­ter­lich daran fest, dass ihr zum Her­rn gehört, ihr meine Lieben! Ich ermahne Evo­dia und ich ermahne Syn­ty­che: Seid euch einig, denn ihr gehört bei­de zum Her­rn. Ja, und dich, treuer Wegge­fährte, bitte ich: Hilf ihnen dabei! Die bei­den Frauen haben gemein­sam mit mir für die Gute Nachricht gekämpft. Sie tat­en das zusam­men mit Kle­mens und meinen anderen Mitar­beit­ern, deren Namen im Buch des Lebens ste­hen.» — Von Evo­dia und Syn­ty­che wis­sen wir nicht mehr, als dass sie sich offen­bar immer wieder aneinan­der rieben. Kle­mens, so stelle ich mir vor, war der Gefäng­niswärter von Philippi.

Hier nun also meine Geschichte. Das Gottes­lob ist eines ihrer The­men. Aber auch noch aller­lei Anderes:

Evo­dia und Syn­ty­che, kan­nten sich schon immer. Schon als Kinder hat­ten sie oft zusam­men gespielt. Genau­so oft aber auch gestrit­ten. Mal wollte Evo­dia mit dem Ball spie­len, Syn­ty­che aber ‘müet­ter­le’, am näch­sten Tag wollte die eine Seil­sprin­gen, die andere aber Ver­steck­en spie­len. Sie mocht­en sich ja gerne. Nur war die eine oft ger­ade nicht so, wie die andere sich die Fre­undin wün­schte. Doch die Gewit­ter ver­zo­gen sich jew­eils schnell und die Fre­undin­nen war dann wieder Arm in Arm unter­wegs.
Als Evo­dia und Syn­ty­che sich für Män­ner zu inter­essieren began­nen, gab es neue Gründe zum ‘Chädere’. Evo­dia schwärmte für einen, den Syn­ty­che total lang­weilig fand. Syn­ty­che liess von einem anderen hin­reis­sen, den Evo­dia gar nicht riechen kon­nte. Solch­es wieder­holte sich oft. Bei­de wur­den näm­lich von vie­len umwor­ben. Schliesslich sahen gut aus und kamen aus gutem Haus. — Evo­dia heiratete den Banki­er Simon, einen Juden. Seinetwe­gen trat sie zur Mose-Reli­gion über. Das wollte Syn­ty­che nicht ver­ste­hen. Sie kon­nte nicht aufhören, über die selt­samen Bräuche der Juden zu spöt­teln. — Syn­ty­che ihrer­seits heiratete einen Gross­grundbe­sitzer und zog in seine Vil­la am Stad­trand mit 21 Zim­mern und 10 Dien­st­boten. “Dieser Mann hat doch nur Sinn fürs Geld­ver­di­enen und passt nicht zu dir!”, entset­zte sich Evo­dia. Dies­mal dauerte die Ent­frem­dung zwis­chen den Fre­undin­nen länger.
Evo­dia ging mit ihrem Mann jeden Sab­bat zum Gebet­splatz am Fluss vor der Stadt. Die weni­gen jüdis­chen Fam­i­lien von Philip­pi feierten dort unter freiem Him­mel Gottes­di­enst. Evo­dia hörte aufmerk­sam zu, was aus den Schriften gele­sen wurde. Immer überzeugter wollte sie ein treues Glied des auser­wählten Volkes sein.
Syn­ty­che wurde in ihrer Vil­la nicht glück­lich. Das Leben im Luxus hat­te bald den Reiz ver­loren. Sie emp­fand, dass ihr etwas fehle.

Nach län­ger­er Zeit begeg­neten sich die bei­den Frauen zufäl­lig auf dem Markt. Oh, was hat­ten sie sich alles zu erzählen. Evo­dia redete mit viel Ehrfurcht von dem Gott, an den sie jet­zt glaubte. Syn­ty­che war beein­druckt. War vielle­icht dieser Glaube, was ihr fehlte? Das musste sie wis­sen und war deshalb am näch­sten Sab­bat auch dabei. Und sie kam immer wieder. Sie spürte, dass von diesem Glauben eine Kraft aus­ging. Syn­ty­che war aber auch kri­tisch: Warum sollte man Schweine­fleisch nicht essen dür­fen? Warum sollte es Sünde sein, Fleisch und But­ter im sel­ben Topf zu kochen? Solche Fra­gen liessen die Fre­undin­nen jet­zt stre­it­en.
Zum Gebet­splatz kamen noch andere Griechin­nen, die nach Wahrheit sucht­en. Lydia z.B., die Besitzerin eines Tuch­warengeschäftes. Manch­mal waren auch griechis­che Män­ner da, die an den alten Göt­ter zweifel­ten. Wacht­meis­ter Kle­mens gehörte zu  ihnen. Ein gewis­senhafter Beamter am Stadt­ge­fäng­nis. Den Gefan­genen gegenüber war er kor­rekt, sog­ar gütig, soweit es die Vorschriften erlaubten. Hin und wieder aber wurde sein Gemüt von ein­er Welle von Trau­rigkeit über­schwemmt. Dann mussten andere für ihn Dienst tun. Was ihn erst recht bedrück­te. Er fühlte sich dann zu allem unfähig und ertrank in Schuldge­fühlen. Am Sab­bat­gottes kam er manch­mal in der Hoff­nung, dass der Gott der Juden ihn befreie.
Eigentlich aber sank die Zahl der Juden in der Stadt stetig. Man mochte sie nicht. Sol­dat­en und Kriegsvet­er­a­nen in Philip­pi has­sten sie sog­ar regel­recht. Schliesslich war Palästi­na ein ständi­ger Unruhe­herd und die Armee hat­te dort hohen Blut­zoll bezahlt. So zogen manche Juden weg. Alte Gemein­deglieder star­ben. Auch Evo­dias Mann wurde im besten Alter plöt­zlich krank und starb. Kurz darauf kam kein jüdis­ch­er Mann mehr zum Fluss. Also über­nahm Evo­dia das Amt der Vor­be­terin. Die anderen Frauen waren dankbar, weil sie sich in der Bibel unter­dessen gut auskan­nte.
Ein­mal taucht­en am Fluss zwei Gäste auf: Juden, die auf der Durchreise waren. Sie stell­ten sich als Paulus von Tar­sus und Silas von Jerusalem vor. Natür­lich über­nah­men sie als einzige anwe­sende Män­ner die Auf­gabe des Vor­beter. Paulus hielt eine Ansprache: “Was die Propheten in alter Zeit ver­sprochen haben, hat Gott erfüllt. Er hat uns seinen Sohn als den Heil­skönig geschickt. Er heisst Jesus Chris­tus. Er hat die Mauer zwis­chen Juden und Hei­den durch­brochen. Alle haben jet­zt direkt Zugang zu Gott. Und es gibt nur noch ein Gesetz: Dass wir Gott lieben von ganzem Herzen und unseren Näch­sten wie uns selb­st …“
Syn­ty­che horchte auf. War das, was sie schon lange suchte? Nach dem Gottes­di­enst ging die Tuch­waren­händ­lerin Lydia auf die bei­den Frem­den zu. Sie sprach lange mit ihnen, lud sie zum Essen ein und sie blieben als Gäste bei ihr. Eine Woche später brachte Lydia ihre Hausgenossen zum Gebet­splatz mit. Paulus leit­ete wieder das Gebet und predigte dann: “Chris­tus hat uns als seine Boten in die Welt gesandt. Die, welche an ihn glauben, sollen als Gemeinde Gottes gesam­melt wer­den. Wer sich schon für Chris­tus entsch­ieden hat, möge sich melden. Er wird das Zeichen der Taufe emp­fan­gen!” Lydia stand auf. Silas führte sie zum nahen Fluss und taufte sie. Auch ihre Hausgenossen wur­den getauft. Sie waren die ersten Griechen in Philip­pi, die an Chris­tus glaubten.
An den darauf­fol­gen­den Sab­bat­en lehrte Paulus wieder am Gebet­splatz. Auch der Wacht­meis­ter Kle­mens war ein­mal da. Ihn beun­ruhigte, was er hörte: Der Gottes­sohn war als Gefan­gener aus­gepeitscht und hin­gerichtet wor­den. Wenn jet­zt unter seinen Gefan­genen auch ein Gottes­sohn gewe­sen wäre!
Jede Woche waren mehr Leute da. Und es liessen sich weit­ere taufen. Auch Syn­ty­che entschloss sich dazu. Es war ein über­wälti­gen­des Erleb­nis. Als sie unter­ge­taucht wurde, war ihr, als fiele ihre ganze Last von ihr ab. Und als sie auf­tauchte, fühlte sie sich wie neu geboren. Sie änderte ihr Leben. Zwei Strassenkinder nahm sie auf und zu sich und sorgte für sie wie eine Mut­ter.
Mit ihrer Taufe war die Fre­undin Evo­dia zunächst nicht ein­ver­standen. Sie meinte, Gott lasse nur Hei­den zur Gemeinde zu, die sich auch dem jüdis­chen Gesetz unterord­neten. In lan­gen Gesprächen mit Paulus und Silas liess sie sich aber überzeu­gen. Auch Evo­dia meldete sich dann zur Taufe und wurde so eifrig wie Syn­ty­che. Sie ent­deck­te in der Nach­barschaft eine bet­tlägerige Witwe, um die sich nie­mand küm­merte. Zu ihr ging sie täglich und pflegte sie. Bei­de Fre­undin­nen erzählten auch ihren Nach­barin­nen vom Glauben an Chris­tus und luden sie zu den Ver­samm­lun­gen ein.

Die christliche Gemeinde wäre wohl weit­er gewach­sen, wenn nicht die Sache mit Melaina passiert wäre. Die dunkel­haarige Sklavin Melaina war eine stadt­bekan­nte Wahrsagerin. Wer wollte, bezahlte ihr Geld und zeigte dann die Fläche der recht­en Hand. Dann kon­nte man von ein­er geheimnisvollen Stimme Erfreulich­es über die Zukun­ft hören. Das Geld, das Melaina ein­nahm, musste sie jeden Abend ihren Besitzern abgeben. Evo­dia glaubte, dass aus Melaina ein satanis­ch­er Wahrsagegeist rede. Darum töne die Stimme so unheim­lich. Syn­ty­che, prag­ma­tis­ch­er ver­an­lagt, meinte, Melaina sei Bauchred­ner­in und habe ein gutes Gespür dafür was die Men­schen gerne hören woll­ten. — Melaina musste von Paulus gehört haben. Eines Tages sah sie ihn und Silas auf dem Markt und ging zu ihnen. Plöt­zlich hörte man eine laute Stimme, als spräche das Kaiser­stand­bild auf dem Markt: “Die bei­den sind Knechte des höch­sten Gottes. Sie verkün­den euch den Weg zur Ret­tung!” Die Umste­hen­den wun­derten sich und lacht­en.
Wenn Syn­ty­che später diese Geschichte erzählte, sagte sie an dieser Stelle immer: “Melaina wollte mit den bei­den Sch­aber­nack treiben. Darum rief sie mit ver­stell­ter Stimme so!” Evo­dia wider­sprach jedes Mal: “Nein, der satanis­che Wahrsagegeist rief aus ihr und wollte die Boten Christi lächer­lich machen!“
Bei der näch­sten Begeg­nung von Melaina mit Paulus ertönte die Stimme wieder. Das löste bei den Leuten auf dem Platz Heit­erkeit aus. Paulus wurde zornig und herrschte sie an: “Ich befehle dir im Namen Jesu Christi: Schweig!” Melaina erschrak und machte sich wort­los aus dem Staube. Von da an war Melaina nicht mehr dieselbe. Evo­dia meinte: “Paulus hat den Satans­geist aus ihrem Leib aus­getrieben!” Syn­ty­che verneinte: “Es ist harm­los­er: Durch den Schreck über Paulus hat sie das Bachre­den ver­lernt!“
Melaina hat­te sich wirk­lich verän­dert. Sie sagte zwar schon noch etwas, wenn ihr Kun­den die Hand zeigten. Doch was sie sagte, klang banal und lang­weilig. Die Kun­den ver­langten das Geld zurück. Damit war das Geschäft von Melainas Besitzern ruiniert. Darum woll­ten sie Paulus ankla­gen. Allerd­ings hat der nichts Straf­bares getan. Darum behaupteten sie vor Gericht, dass er Unruhe stifte. Ausser­dem hat­ten sie eine Gruppe von Demon­stran­ten angestellt, die schrien: “Juden raus! Juden raus!” Das wirk­te. Richter waren näm­lich römis­che Offiziere, die Juden ohne­hin nur Schlecht­es zutraut­en. Sie liessen Paulus und Silas ver­haften und ohne Ver­hör und Prozess aus­peitschen. Dann wur­den die bei­den ins Gefäng­nis geführt und in der berüchtigten Zelle mit dem Block einges­per­rt.
In dieser Nacht hat­te Kle­mens Dienst im Gefäng­nis. Er erschrak, als man ihm Paulus und Silas als Gefan­gene über­gab. Als er ihre Füsse im Block festschraubte, ging ihm ein Stich durchs Herz. Er ver­fluchte sich sel­ber und seinen Beruf, der ihn zwang, anderen Men­schen, und vielle­icht sog­ar Göt­ter­söh­nen, Schmerzen zuzufü­gen. Sein Leben war ihm ver­lei­det. Er schleppte sich in seine Woh­nung, nahm einen Dolch, wollte sich die Pul­sadern auf­schnei­den, zögerte und hat­te dann doch nicht die Kraft sein Leben zu been­den. Seine Frau kam dazu und nahm ihm den Dolch aus der Hand.
Aber in dieser Nacht kam alles ganz anders. Eine Stunde nach Mit­ter­nacht sassen Paulus und Silas — frisch gebadet und die Wun­den auf dem Rück­en sorgfältig ver­bun­den am Tisch in der Woh­nung des Gefan­genen­wärters Kle­mens. Sie erzählten ihm von Chris­tus, von seinem Tod und sein­er Aufer­ste­hung. Kle­mens ver­stand noch nicht alles. Aber ihm wurde klar: Chris­tus liebte ihn und hat­te ihn von allem freige­sprochen. Bei Tage­san­bruch wur­den dann Kle­mens, seine Frau und die Kinder am Brun­nen im Gefäng­nishof getauft.
Dann kam von den Richtern die Nachricht, die Gefan­genen seien auf freien Fuss zu set­zen und aus der Stadt auszuweisen. Für den Abend riefen Paulus und Silas noch ein­mal alle Chris­ten der Stadt zusam­men. Sie ermah­n­ten und ermutigten sie und nah­men Abschied.

Doch wie waren die Gefan­genen in der Nacht zuvor aus der Gefäng­niszelle in die Woh­nung des Wacht­meis­ters gekom­men? Dazu waren bei den Chris­ten in Philip­pi ver­schiedene Ver­sio­nen im Umlauf.
Evo­dia erzählte: “Die bei­den Gefan­genen kon­nten natür­lich nicht schlafen. Um Mit­ter­nacht beteten sie und san­gen Loblieder. Die Mit­ge­fan­genen hörten es und wun­derten sich: ‘Was sind das für Gefan­gene, die trotz ihrer Schmerzen noch Grund zum Sin­gen haben?’ Da liess Gott ein Erd­beben kom­men. Ich erin­nere mich, dass ich in dieser Nacht das Zit­tern des Zim­mer­bo­dens gespürt habe. Ich hat­te Angst. Im Gefäng­nis wank­te das Fun­da­ment, die Türen der Zellen sprangen auf, die Fes­seln der Gefan­genen fie­len ab. Kle­mens in sein­er Woh­nung meinte, alle Gefan­gene seien schon geflo­hen. Er wollte sich das Leben nehmen. Paulus merk­te das, obwohl er es nicht sah, und rief laut: ‘Kle­mens, tu dir kein Leid an. Wir sind alle noch da.!’ Kle­mens nahm eine Fack­el und leuchtete in jede Zelle. Tat­säch­lich. Kein Gefan­gener hat­te die Gele­gen­heit zur Flucht genützt. Als er zu Paulus und Silas kam, fragte er sie: ‘Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?’ Paulus antwortete: ‘Glaube an den Her­rn Jesus Chris­tus, dann wirst du und deine Fam­i­lie gerettet wer­den.’ Dann brachte der Wacht­meis­ter die Gefan­genen in die Woh­nung und pflegte ihre Wun­den.“
Syn­ty­che fand diese Geschichte ihrer Fre­undin naiv. Sie hat­te auch eine schlaflose Nacht ver­bracht, aber nichts von einem Erd­beben gespürt. Sie wusste es anders: “Als Kle­mens die bei­den Gefan­genen im Block eingeschlossen hat­te, war er voller Verzwei­flung in die Woh­nung zurück­gekehrt. Dann hörten er und seine Frau die Gefan­genen Loblieder sin­gen. Sie lauscht­en und waren sprach­los: Hat­te die Strafe die bei­den noch nicht fer­tiggemacht? Warum waren sie trotz allem zuver­sichtlich? Woher hat­ten sie die Kraft zum Sin­gen? Die Frau schlug vor: ‘Hol die bei­den aus der Zelle und bring sie in die Woh­nung. Dann pfle­gen wir ihre Wun­den, und du musst dir nicht mehr ihretwe­gen Vor­würfe machen.’ ‘Das darf ich nicht’, wehrte er ab, ‘das geht gegen die Vorschrift.’ Die Frau liess aber nicht nach: ‘Du musst nicht immer nur das tun, was vorgeschrieben ist. Du kannst auch ein­mal so han­deln, wie du es selb­st eigentlich möcht­est.’ — Das brachte bei Kle­mens eine Welt ins Wanken. Er tat zum ersten Mal etwas, das sein Gewis­sen geboten hat­te. Er befre­ite die Gefan­genen und nahm sie in die Woh­nung und ver­band ihre Wun­den.
Zwis­chen den bei­den Fre­undin­nen gab es jedes Mal eine Auseinan­der­set­zung, wenn von der Nacht, in der Kle­mens getauft wurde, die Rede war. Jede behauptete, die andere habe ein falsches Bild der Ereignisse. Doch auch wenn sie gegen­sät­zlich­er Mei­n­ung waren, wussten sie, dass sie durch den Glauben an Chris­tus zusam­menge­hörten, wie die rechte und die linke Hand des­sel­ben men­schlichen Kör­pers. Und für die Gemeinde Christi waren sie bald wie die rechte und die linke Hand. Als näm­lich die christliche Gemeinde in Philip­pi wieder zu wach­sen begann, liess der Stadtkom­man­dant die Män­ner, die sie geleit­et hat­ten, ins Gefäng­nis wer­fen. So wur­den Evo­dia und Syn­ty­che von den Chris­ten zu Vorste­herin­nen gewählt, und sie gin­gen zum Stadtkom­man­dan­ten und überzeugten ihn in einem lan­gen Gespräch, dass die Chris­ten nichts Bös­es gegen die Regierung im Schilde führten. Da liess der Stadtkom­man­dant die gefan­genen Leit­er der Gemeinde frei.
Als einige Jahre später der Brief, den Paulus aus dem Gefäng­nis an die Chris­ten in Philip­pi geschrieben hat­te, vor der ver­sam­melten Gemeinde vorge­le­sen wurde, da schämten sich Evo­dia und Syn­ty­che nicht, son­dern sie lächel­ten und waren ein wenig stolz, als da der Satz vorkam: “Ich ermahne Evo­dia, und ich ermahne Syn­ty­che, ein­mütig zu sein im Her­rn … Sie haben mit mir für das Evan­geli­um gekämpft, zusam­men mit Kle­mens und meinen anderen Mitarbeitern!”

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